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ОглавлениеDer Titel unseres Buchs stammt von Petra Roth, der 69-jährigen ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeisterin. „Ich habe so viel Lust auf Leben“, rief sie temperamentvoll am Ende unseres Gesprächs. Das war sie, die Quintessenz! Und die frohe Botschaft an alle Töchter, Enkeltöchter, die 30-, 40- und 50-Jährigen: Auch über 60 bleibt das Leben spannend. Und alles ist möglich. Mädels, keine Angst! Alles! Man muss es aber wollen und etwas dafür tun! Und sich nicht auf die faule Haut legen. Ihr seid immer auch Vorbild für die Jüngeren.
Wer es noch nicht bemerkt hat, muss blind sein: Die Frauen über 60 werden immer jünger. Und interessanter. Sie haben nichts mehr von einer älteren Dame. Geburtsdatum und Auftreten passen nach konservativen Vorstellungen nicht mehr zusammen. Man fragt sich oft gar nicht, wie alt diese oder jene Frau wohl sein könnte. Noch nicht mal, ob sie jung ist für ihr Alter. Es ist die Persönlichkeit, die anzieht und überzeugt. Falten? Wahrscheinlich. Na und?
Das ist ziemlich neu. Noch vor einer Generation klang das völlig anders: Der „Spiegel“ veröffentlichte 1984 eine Titelgeschichte über „Die Frau um 40“. „Ich bin unsichtbar geworden“, klagte eine, die ihre Attraktivität eingebüßt hatte. Und der damals trendigste Modedesigner Courrèges lästerte boshaft, jede Frau über 40 sollte sich am besten erschießen. Was für eine Unverschämtheit! Ich war damals 37 und überzeugt davon, dass sich mein Leben anders entwickeln würde. Natürlich behielt ich recht! Die 25 Frauen unseres Buchs sind lebender Beweis dafür, dass sich Entscheidendes verändert hat.
Es war übrigens ganz leicht, Frauen für unser Buchprojekt zu motivieren und über ihr Leben zu sprechen. Sie finden nämlich, es muss endlich gesagt werden: Frauen über 60 sind keine „Omas“. Sie stehen mitten im Leben, sind mitten in der Karriere, wagen gerade einen Neustart oder stecken in spannenden Projekten. Sie haben Ausstrahlung, auch erotische, sehen gut aus, und ihr Selbstbewusstsein ist natürlich. Die porträtierten Frauen stammen aus unterschiedlichen Bereichen und Berufen. Sie erzählen, wahrscheinlich mit dieser Generation zum letzten Mal, noch Geschichten von Flucht und Vertreibung, Geschichten aus grauer Nachkriegszeit, in der Mädchen nach Meinung der Mütt er besser kein Abitur machten, weil das Männer nur abschreckt, aber vor allem Geschichten von Erfolgen und individuellen Zielen, die mit Ehrgeiz und enormem Einsatz erreicht wurden. Auch Schicksalsschläge, Krankheit und Tod werden nicht verschwiegen. Denn 60 Jahre und mehr sind eine lange Zeit, und das Leben hat mehr Phantasie, als wir uns erträumen.
Jutta Gampe vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock liefert eine wissenschaftliche Erklärung für das Phänomen der modernen 60er. Der Mensch altert zwar immer noch ab 40, d.h. ab 40 geht’s bergab. Aber seit den 70er Jahren sinkt die Mortalität, d.h. die Menschen sterben immer später, gewinnen jedoch an Lebensqualität. Sie haben bessere Voraussetzungen durch gesündere Ernährung und medizinischen Fortschritt. Nicht rauchen hilft weiter, maßvolles Essen, Sport ist wichtig. Kosmetik und Mode spielen eine große Rolle und vor allem Bildung. Bildung gilt als die wichtigste Voraussetzung für ein langes Leben. Salopp formuliert: Erkenntnis ist der erste Weg zur Besserung. Das Leben hat sich gedehnt. Gesund und fit können wir auch die spät eren Jahre mehr genießen, mehr leisten und besser nutzen. Insofern sind die Frauen dieses Buchs Produkte der modernen Wissensgesellschaft. Am oberen Ende des Lebens, und da ist man mit über 60 nun mal, ist also noch viel zu holen. Da, wo früher das Ende war, ist heute noch lange nicht Schluss. Jutta Gampe stellt die These der überalterten Gesellschaft auf den Kopf: Da wir so viel länger fit bleiben, erleben wir eben keine Vergreisung der Gesellschaft, sondern eine Verjüngung.
Sehen Sie, und das beweisen die Frauen in unserem Buch.
Barbara Brauda