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Sonntagabend, Ansbach

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»Einen Moment bitte.« Die hübsche üppige Blondine im eng anliegenden kobaltblauen Sommerkleid, deren lange Haare sich in perfekten Locken über die nackten Schultern ringelten, hangelte aus ihrer silbernen Clutch hastig ein Mobiltelefon, das in einer mit Strass verzierten Hülle steckte. »Ja, Chef?« Ihre Stimme klang sachlich, und für einen Moment schien sie vergessen zu haben, wo sie sich befand. Während sie lauschte, spielte sie gedankenverloren mit einem halb vollen Cocktailglas auf dem Tresen, beobachtet von einem schüchtern wirkenden Mann, der die Augen nicht von ihr lassen konnte. Als sie mit einer einzigen eleganten Bewegung die in hochhackigen Riemchensandalen steckenden Beine auf dem Barhocker übereinanderschlug, holte er tief Luft.

»Selbstverständlich.« Die Blondine nickte, als könnte ihr Gesprächspartner am anderen Ende der Leitung sie sehen. »Echt jetzt? Voggel? Der Neue vom Rauschgift? Bitte nicht!« Sie verdrehte die perfekt geschminkten Augen. »Warum ich?« Der Mittdreißiger im Ralph-Lauren-Poloshirt ihr gegenüber verstand nur Bahnhof, ließ sie aber nicht aus den Augen, denn diese Frau war ein echter Hingucker mit ihrem engen Kleid, den ausgeprägten Rundungen und dem rot bemalten Schmollmund, der gerade leider mürrisch verkniffen war.

»Das schaffe ich notfalls auch allein, aber wenn Sie meinen …«, sagte sie jetzt verdrossen. »Wie lange ich brauche?« Kurz warf sie einen Blick auf das Display ihres Handys. »Zwanzig Minuten, wenn ich mich nicht umziehe. Wiederhören, Chef.«

»Ist was passiert?« Ihr Gegenüber starrte sie erwartungsvoll an, als sie das Gespräch beendet hatte.

Die hübsche Blonde hob bedauernd die Schultern. »Sorry, Frank, Notfall im Job. Muss leider gehen.« Die beiden saßen an der Theke eines überfüllten Lokals. Auf der spärlich ausgeleuchteten Tanzfläche drehten gut gekleidete Paare selbstvergessen ihre Runden, an den Tischen wurde einander zugeprostet und gelacht. Jeder schien sich bestens zu amüsieren, abgesehen von ein paar hektisch hin und her eilenden Servicekräften, die mühsam versuchten, sich mit voll beladenen Tabletts einen Weg durch das Getümmel zu bahnen, das für einen Sonntagabend in der bekanntesten Tanzbar am Rande von Ansbach durchaus normal war.

»Ich muss weg. Sofort.« Die attraktive Frau kletterte anmutig vom Barhocker und strich sich das Seidenkleid glatt. Ihr Gegenüber hielt sich an der Theke fest, denn sie sah dabei wirklich atemberaubend aus.

»Gibst du mir wenigstens deine Telefonnummer?«, bat er dann. »Ich fand’s wirklich nett heute.«

»Vielleicht beim nächsten Mal.« Die fünfunddreißigjährige Dorothea Haug, genannt »Dodo«, bemühte sich um einen bedauernden Gesichtsausdruck. Während die Kommissarin des K1 in Ansbach ihr Mobiltelefon wieder in der winzigen Handtasche verstaute, versuchte sie, sich ihre Erleichterung nicht allzu sehr anmerken zu lassen.

»Hat dein überstürzter Aufbruch etwas mit dieser geheimnisvollen Arbeit zu tun, über die du nicht sprechen kannst?« Frank konnte seine Enttäuschung nicht verbergen. Im düsteren Licht der Tanzbar sah er bleich aus. »Dann sehen wir uns also nicht mehr? Oder kommst du am nächsten Sonntag vielleicht zur Karaoke-Nacht?«

»Ich und Karaoke? Glaub mir, das will sich keiner anhören.« Dodo warf einen Zehn-Euro-Schein auf den Tresen. »Bitte bezahl für mich, der Rest ist Trinkgeld. Hat mich gefreut, Frank. Viel Glück noch bei der Suche nach deiner Traumfrau.«

»Schade.« Frank betrachtete erst den Geldschein und dann wieder Dodo. »Du gefällst mir nämlich wirklich gut.«

»Das Kompliment kann ich leider nicht erwidern«, flüsterte Dodo, als sie außer Hörweite war und sich durch das Gedränge auf der Tanzfläche in Richtung Ausgang arbeitete. Sie winkte dem enttäuschten Verehrer noch ein letztes Mal zu, während sie mit der anderen Hand schon in ihrer Tasche nach dem Autoschlüssel kramte. Hastig stöckelte sie über den dürftig beleuchteten Parkplatz zu ihrem Kombi. Dann fuhr sie hinein in die warme Juninacht.

»Sind das die Zeugen?« Kurt »Kurti« Voggel, der in Rothenburg soeben sein ultraleichtes Mountainbike an eine Hausfassade gelehnt und sorgfältig gesichert hatte, sah sich aufmerksam am Tatort um und wies auf ein älteres Ehepaar, das mit zwei Polizisten diskutierte und einen aufgeregten Eindruck machte. Die Spurensicherung war bereits dabei, das Terrain zu sichern.

In seinen kurzen Hosen und dem kurzärmeligen Camouflage-Shirt hatte ihn ein Beamter der Rothenburger Polizei zuerst für einen Touristen gehalten und mit harschen Worten zum Gehen aufgefordert, bis er endlich seinen Ausweis zeigte. Kurti nahm es gelassen, denn das war ihm schon öfter passiert. Mit dem zerzausten blonden Haarschopf über neugierigen grünen Augen wirkte der attraktive Mittdreißiger wie jemand, der den Großteil seines Tages auf einem Surfboard irgendwo an der Pazifikküste verbringt.

Jetzt betrachtete Kurti das Ehepaar näher. Der Mann ließ die Schultern hängen und sah aus, als müsste er sich gleich übergeben, die Frau, eine vollschlanke Dame mit riesiger Brille, versuchte gerade, an den Polizisten vorbei zur Leiche zu gelangen, um dort zu fotografieren.

»Ja, das sind sie«, antwortete der Beamte verdrossen. »Vermutlich Amerikaner. Der Mann ist total besoffen, und die Frau … ach, sehen Sie doch selbst.«

Im selben Moment drängelte sich die Frau auch schon mit gezücktem Handy an dem Streifenbeamten vorbei.

»Nehmen Sie ihr gefälligst das Telefon weg«, verlangte Kurti.

»Haben wir schon.« Anklagend hielt der Beamte einen durchsichtigen Beutel hoch, in dem ein silbernes iPhone glänzte. »Die hat aus ihrer riesigen Handtasche einfach ein zweites gekramt. Also machen Sie das bitte. Wer weiß, wie viele von den Dingern sie noch dabei hat. Ich verstehe zwar nur die Hälfte von dem, was sie sagt, aber freundlich klingt es nicht. Und ihr Mann erzählt die ganze Zeit was von Kellnern, die Zwillinge sind.« Es klang frustriert.

»Tja, man sollte nie mit jemandem diskutieren, der zwei Liter Vorsprung hat.« Kurti seufzte. »Bitte sorgen Sie mit Ihren Kollegen schleunigst dafür, dass die Anwohner in ihren Häusern bleiben.« Er deutete auf ein Fenster im ersten Stock, an dem ein neugieriges Gesicht erschienen war. Der Beamte eilte davon.

Kurti trat zu der aufgeregten Amerikanerin und ergriff sachte ihre Hand, in der sie tatsächlich ein weiteres Smartphone hielt. »Madam«, bat er. »Please.«

Mary Walker sah den attraktiven Kripobeamten skeptisch an. »Wer sind Sie denn?«, wollte sie wissen, während ihr Blick mit jeder Sekunde freundlicher wurde.

Wenn es nämlich überhaupt irgendjemanden gab, dem Shorts einwandfrei standen, dann war es der neue Mitarbeiter des K1 mit einem Körperfettanteil von einundzwanzig Prozent, verteilt auf stattliche hundertfünfundachtzig Zentimeter Muskelmasse.

»Voggel, Kriminaldauerdienst Ansbach. Special police, you understand?« Kurti war an Verständigungsschwierigkeiten mit Touristen gewöhnt, denn er wohnte in Detwang, einem Ortsteil von Rothenburg, und kannte sich in der Stadt gut aus. »Ich hatte keine Zeit, mich umzuziehen.« Erneut präsentierte er seinen Ausweis, den Mary zweifelnd betrachtete.

»Was haben Sie gesehen?«, erkundigte sich Kurti nun höflich in einwandfreiem Englisch.

»Nicht viel.« Mary Walker musterte ihn neugierig durch ihre riesige Brille. »Jemand schrie etwas, ich drehte mich um, und da ist mir die Frau vor die Füße gefallen.« Sie schien nicht sonderlich schockiert.

»Haben Sie verstanden, was gerufen wurde?«, wollte Kurti wissen, aber Mary schüttelte den Kopf. »Mein Deutsch ist nicht so gut. Aber das sind Ihre dicken weißen Würste auch nicht.«

»Ich kann jetzt nur raten, wie Sie das meinen.« Kurti grinste. »Wie viele Personen haben Sie gesehen?«

Mary dachte nach. »Zwei. Sie schienen zu kämpfen. Aber es ging viel zu schnell. Außerdem haben wir denen da«, sie zeigte auf die Streifenbeamten, »schon alles erzählt. Darf ich jetzt mein Telefon wiederhaben?« Fordernd streckte sie ihre Hand aus.

»Morgen, wenn wir die Daten gesichert haben, Madam, dann können Sie Ihre beiden Telefone gern wieder abholen«, erwiderte Kurti höflich. »Wo sind Sie untergebracht?«

Mary klaubte aus ihrer riesigen Tasche einen Schlüssel mit goldenem Anhänger und ließ ihn vor seinem Gesicht baumeln.

»Ah, der ›Goldene Hirsch‹. Wenn Sie möchten, werden Sie von zwei Beamten ins Hotel begleitet.«

»Das schaffen wir schon allein«, sagte Mary entschieden.

»Gut.« Kurti lächelte ihr zu. »Ihre Personalien wurden ja bereits aufgenommen. Bitte seien Sie so freundlich und kommen morgen noch auf die Wache in Ansbach, um Ihre Aussage offiziell zu Protokoll zu geben. Wie geht es Ihrem Mann?«

»Er wird es überleben«, antwortete Mary mitleidlos. »Immerhin war er bei der Army. Hier geht es ja zu wie in Detroit. Wenn ich das vorher gewusst hätte, dann hätte ich eine Reiseversicherung abgeschlossen.«

»Nicht nötig, gnädige Frau«, erwiderte Kurti beruhigend. »Alles pretty hier, Sie müssen sich keine Sorgen machen. Und nun muss ich Sie bitten, das Fotografieren zu unterlassen. Nur für den Fall, dass Sie noch ein drittes Smartphone irgendwo versteckt haben.« Sanft, aber resolut entwand er Marys kräftigen Fingern das zweite Mobiltelefon.

Als sie wütend protestierte, erklärte Kurti bestimmt: »Sie bekommen es zurück, wenn wir sichergestellt haben, dass Sie keine unerlaubten Bilder vom Tatort geschossen haben. – Und nein, ich werde darüber mit Ihnen nicht diskutieren. Ich bin von der police, das hier ist unsere Angelegenheit.«

Offenbar hatte Kurti sich deutlich genug ausgedrückt. Leise vor sich hin schimpfend, stapfte Mary, ohne sich zu verabschieden, zurück zu ihrem eingeschüchterten Mann.

Gerade als Kurti sich der Leiche zuwenden wollte, hörte er plötzlich hinter sich eine weibliche Stimme.

»Du bist bestimmt der Neue. Ab sofort übernehme ich.« Er drehte sich um, und eine hübsche Frau mit lockigen blonden Haaren und ernstem Gesicht streckte ihm die Hand zur Begrüßung entgegen. In dem engen blauen Kleid, über dem sie eine weite Chiffonjacke trug, und mit hohen silbernen Absätzen wirkte sie merkwürdig deplatziert. Einige der Kollegen starrten sie an, ebenso wie ein paar Passanten, und Axel Heiße von der Spurensicherung winkte ihr freundlich. Sie warf ihm einen Kussmund zu und wandte sich wieder an Kurti.

»Hallo, ich bin Dodo. Man hat uns gestern schon einander vorgestellt. Wie war dein Name doch gleich? Karl? Kuno?«

»Kurti.« Er zwinkerte ihr zu. »Ist das dein übliches Outfit für Tötungsdelikte? Schick. Oder trägst du das extra für mich?« Anerkennend musterte er sie von oben bis unten.

»An Selbstbewusstsein fehlt es dir offenbar nicht«, bemerkte Dodo. »Hatte keine Zeit, mich umzuziehen. Du ja wohl auch nicht, Rambo.« Sie warf einen vielsagenden Blick auf seine Shorts und die nackten Füße in Sneakers. »Der Chef hat mich informiert, dass wir ab sofort zusammenarbeiten. Eigentlich hätten Fitz und Geiger heute Dienst gehabt, aber die sind in Ansbach unterwegs. Na ja, wir werden schon klarkommen.«

Routiniert schlüpfte sie samt ihren Sandaletten in ein Paar Überschuhe aus Papier, um den Tatort nicht zu kontaminieren. »Das sieht bescheuert aus«, sagte sie seufzend. »Scheint so, als dürfte ich künftig nur noch in Zehensandalen ausgehen.«

»Bei diesem Kleid achtet niemand auf deine Füße«, versicherte ihr Kurti. »Nur das Gürtelholster unter der Jacke trägt ein wenig auf.« Er streifte sich, genau wie seine neue Kollegin, Latexhandschuhe über.

»Wieso bewirbt sich eigentlich jemand vom Rauschgift wie du beim K1?«, fragte Dodo, als sie neben der Toten in die Hocke ging.

»Na, wegen dem Kopfgeld«, erklärte ihr Kurti mit todernster Miene. »Und ich wollte hübsche Frauen kennenlernen, bevorzugt lebendige natürlich.«

»Na toll, ein Komiker.« Dodo deutete auf die Tote. »Der Chef hat mich telefonisch informiert. Die Frau wurde vermutlich die Treppe hinuntergestoßen.«

»Deckt sich mit der Aussage unserer Zeugin«, bestätigte Kurti. »Sie hat im Display ihres Handys gesehen, wie zwei Gestalten miteinander kämpften. Armes Ding, so jung und so schön.« Er beugte sich über die Tote, um das merkwürdige Stück Holz in ihrem Bauch zu mustern.

»Das ist ein Kerbholz«, erklärte ihm Dodo. »Kenne ich aus dem Kriminalmuseum, in das mich meine Mutter einmal pro Jahr schleppt. Eigentlich gehört so was in eine klimatisierte Vitrine.«

»Sie hat ein Hämatom am Auge.« Kurti zeigte auf das Gesicht des Opfers, wo sich deutlich ein Bluterguss unter der rechten Augenbraue abzeichnete.

»Und sie trägt ein Kleid von Prada«, antwortete Dodo. »Außerdem nur einen Schuh, und zwar ein teures Fabrikat.« Suchend sah sie sich um. »Hat den zweiten der verschwundene Prinz mitgenommen? Vielleicht finden wir ihn oben auf der Mauer. Hinauf mit uns.«

Auf der obersten Treppenstufe entdeckten sie eine winzige blaue Handtasche, verziert mit übergroßen Initialen eines exklusiven Designerlogos.

»Alles drin.« Dodo entnahm der Tasche vorsichtig ein Handy und versuchte vergeblich, es zu aktivieren. »Lässt sich nicht einschalten«, sagte sie enttäuscht. »Ich hatte schon mal mehr Glück. Das kommt davon, wenn man keine Hülle benützt, hoffentlich ist nur der Akku leer. Schlüssel, Portemonnaie, Lippenstift, ein Kosmetiktuch, ein Kamm. Ausgeraubt wurde sie nicht.«

Kurti schnappte sich die winzige Geldbörse. »Sandra Kaiser«, las er laut vom Personalausweis der Toten vor. »Sie wohnt hier in Rothenburg, draußen am Stadtrand. Nobles Viertel.«

»Diese Tasche kostet außerdem knapp tausendvierhundert Euro.« Nachdenklich betrachtete Dodo das teure Stück. »Raub können wir also ausschließen. Bis auf ihr Veilchen keinerlei Kampfspuren, soweit ich das beurteilen kann.« Mit einer kleinen Taschenlampe leuchtete sie in sämtliche Winkel des gemauerten Durchgangs. »Das werden sich die Jungs von der Spurensicherung sehr gründlich ansehen müssen. Ich schlage vor, wir machen uns sofort auf den Weg zu ihrer Wohnung. Den Schlüssel haben wir ja.«

»Gehört das zu deiner normalen Ausrüstung, wenn du abends ausgehst?« Erstaunt zeigte er auf die Leuchte in Dodos Hand.

»Ist nicht das erste Mal, dass ich mitten in der Nacht losmuss«, erklärte sie und balancierte auf ihren hohen Absätzen vorsichtig die sehr steile Treppe hinunter. »Hab immer alles im Kofferraum, was ich brauchen könnte, außer anderen Klamotten, aber das passiert mir in Zukunft nicht mehr. Gehört das Fahrrad an der Hauswand dir?«

Kurti nickte. »Ist ökologischer. Und gesünder.«

»Die Gerüchte stimmen also.« Dodo grinste. »Wir nehmen meinen Wagen. Ich hoffe, du bist ein guter Beifahrer und nicht so zimperlich wie mein letzter Partner. Der war vielleicht eine Mimose.«

»Können wir, Frau Haug?« Axel Heiße von der Spurensicherung musterte Dodo wohlwollend. Er freute sich immer, seine hübsche Kollegin zu sehen, auch wenn der Anlass meistens unerfreulich war. Irgendwann würde sie seine Einladung zu einer Tasse Kaffee und einem Heiratsantrag annehmen, dessen war er sich sicher.

»Ja. Bringen Sie sie weg«, bat Dodo. »Je schneller, umso besser. Ich könnte mir vorstellen, dass eine Leiche geschäftsschädigend für den Tourismus ist. Wie lange brauchen Sie hier noch?«

»Kommt drauf an. Sie dürfen mich nicht hetzen.« Axel schaute auf seine Uhr. »Wir müssen ein so breites Gebiet wie möglich abdecken und werden ohnehin nicht viel Verwertbares finden, dazu sind hier jeden Tag zu viele Menschen unterwegs.«

Dodo übergab ihm die Handtasche des Opfers. »Bitte sofort zum Revier bringen und Peter Waltner telefonisch informieren. Wir benötigen so bald wie möglich die Daten aus dem Mobiltelefon, am besten gestern. Peter kommt auch nachts, der ist so was von digitalisiert, dass Sie ihn auf irgendeine Art und Weise immer erreichen. Versuchen Sie es über WhatsApp und Skype oder sehen Sie zur Not auf Instagram, Twitter oder Facebook nach. Irgendwo im Netz treibt er sich um diese Uhrzeit schon noch herum. Schönen Gruß von mir.«

»Worauf wartest du?«, forderte sie dann ihren neuen Kollegen auf. »Wir wollten doch zur Wohnung der Toten.«

»Fahr einfach vor, mit dem da bin ich genauso schnell wie du.« Kurti wies auf sein Fahrrad an der Hausmauer. »Wir treffen uns dort.«

»Ich hätte den Gerüchten wirklich glauben sollen.« Dodo seufzte. »Leg das Ding in meinen Kofferraum. Jetzt ist nicht der Zeitpunkt für Diskussionen über meinen CO2-Fußabdruck.«

»Dazu ist nie der falsche Zeitpunkt«, widersprach Kurti. »Und dieses ›Ding‹ besitzt einen verschweißten Titanrahmen, wiegt insgesamt zweitausendeinhundertfünfundsechzig Gramm und kostet sehr wahrscheinlich mehr als deine vorsintflutliche Feinstaubschleuder.«

»Vorsintflutlich? Alles unter hundertachtzig PS ist sowieso nur eine Gehhilfe«, protestierte Dodo empört, während sie auf ihren hohen Hacken und wild gestikulierend neben Kurti, der verdrossen sein Fahrrad schob, durch das Galgentor zum Parkplatz Rödergasse verschwand. Beide achteten nicht auf den hochgewachsenen grauhaarigen Herrn, der ihren Weggang interessiert beobachtete und sich dann auf den Weg zum Tatort machte. Immer an der Wand lang.

Im Hotel »Goldener Hirsch« in der Schmiedgasse hatte sich Mary Walker soeben in aller Gemütsruhe die Zähne geputzt, nun fand sie ihren Gatten gedankenverloren auf dem Bett sitzend vor.

»Sollen wir nicht besser nach Hause fahren?«, fragte er, grau im Gesicht. »In Lincoln wäre uns so was nie passiert. Und mir ist immer noch übel.«

»Richtig!«, rief Mary enthusiastisch. »In Lincoln wäre uns so etwas nicht passiert. Darum bleiben wir. Ich werde viel erzählen können, wenn wir wieder zurückkommen. Außerdem müssen wir morgen zu diesem Ryan-Reynolds-Verschnitt mit den phantastischen Zähnen und meine beiden Telefone abholen. Jetzt beruhige dich und schlaf endlich.«

Und wieder tat George, was er am besten konnte: Er gab nach.

Ich hoffe, der niedliche Typ mit dem treuherzigen Blick trägt morgen wieder kurze Hosen, dachte Mary, während sie in ein voluminöses Kunstfasernachthemd schlüpfte, das mit mehreren Metern pinkfarbener Rüschen besetzt war.

Dann ging sie zufrieden schlafen. Es knisterte leicht, als sie sich ins Bett legte, aber das taten ihre Gedanken auch.

Tod in Rothenburg

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