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Montagmorgen, Ansbach
ОглавлениеIn dem von der Morgensonne beleuchteten lang gestreckten Gebäude der Kriminalpolizei Ansbach in der Schlesierstraße herrschte um diese Uhrzeit bereits Hochbetrieb. Nur in einem einzigen Raum war es mucksmäuschenstill.
»Fehlt noch jemand?« Wolfgang Hübner, der Leiter des K1 in Ansbach, sah alle anwesenden Mitglieder seiner neu gegründeten Sonderkommission der Reihe nach streng an. Niemand getraute sich auch nur zu husten, denn Hübner, ein hochgewachsener, schlanker Mann Ende fünfzig mit dichtem grauen Haar und scharfen blauen Augen, schien an diesem Montagmorgen nicht sonderlich viel Spaß zu verstehen. Seinem Gesichtsausdruck nach zu urteilen hatte er gegen sein übliches Sodbrennen schon mindestens zwei Beutelchen Säurebinder geschluckt. Vermutlich war ihm heute Morgen das ausführliche Telefonat mit einer hochrangigen Rothenburger Lokalgröße nicht bekommen.
Aufmerksam musterte er alle Anwesenden, als er plötzlich niesen musste. Er zog ein blütenweißes Stofftaschentuch mit Monogramm aus der Tasche seiner akkurat gebügelten Leinenhose und warf Dodo dabei einen scheelen Seitenblick zu.
Sie wurde blass. »Verdammt, das hatte ich ganz vergessen«, flüsterte sie Kurti erschrocken zu, der ihr einen fragenden Blick zuwarf.
Hübner verkündete säuerlich: »Ich brauche wohl kaum zu erwähnen, dass ich heute Morgen einen Anruf des Bürgermeisters von Rothenburg bekommen habe.« Er steckte sein Taschentuch wieder ein. »Diese Angelegenheit muss so schnell wie möglich vom Tisch beziehungsweise von der Mauer. Gott sei Dank haben die Kollegen der Spurensicherung gute Arbeit geleistet, sodass der Tatort bereits freigegeben werden konnte. Aber zuerst …« Er nieste nochmals, wobei Dodo mit schuldbewusstem Blick zusammenzuckte, dann öffnete er eine Aktenmappe und entnahm ihr ein Blatt Papier. Eine große Ecke war offensichtlich abgerissen und mehr schlecht als recht wieder angeklebt worden. »Frau Haug, Sie waren ja heute Nacht noch mit Herrn Voggel im Büro. Haben Sie hierfür eine Erklärung?« Hübner hielt Dodo das Blatt mit vorwurfsvollem Blick unter die Nase.
»Keine, die Sie mir abkaufen würden«, wand sich Dodo verlegen.
»Das ist der Autopsiebericht der Rechtsmedizin über den Oswald-Fall«, grollte Hübner. »Er lag oben auf meinem Schreibtisch. Wo ist sie?«
»Wo ist wer?« Dodo wurde rot.
»Ist das Ihr Ernst, Frau Haug? Wie lange kennen wir uns?« Hübner stemmte beide Arme in die Hüften und sah sie durchdringend an.
Kurti mischte sich ein. Heute trug er zur Feier des Tages eine ausgewaschene Jeans und ein weites dunkelbraunes Shirt, das wie aufgepinselt wirkte. »Im Zuge der Ermittlungen mussten wir in der Wohnung des Opfers ein herrenloses Tier sicherstellen, um eine weitere Kontamination des Tatortes und eine Zerstörung von Beweisen zu verhindern. Die Katzentoilette war nämlich seit Tagen nicht gesäubert worden, und wir wollten nichts riskieren.«
»Hab schon gehört, dass Sie ein Witzbold sind, Herr Voggel. Also, wo?« Hübner sah sich misstrauisch um. »Frau Haug, Sie wissen doch, dass ich allergisch gegen Katzenhaare bin.«
»Tut mir sehr leid, Chef«, bat Dodo, die in ihrem roten, ärmellosen Kleid im Lagenlook entzückend, wenn auch ein wenig übernächtigt wirkte. Auf ihrem rechten Oberarm prangte unübersehbar ein großes Pflaster. »Ich wollte sie ins Tierheim bringen, aber es war zu spät am Abend.«
Im Raum war es mucksmäuschenstill geworden. »Herr Voggel …« Hübner warf einen kurzen Blick unter Dodos Stuhl und war sichtlich erleichtert, dass dort keine Katze saß. Dann deutete er auf den Kratzer in Kurtis Gesicht. »Schon die erste Meinungsverschiedenheit mit Frau Haug gehabt?« Er grinste.
»Das heilt wieder.« Kurti rieb sich verlegen die Wange. »Etwas Ringelblumensalbe …«
»Schon gut.« Hübner winkte ab. »Bemerkenswert, Herr Voggel, wie schnell Sie sich Frau Haug angepasst haben, für die unsere Dienstvorschriften erfahrungsgemäß Auslegungssache zu sein scheinen.«
»Wir konnten sie … äh, ihn, nicht im Auto lassen in diesem kleinen Karton. Außerdem stand Ihre Bürotür offen, und dieses Tier ist verdammt schnell«, verteidigte Kurti seine Kollegin.
»Ehe Sie das nächste Mal hier eine Zweigstelle von PETA eröffnen, rufen Sie bei mir an«, warnte ihn Hübner. »Wann bekomme ich einen Zwischenbericht?«
»Bald«, versicherte ihm Dodo hastig. Um Hübners Mundwinkel zuckte ein kaum wahrnehmbares Lächeln. »Versauen Sie mir den Kollegen Voggel nicht. Er scheint bisher ein unbeschriebenes Blatt. Können wir jetzt weitermachen?«
»Das werden wir noch büßen«, flüsterte Dodo.
»Falls Sie nicht auch noch einen Papagei aus der Wohnung des Opfers mitgenommen haben, Ruhe jetzt«, befahl Hübner gelassen. Hinter Dodo kicherte jemand.
»Die Tote, Sandra Kaiser, geborene Baltus, war einunddreißig Jahre alt, seit zwei Jahren geschieden, und hatte laut rechtsmedizinischer Untersuchung keinerlei erkennbare Vorerkrankungen«, begann Hübner. »Irgendwelche Hinweise im Apartment des Opfers, Frau Haug, Herr Voggel?«
»Dort ist uns jemand zuvorgekommen«, erklärte Kurti. »Die Wohnung wurde durchwühlt.«
»Der Laptop von Frau Kaiser war komplett gelöscht«, pflichtete Dodo ihm bei, »und außer einer Sammlung von Rechnungen und Mahnungen in einem Schuhkarton konnten wir nichts finden. Peter versucht bereits, die Daten auf dem Notebook teilweise zu rekonstruieren. Die Belege haben wir wieder zusammengesetzt.«
»Nun gut. Abgesehen von der Mutter, Petra Baltus, wohnhaft in Würzburg, gibt es keine Verwandten des Opfers«, fuhr Hübner fort. »Sie wurde bereits benachrichtigt. Sandra Kaiser war seit sechs Monaten in der Hautarztpraxis Dr. Wilbold beschäftigt – kümmern Sie sich darum, Frau Haug, Herr Voggel?«
»Die hat ganz normal gearbeitet?«, entfuhr es Dodo. »Mit einem normalen Gehalt?«
»Sie werden sich gleich noch wundern«, kündigte Hübner an. »Laut Rechtsmedizin handelt es sich bei dem Stück Holz im Abdomen des Opfers um ein ›Kerbholz‹, also ein sogenanntes ›Zählholz‹, im Mittelalter das Äquivalent einer Bonitätsauskunft. Das Alter dieses Holzes wird von der Forensik auf ungefähr sechshundert Jahre geschätzt, ist also eine unbezahlbare Antiquität.«
»Soweit ich heute Nacht im Internet recherchieren konnte, waren diese Hölzer aber im Normalfall zweigeteilt«, gab Kurti zu bedenken. »Die Kerben wurden angebracht, und dann wurde das Holz der Länge nach gespalten. Eine Hälfte erhielt der Gläubiger, die andere der Schuldner. Dann konnte man die beiden Teile aneinanderhalten und überprüfen, ob Manipulationen stattgefunden hatten. Es fehlt also eine Hälfte. Wo ist die?«
»Bisher nicht aufgetaucht, aber gut beobachtet«, lobte Hübner. »Übrigens war nicht das massive Bauchtrauma tödlich, sondern die Fraktur des Dens Axis. Einfacher ausgedrückt, sie hat sich beim Sturz von der Treppe das Genick gebrochen und war sofort tot.«
Kurz blickte er in die Runde, alle hingen aufmerksam an seinen Lippen. Nicht einmal Dodo meldete sich, denn der Chef wirkte bei seiner Rede äußerst angespannt. »Keine Abwehrverletzungen, keine fremde DNA unter den Fingernägeln. Außerdem wurde beim Opfer ein im Randbereich bereits grünlich gelb verfärbtes sogenanntes Monokel-Hämatom am linken Auge festgestellt«, las Hübner nun aus dem Gutachten der Rechtsmediziner vor. »Es ist anhand der Verfärbungen davon auszugehen, dass es nicht erst Sonntagnacht entstanden ist, sondern ein, zwei Tage davor.«
»Interessant«, meinte Dodo. »Also stammt es nicht von dem Kampf auf der Mauer.«
»Sehr wahrscheinlich«, nickte Hübner. »Und jetzt wird es interessant: Genau dieses Kerbholz, das in ihrem Bauch steckte, hat Sandra Kaiser vor ein paar Wochen über eBay Kleinanzeigen verkauft, und zwar für fünftausend Euro, wie wir in Erfahrung bringen konnten. Herr Waltner, bitte.«
Ein schlanker, blasser Mann Mitte dreißig erhob sich, blickte unsicher in die Runde und rückte eine dunkle Hornbrille zurecht, mit den dicksten Gläsern, die Kurti je gesehen hatte. Seine Wangen waren leicht gerötet, und er machte den Eindruck, als wollte er am liebsten die Flucht ergreifen.
»Legen Sie los, es beißt Sie keiner«, forderte Hübner ihn wohlwollend auf.
Peter Waltner räusperte sich verlegen. »Vor knapp zwei Monaten hatte Sandra Kaiser über die Kleinanzeigen-Plattform bereits eine ähnlich gelagerte Transaktion abgewickelt«, begann er. »Ich habe ihren Account geprüft und dabei den Verkauf entdeckt. Damals ging es um einen antiken Dolch, der weit unter dem von mir in Erfahrung gebrachten Schätzwert an einen Herrn in Troisdorf ging. Er wird von uns angeschrieben werden. Wer das Kerbholz gekauft hat, konnte ich bisher nicht ausfindig machen, ich arbeite aber dran. Bisher kenne ich nur den Benutzernamen, nämlich ›Spiderman‹.« Er grinste breit.
»Laut dem E-Mail-Wechsel, den ich einsehen konnte, war die Übergabe auf dem Rothenburger Marktplatz vor genau fünf Tagen um Punkt zwölf Uhr mittags vereinbart. Klar, da sind die meisten Leute da. Alle wollen die große Uhr und den Meistertrunk sehen.«
»Das hört sich ja beinahe wie eine Lösegeldübergabe an«, meldete sich Kurti zu Wort. »War der Käufer denn nicht skeptisch?«
»Die Korrespondenz enthält nur die nötigsten Informationen zur Abwicklung«, erklärte Peter. »Beide haben keine Romane geschrieben.«
»Als ob es beim Drogenhandel anders läuft«, bemerkte Dodo. »Barzahlung bei Abholung. Müsste dir doch bekannt sein.« Dafür erntete sie von Hübner einen strafenden Blick.
»Übrigens habe ich auch ihr BMW-Cabrio in einer Internet-Automobilbörse entdeckt, wo es seit drei Wochen zum Verkauf steht«, fuhr Peter fort. »Scheinbar brauchte sie dringend Geld.«
»Kein Wunder, wenn man das Bruttoinlandsprodukt eines kleinen Landes für Handtaschen ausgibt«, murmelte Dodo.
»Wir haben ihr Fahrzeug auf dem Parkplatz Rödergasse sichergestellt, bisher noch keine Ergebnisse«, sagte der Chef. »Weiter, Herr Waltner.«
Peter, der sich am wohlsten hinter einem Bildschirm fühlte und es hasste, vor Menschen zu sprechen, räusperte sich abermals. »Zum Mobiltelefon des Opfers konnten wir uns heute Morgen Zugang verschaffen«, erklärte er. »Durch den Aufprall auf den Boden hatte sich der Akku entladen, das konnte ich beheben. Bei dem Handy handelt es sich Gott sei Dank um eines mit Android-Betriebssystem, für Apple hätte ich länger gebraucht oder Hilfe anfordern müssen.«
»Uns interessieren die Fotos auf dem Telefon«, meldete sich Kurti. »Wie sieht es da aus?«
»Der Foto-Ordner war ein wahres Füllhorn der Selbstdarstellung«, sagte Peter. »Während meiner gesamten Tätigkeit sind mir noch nie so viele Selfies auf einem Smartphone untergekommen, ich habe insgesamt 5.297 Bilddateien und achtundzwanzig Videos gesichert. Mindestens hundert der Selfies zeigen das Opfer mit einem älteren Mann, in teilweise sehr pikanten Situationen, auf den Videos posiert sie in diversen Lokalen oder vor Spiegeln. Ich vermute, die Filme werde ich bei einem Abgleich in den sozialen Medien wiederfinden.«
Dodo freute sich. »Das ist doch immerhin etwas. Kennen wir den Mann?«
»Dazu komme ich gleich«, versprach ihr Peter. »Im Kontaktverzeichnis befanden sich hauptsächlich Dienstleister wie Kosmetikstudios, Friseur, ein Nagelstudio, ein Fitnesscenter, eine Nummer in Würzburg, die ich noch verifizieren muss, Frau Kaisers Arbeitsplatz und eine Bank. Zwei Rufnummern waren blockiert, bei einer davon handelt es sich um Frau Kaisers Ex-Mann Karsten, die andere konnte ich einer gewissen Daniela Lorsch zuordnen. Anhand der noch nicht gelöschten Anrufliste kann ich sagen, dass Frau Kaiser bis vor knapp sechs Wochen von dieser letzteren Nummer aus täglich mehrere Male angerufen wurde.«
»Sie hatte also sogar eine eigene Stalkerin«, sagte Kurti. »Höchst interessant.«
»Es waren bemerkenswert wenige WhatsApp-Unterhaltungen auf dem Telefon zu finden«, fuhr Peter fort. »Scheinbar pflegte das Opfer nicht allzu viele soziale Kontakte. Den einzigen Gruppenchat habe ich gecheckt, er setzt sich zusammen aus Kolleginnen von Sandra Kaiser. Keine relevanten Informationen. Das übliche Frauenzeugs eben.«
»Das Übliche?«, wiederholte Hübner.
»Subtile Anspielungen auf Äußerlichkeiten und Klamotten«, erklärte Peter. »Streit bezüglich der Urlaubsplanung, dazwischen Küsschen-Emojis und Abnehmtipps.«
»Und das ist frauenspezifisch?«, meldete sich Kurti zu Wort. »Ich habe auch eine …«
»Schreiben Sie es in Ihr Tagebuch, Herr Voggel«, unterbrach ihn Hübner. »Und lassen Sie Herrn Waltner ausreden. Sie sehen doch, dass ich ihm jeden Wurm aus der Nase ziehen muss.«
Peter zuckte zusammen. Als introvertierter Mensch hasste er nichts mehr als Aufmerksamkeit, daher verbrachte er auch seine Freizeit vorwiegend im virtuellen Raum, wo man sich seinen Umgang selbst aussuchen und bei Ärger schnell offline gehen konnte. Sein gesellschaftliches Leben beschränkte sich auf Kontakte mit 4.293 Facebook-Freunden aus der ganzen Welt, das genügte ihm vollkommen. Seiner Erfahrung nach waren die wenigsten Menschen pragmatisch, sondern meist irrational und unberechenbar. Davon bekam er Kopfschmerzen, deshalb ging er ihnen tunlichst aus dem Weg, wenn es sich arrangieren ließ.
Nur mit Dodo pflegte er einen unbefangenen, fröhlichen Umgang, vielleicht auch deswegen, weil sie ihm mit ihrer offenen, geradlinigen Art nie eine Wahl gelassen hatte. Trotzdem war und blieb seine Vorstellung von einem gelungenen Abend eine Pizza »Tonno« mit Zwiebeln und mindestens sieben Folgen seiner jeweiligen Lieblingsserie, immer etwas mit Kriminalfällen und Gerichtsmedizin.
»Sonst noch etwas?«, riss ihn Hübner aus seinen Gedanken.
Peter nickte ertappt. »Frau Kaiser hat am Sonntagnachmittag sieben Nachrichten an einen einzigen Kontakt verschickt, aus denen hervorgeht, dass sie gekränkt war. Es geht um eine Feier, zu der sie nicht eingeladen war. Außerdem traf am Sonntag um acht Uhr dreißig von genau diesem Kontakt über WhatsApp eine Nachricht ein, in der sie aufgefordert wurde, um zweiundzwanzig Uhr zum Galgentor zu kommen, zu einem Mondscheinspaziergang auf der Stadtmauer. Absender ist ein gewisser Ulf Wilbold. Das ist auch die Nummer, zu der die meisten ihrer Anrufe erfolgten, und an die sie oft geschrieben hat.«
»Ulf Wilbold? Ihr Arbeitgeber?«, vergewisserte sich Kurti.
Peter nickte. »Sieht ganz danach aus. Aus dem vorangegangenen Chatverlauf und den Bildern auf dem Handy ist klar zu erkennen, dass beide eine heftige Affäre unterhielten. Alle Ausdrucke liegen auf euren Schreibtischen. Die Fotos müsst ihr euch bitte auf dem Bildschirm ansehen. Sie sind etwas verstörend.«
»Wilbold kenne ich«, meldete sich Dodo zu Wort. »Meine Mutter lässt sich dort regelmäßig auf Hautveränderungen untersuchen. Hauptsächlich lebt er allerdings von minimalinvasiven Schönheitsreparaturen. Der ist doch locker Ende sechzig?«
»Alter schützt vor jungen Damen nicht«, bemerkte der Chef. Er deutete auf ein Schälchen Erdbeeren, das Dodo dezent hinter ihren nackten Beinen auf dem Boden zu verstecken versuchte. »Habe ich zu einem Brunch geladen?«
»Verzeihung«, sagte sie. »Lange Nacht. Neue Diät. Kein Frühstück.«
»Die wievielte dieses Jahr?« Hübner grinste.
»Na ja, von einer werde ich nicht satt, darum mache ich immer mindestens zwei gleichzeitig«, erklärte Dodo verschmitzt.
Hübner schmunzelte. »Denken Sie daran, allein das menschliche Gehirn benötigt pro Tag ungefähr ein Gramm Fett. – Herr Waltner, was noch?«
»Sandra Kaiser führte Benutzerkonten auf verschiedenen Online-Partnerbörsen, Facebook und Instagram«, fuhr Peter fort. »Auf Facebook präsentierte sie sich perfekt geschminkt in teuren Lokalen, und in letzter Zeit hat sie viele Fotos von sich und Dr. Wilbold gepostet. Tut mir leid, weiter bin ich noch nicht gekommen.«
»Wie immer hervorragende Arbeit, Herr Waltner«, lobte Hübner.
»Ich hatte Hilfe vom Kollegen Bruchhammer«, gestand Peter bescheiden. »Allein wäre es nicht zu schaffen gewesen. Außerdem hat Frau Kaiser für sämtliche Accounts dasselbe Passwort benützt, das erleichtert die Sache ungemein.«
Auch Kurti sagte anerkennend: »Ich bin beeindruckt, was Sie in den letzten Stunden geleistet haben. Sie hätten wir beim Rauschgift gut gebrauchen können. Haben die Online-Partnerbörsen etwas ergeben?«
Peter schüttelte den Kopf. »Seit einigen Monaten war sie dort nicht mehr eingeloggt.«
»Weiter im Text.« Hübner konzentrierte sich auf seine Unterlagen. »Die Scheidung des Opfers vom Ex-Mann Karsten Kaiser fand vor zweieinhalb Jahren statt, er hat sich verpflichtet, freiwillig zwei Jahre lang monatliche Unterhaltszahlungen in Höhe von dreitausendfünfhundert Euro an Sandra Kaiser zu leisten.«
»Ich sollte heiraten. Dringend.« Dodo zupfte mit spitzen Fingern eine Erdbeere aus der Schale zu ihren Füßen.
»Wie vereinbart hat der Ex-Mann die Zahlungen vor sechs Monaten eingestellt, also brauchte sie einen neuen Kerl«, überlegte Kurti. »Was zur Hölle hat die mit all ihrem Geld gemacht?«
»Hast du eigentlich eine Ahnung, wie viel eine anständige Handtasche kostet?«, fragte ihn Dodo. »Für den Preis deines Fahrrads bekommt man gerade mal zwei Shopper von Prada.«
»Snob«, flüsterte Kurti belustigt.
»Ökofreak«, zischte Dodo.
»Herrschaften, behalten Sie Ihre Animositäten für sich und bleiben Sie sachlich«, sagte Hübner gereizt. »Je schneller Sie sich aneinander gewöhnen, umso besser. Ich bin sicher, Sie beide ergänzen sich hervorragend, bin mal gespannt, wann Ihnen das endlich bewusst wird. Herr Waltner?« Auffordernd blickte er Peter an.
»Einen Teil der E-Mail-Korrespondenz zwischen Frau Kaiser und ihrem Ex-Mann habe ich bereits ausgedruckt. Ich werde später noch versuchen, eventuell bereits Gelöschtes auszugraben. Mit ein wenig Glück bekomme ich das hin.« Peter drückte Hübner einen Stapel Papiere in die Hand. »Die Mails bestehen hauptsächlich aus der Korrespondenz mit dem Ex, aber es sind auch Mahnungen dabei.«
»Und das soll ich jetzt lesen?« Hübner musste wieder niesen.
»Nur die markierten Stellen. Ich bin fertig.« Peter verschwand aufatmend wieder auf seinem Platz und wünschte sich weit weg. Oder wenigstens ins Homeoffice, aber der Chef hatte diesen Vorschlag abgelehnt, ohne überhaupt darüber nachzudenken.
»Starker Tobak.« Hübner überflog mit gerunzelter Stirn einige der ausgedruckten Blätter. »Er droht ganz offen damit, ihr den Hals umzudrehen. Voggel und Haug, Sie fahren nach Würzburg und reden mit diesem charmanten Herrn, aber zuerst kümmern Sie sich um den Hautarzt. Die schwere Körperverletzung von gestern Nachmittag, die eigentlich Sie hätten erledigen sollen, gebe ich Hoffmann und Eisenberg. Und, Frau Haug …«
»Ja, Chef?« Dodo ließ ertappt das Erdbeerkörbchen los.
»Dr. Wilbold sitzt im Stadtrat. Vielleicht sollten Sie in diesem speziellen Fall Ihren durchaus vorhandenen Charme nicht nur in homöopathischer Dosierung anwenden. Also schlucken Sie bitte außer diesen ungewaschenen Erdbeeren auch Ihre flapsigen Bemerkungen runter. Voggel wird Sie dabei unterstützen. Ich habe mir sagen lassen, er kommt mit den schwierigsten Persönlichkeiten klar. Damit meine ich natürlich ausdrücklich nicht Sie.« Wieder wurde im Hintergrund Kichern laut.
»Habe ich auch nicht angenommen, Chef.« Dodo unterdrückte verstohlen ein Gähnen.
»Ruhen Sie sich nur nicht auf Ihren guten Aufklärungsquoten aus«, brummte Hübner. »Was ist das?« Mitleidlos zeigte er auf Dodos rotes Kleid, auf dessen Rock inzwischen ein dunkler Erdbeerfleck prangte.
»Raus mit Ihnen«, sagte er dann lächelnd. »Herr Voggel, kaufen Sie Ihrer Kollegin was Richtiges zu essen. In Ihrem eigenen Interesse. Sonst werden Sie sie kennenlernen.«