Читать книгу Die Blöde - Barbara Fer - Страница 4
ОглавлениеHEILE WELT
Gut gelaunt sitzen alle beim Festessen. Vater, Mutter, Sohn Michael, Tochter Valerie und Nesthäkchen Mona. Nach Vorspeise und Hauptgang warten nun alle auf die köstliche Nachspeise. Während sich die Familie bis jetzt fast schweigend auf das Essen konzentriert hat, beginnen sie nun allmählich mit leichter Unterhaltung. Vater freut sich, dass wieder alle beisammen sind. Er erkundigt sich sogleich bei seinem Sohn bezüglich des Studiums. Wie sind die Professoren, wie informativ sind die Vorträge und wie gefällt dir das gewählte Jusstudium grundsätzlich? Kann er das Wissen für die Firma anwenden?
Michael, der erst am Abend des Vortages angekommen ist und noch wenig Zeit zum Erzählen hatte, beginnt vergnüglich mit seinen Ausführungen. Professor X hat eine sehr ausdrucksfreudige Vortragsweise, während er mit den Händen gestikuliert und ständig die Haare mit einem Kopfdrehen nach hinten schubst. Die Professorin Y hingegen hält sich strikt an das Skriptum. Bei ihr kennt man sich gut aus und kann sich daher für die Prüfung bestens vorbereiten. Eine gute Bewertung erhalten daher bei dieser Professorin alle willigen Studenten. Die anderen Vortragenden sind unauffällig, bemühen sich aber immer wieder, einen Praxisbezug zum trockenen Stoff der Theorie herzustellen. Viel Zeit zum lockeren Studentenleben bleibt ihm nicht, weil er sich vorgenommen hat, in der durchschnittlichen Studienzeit auch abzuschließen, worüber sich Vater sehr freut.
Die kokette Valerie wartet nicht erst, bis Vater das Wort an sie richtet, sondern beginnt zu reden, bevor ihr Bruder noch geendet hat. Das diesjährige Abschlussjahr an der Schule mit Abitur kostet sie viel Zeit. Die Freizeitaktivitäten, aber auch die persönlichen Vorlieben muss sie daher drastisch einschränken. Trotzdem bittet sie Vater, ihr das Taschengeld zu erhöhen, da die verwendeten Kosmetika und die Kleidung immer teurer werden. Vater lächelt sie an und gibt ihr zu verstehen, dass er ihre permanenten Geldsorgen kennt und sich darum kümmern wird.
Während sich Vater liebevoll an sein Nesthäkchen Mona wendet, fällt ihm Mutter ins Wort und erinnert an die gemeinsame Abendveranstaltung. Eine liebe Bekannte kommt mit ihrem Partner zu einem gemütlichen Musikabend. Sie spielt Querflöte, er Geige. Am Programm stehen leichte klassische Stücke. Wegen der Vorbereitungen kann daher die Bibliothek am Nachmittag nicht benützt werden. Oder ist dafür doch das Wohnzimmer geeigneter? Die Familie einigt sich auf das gemütlichere Wohnzimmer, sodass sich Vater und Sohn zum Plausch über die Geschäfte der Firma in die Bibliothek zurückziehen können. Mutter und Tochter Valerie beeilen sich zum nächsten Termin, nämlich zur Kosmetikerin. Schließlich wollen sie dem Anlass entsprechend gestylt sein.
Und das Nesthäkchen? Mona beobachtet ihre Eltern und die beiden Geschwister abseitsstehend und wartet, bis alle das Esszimmer verlassen haben. Die Haushälterin lächelt ihr zu, als sie die Speisen und das Geschirr abräumt. Mona ist sich nicht sicher, ob sie ihr mitleidig oder hämisch zulächelt. Sie dreht sich langsam zur Tür und geht betrübt in das obere Stockwerk in ihr kleines Zimmer. Obwohl sie es gewohnt war, „übersehen“ zu werden, kränkt sie das Verhalten ihrer Familie noch immer. Wenigstens Vater hätte sich heute nicht unterbrechen lassen sollen. Auch sie wollte ihm von der Schule berichten. Schließlich ist es das letzte Jahr in der Unterstufe. Für die Oberstufe hat sie sich schon Schwerpunktfächer überlegt. „Ob es eine gute Auswahl ist? Hoffentlich ergibt sich bis dahin eine gute Gelegenheit, mit Vater zu reden, denn Mama hat für solche Pläne kein Verständnis“, denkt Mona. Mama ist immer in Eile, wenn sie mit ihr darüber reden möchte.