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Du muschelverkalkte Perle

Leonharda

Leonharda stammt aus einem gutbürgerlichen Elternhaus. Als sie 1898 in Rastenburg geboren wird, ist ihr Vater, Wilhelm Pieper, seit über einem Jahr Bürgermeister in dieser Stadt mit den roten Backsteinhäusern, inmitten einer wald- und seenreichen Landschaft. Das kleine Städtchen liegt südöstlich von Königsberg am Rande der Masurischen Seen. Die Piepers stammen nicht von hier. Wilhelm und seine Frau Johanna Clara, geborene Raske, kommen ursprünglich aus dem Ruhrgebiet, wo Wilhelm Stadtsekretär war. 1891 wird das erste Kind, der Sohn Hans, geboren. Pieper ist ehrgeizig. Er macht Karriere. Und er und seine Frau scheuen dafür auch größere Ortsveränderungen nicht: 1894 zieht die kleine Familie um nach Landsberg an der Warthe, wo Pieper erneut Stadtsekretär ist. Aber schon ein Jahr später geht es weiter nach Pillau, wo Pieper zum Bürgermeister gewählt worden ist. Hier wird im selben Jahr das zweite Kind, die Tochter Gerda, geboren. Schon wird ein nächster Umzug weiter nach Osten notwendig: Denn ab April 1897 ist Pieper Bürgermeister von Rastenburg, und das wird er 24 Jahre lang bleiben.

Am 6. November 1898 kommt hier das dritte Kind der Familie zur Welt, Leonharda. Das kleine Mädchen lernt seine Mutter gar nicht richtig kennen, denn diese stirbt schon zwei Jahre später mit nur 37 Jahren. Doch Leonharda, Gerda und Hans bekommen 1902 eine neue Mutter: Pieper heiratet die dreißigjährige zeichnerisch begabte Elise Loewner, die zuvor Hauslehrerin bei den Kindern des Barons von Boitzenburg war, und die gut mit den drei Halbwaisen umgehen kann. Weitere Geschwister werden geboren: 1904 Hilde, 1908 Ursula und 1909 Elisabeth, genannt Lisabeth. Das Leben im Bürgermeisterhaus verläuft harmonisch. Die Familie gehört zur guten Gesellschaft und hat eine eigene Sitzbank in der Rastenburger evangelischen St. Georgskirche. Vater Pieper ist naturverbunden, Jäger und Freimaurer und sehr beliebt. Er erreicht viel für die Stadt. In seiner Amtszeit werden unter anderem der Schienenverkehr erweitert, das Straßenpflaster verbessert, das Wasserwerk und die Kanalisation mit Kläranlage gebaut. Und weil um die Jahrhundertwende Rastenburg wieder Garnisonstadt geworden ist, muss für die Offiziere und Beamten Wohnraum geschaffen werden. Es entstehen ganz neue Stadtteile, so auch die »Rastenhöhe« am Stadtrand, wo die Piepers später wohnen. Wilhelm Pieper ist weit über seine Stadt hinaus angesehen und sitzt im Vorstand des Ostpreußischen Städtetages und des Reichsverbandes deutscher Städte.

Leonharda, meist Lona genannt, wächst also mit ihren Geschwistern in einem behüteten Umfeld in Rastenburg auf, einer Kleinstadt mit rund zehntausend Einwohnern. Sie besucht die dortige höhere Töchterschule. Diese Schulform geht bis zur zehnten Klasse, der Abschluss entspricht somit der Mittleren Reife. Schon früh wird ihr Leben bestimmt durch die politischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts. Denn einige Zeit, nachdem sie die Schule beendet hat, bricht der Erste Weltkrieg aus. Mit ihren drei kleinen Schwestern wird sie nach Samland geschickt, einer Halbinsel zwischen der Kurischen Nehrung und dem Frischen Haff, also weg aus Rastenburg und weg von der vorrückenden russischen Front. Dort haben Bekannte eine Gärtnerei, und bei ihnen sind die vier Mädchen gut aufgehoben und versorgt, vor allem auch mit Gemüse und Obst. Nach einem Jahr kehren sie zu den Eltern zurück. Lona ist jetzt mit ihrer älteren Schwester Gerda im Lazarett von Rastenburg tätig, das im Schulgebäude der Stadt eingerichtet worden ist. Sie pflegen verwundete deutsche Soldaten.

1916 kann sie als Siebzehnjährige endlich ihre Berufsausbildung beginnen. Die berufliche Bildung junger Mädchen ist seit dem Ende des vergangenen 19. Jahrhunderts durchaus ein politisches Anliegen. Dafür stehen vor allem die Namen Gertrud Bäumer und Helene Lange. Auch seine Töchter sollen eine Berufsausbildung bekommen, dafür sorgt Vater Pieper, der auf der Höhe der Zeit ist. Mit ihrem Schulabschluss könnte Lona Lehrerin werden. Es gibt hierbei eine Reihe von Fächern, die kein Universitätsstudium voraussetzen, das ohnehin Frauen noch nicht allgemein zugänglich ist. Neben Ausbildungen für Turn-, Handarbeits-, und andere Lehrerinnen sind es damals auch solche für Sprachlehrerinnen, die dann vor allem in Privathäusern beschäftigt werden. Zu Lonas schulischem Lehrplan haben die Fremdsprachen Englisch und Französisch gehört. Diese haben ihr Spaß gemacht, und sie war darin gut. Auch in den recht zahlreichen Schulen für Sprachlehrerinnen werden üblicherweise diese beiden Sprachen angeboten. Das will sie machen. Lona wird durch ihre Ausbildung auch das Gefühl für die deutsche Sprache weiterentwickeln. In diesem Moment kann sie es noch nicht ahnen, aber sie ist damit auf das, was ihr im Leben begegnen wird, aufs Beste vorbereitet.

Sie sucht sich die Schule der Kurtius in Eisenach aus, der – wie häufig – ein Mädchenpensionat angeschlossen ist. Wilhelm Pieper ist einverstanden, dass Lona für eine Weile fern vom Kriegsgeschehen im ruhigen Städtchen Eisenach ihre Ausbildung macht. Ihn hat sicherlich die internatsmäßige Unterbringung beruhigt, und seine Tochter mag sich damit auch den Wunsch erfüllt haben, einmal weit weg von Rastenburg zu sein.

In Liebe, Muschelkalk

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