Читать книгу In Liebe, Muschelkalk - Barbara Hartlage-Laufenberg - Страница 9

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Mein richtiges Herz. Das ist anderwärts,

Irgendwo

Im Muschelkalk.

Konkretisierungen

Seit Mitte Januar 1920 hat Ringelnatz im Verlag Scherl in Berlin einen Job für zehn Mark pro Tag. Doch die Demobilisierung verlangt, dass ehemalige Soldaten wieder dort wohnen, wo sie vor dem Krieg gelebt haben. Also darf Ringelnatz nicht in Berlin bleiben, er muss zurück nach München. Lona dagegen hat ab April eine Stelle als Fremdsprachenlehrerin in Godesberg bei Bonn am Rhein angenommen. Ringelnatz ist in Berlin bereits im Aufbruch. Ende April wird er nach München umziehen, wo er im »Simpl« nicht mehr nur einfacher Hausdichter ist, sondern ein richtiges Engagement für den Monat Mai hat. Die Chefin Kathi Kobus übernimmt seine Reisekosten und zahlt 1.200 Mark Gage. Schon will er von Lona wissen, welche Kündigungsfrist sie in der gerade angetretenen Stelle hat. Und sie soll sehen, dass sie die Papiere für die Hochzeit zusammenbekommt, sich also insbesondere ihre Geburtsurkunde und einen Staatsangehörigkeitsnachweis beschafft.

Aber zuvor ist noch das Unvermeidliche zu erledigen: Der Brief an Wilhelm Pieper in Rastenburg. Auch wenn Lona inzwischen volljährig ist, wollen sie doch nicht ohne den Segen des Vaters heiraten. Da wird die Herkunft der beiden aus bürgerlichen Elternhäusern deutlich. Ringelnatz entwirft ein entsprechendes Schreiben: »Hochverehrter Herr Bürgermeister«. Ziemlich geschickt stellt er darin seine bisherigen Tätigkeiten heraus, weist aber ehrlich auf seine minimalen finanziellen Mittel hin, nennt Zeitschriften, die Texte von ihm gebracht haben, sowie seine Buchveröffentlichungen. Er bespricht den Brief mit einer mütterlichen Berliner Freundin und schickt den Entwurf dann nach Godesberg, damit Lona dazu Stellung nehmen kann. Schließlich wird der Brief an Pieper abgeschickt. Sobald der Vater einverstanden ist, soll Lona in Godesberg kündigen.

Hans macht seiner Lona im Übrigen klar, dass er eine ganz bestimmte Frau braucht und haben will: »Was ich thue, wenn Muschelkalk in meinen Händen nicht wird, was ich erhoffe? – – Dann knete ich Muschelkalk mal härter mal weicher, mal sanft und mal hitzig und Muschelkalk wird, was ich erhoffe, denn ich pflege meine großen Ziele nicht leicht aufzugeben. Aber freilich muß Muschelkalk auch wollen und eiserne Energie dort haben, wo es von ihr erwartet wird. Muschelkälkchen wird anfangs manchmal traurig zu sich selber sprechen: ›Ach ich bin doch so dumm gewesen und werd ich wohl erreichen, was er meint und was er mir zeigt.‹ Aber wenn Muschelkalk tapfer aushält und auch schiefe Zeiten hindurch treulich bleibt – dann – – (I wo, ich werd mich hüten zu versprechen, was dann lohnen soll). Und dein dichtender ewiger Seemann wird so gern so gern Dich als liebes sorgendes Hausgeistchen wissen, und er wird ruhig werden, da er jemanden weiß, der sein Haus bestellt und ihn bei Mißerfolgen tröstet oder bei einem Stückchen Ruhm sich als Mithelfer freut.« Lona weiß also, was sie erwartet, und sie geht diese Verbindung bewusst ein.

Der künftige Wohnort

Schon jetzt aber, so drängt Ringelnatz, sollten sie die Frage klären, wo sie sich niederlassen. Seit dem 30. April hält er sich in München auf und sucht hier nach einer Wohnung, was nach dem Krieg äußerst schwierig ist. Der Wohnungsmarkt wird wegen Raummangels in München – wie in anderen deutschen Städten auch – bewirtschaftet, es werden Wohnungen also nach bestimmten Kriterien von städtischen Behörden vergeben. Selbst wenn die erforderlichen Papiere vorliegen, ist wohl vor Ablauf eines Jahres mit der Zuteilung einer Wohnung nicht zu rechnen.


Doch Lona kann sich durchaus auch vorstellen, mit Ringelnatz in Rastenburg zu leben. Es fällt ihr offensichtlich schwer, sich vom Vater und den Geschwistern zu trennen. Nachdem ihr Vater zum dritten Mal geheiratet hat, ist vor allem die jetzt zehnjährige Schwester Lisabeth eigentlich gut versorgt, und es besteht keine Notwendigkeit mehr für sie, in Rastenburg zu bleiben. Aber ganz wichtig ist für sie, was ihr Vater dazu sagt, dass sie einen Mann heiraten will, der beruflich mit Mitte dreißig keineswegs den Vorstellungen der bürgerlichen Kreise entspricht, aus denen sie stammt. Für eventuelle Konflikte in dieser Richtung rät Ringelnatz ihr: »Aber wenn es sein müßte, daß Du einmal Dich gegen den Willen Deines Vaters in Deiner eigenen Überzeugung oder aus Treue zu mir behaupten müßtest – Muschelkalk, ich hoffe, nein ich baue fest darauf, daß Du dann Dich bewährst«. Ein weiterer Grund für Lonas zögerliche Haltung ist aber sicher auch, dass sie manchmal leichte Beklemmungen beschleichen, denkt sie an das ganz neue Leben, das sie jetzt erwartet, wenn sie mit einem Mann in eine ihr unbekannte süddeutsche Großstadt zieht. Ringelnatz bemüht sich, sie mit vielen Worten von München zu überzeugen. Er macht ihr klar: München sei »so viel viel schöner, froher als Rastenburg«, er habe dort mehr Anregungen und Verbindungen, und sie wäre dort in einer ganz neuen Umgebung; zur Not könne man auch erst nach Rastenburg ziehen und dann nach München, aber das wäre doch sehr umständlich und sehr teuer! Trotzdem tendiert Lona immer noch nach Rastenburg. Aber Ringelnatz will das nicht. Eine Kleinstadt, wo er nichts ist, kommt für ihn nicht in Betracht. Auch bringt er noch das Argument, dass es nach seiner Ansicht nicht gut sei, wenn ein junges Paar in der Nähe der Eltern wohnt. Ganz klar: Er will aus München nicht mehr weg.

Aber Lona mahnt zur Geduld. Zudem schreibt sie von Zahnproblemen. Diese mag sie auch etwas übertrieben schildern, um seiner drängenden Frage, an welchem Ort sie denn nun wohnen will, zu entgehen. Letztlich aber hat sie München nichts entgegenzusetzen. Dann ist als Hochzeitstermin der 1. September im Gespräch. Den empfindet Ringelnatz aber als sehr spät. Er hat wohl schon länger den 7. August, seinen Geburtstag, im Auge. Sie warten immer noch auf die Antwort ihres Vaters. Und es gibt weitere praktische Probleme zu lösen. Ringelnatz spricht davon, er habe bei Dunsky in Berlin seine Möbel untergestellt. Der Innenarchitekt hat ihm vermutlich Möbel aus seinem Sortiment überlassen und sie zunächst einmal in seinem Lager untergebracht. Vielleicht handelt es sich auch um in Zahlung genommene Stücke seiner Kunden. Diese Möbel müssen möglichst schnell nach München transportiert werden, sonst knöpfe ihm Dunsky noch das eine oder andere Stück wieder ab, schreibt er an Muschelkalk. Schließlich handelt es sich um Sachen, die sie dringend für ihre gemeinsame Wohnung brauchen: Bett, Diwan, Schreibtisch, Buffet, Schrank, Waschtisch, Truhe, Tisch, Spiegel und zwei Regale.

Dann kommt endlich Post von Vater Pieper. Er äußert, wie zu erwarten war, einige Bedenken, aber die kann Ringelnatz in einem weiteren Brief an ihn ausräumen. Hat er doch gerade in dieser Zeit eine Arbeit in der Postüberwachungsstelle München, wo Briefe von und nach Österreich und in die Schweiz auf Geldverschiebungen hin zu überprüfen und eventuelle Geldscheine zu beschlagnahmen sind. Er verdiene 500 bis 600 Mark monatlich, schreibt er. Außerdem kämen im Mai durch Vorträge (mit diesem stets von Ringelnatz gebrauchten Begriff sind seine kabarettistischen Auftritte gemeint) Einkünfte von 1.300 Mark dazu. Und Pieper hat wohl auch die Frage nach Kindern gestellt, worauf Ringelnatz ihm klarmacht, daran dächten sie in den ersten Jahren noch nicht. Und der Vater ist schließlich mit der Heirat einverstanden. Also, wann kommt sie denn nun endlich nach München?

Ringelnatz wird mit Muschelkalk immer ungeduldiger. Schließlich hat er die Stelle bei der Post, den »Simpl« und die Wohnungssuche am Hals. Wäre sie doch endlich da und könnte mithelfen! Ihre Stelle in Godesberg sei das »übelste Hindernis«. Zum Dichten kommt er in diesen Wochen überhaupt nicht. Immerhin hat Kathi Kobus den Vertrag im »Simpl« für den Monat Juni verlängert. Dann geht es um die Ausgestaltung der Hochzeitsfeier. Darüber habe sie noch gar nicht nachgedacht, schreibt Lona. Aber er »denke von früh bis spät daran!«, schreibt Ringelnatz. Sie müsse nun aber wirklich kommen. Als dann der Hochzeitstermin auf den 7. August festgesetzt ist und sie erst am 3. August in München eintreffen will, ist Ringelnatz ziemlich verzweifelt.

Im »Simpl« sind seine Freunde schon sehr gespannt auf die Frau, die er heiraten will. Hier trägt er allabendlich seine Ballade Seemannstreue vor. Die handelt von einer gestorbenen Matrosenbraut namens Alwine, die der Matrose nach der Beerdigung immer wieder aus- und eingräbt, wobei die fortschreitenden Stadien der Verwesung anschaulich geschildert werden. Das Gedicht wollen die Gäste immer wieder hören, ist es doch so schön eklig und morbide. Aber dann kündigt er eine echte, lebendige Braut an. Und die kommt dann endlich auch. Marietta di Monaco, eine Münchner Kabarettistin, die ebenfalls im »Simpl« auftritt, berichtet: »Wir waren gespannt und warteten. Eines Abends führte er sie uns vor. Eine Weile betrachteten wir sie stumm. Nach einigen zögernden Redewendungen stellten wir fest, daß sie uns gefiele – und flüsterten einander zu: ›Das ist Muschelkalk!‹– Dann bestätigten wir es laut, wie aus einer Kehle, und alle waren damit einverstanden.«

Die Hochzeitsfeier

Am 7. August 1920 findet die Hochzeitsfeier bei Margot Fichtner statt, einem schwindsüchtigen Wesen, das gut kochen und offenbar Räumlichkeiten für private Feiern zur Verfügung stellen kann.

Ringelnatz hat einen kleinen Kreis von Leuten eingeladen. Muschelkalk lernt seine Schwester Ottilie kennen und Fräulein Friedl, wohl die Tochter seiner Vermieterin. Der sympathische Arzt Ernst Levin mit seiner netten rumänischen Frau Annikuzza ist da und Erich Winter, ein Leutnant der Reserve. Gast ist auch Willy Seidel mit Frau, Schriftsteller und viel in der Welt herumgekommen. Er kann ferne Länder packend schildern, was Ringelnatz natürlich gefällt. Ebenso ist der Autor Reinhard Koester gekommen, der ebenfalls seine Frau mitgebracht hat. Er hat im Jahr zuvor einen Roman und zwei Stücke veröffentlicht, die dem literarischen Expressionismus nahestehen. Außerdem ist er Übersetzer von Molière-Komödien und hat sich bestimmt mit Muschelkalk auch auf Französisch unterhalten. Koester hält die Hochzeitsrede und wird ein lebenslanger Freund der beiden. Schließlich ist noch Carl Georg von Maassen da, bibliophil, gebildet, wohlhabend, Edles liebend und die meiste Zeit seines Lebens mit der anerkannten aber unvollendet gebliebenen Herausgabe des Werkes von E. T. A. Hoffmann beschäftigt. Sein Hochzeitsgeschenk ist eine Kaffeemühle, und dazu liefert er auch gleich ein zotiges Gedicht mit. Das mag Muschelkalk bei ihrer problematischen Einstellung zu sexuellen Dingen zu dieser Zeit unangenehm berührt haben, an diesem Abend aber doch nur ganz kurz, denn es strömen so viele neue Eindrücke auf sie ein. Spät kommt noch Kathi Kobus, die Wirtin des »Simpl«, zur Hochzeitsgesellschaft, die weiß, was sie an Ringelnatz hat und sich deswegen bei seiner Feier sehen lassen muss.

Als Festessen gibt es Suppe, Braten, Fisch, Reis, Schokoladencreme, als Getränke Burgunder, Rheinwein und Schnaps. Von Maassen schreibt leicht überheblich in sein Tagebuch über das Essen, es sei zwar reichlich gewesen, aber wenig gastrophil, so sei zum Beispiel der Fisch zerkocht gewesen. Das hat aber die übrigen Gäste sicher nicht gestört. Man bleibt bis tief in die Nacht zusammen.

Einen Tag später wird bei Kathi Kobus im »Simpl« gefeiert. Und am 17. August 1920 findet – wegen noch fehlender Papiere verzögert – endlich die standesamtliche Trauung statt, und sie sind jetzt auch offiziell Mann und Frau. Nach dem Standesamt sitzen Lona und Ringelnatz im Wein-Restaurant »Alt-Wien« in der Barer Straße. Dort trägt er ihr das Gedicht vor mit dem langen Titel Ansprache eines Fremden an eine Geschminkte vor dem Wilberforcemonument. Es ist eine Liebeserklärung an seine Frau und endet:

Das ist nun kein richtiger Scherz.

Ich bin auch nicht richtig froh.

Ich habe auch kein richtiges Herz.

Ich bin nur ein kleiner, unanständiger Schalk.

Mein richtiges Herz. Das ist anderwärts, irgendwo

Im Muschelkalk.


In Liebe, Muschelkalk

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