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2.2 Geschichte und Politik, Kirche und Kloster
ОглавлениеDie Politik zur Zeit der Gotik war im Wesentlichen bestimmt durch drei Machthaber, die ihre Position und Bedeutung immer wieder neu definierten und verhandelten: erstens den König von Frankreich, zweitens den deutschen König, der zugleich auch den Titel des römischen Kaisers beanspruchte, und schließlich den Papst.
War die territoriale Macht des französischen Königs im 12. Jahrhundert besonders durch die Konflikte mit den Fürsten und dem normannischen England, zu dem auch weite Gebiete des Festlandes gehörten, eher beschränkt, änderte sich diese Situation im 13. Jahrhundert mit der Rückgewinnung der Westküste und der Normandie sowie der Ausweitung nach Süden bis hin zum Mittelmeer. Frankreich entwickelte sich zu einer zentral gelenkten stabilen Monarchie.
Das Heilige Römische Reich erstreckte sich theoretisch von Sizilien über weite Teile Italiens bis an die Nord- und Ostsee. Es war im Westen vom Königreich Frankreich (etwa am Flussverlauf der Maas und der Saône) und im Osten von den Königreichen Polen und Ungarn begrenzt. Der deutsche König bzw. römische Kaiser, gewählt von den Reichsfürsten (später sieben Kurfürsten), hielt dieses in zahlreiche Territorien unterteilte Gebilde zusammen. Die einzelnen Herzöge, Fürsten, Bischöfe, aber auch die italischen Städte (italienische Stadtstaaten) errangen im Laufe der Zeit unterschiedliche, mehr oder minder autonome Machtbefugnisse, was zu zahlreichen Konflikten führte. Der Süden Europas hingegen, insbesondere die Iberische Halbinsel, wurde vom arabischen Einfluss dominiert, der mit dem Fall Granadas erst im 15. Jahrhundert völlig zurückgedrängt werden konnte.
Seit der Karolingerzeit existierte in Europa (mit Ausnahme der Iberischen Halbinsel) ein festes kirchenpolitisches hierarchisches System mit dem Papst und seinem Sitz in Rom (von 1309 bis 1376 in Avignon), gefolgt von Kardinälen, Erzbischöfen und Bischöfen als Häuptern der kirchlichen Verwaltungsgebiete (Erzdiözesen bzw. deren Suffraganbistümer) sowie deren Unterteilungen, den Pfarreien. Der Pfarrer war für die wichtigsten Bereiche der Seelsorge zuständig, wie Taufe, Beichte, Hochzeit und Begräbnis. Die kirchlichen Hochfeste sollten nur in der eigenen Pfarrkirche besucht werden. Das Leben der Menschen war stark geprägt von kirchlichen Vorgaben, basierend auf der christlichen Lehre, die durch den Klerus vermittelt wurde.
Kirchliche Würdenträger erlangten im Laufe des Frühmittelalters große Machtbefugnisse, und dies auch gerade in weltlichen Angelegenheiten, was letztendlich zu großen Konflikten führte, etwa zum Investiturstreit (1077–1122), aus dem das Papsttum allerdings gestärkt hervorging. Diese Situation änderte sich im 13. Jahrhundert. Damals wurde die Position der Kirche, besonders die Durchsetzungsgewalt des Papstes gegenüber der weltlichen Macht, aber auch innerhalb der eigenen kirchlichen Strukturen, schwächer. Das zunehmende Machtstreben der weltlichen Herrscher, besonders des erstarkten französischen Königtums unter dem Herrscherhaus der Kapetinger und dem Hause Valois sowie des römisch-deutschen Kaisers aus den Dynastien der Habsburger, Nassauer, Luxemburger und Wittelsbacher, ließen den Papst unter französischen Einfluss gelangen, was letztendlich im Großen Abendländischen Schisma (1378–1417) gipfelte.
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Einen wesentlichen Aspekt der mittelalterlichen Gesellschaft bildeten religiöse Gemeinschaften, die in festen Klosterverbänden nach der Regula Benedicti (Benediktiner, Zisterzienser) oder nach der Regel des hl. Augustinus lebten (Priestergemeinschaft). An den zahlreichen Kathedralen und Bischofsitzen wirkte ein Kollegium von Weltgeistlichen (Stift, Domkapitel). Daneben gab es eine Fülle von religiösen Frauenkommunitäten, wie Frauenklöster, adelige Damenstifte, Beginen usw., und Doppelklöster, in denen Männer und Frauen streng getrennt voneinander lebten, organisatorische Abläufe jedoch teilten. Die Priester unter ihnen übernahmen auch die Seelsorge der weiblichen Mitglieder, die Frauen kümmerten sich um Altarwäsche und geistliche Gewänder.
Ende des 12. und zu Beginn des 13. Jahrhunderts bereiteten neue religiöse Bewegungen in zahlreichen dicht bevölkerten Gebieten in Süd- und Mitteleuropa den Amtskirchen große Probleme. Häretiker (Katharer, Albigenser) und Wanderprediger hatten großen Zuspruch in der Bevölkerung, die die mehr und mehr „verweltlichte Amtskirche“ und die kirchliche Lehre infrage stellte. Vergebens versuchte man von kirchlicher Seite mit konventionellen Kommunikationsstrategien gegen diese ketzerischen Thesen anzukämpfen, was aber erst grausamen Feldzügen und den Bewegungen von Dominikus von Toulouse (1170–1221) und Franz von Assisi (1181/82–1226) gelang. Besonders die Dominikaner waren extrem gut geschulte Rhetoriker. Sie versuchten durch Predigt in der Sprache der Laien die weniger Gebildeten und Andersgläubigen von der christlichen Lehre zu überzeugen und „zurückzugewinnen“. Sowohl Franziskaner als auch Dominikaner (Bettelorden) gewannen durch ihr engagiertes Auftreten großes Ansehen in der Bevölkerung. Sie waren gut organisiert und vernetzt. Zudem gingen sie auf die Bedürfnisse der einfachen Menschen ein, indem sie sich in den Städten niederließen und zahlreiche seelsorgerische Tätigkeiten übernahmen, die die Pfarrorganisation nicht mehr leisten konnte. Zu den großen Erfolgen des Papsttums im 13. Jahrhundert gehörte vor diesem Hintergrund die Inkorporation der Bettelorden, und zwar sowohl der männlichen als auch der weiblichen Zweige, in die Amtskirche und somit die Anerkennung von deren Klosterregeln. Im Zuge dieser Anerkennung erhielten die Bettelorden Sonderrechte, die es ihnen erlaubten, in den verschiedenen Pfarrsprengeln zu predigen, die Beichte abzunehmen und das Begräbnis zu zelebrieren.
Trotz der schwierigen kircheninternen Situation und der Unzufriedenheit der Bevölkerung mit der Amtskirche entfremdeten sich die Menschen nicht von der christlichen Religion selbst. Vermehrt kam es im 13. Jahrhundert zu Klostergründungen. Besonders viele Frauen waren bestrebt, in ein Kloster einzutreten. Die einen ließen das Eheleben hinter sich, andere wurden bereits als Kleinkind dem Kloster anvertraut, denn es galt als etwas Besonderes, ein religiöses (asketisches) Leben zu führen. Der Eintritt ins Kloster war besonders für Frauen teuer; allerdings kostete er nicht mehr als eine ordentliche Mitgift. Viele Familien waren bedacht, zumindest eine Tochter (oder einen Sohn) dem Kloster zu übergeben. Gründe dafür gab es zahlreiche: bessere Lebensbedingungen, die Möglichkeit, sich vermehrtes Wissen aneignen zu können (Bildung), die Chance auf eine gewisse Karriere. Am wichtigsten war aber wohl das hohe Ansehen, das man als religiöse Frau (oder als religiöser Mann) genoss, denn man leistete einen wichtigen geistlichen Dienst an der Familie sowie an der Gesellschaft. Die permanenten Gebete geistlicher Frauen und Männer waren ein wichtiges Instrument zur Erlangung des eigenen Seelenheils und sie dienten dem Gedächtnis an die Lebenden und Toten (Memoria). Die Gebetsleistungen der klösterlichen Gemeinschaft wurden regelrecht von allen sozialen Gruppen „gekauft“.
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