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2 Lebensbedingungen, Vorstellungen und Konzepte der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen 2.1 Mensch, Technik und Umwelt

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Die wesentlichste Veränderung, die sich im Laufe des 12. Jahrhunderts mehr und mehr manifestierte, bestand im wirtschaftlichen und sozialen Aufschwung der Städte, des Handels und der Geldwirtschaft. Damit begann eine Entwicklung, die anstelle der feudalen, persönlichen Bindung des mittelalterlichen Menschen an seinen Herrn (Grundherr, Adeliger) eine rechtlich legale ermöglichte und zum Erstarken eines selbst- und machtbewussten Stadtbürgertums führte (Vorbild für den modernen Staatsbürger).

Der nach sozialen, berufsständischen Kriterien definierte dreigliedrige Aufbau der frühmittelalterlichen Gesellschaft – Klerus, Adel, Bauer – veränderte sich im Laufe des 11. und 12. Jahrhunderts zu einem komplexen Sozialgefüge, zu dem fortan auch Handwerker, Gelehrte und Kaufleute gehörten. Im frühen Mittelalter nahmen die Städte in ihrer rechtlichen und sozialen Bedeutung stark ab. Eine gewisse Ausnahme stellten jedoch die Bischofsstädte, vor allem jene mit antiker Tradition, dar. Damals waren Burgen und Städte befestigte Bereiche und allenfalls Mittelpunkt der Verwaltung. Die Bewohner blieben in ihren rechtlichen und sozialen Systemen (Feudalsystem) voll integriert.

Die hoch- und spätmittelalterliche Gesellschaft zeichnete sich hingegen durch ein soziales Beziehungsgeflecht aus, innerhalb dessen verschiedene Kategorien der sozialen Zuordnung, wie Stand, also familiär-soziale Herkunft („Adel“, „Nichtadelige“ oder „Erbbürgertum“), Familie, Dynastie, die Zugehörigkeit zu einer religiösen Gruppe, zu einem Land oder Territorium sowie Alter und Geschlecht, politische Allianzen und Beziehungen zu weltlichen und geistlichen Eliten eine Rolle spielten. (Abb 1) Das bedeutet aber, dass besonders weltliche und geistliche Lebensformen nur aus moderner wissenschaftlicher Perspektive gegensätzlich zu betrachten sind.

Die Bevölkerung Europas stieg – nach vorsichtigen Schätzungen – von ca. 46 Millionen um das Jahr 1050 auf rund 61 Millionen Menschen um das Jahr 1200. Die Zuwachsrate um fast 50 Prozent stand in enger Beziehung zu einer enormen Vergrößerung der damaligen Anbauflächen. An dieser Entwicklung hatten die alten Orden, die „Benediktiner“ und vor allem die „Zisterzienser“, einen großen Anteil. Nicht nur durch Rodung der Wälder, sondern auch durch Entwässerung, Trockenlegung und Deichbau kamen neue Bebauungsflächen hinzu. Der verstärkte Einsatz des Räderpflugs und die Einführung der Dreifelderwirtschaft seit dem Hochmittelalter steigerten die Erträge um ein Vielfaches. Die zunehmende Verbreitung der vertikalen Wassermühlen und die Erfindung der Windmühlen waren entscheidende technische

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Neuerungen, welche die Produktivität, aber auch die Arbeitsteilung in den Städten erhöhte. Das hohe technische Niveau (wie das z.B. detaillierte Bauzeichnungen zu erkennen geben) und die zahlreichen technischen Erfindungen im Maschinenbau (Laufrad mit Baukran, Winde, Zange) fanden auch in der Bauorganisation und -konstruktion ihren Niederschlag. Diese agrarischen Umwälzungen und technischen Neuerungen ließen nicht nur die Bevölkerungszahlen in die Höhe schnellen, sondern regten auch Handel und Gewerbe an, denn es galt, die vielen Menschen zu versorgen. Der Warenaustausch erlangte wieder überregionale Bedeutung, und es etablierten sich in dieser Zeit wichtige Handelswege und große Umschlagszentren, wie York, Rom, Venedig, Santiago de Compostela, Mainz, Köln usw.


Abb 1 Aspekte mittelalterlicher Gesellschaftshierarchien

Bis in die erste Hälfte des 14. Jahrhunderts erreichte das Ausmaß gerodeter Gebiete einen Höchststand. Weiträumige ehemalige Waldflächen wurden jetzt als Acker- und Grünflächen genutzt, was sich, so wird vermutet, schließlich auch auf die klimatische Situation auswirkte. 1313 bis 1318 führten vor allem starke Niederschläge zu Missernten und verheerenden Hungersnöten. Die Preise landwirtschaftlicher Produkte stiegen abrupt an. Menschen, die im Einzugsgebiet von Rhein, Weser, Elbe und Donau lebten, waren 1342 mit den heftigsten Niederschlägen und den stärksten Überschwemmungen zumindest des zweiten nachchristlichen Jahrtausends konfrontiert. Die Veränderung des Ökosystems durch Erosionsprozesse und die geänderten Wasserbilanzen führten bereits gegen Ende des 13. Jahrhunderts zu einer Stagnation der Bevölkerungszunahme. Die Katastrophen des 14. Jahrhunderts kulminierten 1348 bis 1350 in der großen Pestpandemie, in der ein Drittel der europäischen Bevölkerung starb. Vor allem sozial niedrige Schichten waren aufgrund der schlechten hygienischen Bedingungen in den Städten betroffen. Es war schwer, Arbeitspersonal wie Knechte, Mägde oder Bauarbeiter zu bekommen oder grundsätzlich eine Mannschaft zusammenzustellen, was auch die Löhne in die Höhe trieb. Zwischen 1350 und 1500 blieb die Bevölkerung stabil, wuchs also nicht an, was nicht nur durch weitere Seuchen und Ressourcenknappheit an Rohstoffen, Heizmaterial und Nahrungsmitteln zu erklären ist, sondern auch durch späte Heirat, meist erst nach 25 Jahren, und einer relativ hohen Ehelosigkeit von heiratsfähigen Mädchen (10 bis 15 Prozent der Frauen).

Nicht nur die erwähnten technischen Errungenschaften in den Bereichen Landwirtschaft und Handwerk (Mühle, Pflug, Dreifelderwirtschaft) stellten die Menschen in eine neue Umwelt, auch die Erfindung des Hemmungsmechanismus, der die Anfertigung mechanischer Uhren mit präzisem Glockenschlag zu jeder Stunde ermöglichte, stellte die Zeitwahrnehmung der Zeitgenossinnen und Zeitgenossen auf eine völlig andere Grundlage. Diese neue Art der Zeitmessung ersetzte Sonnen-, Wasser- oder Kerzenuhr und musste lediglich zweimal am Tag nachgestellt werden, um die Genauigkeit sicherzustellen. Der Tag konnte fortan in gleich lange Stunden eingeteilt werden, und im Laufe des 14. und 15. Jahrhunderts wurden öffentliche Uhren an europäischen Kirchtürmen angebracht.

Die hier nur kurz skizzierten Entwicklungen beeinflussten die Lebensbedingungen des Großteils der mittelalterlichen Menschen; diese waren geprägt von einer geänderten Ressourcenbasis (Ver- und Entsorgung der lebensnotwendigen Güter), unterschiedlich dicht besiedelten Lebensräumen (Stadt und Land), von neuen sozialen Gruppen (Bürger, Patrizier, Stadtherr), aber auch von anderen religiösen Gemeinschaften (Bettelorden, Ketzer). Dichter gewordene Kommunikationswege infolge der neuen Beweglichkeit der Händler, Pilger und Kreuzfahrer erweiterten den Erfahrungshorizont der Menschen erheblich. Besonders Kaufleute, Händler, Handwerker

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und Künstler knüpften ein weitgespanntes Netz von Beziehungen und förderten den Warenaustausch und den Wissenstransfer, was technische und künstlerische Errungenschaften betraf.

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