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1.4 Genealogische Machtaspekte der (Mode-)Designtheorie

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Das Studium der Objekte und Prozesse von unterschiedlichen Bekleidungskulturen schafft in zahlreichen Disziplinen interdependente Wissensbeziehungen. Die postkoloniale Theoretikerin Gayatri Chakravorty Spivak merkte an, dass Theorie und Praxis voneinander abhängig und durchdrungen seien.117 Der Designtheoretiker Gui Bonsiepe pflichtete dem zu, wenn er schrieb: „Theorie macht explizit, was implizit bereits in der Praxis steckt.“118 Design und dessen Diskurse – und somit auch das Modedesign – reflektieren, was globale Wirtschaftsbelange sind, nämlich unter dem Banner der Globalisierung einen Wirtschaftsfundamentalismus auszurufen, der die Welt nach hegemonialen Interessen formt und dabei rücksichtslos über die sozialen und politischen Beziehungen der Menschen hinweg waltet.119 Spivak verortete die Machtbeziehungen zwischen Theorie und Praxis folgendermaßen:

„Since practice is an irreducible theoretical moment, no practice takes place without presupposing itself as an example of some more or less powerful theory. The notion of writing in this sense actually sees that moment as itself situatable. It is not the notion of writing in the narrow sense so that one looks at everything as if it is written by some sort of a subject and can be deciphered by the reading subject.“120 [<<42]

Das Spannungsverhältnis zwischen Hand- und Kopfarbeit als Gestaltungsprozesse sowohl künstlerischer als auch industrieller Produktion zeichnet eine lange Historie von Theorie-Praxis-Kontroversen aus. Design erhält über die Produktionsprozesse der gestalteten Dinge eine politische Dimension. Dabei ist es gleichgültig, ob Designer/innen der ‚Demokratisierung‘ von massengefertigten Produkten zuarbeiten oder die Gestaltung von Luxuswaren erarbeiten, da diese beiderseits als Identifikationsobjekte einer Gesellschaft deren Werte und Normen strukturieren. Dieser Aspekt prägte im 19. Jahrhundert die Diskurse zur Industrialisierung und Massenproduktion. Die Mode- und Textilindustrie ist nach wie vor auf manuelle Tätigkeiten innerhalb des mechanisierten und automatisierten Produktionsablaufs angewiesen. Die Konsequenzen daraus spiegeln sich in neokolonialen Strukturen der Ausbeutung von Menschen in ‚armen‘, ehemals kolonialisierten Ländern wider, die nun als ‚Werkbänke der Welt‘ fungieren. Der Herstellungsvorgang und der Designvorgang sind getrennte Produktionssphären, in denen mit Beginn der Ära des Wirtschaftskolonialismus die Bewohner/innen der ‚westlichen‘ Hemisphäre als ‚kreative Wissensgesellschaft‘ privilegiert sind. Die ‚Entwicklungsländer‘ erhalten heute einen Technologie- und Know-how-Transfer, der erklärtermaßen die Vorteile der ‚Geberländer‘ im Blick hat. Bonsiepe hob die globale soziale Verantwortung, die Designer/innen auch in diesem Zusammenhang tragen, hervor und kritisierte an der Begrifflichkeit Design dessen Beliebigkeit. Die weltweit bekannten Namen von Modedesigner/inne/n, die eher als Stylist/inn/en arbeiten, wie Pierre Cardin, Calvin Klein, Giorgio Armani u. v. a., werden mit einem Arsenal an profanen Dingen assoziiert, wie etwa Unterhosen, Taschen, Parfüms, Kosmetika etc. Dies habe in der Öffentlichkeit den Eindruck erweckt, dass Designer/innen nur Umhüllungen schaffen würden, statt sich mit „intelligenten Problemlösungen“ zu beschäftigen.121 Der Bereich der Mode bringt das Design in den „Ruf der ästhetischen Spielerei, der Boutiquisierung der Gegenstandswelt“.122 Eine ähnliche Diagnose stellte der Architekt Adolf Loos bereits vor mehr als hundert Jahren, als er nicht nur gegen das Ornament, sondern auch gegen jedwede Übertriebenheiten der Moden seiner Zeit ins Feld zog, und einzig die Herrenbekleidung jenseits industrieller Herstellung – als Sache eines versierten (englischen) Schneiderhandwerks – positiv bewertete.123 William Morris schätzte die Industrialisierung noch 1892 als einen „unakzeptable[n] Unfall der Geschichte“ ein. Als „sozialistischer Moralist“ argumentierte er nicht „grundsätzlich [<<43] gegen die Maschinerie und das Fabriksystem“, sondern kritisierte die damit verbundenen Eigentumsverhältnisse, während Gottfried Semper um 1850 die industrielle Entwicklung als unumkehrbar ansah.124

„Semper entwickelt ein Programm zur Ermöglichung industrietauglicher Designkonzepte. Morris und die Arts-and-Crafts-Bewegung markieren am Ende des 19. Jahrhunderts die maximale Distanz von Design und Industrie. Erst um 1900, nach Jahrzehnten der unterbliebenen Kooperation zwischen Industrie und Designern, endet der anti-industrielle Diskurs und macht neuen Auseinandersetzungen um die Möglichkeit und Notwendigkeit des Industrial Design Platz.“125

Designtheorie und Designforschung rekurrieren auf die von England ausgehende Industrialisierung der Textilindustrie, die imperiale, koloniale und kapitalistische Zielsetzungen ökonomisch einte. Die Herstellung ‚westlicher‘ moderner Bekleidung beruht weniger auf intuitiver Formgebung, sie benötigt rationale Wissenschaften wie die Mathematik zur Berechnung von vereinheitlichten Maßtabellen und geometrischen (Schnitt-)Konstruktionen, die eine rationalistische Produktionsweise erleichtern, was sich weltweit durchgesetzt hat.126 Die Herstellung von europäischen Produktionsmaschinen wie der Nähmaschine erreichte in den 1870er-Jahren bereits hochindustrielle Ausmaße – so wurden vom Fabrikat Singer bereits 1879 jährlich mehr als 400.000 Stück hergestellt.127 Die Textilindustrie als solche ist als Protoindustrie zu bezeichnen, die eine Arbeitsteilung in Heimarbeit beziehungsweise in zentralisierten Manufakturen durchsetzte.128 Der Rationalisierung folgte die Kanonisierung von Gestaltungskonzepten einer vernunftgemäßen, sachlichen Konzeption der Moderne entsprechend, die sich in der Architektur, in der Innenraumgestaltung, der Herrenbekleidung und bei der Gestaltung sonstiger Gebrauchsgegenstände niederschlug, während die Damenmode nach wie vor als Topos des triebhaft Körperlichen galt.129 [<<44]

Die internationalen Kleidungsreformbewegungen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts ‚vernünftige Frauenkleidung‘ forderten, verbanden in theoretischer und praktischer Hinsicht Bekleidungsgestaltung mit dem emanzipatorischen Projekt der Befreiung der Frau aus dem vestimentären sowie ideologischen Korsett, das mit ihrer politischen Unmündigkeit verbunden war.130

Derlei Utopien, die eine dezidierte Kleidungsreform einschlossen, entsprachen sozialistischen Idealvorstellungen von der Gleichheit aller Gesellschaftsmitglieder oder sie hatten ihre Wurzeln in religiösen Gemeinschaften. So experimentierten die nordamerikanischen Quäker/innen mit möglichst einfachen Bekleidungsformen, wobei die geschlechtsspezifische Ausformung der Designs aufgrund der funktionalen Anforderungen sehr reduziert war.131 Für die prominenteste Verquickung vestimentärer Reformversuche mit feministischen Forderungen stand ein Hosenkostüm, das die US-amerikanische Frauenrechtlerin Amelia Bloomer für sich und ihre Mitstreiterinnen entwarf und als politisches Mittel auf dem Weg zur Gleichberechtigung von Frauen propagierte.132 Diese nordamerikanische Kleiderreformbewegung verbreitete sich unter dem Schlagwort Bloomerism133 in Europa hauptsächlich in England. Im deutschsprachigen Raum führte die völkisch ausgerichtete Lebensreformbewegung – aus tendenziell männlicher Sicht – für die Abschaffung des Korsetts eher gesundheitliche Argumente ins Feld.134 So setzte sich der Zoologe und Arzt Gustav Jäger für die Herstellung wollener Kleidung ein und vergab eine Konzession für die von ihm entworfene ‚Normalkleidung‘, die er in theoretischen Abhandlungen als ‚Gesundheitsschutz‘ propagierte.135 Dagegen hegte im Umfeld des Deutschen Werkbundes die mit Hermann Muthesius liierte Anna Muthesius bei ihren Entwürfen korsettfreier Frauenbekleidung einen künstlerischen Anspruch, der darauf bedacht war, individuelle Besonderheiten hervorzuheben.136 Sie vermittelte ihre Reformideen in Praxis und Theorie. 1903 betonte sie in ihrer Abhandlung zum „Eigenkleid der Frau“, dass „das Gesicht als zentraler körperlicher Bezugspunkt“ zu achten sei und die Kleidung nur als Rahmung diene.137 Trotz all dieser Bestrebungen blieb das Korsett Teil der „Grundausstattung [<<45] der Frauenbekleidung“ und es veränderte seine Form entsprechend den ökonomisch ausgerichteten Konzeptionen ‚männlicher‘ Modeentwürfe.138

„In den 1890er Jahren ging man dazu über, die Fischbeineinsätze durch rostsicher verzinkte Spiralfedereinlagen zu ersetzen. Bereits seit den 1870er Jahren wurde das Korsett länger und modellierte nun auch die Hüften. […] Korsette wurden bereits früh industriell gefertigt. Eine Untersuchung zur Korsettindustrie, die 1909 vorgelegt wurde, verweist darauf, dass dieser Teilbereich der Textilindustrie von den Zeitgenossen als Wirtschaftsfaktor wahrgenommen wurde. Dieser Untersuchung zufolge gab es in Deutschland ab den 1870er Jahren eine nennenswerte Korsettindustrie, wobei bis in die 1880er Jahre eher für den Export als für den Inlandsmarkt produziert wurde, was sich aber in den 1890er[n] änderte.“139

Die Konstruktionsteile des Korsetts sowie die dominante Krinolinenkuppel, deren Ausführung und Verzierung mit einem enormen Metall- und Stoffverbrauch verbunden waren, kamen beide der Rationalität der Textilindustriellen des 19. Jahrhunderts entgegen. Von der Erfindung der Kaltwalzpresse, welche die Herstellung von Krinolinen und Korsetten mit Stahlfedern ermöglichte, profitierte die Schwerindustrie.140 Die erfolgreiche Einführung der Stahlfeder-Krinoline durch Charles Frederick Worth und seine beständig wechselnden Rock- und Korsettformen, wie er sie zur zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts diktierte, sicherten die konstante Nachfrage nach neuer Damenoberbekleidung und diversen Unterkonstruktionen.

Aus diesen historischen Exkursen geht hervor, dass die wechselnden ‚westlichen‘ Damenmoden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts keine naturalisierbaren, biologischen Ursachen hatten, wie sie in teilweise misogynen Modetheorien bis ins 20. Jahrhundert hinein angeführt werden, sondern vielmehr von ökonomischen Motiven durchdrungen waren. Diese hatte der Kulturwissenschaftler Eduard Fuchs im Jahre 1906 nicht im Blick, wenn er schrieb, dass die ,naturnotwendige‘ „passive Rolle der Frau im Geschlechtsleben“ sie dazu zwinge, „die Mode zu ihrem wichtigsten Werbemittel im Kampf um den Mann zu erheben, denn durch die Kleidung vermag sie die wirkungsvollsten Effekte zu erzielen“.141 Hierbei wiederholte er die wirkmächtigen, [<<46] ‚männlichen‘ Vorurteile gegen ‚die Mode als Frauensache‘.142 Ideologisch argumentierende Reformer/innen legten immer wieder opponierende Konzepte und Entwürfe vor,143 doch die von ihnen realisierten Damenmodelle standen den damaligen Konventionen ideell und den ökonomischen Zielen der Bekleidungsindustrie materiell entgegen, daher konnten sie sich nicht durchsetzen. Wirtschaftsraison und die damit einhergehenden Materialinnovationen144 hatten einen nicht geringen Einfluss auf die ‚Gestaltung der Frau‘, was in der zeitgenössischen Theorieproduktion zur Designgeschichte der Kleidung vernachlässigt wurde. Im Übrigen erfüllten sich die Forderungen nach der Abschaffung des Korsetts und der ausladenden Rockformen erst mit dem Ersten Weltkrieg, als ein Großteil der ‚westlichen‘, männlichen Bevölkerung an der Kampffront war, die Stoffe rar und der Stahl knapp wurden.

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