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Einleitung

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Die Trias Mode – Design – Theorie vereint drei Themenfelder, die über vielfältige Narrationen verfügen. Sie rahmt die Spuren der Relationen, die sowohl durch verbindende als auch durch trennende vestimentäre (Gestaltungs-)Praktiken entstehen. Diesen nachzugehen impliziert, die Ein- und Ausschlüsse zu beleuchten, welche durch diese drei Termini erzeugt werden. Die kulturelle Bedeutung der Begriffe, die durch Iteration als diskursive Formationen hervorgebracht wird, ist von Gewicht, da deren materielle und ideelle Macht auf alle menschlichen Körper und Lebensräume einwirkt.

Die Anordnung der versammelten Texte entspricht einerseits den Erfahrungen, welche ich seit den frühen 1990er-Jahren im Modedesignbereich als Praktikerin gemacht habe, andererseits reflektieren sie vielzählige Gespräche und Diskussionen, die ich sowohl als Auszubildende als auch als Lehrende im Rahmen theoretischer Fragestellungen geführt habe. Die heterogenen, wissenschaftlichen Zugänge zu Mode, Design und Theorie sind inhaltlich in den einzelnen Abschnitten um die Problematik gruppiert, welche Differenzkategorien diese Trias in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft festgeschrieben hat, gegenwärtig konturiert und zukünftig verändern wird.

Grundsätzlich ist die Konzeption des Buches aus der Perspektive von Designer/inne/n erfolgt und die Fragen zu Gestaltungspraktiken bleiben nie ausgeklammert, auch wenn der Begriff „Mode“ teilweise im Vordergrund steht. Implizites, unausgesprochenes Wissen1 wird mittels der Verschriftlichung explizit gemacht. Beides leitet sich aus meinem beruflichen Werdegang her und ist mit Donna Haraway als situiertes Wissen im Sinne feministischer Wissenschaftskritik zu lokalisieren.2 Die Konzeption und Umsetzung der Beiträge basieren teils auf Ideen und manchen Texten, die im Rahmen meiner Ausbildungsstationen an der Fakultät für Architektur der Technischen Universität Graz, im Bachelorstudium Mode an der Kunstuniversität Linz und am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin entwickelt wurden oder als unveröffentlichte Manuskripte aus früheren Projekten zur Verfügung standen. Alle Abschnitte sind kontinuierlich bis zur heutigen Form [<<9] bearbeitet und thematisch aufbereitet worden. Ich freue mich über die breite Unterstützung, die mich bestärkt hat, die Arbeit am Manuskript langfristig in beständiger, diskursiver Offenheit zu verfolgen. Mein Dank gilt insbesondere Frau Dr. Eva Reinhold-Weisz, da sie sämtliche Transformationen des Projekts – sowohl die Konzeptionen als auch die Autor/inn/en betreffend – im Rahmen der Böhlau Verlag-Programmplanung begleitet hat. Die nunmehr abgefassten Texte versuchen trans- und interdisziplinäre Übersetzungen zu leisten, die für Leser/innen aus den verschiedensten Bereichen und mit unterschiedlichen Interessenslagen im Kontext von Mode, Design und Theorie produktiv einzusetzen sind. Die von Jaël Rabitsch angefertigten, zum Teil humoristischen Illustrationen unterstützen den Text als visuelle Marker und möchten im/in der Betrachter/in affektive Assoziationen abrufen.

Um, meinem ‚disziplinären‘ Verständnis entsprechend, einer Bezeichnung der Autor/inn/en und Akteur/inn/e/n zu entkommen, die sich im generischen Maskulinum ausschließlich auf Männer beziehen würde – was letztlich nicht den Tatsachen entspräche –, erfolgte eine Zweigenderung. Gleichwohl sind alle Personen, die sich als ,Mann‘, ,Frau‘ oder keines von beiden identifizieren lassen beziehungsweise als solche identifiziert wurden, mitgemeint. Ebenso sind immer Trans*Personen, Cisfrauen und Cismänner angesprochen. Die dafür unzureichend präzise Cisgenderung ist inhaltlich bedingt, um konkrete historische Zusammenhänge aufzuzeigen, doch trägt sie ein sichtbar machendes Bias, das in der Undurchführbarkeit grammatikalischer Regeln liegt, sobald Bezeichnungen jenseits des generischen Maskulinums verortet sind.

Die Auseinandersetzung mit Kleidermoden im Alltag, in akademischen Debatten und Veröffentlichungen bezieht sich vielfach auf bestehende kleidermodische Phänomene, die stets in historisch bedingte, ökonomische, politische, soziokulturelle und künstlerische Strömungen integriert sind. Deshalb plädieren Modeforscherinnen wie Heike Jenß dafür, die „komplexe Rahmung der Sachkultur der Kleidung durch Systeme der Mode […] bei ihrer Untersuchung immer mitzudenken“3, wobei hinzuzufügen ist, dass jedwede ‚Modesysteme‘ im Rahmen der Globalisierung von der Dominanz des ‚Westens‘ geprägt sind. Bei der Reflexion über die Gestaltung von Bekleidung, das Modedesign als Dienstleistung, gilt es zu vermerken, dass diese Tätigkeit mittlerweile mit Disziplinen im Feld des Marketings in Konkurrenz steht und basal von Paradigmen der sogenannten Creative Industries geleitet wird. Gleichzeitig ist eine zunehmende Theoretisierung von ‚Mode‘ in den Geistes- und Sozialwissenschaften zu beobachten, welche gegen Ende des letzten Jahrtausends noch nicht in die Lehr- und [<<10] Studienangebote integriert war. Die bis dahin üblichen theoretischen Fächer waren um Mode- und Kunstgeschichte, Wirtschaftsdisziplinen und Fremdsprachen zentriert, ohne die Disziplin Modedesign respektive die Arbeit von Modedesigner/inne/n per se zu hinterfragen. Die aus der Fülle an Optionen herangezogenen Literaturquellen zu diesem Band sind entsprechend ihrer Verwendung für die Lehre im Mode- respektive Designkontext für die wissenschaftliche Theorieproduktion und so ausgewählt, dass sie die Argumentation zu den jeweiligen Problemstellungen in den einzelnen Abschnitten unterstützen. Mehrheitlich wurde daher auf englisch- und deutschsprachige Quellen zurückgegriffen. Eine vollständige Aufarbeitung des gesamten Feldes war weder erwünscht noch beabsichtigt, vielmehr intendieren die vorliegenden Texte, sich den vielen dargebrachten Quellen und Anregungen zu nähern und diese in Hinblick auf ihre weiteren Anwendungsmöglichkeiten tiefer zu befragen.

Zur Etablierung der Fashion Studies beziehungsweise von Modetheorie mit eigenständigen Lehr- und Forschungsansätzen haben zahlreiche Publikationen beigetragen, von denen einige im Folgenden kurz vorgestellt werden, um die theoretische Einbettung des hier Verfassten nachvollziehen zu können. Dazu ist anzumerken, dass der Umfang der Veröffentlichungen zur ‚Mode‘ beziehungsweise zu fashion in den letzten Jahren exponential angestiegen ist, wobei bereits ältere Publikationen eine fundierte wissenschaftliche Basis zur weiteren diskursiven Auseinandersetzung in unterschiedlichen Disziplinen bildeten. Hierzu seien die Arbeiten der Kulturwissenschaftlerin Elizabeth Wilson erwähnt, die sich schon 1985 dem Nexus Mode und Modernität4 widmete und 1992 gemeinsam mit Juliet Ash einen ausgezeichneten Sammelband mit dem Titel Chic Thrills. A Fashion Reader5 herausgab. In diesem wurden unterschiedliche Themenfelder zu (Bild-)Sprache, Identität, Design und Ethnizität, Haute Couture und popular style breit gefächert verhandelt sowie sozialutopische und richtungweisende feministische Ansätze einbezogen. Wilsons Modeprogrammatik ist als vorbildhaftes Reservoir für wissenschaftliches Arbeiten anzusehen, wie es heute unter dem Terminus Fashion Studies als interdisziplinäres Vorhaben in ‚westlichen‘ (Aus-)Bildungssystemen institutionalisiert ist. In den letzten Jahrzehnten ist eine Vielzahl an Readern erschienen, deren Inhalte in den hier vorliegenden Band einbezogen wurden, darunter ist an dieser Stelle aus Malcolm Barnards Einführung zu seiner Herausgeberschaft Fashion Theory. A Reader zu zitieren, zumal er das Spektrum analysiert hat, was Modetheorie sei: [<<11]

„There is no one set of ideas or no single conceptual framework with which fashion might be defined, analysed and critically explained. Consequently, there is no single discipline, approach or discrete body of work that can be identified and presented here as fashion theory. Rather, there are theories about fashion or, to put it another way, there are fashion theories. What one finds is that various and diverse academic disciplines apply themselves or are applied to the practices, institutions, personnel and objects that constitute fashion.“6

Modetheorie ist in Abgrenzung zur Kostümkunde positioniert, die den Geschichtswissenschaften nähersteht. Populäre kostümkundliche Arbeiten stellen unter anderen Janet Arnolds anwendungsorientierte Studien zu historischen Schnitten und Ingrid Loscheks Mode- und Kostümlexikon dar, während beide darüber hinaus zahlreiche modehistorische und -theoretische Schriften verfasst haben.7 Auf geisteswissenschaftlichem Terrain verlieh der französische Philosoph und Schriftsteller Roland Barthes in den 1960er-Jahren mit seinen semiotischen Untersuchungen zur Sprache der Mode8 dem Sujet intellektuellen Glanz. Sein Kollege Gilles Lipovetsky schrieb dem ‚Reich der Mode‘ Anfang der 1990er-Jahre demokratisierende Kräfte zu,9 während die US-amerikanische Literatin und Literaturwissenschaftlerin Alison Lurie Bekleidungsformen als sozial differenzierendes Zeichensystem nach ihrer kulturellen Semantik befragte.10 Die einflussreiche US-amerikanische Modehistorikerin, Begründerin und Herausgeberin des Periodikums Fashion Theory. The Journal of Dress, Body & Culture, Valerie Steele, widmet sich seit Mitte der 1980er-Jahre den Kleidermoden – insbesondere unter Berücksichtigung ihrer erotischen, fetischhaften, sexualisierenden Momente.11 Im deutschsprachigen Raum setzten in den Literaturwissenschaften sowohl Silvia Bovenschens Listen der Mode und Barbara Vinkens Mode nach der Mode12 starke Akzente, wie auch die zahlreichen modetheoretischen Monografien und editierten Ausgaben von Gertrud Lehnert die deutschsprachige Modetheorielandschaft prägen.13 In ähnlicher [<<12] Dichte erschienen vielzählige Publikationen, so etwa aus der kulturanthropologischen Perspektive von Gabriele Mentges sowie Gundula Wolters kulturgeschichtliche Studien zu Bekleidungspraktiken.14 Der Soziologe René König hegte für ‚die Mode‘ als soziales Phänomen große wissenschaftliche Begeisterung. Kontrastierend dazu stand in Frankreich Pierre Bourdieu dem Feld der Mode sozialkritisch gegenüber. Darüber hinaus übte die britische Soziologin Angela McRobbie feministische Gesellschaftskritik am Modesystem.15 Elena Espositos soziologisch fundierte, systemtheoretische Untersuchung zu den „Paradoxien der Mode“ entstand zu Beginn des jetzigen Jahrtausends und ist aufgrund ihres innovativen methodischen Ansatzes geradezu kanonisch geworden.16 Der Untersuchungsgegenstand ‚Mode‘ war und ist nicht erst in den letzten Jahrzehnten aus vielen, meist gesellschaftspolitisch, motivierten Perspektiven interdisziplinär bearbeitet worden, daher sind des Weiteren Positionen zu Mode und deren Gestaltung aus mehreren Jahrhunderten in den einzelnen Abschnitten des hier vorliegenden Bandes versammelt.

Die Historizität und lokale Bedingtheit von Lebens- und daher auch Bekleidungsgewohnheiten und deren Vor- und Nachteile darzustellen, hat der Architekt Bernard Rudofsky in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts beeindruckend gemeistert und dabei den Modebegriff und dessen Modernität an sich infrage gestellt.17 Seine Schriften lehren, Modedesign, Architektur und sämtliche gängigen Gestaltungsdisziplinen sowie deren Praktiken zu erkunden.

Als langfristig im Modebereich Tätige konnte ich bei der Schnitt- und Modellgestaltung, Kollektionsplanung, Atelierleitung und im Design in der Zusammenarbeit mit verschiedenen Modedesigner/inne/n, die völlig unterschiedliche Herkunftsbiografien und Ziele hatten, dieser Herausforderung nachgehen. Diesbezügliche Erfahrungen schließen das Wissen aus der Ausbildungszeit und die prägenden Eindrücke in der Zusammenarbeit mit einem der ersten, umfassend ökologisch ausgerichteten Bekleidungshersteller in Deutschland, Wilhelm Dietzens Natur & Co, und die in Richtung Nachhaltigkeit positiven Entwicklungen im Modebereich mit ein. Führten in den frühen 1990er-Jahren ökologisch ausgerichtete Bekleidungsunternehmen ein Nischendasein, so ist heute die sogenannte sustainable fashion im akademischen Betrieb, auf Textilmessen und im Einzelhandel zumindest sporadisch verankert. Bei den mehrheitlich [<<13] ‚konventionellen‘ Designer/inne/n wie u. a. Edwina Hörl/Wien und Tokio, Frank Leder/Berlin, Stephan Schneider, Haider Ackermann in Antwerpen und bei Raf Simons als Creative Director bei Jil Sander in Mailand, mit denen ich zusammengearbeitet habe, stand die Reflexion über die individuellen Motivationen, die künstlerisch-kreativen, ökonomischen Ziele, organisatorischen und monetären Einschränkungen, die angestrebten Absatzmärkte und Public Relations sowie das Monitoring der Mitbewerber/innen im Vordergrund. Die diskursive Auseinandersetzung mit der sozioökologischen Verantwortung von Gestalter/inne/n, welche die Tätigkeiten im Modedesign impliziert, war im Hinblick auf das Design im weitesten Sinne zumeist auf die kommunikativen Funktionen von Bekleidung beschränkt.

Bekleidungsgestaltung ist eine Designdisziplin, wobei die Theoretisierungen von Mode-, Textil- und Industriedesign etc. differente Genealogien aufweisen, welche deren unterschiedliche Programmatik bestimmen, wie sie in den Texten des Abschnitt 1 dargestellt werden. Als festgesetzter Gegenbegriff zur Praxis bleibt der Theoriebegriff gleichzeitig arbiträr, denn die Theorie ist, wie ebenfalls von der Kunst behauptet wird, vom/von der Betrachter/in abhängig. Die Entlehnung des Wortes aus dem griechisch-lateinischen theōría bezeugt dies, wonach der Theorie die altgriechischen Bedeutungen von Zuschauen, Schau und Sehen zugrunde liegt.18 Moderne Forschungsprozesse umfassen die Gesamtheit des Lehrens und Lernens, die auf der Art und Weise des Schauens – der Methodologie auf dem jeweiligen Praxisfeld –, auf Empirie und den daraus resultierenden gedanklichen Erkenntnisprozessen beruhen. Jegliche Theoriefeindlichkeit ist demnach als kontraproduktiv zu werten,19 da Praxis und Theorie im Idealfall ineinandergreifen und ergänzend wirken. Das wissenschaftliche Arbeiten im Rahmen eines (Mode-)Designstudiums bietet die Möglichkeit, über das eigene Tun und über subjektive Interessenslagen hinaus zu reflektieren. Daraus ist in Anschluss an Gui Bonsiepe zu schlussfolgern, dass „Entwerfen und das Schreiben über Design […] nicht mehr als sich gegenseitig ausschließende Tätigkeiten betrachtet“20 werden. Theoriefächer sollten die kreative Arbeit begleiten und, wie ich es als Dozentin im Umfeld der Entwurfslehre praktiziere, die Themenfindung und Umsetzung der Designs respektive die Präsentation der Kollektionen unterstützen. Darüber hinaus ist darauf Wert zu legen, dass die Erarbeitung der schriftlichen Leistungen der Studierenden vorzugsweise denselben akademischen Standards entsprechen sollte, wie sie in universitären Disziplinen [<<14] üblich sind. Im außeruniversitären Bereich kann Modetheorie zur fundierten Kritik an dem komplexen Geflecht politischer, ökonomischer und psychosozialer Strukturen beitragen, die das Modedesign gleichzeitig bedingen und hervorbringen. Das weite Feld von Mode und Design bietet neben der Argumentation mittels kulturwissenschaftlicher Fallstudien auch die Möglichkeit an, diskursanalytisch vorzugehen und dabei Wissensbestände aus den Gender, Postcolonial und Cultural Studies, der Kunst- und Architekturtheorie, der Philosophie, der Soziologie, der Anthropologie der Semiotik, den Kommunikations-, Medien- und Designwissenschaften einzubeziehen. Diese Form des Zugangs ermöglicht es Studierenden, Mode- und Designinteressierten sowie Akteur/inn/en der sogenannten Kreativbranchen eine disziplinenübergreifende Mode- und Designtheorie anzubieten, welche die heterogenen Ansätze entzerrt und wiederum zu einer ‚kritischen Masse‘ verdichtet. Das im Anhang befindliche Personenregister und das Literaturverzeichnis geben Auskunft darüber, wer hier ‚spricht‘, und verweist bereits auf die trans- und interdisziplinären Konstellationen von Modediskursen, die im philosophischen Sinne Michel Foucaults nicht „als Gesamtheit von Zeichen, […] sondern als Praktiken zu behandeln“ sind, da sie „systematisch die Gegenstände bilden, von denen sie sprechen“.21 Zu dem, was der vorliegende Band als Studienbuch leisten soll, wäre herauszustreichen, dass eine kritische Mode- und Designtheorie auf einer Problematisierung von Macht besteht, deren produktive Funktionsweisen über die vestimentäre Gestaltung des Körpers hinaus Ungleichheiten, In- und Exklusionen konturieren. Ein Charakteristikum läge dann darin, dass eine diesbezügliche Kritik nicht das Ergebnis von Räsonnements wäre, das alle Lösungen zugunsten der einzig richtigen zurückweisen würde, sondern durch „Problematisierung“ und „Aufforderungen“ versucht wird, zu „anderen Praktiken und Denkformen“ einzuladen, ohne dabei politisches Handeln zu ersetzen,22 welches ‚das Modemachen‘ und ‚das Designen‘ eigentlich leisten. Mode- beziehungsweise Designtheoretiker/innen haben abzuwägen, wie Bekleidungsweisen vom Paradigma ‚Mode‘ bestimmt werden, denn bereits das Wort ‚Modedesign‘ weist eine semantische Erweiterung auf, die viel mehr als nur den Entwurf, die Herstellung und das Tragen von Bekleidung bezeichnet. Diese Konstellationen zu fassen, findet in weiten Teilen Raum, indem beschrieben wird, inwiefern die Disziplin ‚Modedesign‘ Menschen diszipliniert. Im Rahmen der Akademisierung von Gestaltungsberufen und künstlerischen Professionen gilt es zu klären, was es bedeutet, wenn Mode-, Architektur-, Design-, Kunst-, Medien- respektive [<<15] Kommunikationsbranchen, Handwerk, Industrie und Spitzentechnologie nunmehr gemeinsam in einem Amalgam unter dem Titel Creative Industries ineinander verschränkt sind. Dafür ist es sinnvoll, die Traditionslinien designkritischen Impetus, wie sie Gui Bonsiepe, Uta Brandes, Lucius Burckhardt, Dieter Rams, Mart Stam, John Thackara u. v. a. m. hervorgebracht haben, aufzuspüren.

Dass Designer/innen Labels gründen, stellt heute eine alltägliche Begebenheit dar. Dass es sich dabei um die Etikettierung von Waren handelt und diese damit gleichzeitig einen bestimmten Wert erhalten sollen, der zur sozialen Differenzierung dient, scheint eine Selbstverständlichkeit zu sein, wenn wir an das Phänomen der ‚Markenware‘ respektive an ‚Designer/innenmode‘ denken. Wie Entwurfs- und Produktionsprozesse von Bekleidung durch das Phänomen des image building, den Markenaufbau und dessen mediale Wirkungen beherrscht werden, findet sich im Abschnitt 2. Welche sozialen Implikationen dies mit sich bringt, welche kommunikativen Funktionen die differenzierte Hervorbringung von Marktsegmenten aufweist und welche Zeichen dafür benötigt werden, wird mittels semiotischer Ansätze aufbereitet. Sprache, Gegenstände, mediale Kommunikationen, soziale Konventionen und Bekleidungsgestaltung verursachen interdependente Wirkungen, die sich in (pop)kulturellen, vestimentären Manifestationen zeigen. Nach wie vor steht zur Debatte, ob und was Kleidermoden ‚kommunizieren‘, welche Codes dafür benötigt werden und in welchem Rahmen diese funktionieren. Der Hervorhebung der Kommunikations- und Schutzfunktionen bei der Entwicklung von Wearables gilt es an dieser Stelle nachzugehen, da diese das Spektrum, was menschliche Kleidung nicht nur haptisch leisten soll und muss, zugunsten des technologisch Machbaren einschränken. Unter anderem werden Diskurse zur ‚Immunikation‘ aufgezeigt, die, wenn sie gegengelesen werden, Zukunftskonzepte zur Bekleidungsentwicklung und Gestaltungskultur anbieten können.

Der Abschnitt 3 greift soziologische Lehrmeinungen auf, deren historische Verortung im 19. Jahrhundert zu finden ist, denn die Mode als Synonym für den Wandel hat Generationen von Wissenschaftler/inne/n beschäftigt. Trotz unterschiedlicher Untersuchungsschwerpunkte standen meist die Geschlechts- und Klassenkategorien bezüglich ihres Einflusses auf die menschliche Bekleidung im Wandel der Zeit im Fokus der Wissensproduktion. Der Streit um die ‚richtige‘, angemessene Kleidung ist immer auch ein Streit um den Körper und seine soziale Bestimmung. Während früher hauptsächlich moralische Argumentationen ins Feld geführt wurden, sind nunmehr affirmative und pejorative Positionen meist antagonistisch zwischen marktorientierten Ökonom/inn/en und ökosozial engagierten Konsumkritiker/inne/n verteilt. Die einen plädieren dafür, in ökonomisierten Lebenswelten das Moderisiko und die Produktionspreise möglichst niedrig zu halten und die Gestaltung der Modekollektionen [<<16] massentauglich anschlussfähig zu gestalten, während die anderen die negativen Konsequenzen ungezügelten Konsums aufzeigen. Modedesigner/innen bleiben in diesem Umfeld sozioökonomischer Herausforderungen meist auf die Gestaltung von Bekleidung konzentriert.

Auf oben angeführten Feldern wurden und werden die Kämpfe für und wider ‚die Mode‘ bis heute besonders eindrucksvoll geführt, wobei seit Ende des letzten Jahrhunderts systemtheoretische Ansätze, die insbesondere auf den Soziologen Niklas Luhmann rekurrieren, zur wissenschaftlichen Aufarbeitung der Mode als eine „allgemeine soziale Institution“23 beigetragen haben, was im Abschnitt 4 anhand konkreter Beispiele argumentiert wird.

Die Texte im Abschnitt 5 versuchen die psychokulturelle Wirkmacht von Bekleidung zu fassen, indem zuerst die Setzung von ‚Griechenland als Wiege der abendländischen Kultur‘ bezugnehmend auf ‚okzidentale‘ und ‚orientalische‘, vestimentäre Praktiken und deren Rezeption hinterfragt und dabei die Konstruktion von Europäer/inne/n als weiße24 Menschen näher beleuchtet wird. Des Weiteren verweist die Betrachtung des antiken apuleiischen Märchens von Amor und Psyche auf aktuelle psychosoziale Problemstellungen, wie sie der sogenannte ‚Jugend- und Schönheitswahn‘ darstellen.

Im Abschnitt 6 werden ethnozentrische Strukturen der ‚westlichen‘ Modebranche aufgezeigt. Erstens versucht eine Anordnung von Fallbeispielen die Dringlichkeit einer Revision des gängigen Selbstverständnisses ‚westlichen‘ Modedesigns aufzuzeigen. Die daraus abgeleiteten Überlegungen zur neokolonialen Machtausübung innerhalb der ‚Mode‘ möchten nicht nur kritisch gegenüber der Mode- und Textilindustrie argumentieren, sie laden ferner dazu ein, zukünftige Diskussionen zugunsten einer humaneren Textil- und Kreativbranche anzuregen. Und zweitens kann eine anthropologische Perspektive die Handlungsschemata, welche ‚Modedesign‘ hervorbringen, explizit machen und so zu einem besseren Verstehen des als ‚eigenen‘ konstruierten Gestaltungsanspruchs beitragen.

War vor der Jahrtausendwende mit Modedesign respektive fashion design – nicht nur im deutschsprachigen Raum – hauptsächlich Frauen-Modedesign gemeint, so entwickeln heute an Männerbekleidung interessierte Modestudierende stets auch Herrenkollektionen, deren signifikante Techniken und Epistemologien der Herstellung in [<<17] die Ausbildungsformate miteinbezogen sind. Als Nebeneffekt der beständigen gesellschaftspolitischen Bemühungen um die Gleichstellung der Geschlechter hat Designer/innenmode für Männer eine forcierte Aufwertung erfahren. Dass damit im Hinblick auf eine tatsächliche Egalisierung noch nichts erreicht worden ist, zeigt sich darin, dass ‚die Mode‘ binär strukturiert bleibt und sexualisierte vestimentäre Geschlechterkonstruktionen hierarchisierenden, biologischen und medizinischen Wissensmustern unterstellt geblieben sind. Mit Blick auf die mehrheitlich unverhältnismäßig sexualisierenden Frauenkollektionen der letzten Jahre kann festgestellt werden, dass jene konservativen Frauenbilder zwischen ‚Huren‘ und ‚Heiligen‘ – in neuen Kleidern und High Heels – durchaus wieder Konjunktur haben. Die Soziologin Angela McRobbie sprach in diesem Zusammenhang von einem neoliberalen Geschlechterregime, dessen postfeministische Gewalt sich insbesondere in für Modedesigner/innen relevanten Körperpraktiken und deren medialen Aufbereitungen zeigen. Sie verweist zu Recht darauf, dass dieser Backlash in Richtung einer neopatriarchalen, ‚westlichen‘ Gesellschaftsordnung nur mit hinreichendem Widerstand zu verhindern sei.25 Der Abschnitt 7 möchte unter der Prämisse zahlreicher Zugänge zur Genderthematik dazu anregen, gegenüber der Debatte über die Möglichkeiten ein unsexistisches Modedesign zukünftig zu erreichen, offen zu sein.

Die hierfür konzipierten Texte und die darauffolgenden Abschnitte 8 und 10 sind größtenteils im Rahmen des Masterstudiums am Institut für transdisziplinäre Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin unter Berücksichtigung von postkolonialen und kulturwissenschaftlichen Positionen erarbeitet worden. Für die zahlreichen Anregungen, die mir an dieser Institution entgegengebracht wurden, bin ich sehr dankbar. Der genealogischen Herausarbeitung der Zusammenhänge zwischen Moral, Kleider- und Gesellschaftsordnung, die auf die Verschränkungen in der Konstitution ‚westlicher‘ Kleidermode mit kolonialen Ausbeutungssystemen verweisen, und deren Rechtfertigungsmechanismen zwischen Kirchenmoral und Aufklärung nachzugehen, bedeutet, heutige Fragen nach der Eigenverantwortung der Konsument/inn/en und sozialer und ökologischer Verantwortungslosigkeit in der Modeindustrie im Spiegel historischer Ursachen zu untersuchen. Ferner kann der Fetischbegriff zur Klärung des Verhältnisses zwischen Okzidentalismus, Moderne, Weiblichkeitsmodellen und dem Paradigma des Neuen beitragen. Diese Herangehensweisen ermöglichen eine sozialphilosophische Theorie von Mode und Design, die programmatisch unabgeschlossen bleibt und Brüche aufweisen muss. Dabei kommt [<<18] es darauf an, beim Publikum und bei sich selbst – im Sinne der methodologischen Anregung zur Genealogie als Kritik des Politikwissenschaftlers Martin Saar – „sich zur Kritik und zur Veränderung der eigenen Selbstverständnisse und Selbstverhältnisse provozieren zu lassen“26, was zugleich mit der Entscheidung einherginge, der derzeitigen Modedesignpraxis ein „so nicht“27 entgegenzuhalten.

Denn wie in Abschnitt 9 ausgeführt, bleibt notwendigerweise stets das menschliche Maß ein primäres Gestaltungsparadigma für unsere Bekleidung und Behausung. Die diesbezüglichen kulturellen Maßstäbe sind jedoch veränderliche Setzungen, die in Abhängigkeit sozioökonomischer und politischer Paradigmen beständigen Revisionen unterliegen, die jeden Tag aufs Neue festgelegt und gestaltet werden können. [<<19]

1 Vgl. zu Michael Polanyis Begriff des impliziten Wissens, Polanyi 1985.

2 Zum Begriff des situierten Wissens der feministischen Wissenschaftshistorikerin Donna Haraway vgl. Haraway 2007, 1988.

3 Jenß 2005a, S. 399.

4 Vgl. Wilson 1989, 1985.

5 Vgl. Ash/Wilson 1992.

6 Vgl. Barnard 2007a, S. 7.

7 Vgl. beispielsweise Arnold 1980 und Loschek 2005, 2007a.

8 Vgl. Barthes 1985.

9 Vgl. dazu Abschnitt 3.1 in diesem Band.

10 Vgl. Lipovetsky 1994; Lurie 1981.

11 Vgl. dazu das Frühwerk von Valerie Steele Fashion and Eroticism. Ideals of Feminine Beauty from the Victorian Era to the Jazz Age, Steele 1985 sowie Steele 1996, 2013.

12 Vgl. Bovenschen 1986 und Vinken 1993.

13 Siehe beispielhaft dazu Gertrud Lehnerts jüngst erschienenes Buch zu Mode, Theorie, Geschichte und Ästhetik einer kulturellen Praxis. Vgl. Lehnert 2013.

14 Vgl. Abschnitt 6.1 sowie 1.4, 7.3, 8.1, 10.1 in diesem Band.

15 Vgl. u. a. Abschnitt 1.2 in diesem Band.

16 Vgl. Esposito 2004 und den Abschnitt 4.1 in diesem Band.

17 Vgl. Rudofsky 1947 und den Abschnitt 9.3 in diesem Band.

18 Vgl. Duden 1963, S. 708.

19 Vgl. Weber 2010, S. 16f.

20 Bonsiepe 2009, S. 29.

21 Vgl. Foucault 2008, S. 525.

22 Vgl. Lemke 1997, S. 364.

23 König 1967, S. 17.

24 Zur unterschiedlichen Schreibweise von „weiß“, die den Konstruktionscharakter dieser Bezeichnung hervorheben soll, vgl. Dietrich 2007, S. 46f.

25 Vgl. McRobbie 2010.

26 Saar 2007, S. 346.

27 Ebd.

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