Читать книгу Angst? Frag doch einfach! - Barbara Schmidt M. - Страница 8
Warum sind Frauen etwa doppelt so häufig von Angststörungen betroffen wie Männer?
ОглавлениеLeider kann ich auf diese wichtige Frage keine eindeutige Antwort geben. In diesem Abschnitt möchte ich jedoch deutlich machen, woran es liegt, dass es auf diese Frage noch keine befriedigende Antwort gibt. Dabei gewinnen Sie auch einen Einblick von der Art und Weise, wie Angst in der Wissenschaft untersucht wird. Um Ihnen einen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung zu dieser Frage zu geben, stelle ich Ihnen hier eine aktuelle Überblicksarbeit von Debra Bangasser und Amelia Cuarenta vor (Bangasser & Cuarenta, 2021). Dabei nehmen die Autorinnen nicht nur → AngststörungenAngststörung, sondern auch → DepressionDepression ins Visier, denn auch an Depression erkranken etwa doppelt so viele Frauen wie Männer. Sie fokussieren dabei auf die neurobiologischen Mechanismen, die bei Angst eine Rolle spielen. Ich werde diese Mechanismen im Verlauf des Buches genauer beschreiben. An dieser Stelle ist wichtig zu wissen, dass zur genauen Untersuchung der Abläufe im Gehirn Studien mit Nagetieren gemacht werden. Die beiden Autorinnen stellen zunächst fest, dass diese Studien nur mit männlichen Mäusen durchgeführt wurden. Weibliche Mäuse gelten als unberechenbar, man muss beispielsweise auf deren Hormonspiegel achten, der sich im Laufe des Fruchtbarkeitszyklus ändert. In einer Sendung des Deutschlandfunks aus dem Jahr 2019 berichtet die Neurobiologin Rebecca Shansky: „Ein allgemeiner Rat lautete: Achten Sie auf die Hormonspiegel, wenn Sie mit weiblichen Tieren experimentieren. In allen Nagetieren existieren erhebliche Schwankungen bei Fortpflanzungshormonen aus dem Eierstock. Am besten Sie entfernen die Eierstöcke oder verzichten ganz auf weibliche Versuchstiere. Dann sind Sie das leidige Problem mit den weiblichen Hormonen los.“ (Lange 2019, Min. 0:58–1:23, Übersetzung von Deutschlandfunk)
Laut Neurobiologin Rebecca Shansky sind aber weibliche Nagetiere für Forschungszwecke genauso gut oder eben schlecht geeignet wie männliche Nagetiere. Da Angst und Depression vor allem bei Frauen auftreten, würde sich hier die Untersuchung an weiblichen Tieren anbieten. Das wird erst seit wenigen Jahren getan laut der aktuellen Überblicksarbeit von Bangasser und Cuarenta. Für solche Versuche werden die Mäuse auf abgegrenzte Flächen oder in Labyrinthe gesetzt. Mäuse halten sich generell ungern auf offenen Flächen auf. Wenn sie Angst haben, sind sie fast nur noch am Rand der Fläche unterwegs. Gibt man den Mäusen ein Medikament, das die Angst reduziert, nimmt diese Tendenz ab.
Hier gibt es aber weitere Probleme, denn die experimentellen Aufgaben, die in den neurobiologischen Studien verwendet werden, sind für männliche Nagetiere entwickelt. Beispielsweise wird ein sogenanntes Elevated Plus Maze verwendet, also ein erhöhtes plusförmiges Labyrinth, in dem die Nagetiere untersucht werden. Dabei wird das Verhalten der männlichen Versuchstiere im Labyrinth durch Angst beeinflusst, während das Verhalten der weiblichen Versuchstiere eher durch ihr Aktivitätsniveau beeinflusst wird. Man kann also die Forschungsergebnisse, die vor allem aus Studien mit männlichen Tieren stammen, nicht ohne Weiteres auf die weiblichen Tiere übertragen. Das ist ein Problem, da Frauen ja sogar noch häufiger von → Angst und → Depression betroffen sind und wir deshalb gerade für sie die Studienergebnisse verwenden wollen.
Die beiden Autorinnen der Überblicksarbeit stellen anhand der wenigen verfügbaren Arbeiten, die sowohl männliche als auch weibliche Versuchstiere untersucht haben, die Unterschiede dar, die für die stärkere Betroffenheit von Frauen relevant sind. Ich möchte hier nur einen beispielhaften Unterschied herausgreifen.
Angst wird bei Mäusen und Ratten über ein bestimmtes Verhaltensmuster erfasst. Die Nagetiere erstarren, sie bewegen sich einfach nicht mehr. Nun stellt sich heraus, dass dieses Verhalten vor allem auf die männlichen Versuchstiere zutrifft. Weibliche Versuchstiere zeigen bei Angst weniger Erstarren, sondern eher kurze schnelle Bewegungen, die aussehen wie Fluchtbewegungen. Weibliche Tiere reagieren folglich anders auf angstauslösende Reize als männliche Tiere.
Es ist also noch viel zu tun, wenn es um die Erforschung der Unterschiede von männlichen und weiblichen Tieren geht. Dies ist wichtig, damit wir nicht nur Männern, sondern auch Frauen, die doppelt so häufig von Angst und Depression betroffen sind wie Männer, besser helfen können. Es ist durchaus möglich, dass sich herausstellen wird, dass Frauen anders behandelt werden müssen als Männer, wenn sie unter einer → Angststörung leiden. Bezüglich der Medikation ist das Problem nicht nur, dass in der Anfangsphase der Medikamentenentwicklung vor allem männliche Nagetiere untersucht werden, sondern auch, dass in späteren Phasen der Medikamentenentwicklung weniger an Frauen getestet wird. Das liegt auch daran, dass Frauen besonders schützenswert sind, denn das zu testende Medikament kann sich auch auf das Baby im Falle einer Schwangerschaft auswirken. Wenn überhaupt, werden oft nur Frauen in solche Studien eingeschlossen, die doppelt verhüten. Frauen, die einen natürlichen Menstruationszyklus haben, werden also überhaupt nicht getestet.
Linktipp | Dieses Video zeigt, wie man Angst bei Mäusen untersuchen kann: https://www.youtube.com/watch?v=gJDV2cp8w9E.
Mehr zum Thema GendermedizinGendermedizin kann man in einem Beitrag von SWR Wissen nachlesen und nachhören: https://www.swr.de/wissen/gendermedizin-klinische-studien-speziell-fuer-frauen-100.html. Bezeichnend ist hier vor allem folgendes Zitat: „Paradoxerweise führt also der gute Wille, besonders gefährdete Personengruppen zu schützen, dazu, dass sie besonders wenig Schutz erfahren: Anstatt innerhalb einer streng reglementierten und überwachten Studie werden den Patientinnen Medikamente sozusagen auf gut Glück verabreicht – ohne dass klar ist, wie diese sich auf ihren Organismus auswirken oder wie sie dosiert werden müssen.“ (Min. 2:15–2:36)