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Die Langlebensphilosophie der Chinesen


Der vergebliche Versuch, aus unedler Materie das edle Metall Gold zu gewinnen, ist nur ein Beispiel für das Streben nach technischem Fortschritt im Westen, das den Werdegang unserer Zivilisation entscheidend geprägt hat. In China war es das Streben nach Unsterblichkeit oder zumindest nach einem recht langen Leben, das eine Fülle kultureller Errungenschaften, darunter die TCM und mit ihr die Diätetik, hervorbrachte. Diese Entwicklung verdankt China dem Taoismus, der seine Erkenntnisse aus der Beobachtung der Natur und aus dem Verstehen kosmischer Zusammenhänge gewinnt.

Eines der Hauptthemen im Taoismus ist die Lehre von den Wandlungen. Sie besagt, dass es im gesamten Kosmos keinen statischen Zustand gibt; alles ist ständig in Bewegung. Wenn uns ein Zustand statisch erscheint, liegt dies lediglich daran, dass der Entstehungs- oder Zerfallsprozess so langsam vonstatten geht, dass wir ihn nicht wahrnehmen können. Wenn wir ein paar Jahre lang einen Stein oder ein Gebirge beobachten, dann erscheinen diese statisch, es gibt keine sichtbare Veränderung. Nach einem viel größeren Zeitraum jedoch könnten wir eine Veränderung deutlich sehen. Die Natur »denkt« hierbei nicht in Jahren, sondern in Jahrmillionen.

Wir Menschen sind ebenfalls einem ständigen Wandlungsprozess unterworfen, und was die Zukunft bringen wird, ist im Grunde genommen ungewiss. Um dieser existentiellen Unsicherheit zu entgehen, haben die Menschen versucht, die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich Veränderungen vollziehen, zu erkennen. Wenn man versteht, wie etwas geschieht, wird es vorhersehbar, kalkulierbar und verliert seinen Schrecken. Die Angst vor dem Ungewissen im menschlichen Dasein ist ein wichtiger Motor, der Philosophien, Religionen, Kultur und technischen Fortschritt hervorbringt.

In China hat die Sehnsucht nach einer Erlösung von den Schrecken des menschlichen Daseins – Unglück, Krankheit und Tod – den Taoismus hervorgebracht. Die Entwicklung von Weisheit und die Erkenntnis vom Ursprung des Seins waren die Ziele der Schüler des taoistischen Meisters Laotse. Viel Zeit musste auf geistige Übungen verwendet werden, um die hohe geistige Reife zu erlangen, die diese Menschen anstrebten. Da sie der Wiedergeburt weniger Bedeutung beimaßen als der Buddhismus, der erst 500 n. Chr. nach China kam, war ihr höchstes Ziel, Unsterblichkeit oder zumindest ein hohes Lebensalter zu erreichen. Alle anderen Bedürfnisse wurden dieser Absicht untergeordnet. Ursprünglich diente das Streben nach einem langen Leben dem übergeordneten Ziel, auf die Erleuchtung hin zu arbeiten. Mit der Zeit allerdings entwickelte die Langlebensphilosophie eine Eigendynamik. Das Eigentliche, die Erleuchtung, trat in den Hintergrund. Das Erlangen eines hohen Alters in Gesundheit war zum Selbstzweck, zu einer fixen Idee der Chinesen geworden.

Unzählige Gesundheitsübungen meditativer und heilgymnastischer Art zeugen von diesen Bemühungen. Tai Qi Chuan ist eine der bekanntesten Methoden. Die anderen therapeutischen Mittel der TCM – die Akupunktur, die Kräuter- und Ernährungstherapie – und insbesondere die Diagnostik wurden von dieser Entwicklung entscheidend geprägt. Die Langlebensidee erzeugte einen hohen Anspruch an die diagnostischen Fähigkeiten der Ärzte mit dem Ziel, das Entstehen krankhafter Prozesse gar nicht erst zuzulassen. Dies ging einher mit einem umfassenden Wissen über die Ursachen von Krankheit.

Der medizinische Erfahrungsschatz wurde innerhalb der Arztfamilien als Geheimwissen bewahrt und vererbt. Diese Tradition, eine Folge der politischen und sozialen Struktur Chinas, diente zwar der Reinhaltung und der korrekten Überlieferung der Lehre, der medizinischen Versorgung des allgemeinen Volkes diente sie jedoch nicht.

Vorbeugen, das oberste Gebot der TCM, erfordert eine große Geschicklichkeit, was die Früherkennung von Funktionsstörungen anbelangt. Noch heute erlaubt die medizinische Diagnostik, Krankheiten oder, besser gesagt, ein Ungleichgewicht zu erkennen, bevor überhaupt ernsthafte Symptome aufgetreten sind. Durch das Betasten des Pulses am Handgelenk an sechs verschiedenen Stellen auf zwei Ebenen lassen sich genaue Aussagen über das Befinden der zwölf Organe und über die Gesamtkonstitution des Menschen machen. Das genaue Betrachten der Zunge – Farbe, Form, Feuchtigkeit und Beweglichkeit, ebenso Farbe und Art des Belages – ist ein weiteres bedeutendes diagnostisches Mittel. Das Bild wird vervollständigt durch das Befragen des Patienten und durch die Gesichts- und Körperdiagnostik. Das ist die praktische Vorgehensweise, die dem Einsatz therapeutischer Ernährungsratschläge zur Vorbeugung oder Behebung einer Erkrankung vorausgeht.

Das frühzeitige Erkennen von krankhaften Veränderungen setzt jedoch noch etwas anderes voraus: eine andere Sichtweise. Der Magen ist nicht erst krank, wenn er weh tut. Bevor Magenschmerzen auftreten, war der Krankheitsprozess bereits im Gang. Bevor es zu einem Herzinfarkt kommt, litt der Betroffene womöglich bereits seit geraumer Zeit unter Beschwerden. Wenn zum Beispiel Schlafstörungen oder innere Unruhe auftreten, dann könnte die Überforderung am Arbeitsplatz oder eine emotionale Belastung der Hintergrund sein. 60 % der deutschen Bevölkerung klagen über Symptome wie Schlafstörungen, innere Unruhe, Übelkeit, Verstopfung, Übergewicht, Müdigkeit, Konzentrationsmangel und andere, sogenannte funktionelle Störungen. Gegen alle diese Probleme gibt es Medikamente. Nach dem eigentlichen Ursprung der Beschwerden fragt bei uns kaum jemand, und der Zusammenhang zwischen einem zunächst banalen Symptom und einer späteren ernsthaften Krankheit wird meist nicht erkannt. Die traditionelle chinesische Diagnostik vollbringt diesbezüglich keine Wunder. Sie fragt lediglich nach dem Ursprung und erkennt die Zusammenhänge. Um diese Zusammenhänge zu verstehen, ist es wichtig, die chinesische Betrachtungsweise des menschlichen Körpers etwas genauer zu untersuchen.

Ernährung nach den Fünf Elementen

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