Читать книгу Ein deutsches Kriegsschiff in der Südsee: Die Reise der Kreuzerkorvette Ariadne in den Jahren 1877-1881 (Bartholomäus von Werner) (Literarische Gedanken Edition) - Bartholomäus von Werner - Страница 5

Kapitel 2. – Von Valparaiso nach Panama und Nicaragua.

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Stiller Ocean, 9. Februar 1878.

Seit heute Mittag liegt auch Valparaiso hinter uns und damit eine ununterbrochene Kette von Festlichkeiten und Vergnügungen, welche uns dort während unsers neuntägigen Aufenthalts geboten wurden. Am letzten Januar hatten wir vormittags im Hafen geankert. Schon mit Tagesanbruch war das hohe, die Bai von Valparaiso umrahmende Bergland zu sehen, welches allerdings im Vergleiche zu den im Hintergrunde liegenden Anden so ziemlich verschwindet, obgleich wir diese nicht einmal in ihrer ganzen Größe und Majestät zu Gesicht bekommen haben, da sowol auf dem 7000 m hohen Aconcagua wie den übrigen Bergriesen während der ganzen Dauer unsers Aufenthalts Wolken lagen, welche die Kuppen und Gipfel dieses mächtigen Gebirgszugs unsern Augen entzogen.

Valparaiso bedeutet bekanntlich „das paradiesische Thal“, eine Benennung, welche schwer zu verstehen ist, da die Stadt weder in einem Thale liegt, noch der kahle Bergrücken, auf welchem sie erbaut ist, den Vergleich mit einem Paradies beanspruchen kann. Allerdings soll in der Regenzeit das ganze Land um die Stadt herum, der ganze Berg bis zu seinem Kamm, von einer dichten Decke frischer saftiger Gräser, Moose und Kräuter überzogen sein, welche die Feuchtigkeit aus der Erde hervorzaubert; jetzt aber war alles kahl und dürr, da Wälder ganz fehlen. Deshalb verdankt der Name seinen Ursprung wahrscheinlich den verschiedenen in der nächsten Umgebung der Stadt gelegenen schönen und fruchtbaren Thälern, wenngleich auch sie eine so überschwengliche Bezeichnung kaum verdienen.

Die Stadt ist am Fuße eines 400 m hohen, steilen Gebirgszuges, welcher, wie schon angeführt, die Bai von Valparaiso umschließt, angelegt und zwar auf Hügelwellen, welche dicht nebeneinander und rechtwinkelig zum Ufer liegend nach oben zu allmählich mit der Hauptwand des Bergrückens verlaufen. Die Stadt kann, wenngleich sie unten am Strande einige schöne breite Straßen und einen großstädtischen Verkehr hat, doch nie den vollen Eindruck einer Großstadt machen, weil die dazu erforderlichen Gebäude fehlen. Denn Valparaiso steht auf einem so unsichern Boden, daß die Regierungsgebäude, Kirchen und Privatpaläste niedrig gehalten und, in der Regel nur aus einem Erdgeschoß bestehend, leicht gebaut sind, um den häufigen Erdbeben besser widerstehen zu können oder beim Einsturz möglichst wenig Schaden anzurichten. Einige stets vorhandene Häusertrümmer und klaffende Risse in einzelnen Straßen zeigen, daß eigentlich ununterbrochen solch kleinere Katastrophen eintreten. Die Menschen sind sich der sie stets bedrohenden Gefahr auch wohl bewußt, gehen allabendlich nur mit Sorge zu Bett, weil sie nicht wissen, was die Nacht ihnen bringen wird. Wie der Soldat sich im Felde, ehe er zur Ruhe geht, stets versichert, daß seine Waffe in Ordnung und ihm zur Hand ist, so geht in Valparaiso niemand zu Bett, ohne sich vorher sein eigens für den Zweck angefertigtes Erdbebengewand, in welches er nur hineinzuschlüpfen braucht, an seinem Lager zurechtgelegt zu haben, um bei dem ersten Alarm gleich auf den vor dem Schlafzimmer liegenden freien Hof eilen zu können. Diese Umstände machen die Wohnungsverhältnisse trotz der leichten Bauart der Häuser äußerst kostspielig, weil die vielen reichen Leute sich in der Zahl ihrer Wohnräume nicht beschränken wollen und daher sehr viel Baugrund für ihre Häuser beanspruchen. Oft ist ein solches Wohnhaus ein kleines Stadtviertel für sich, und selten liegen mehr als vier Häuser, je von einer Familie bewohnt, in einem von vier Straßen begrenzten Viertel.

Solche Wohnungen haben nun zwar den großen Vortheil, daß man innerhalb seines Hauses keine Treppen zu steigen braucht, derselbe wird aber dadurch aufgehoben, daß man bei dem Verkehr mit der Stadt fast immer treppauf und treppab muß. Die untern am Strande gelegenen Straßen haben allerdings gute Pferdebahn und auch eine Ringeisenbahn für den innern Personenverkehr; da aber in diesen Straßen vorzugsweise nur öffentliche Gebäude und Geschäftshäuser stehen und die Privatwohnungen höher hinauf auf den Hügelwellen liegen, so kann man die Bahnen wol benutzen, um zu dem Fuß der verschiedenen Hügel zu gelangen, muß aber von der Bahn bis zur Wohnung, oder umgekehrt, Straßen passiren, die so steil sind, daß sie vielfach in Treppen umgewandelt wurden, weil sie sonst überhaupt nicht begangen werden könnten.

Einen durchaus großartigen Anblick bietet dagegen der Verkehr auf dem Hafen, da Valparaiso wol mit zu den bedeutendsten Handelsplätzen der Erde gerechnet werden muß. Die großen einheimischen und fremden Kriegsschiffe, die vielen fast täglich hier ankommenden und abgehenden Passagier- und Fracht-Dampfer, die große Zahl der Segelschiffe, welche noch immer den Weg um das gefürchtete Cap Horn nehmen müssen und daher nur aus großen und guten Schiffen bestehen, die vielen an der Landungsbrücke sich drängenden Boote, der durch die dort versammelten Menschen verursachte Lärm, die vorbeipassirenden Pferdebahnwagen und Eisenbahnzüge geben hier das Bild des Getriebes einer Weltstadt.

Von der Stadt und ihren Bewohnern weiß ich sonst nichts zu erzählen, weil ich von beiden zu wenig gesehen habe. Dienstgeschäfte am Tage und die nicht zu umgehende Geselligkeit an den Abenden nahmen meine Zeit ganz in Anspruch. Reizend waren die kleinen Feste in dem gastfreien Hause unsers Generalconsuls, welches den geselligen Mittelpunkt für die deutschen Familien bildet.

Eine Partie nach einem beliebten Ausflugsort, zu welcher unser Generalconsul mich eingeladen hatte, führte uns in die Ebene, welche zwischen dem Höhenzug an der Küste und dem Fuß der Anden liegt. Erst hat man etwa eine Stunde mit der Eisenbahn zu fahren und dann noch ein größeres Stück Weg zu Pferde oder Wagen zurückzulegen. Ein sehr geräumiges gutes Gasthaus mit schönen Gartenanlagen bietet vielen Fremden Unterkunft, und zur Zeit war das Haus gut besucht. Den Hauptanziehungspunkt bildet wol die Bade- und Schwimmanstalt in dem kleinen Flusse, denn da Valparaiso nur See- und keine Frischwasserbäder hat, der Mensch aber immer dasjenige begehrt, was er nicht täglich haben kann, so geht jeder, der es ermöglichen kann, auf einige Zeit hierher um zu baden.

Als eine Eigenthümlichkeit der Landschaft außerhalb der Stadt möchte ich noch die vielen Pappelpflanzungen bezeichnen. Der Baum, welcher bei uns in Acht und Bann gethan ist, gilt hier als eine gute Kapitalanlage und wird daher mit Vorliebe in ganzen Wäldern angepflanzt.

Es war eine schöne, Körper und Geist erfrischende Zeit, die der letzten vier Wochen, da wir auch in Valparaiso nur eine Temperatur fanden, welche unserm deutschen Sommer entspricht, am Tage in den heißesten Stunden zwischen 18 und 27° C. im Schatten und nachts stets nur zwischen 15 und 17°. In zwei bis drei Tagen allerdings werden wir uns wieder in den Tropen und zwar in dem tropischen Hochsommer befinden, welcher an dieser Küste unleidlich heiß ist, sodaß die inzwischen gewonnenen Kräfte bald wieder dahingeschwunden sein werden.

Vor unserer Abreise von Valparaiso hatten wir übrigens noch die Freude, unsere Fregatte „Leipzig“, welche ebenso wie wir nach Panama geht, zu begrüßen.

Bai von Panama, 7. März 1878.

Das ganze Südamerika haben wir nun umschifft. Eine weite, von bewaldeten Höhen umrahmte Wasserfläche liegt vor uns; heiß brennt die Sonne auf die große Bai von Panama, welche, wie fast immer so auch heute, unter vollständiger Windstille liegt. Die Hitze ist kaum zu ertragen und doch muß dies geschehen; es ist unbeschreiblich, was wir in den letzten vierzehn Tagen in dieser Beziehung auszustehen hatten. Am 14. Februar traten wir mit einer Tageswärme von 27°-29° und einer Nachttemperatur nicht unter 23° wieder in die Tropen ein und hatten, was das unangenehmste war, anhaltend Windstille oder nur ganz leichten südlichen Wind, welchem wir unter Dampf wegliefen, sodaß kein Lufthauch das Schiff durchstreichen konnte. Eine kleine Erfrischung fanden wir allerdings in Callao, welches wir anliefen, um frischen Proviant einzunehmen. Am 18. März nachmittags kamen wir dort an, setzten aber schon am 21. morgens die Reise wieder fort. Die kurze Zeit habe ich benutzt, um unserm Consul in Callao und dem Ministerresidenten in Lima Besuche abzustatten. Da der letztere eben in seine Villa in Miraflores am Meeresstrand übersiedelte, habe ich von Lima nur wenig gesehen.

Eine wunderbare Frucht, von den Engländern „Alligator-Birne“ genannt, von welcher ich schon viel gehört und die ich auch schon in Valparaiso gegessen hatte, lernte ich hier recht schätzen. Nachdem man mit einem Löffel das weiche gelbe Fleisch aus der kürbisartigen Hülle herausgeschält und stark mit Pfeffer und Salz gewürzt hat, erinnert der Geschmack sehr an gequirlte, ebenfalls mit Pfeffer und Salz gewürzte rohe Eier. Ich zog diese Früchte bald allen andern hiesigen vor und bedauerte nur, daß sie sich nicht lange genug halten, um in größern Mengen mitgenommen werden zu können.

Die auf Callao folgenden Tage brachten uns das schlimmste an tropischer Hitze, was ich je erlebt habe. Der gefürchtete trockene heiße Nordwestwind an der brasilianischen Küste, welcher das Thermometer auf 34° treibt, ist weniger angreifend als die feuchte Wärme, in welcher wir uns vom 23. Februar bis zum 2. März befunden haben. In der Luft hatten wir während der Tagesstunden durchschnittlich 33° und während der Nacht nicht unter 27°, während das Thermometer die Meereswärme Tag und Nacht dauernd zu 31° angab. Schweres bleiernes Gewölk, das nach meiner Schätzung höchstens 200 m über dem Wasserspiegel lag, hing als feste Decke, welche keinen Sonnenstrahl durchließ, über uns und verhinderte auch eine stärkere Abkühlung während der Nächte. Die Luft war so mit Feuchtigkeit gesättigt, daß der unaufhörlich aus unsern Poren strömende Schweiß nicht verdunsten konnte, sodaß Haut und Kleidungsstücke während der ganzen Zeit triefend naß blieben. Der erträglichste Platz war eigentlich im Heizraum vor den Feuern. War die Hitze dort auch sehr viel größer als oben, so bewirkte das Feuer doch eine Verdunstung und erfrischte in gewisser Beziehung den Körper, und diesem Umstand schreibe ich es zu, daß die Heizer in diesen Tagen nicht mehr und sogar vielleicht weniger litten als die übrige Besatzung. Ich ließ den Leuten in dieser Zeit in Betreff ihrer Kleidung volle Freiheit, da ich ihnen keine andere Erleichterung verschaffen konnte, denn die Dampfspritzen konnten auch keine Erfrischung mehr gewähren. Das 31° warme Wasser floß in der warmen Dunstatmosphäre über den Körper hin, ohne irgendeine erfrischende Wirkung auf die Haut auszuüben, und der Salzgehalt desselben reizte nur den Rothen Hund, welchen wir alle hatten, bis zur Unerträglichkeit. Ich trug in meiner Kajüte bei offenen Thüren und Fenstern auch nur ein Handtuch um die Hüften geschlungen, weil ich kein Kleidungsstück auf dem Körper vertragen konnte. Auch nicht einmal der ab und zu leicht niederrieselnde Regen brachte uns Erfrischung, weil die auf den Körper fallenden Tropfen, deren Wärmegrad ich leider nicht gemessen habe, im Vergleich zu der sonstigen Hitze so kalt erschienen, daß sie auf der gereizten Haut die Wirkung von leichten Peitschenschlägen hatten. Ich habe es wiederholt versucht, ein solches Regenbad zu nehmen, mußte mich aber immer sogleich wieder zurückziehen, weil der Schmerz auf der Haut zu groß war.

Am ersten Tage dieser fürchterlichen Zeit hatte ich auch noch einige Offiziere, welche ich schon vorher geladen hatte, zu Tisch. Ich wollte den Herren anfänglich absagen lassen, bedachte aber doch noch, daß es in ihrer Messe noch schlimmer sei als in meiner an und für sich luftigen Kajüte, und sodann hatte mein Eisschrank für den Tag auch noch so viel Vorrath an Eis, daß ich wenigstens kalte Getränke anbieten konnte. Doch bat ich die Herren, ehe wir uns zu Tisch setzten, um die Erlaubniß, uns aller überflüssigen Kleidungsstücke entledigen zu dürfen, welchem Vorschlag sie freudig zustimmten. So ging es mit Hülfe von Fächern einigermaßen.

7. März abends.

Bei unserer um 4 Uhr nachmittags erfolgten Ankunft fanden wir schon unsere von Japan gekommene Fregatte „Elisabeth“ hier vor. Der Commandant dieses Schiffes wird den Oberbefehl über ein hier zusammentretendes deutsches Geschwader, zu welchem auch wir gehören, übernehmen, um von dem Freistaat Nicaragua eine Genugthuung für die dem deutschen Consul in der Stadt Leon vor einiger Zeit zugefügte Gewaltthat zu erzwingen, da Nicaragua die Gewährung der von unserer Regierung geforderten Genugthuung verweigert hat. Außer „Elisabeth“ und uns wird noch die „Leipzig“ hier erwartet, während unsere Corvetten „Freya“ und „Medusa“, von denen die letztere auch schon in Colon anwesend ist, von der atlantischen Seite aus gegen Nicaragua operiren sollen. Da nun der Zweck unsers Hierseins schon am Lande bekannt ist oder doch soweit vermuthet wird, daß unserm Geschwaderchef bereits die Warnung vor einigen Abenteurern, welche im Auftrage Nicaraguas unsere Schiffe hier mit Torpedos angreifen sollen, zugehen konnte, so ist die Geheimhaltung unserer eigentlichen Mission nicht mehr geboten, zumal wir uns jetzt schon zur Abwehr eines etwaigen feindlichen Handstreichs in Kriegszustand befinden.

12. März.

Das Geschwader ist nach erfolgter Ankunft der „Leipzig“ beisammen. Kohlen und Proviant sind eingenommen, ein Dampfer mit Kohlen und Proviantvorräthen ist gemiethet und alle militärischen Vorbereitungen sind beendet, sodaß wir gleich nach Ankunft unsers Ministerresidenten aus Guatemala, welcher von dort aus noch den letzten Versuch macht, die Streitfrage auf diplomatischem Wege zu lösen, vorgehen können.

Unter den obwaltenden Umständen haben wir von dem hiesigen Aufenthalt wenig oder nichts gehabt, aber auch nichts verloren. Bei einem Gang durch die Stadt sieht man wol alles, was zu sehen ist. Die Stadt, welche zur Zeit der spanischen Herrschaft blühend, mächtig und reich war, wie noch die imposanten Straßen mit den übriggebliebenen palastartigen Gebäuden zeigen, glänzt jetzt nur noch durch großartige Ruinen. Die einheimische Bevölkerung besteht aus alten spanischen Familien, Mischlingen und Negern; dazu kommen die wenigen Fremden, von welchen die Engländer (die Besitzer der großartigen Kohlenlager, die Directoren der Eisenbahn und Agenten der Dampfschifflinien) wol die erste Stelle einnehmen. Unser Consul und der Photograph, ein früherer bairischer Unteroffizier, sind die einzigen Deutschen; das Gasthaus ist in französischen Händen.

Sollte Nicaragua nicht doch noch im letzten Augenblicke nachgeben, dann sehe ich übrigens mit einiger Sorge der Entwickelung der Dinge entgegen, weil es mir sehr fraglich erscheint, ob unsere Leute wegen ihrer ungeeigneten Fußbekleidung im Stande sein werden, den weiten Marsch nach der Hauptstadt von Nicaragua zu machen, wenn sie nicht etwa schließlich den Weg barfüßig zurücklegen können. Die uns zugegangenen Warnungen vor Giftschlangen und Sandflöhen und die damit verbundenen Rathschläge haben zur Folge gehabt, daß für den Marsch das Tragen hoher Stiefeln angeordnet wurde. Da nun aber unsere Leute gewohnt sind, auf dem Schiff barfuß zu gehen, und die Stiefel, wie alles Lederzeug auf den Schiffen, so von Salzwasser durchzogen sind, daß sie trotz aller Bemühungen hart bleiben, so ist ein weiter Marsch in ihnen, und zwar in diesem Klima, meiner Ansicht nach ein Ding der Unmöglichkeit. Mein Vorschlag, Segeltuchschuhe zu beschaffen oder doch wenigstens die leichten Lederschuhe zu wählen, ist zurückgewiesen worden, und so müssen die Leute, um sich an die Stiefel zu gewöhnen, dieselben jetzt schon über eingefetteten Füßen und wollenen Strümpfen tragen. Ein gegen die Natur laufender ärztlicher Rath ist aber auch nicht immer der beste, und das vorläufige Resultat ist, daß nach dreitägiger Probe nahezu ein Viertel des ganzen Landungscorps mit kranken Füßen im Lazareth liegt. Ich sollte meinen, daß man von den hiesigen einheimischen Truppen auch etwas lernen kann, und da diese Leute, bei möglichst leichter Bekleidung, nur Sandalen unter den Füßen tragen, so kann die Gefahr vor den Schlangen und Flöhen keine so große sein, zumal wenn eine Truppe von nahezu 1000 Mann zusammen ist. Schließlich würden aber auch Segeltuchgamaschen die Flöhe abhalten, und die Schlangen werden schwerlich ein so großes Lager, wie wir es während der Nacht bilden würden, aufsuchen.

16. März.

Vorgestern haben wir mit dem Geschwader Panama verlassen und dampfen seitdem mit Nordcurs in Sicht des Landes an der Küste von Centralamerika entlang. Gestern haben wir die Grenze zwischen Columbien und Costa-Rica passirt, morgen werden wir die Küste von Nicaragua sehen.

Welch märchenhafte Erinnerungen aus der Jugend tauchen bei diesen Namen auf und wie prosaisch ist doch die Gegenwart! Großartig zwar ist die Umgebung, die von der hoch oben im Zenith stehenden Sonne beschienene weite Meeresfläche und das mit unendlichen Wäldern dicht bedeckte hohe gebirgige Land; aber Land und Wasser sind ohne Leben und ohne besondern Reiz. 32° haben wir in der Luft und 31° im Wasser; keine Stadt, kein Dorf, keine Hütte ist zu sehen, nur Wald, Strand und Brandung. Kein fremdes Schiff ist in Sicht — die diese Länder begrenzenden Fluten werden nur von den drei mächtigen deutschen Kriegsmaschinen durchfurcht, welche in eiligem Laufe dem Haupthafen Nicaraguas zustreben, um dieses Land mit Schrecken zu überziehen. Uebermorgen, Montag den 18., sollen wir auf der Rhede von Realejo eintreffen, die nächsten vier Tage werden also die Entwickelung bringen.

8. April.

Nicaragua hat nachgegeben, das Geschwader ist aufgelöst und unsere Schiffe haben ihren Curs nach den verschiedensten Himmelsrichtungen gesetzt. Von den im Atlantischen Ocean befindlichen bleibt „Medusa“ noch in Westindien, während „Freya“ um das Cap der Guten Hoffnung nach China geht; wir sind auf dem Wege nach Panama, um die Geschwaderpost dort abzugeben und dann nach den Samoa-Inseln zu gehen. Die „Leipzig“ hat die Reise nach Japan angetreten, und die „Elisabeth“ wird nach einem kurzen Aufenthalt in Guatemala, wohin sie den Ministerresidenten bringt, nach Europa zurückkehren.

Am 18. März vormittags kam das Geschwader auf der Rhede von Realejo an und lief, nachdem die Einfahrt zum Hafen von Corinto und der Hafen selbst daraufhin untersucht waren, daß sich keine künstlichen unterseeischen Hindernisse und Minen dort befanden, am 19. vormittags in den Hafen ein. Derselbe ist groß und gut, während der Ort nur unbedeutend ist und eigentlich nur eine Zollstation darstellt. Zwei deutsche Kauffahrer befanden sich dort, welche edle Nutzhölzer, vorläufig noch der Hauptausfuhrartikel, luden.

Es wurden der Regierung von Nicaragua sogleich noch einmal, und zwar jetzt mit dem Nachdruck von fünf Kriegsschiffen, die deutschen Forderungen zugestellt, welche in Folgendem bestanden:

1. Die Regierung von Nicaragua spricht ihr Bedauern über den Vorfall aus;

2. Nicaragua zahlt an den Consul für die ihm widerfahrenen Unbilden ein Sühnegeld von 30000 Dollars;

3. Nicaragua salutirt in noch näher festzusetzender Form die deutsche Flagge;

4. die an dem Vorfall schuldigen Beamten und Civilpersonen werden bestraft.

Wenn bisher der Freistaat die deutschen Forderungen in der überhebendsten Weise zurückgewiesen hatte und die uns anfänglich zugehenden Nachrichten auch anzudeuten schienen, daß Regierung und Volk entschlossen seien, es zum Kampf kommen zu lassen, weil sie vertrauensvoll auf leichten Sieg hofften, so änderte sich die Lage doch sehr bald. Nachdem nach drei Tagen keine Antwort eingegangen war, überbrachte ein Offizier von uns das deutsche Ultimatum nach Leon und alle Vorbereitungen für die Eröffnung der Feindseligkeiten wurden getroffen. Hierzu gehörte auch die Recognoscirung des in Aussicht genommenen Marschweges, welche der Geschwaderchef mit uns Commandanten vornahm. Wir fuhren morgens, von einer Dampfpinasse geschleppt, zunächst einen Fluß hinauf, bis wir ziemlich weit oben mitten im Urwald an die Landestelle kamen, wo der Weg seinen Anfang nimmt. Anfänglich ist der Fluß, oder hier wol richtiger Meeresarm genannt, ziemlich breit, an beiden Ufern mit dichtem Mangrovegebüsch bestanden, über welches die mächtigen Laubkronen der Baumriesen des Urwaldes hervorragen. Taucher und Möven beleben das Wasser, Scharen krächzender Papagaien, von denen ab und zu ein Geschwader mit lautem Geschrei über unsern Köpfen von Ufer zu Ufer fliegt, den Wald. Zwischen den Wurzeln der Mangroven nach Würmern suchende Schnepfen und in kleinen Einbuchtungen fischende Reiher, sowie andere uns unbekannte hochbeinige große weiße Vögel werden aufgescheucht und suchen fliegend das Weite. Ein üppiges, echt tropisches Bild umgibt uns. Der Fluß wird enger, niedrige Sträucher, Wasser- und Schlingpflanzen treten an Stelle der Mangroven und zeigen an, daß wir die Scheide, bis zu welcher das Seewasser vordringt, überschritten haben. Die Laubkronen rücken zusammen und bilden schließlich einen hohen, prächtigen, grünen Dom, unter dessen Decke wir hinfahren, begleitet von dem Leben des Waldes, zu welchem sich hier ab und zu auch schon ein kleiner vorwitziger Affe gesellt.

Endlich sind wir am Ziele angelangt und betreten das Ufer. Die beiden andern Herren, von welchen der eine bis zu den Knien reichende Ledergamaschen, der andere hohe Wasserstiefel trägt, betrachten mitleidig meine leichten Segeltuchschuhe und freuen sich auf den Augenblick, wo ich, von Insekten zerstochen und vielleicht auch von einer Schlange gebissen, zugeben muß, daß nichts über hohe Lederstiefel geht.

Der Weg ist breit und gut, der Spaziergang in dem herrlichen Urwald köstlich und einzig in seiner Art. Nach einer halben Stunde stießen wir auf eine kleine Lichtung, wo wir eine kurze Rast machten und danach den Rückweg antraten, weil die Straße sich bis hierher als brauchbar erwiesen hatte und nach zuverlässigen Nachrichten der Weg in seiner ganzen Folge von gleicher Güte ist. Aus der Rast wurde allerdings nicht viel, weil die beiden andern Herren leidenschaftliche Jäger sind und die mitgenommenen Jagdgewehre doch benutzen wollten. So verschwand unser Commodore sehr bald im Walde, während der andere Herr von der Lichtung aus einen Papagai nach dem andern aus den hohen Bäumen herunterholte und nur gelegentlich zu mir kam, um etwas mit zu frühstücken. Ich hatte es mir auf einem umgestürzten Baum bequem gemacht und verfolgte von hier aus bei dem Duft einer guten Cigarre die Jagderfolge meines Freundes. Unser Commodore brachte uns schon in einige Unruhe, weil wir fürchteten, daß er sich verirrt habe, doch schließlich kam er auch wieder zurück mit zerrissenen Kleidern und verschiedenen kleinen blutenden Rißwunden. Er hatte eine Tigerkatze angeschossen und sie dann vergeblich in das Dickicht verfolgt.

Zum Boot zurückgekehrt, nahm ich noch im Fluß ein Bad, weil der Staub auf dem trockenen Wege doch ziemlich lästig gewesen war, und dies wurde von den beiden andern Herren dazu benutzt, ihr Müthchen an mir zu kühlen, da ich trotz meiner leichten Schuhe weder gestochen noch gebissen worden war. Sie suchten nun wenigstens die Nothwendigkeit des Bades auf meine Schuhe zurückzuführen und gingen dann dazu über, mir mit Krokodilen Angst zu machen, was mich allerdings bald veranlaßte, zu allgemeiner Heiterkeit das Baden aufzugeben. Denn wenn man auch an der afrikanischen Küste behauptet, daß der Haifisch keinen Neger und das Krokodil keinen Weißen angreift, so bleibt es doch fraglich, ob die Krokodile auch hier einen so ausgebildeten Geschmack haben. Nachmittags waren wir wieder in Corinto.

Das Ultimatum brachte die Regierung von Nicaragua zur Besinnung und zur Nachgiebigkeit. Am 26. vormittags waren zwar erst die Forderungen 1 und 2 erfüllt, und das in guten mexicanischen Silberdollars richtig eingezahlte Geld wurde zunächst in unsern Kassen deponirt, die Erfüllung der beiden andern Forderungen, wegen welcher noch Schwierigkeiten gemacht wurden, durfte danach aber auch zuversichtlich erwartet werden. Der sprichwörtliche Stolz des Spaniers bäumte sich eben noch etwas auf. So konnte mein Schiff am 27. für einige Tage nach Amapala, dem einzigen Hafen der Republik Honduras an der Küste des Stillen Oceans, geschickt werden, um dort lagernde von uns gekaufte Kohlen einzunehmen.

Interessant war es mir, auch diesen reizlosen Platz kennen zu lernen, aber nur um dagewesen zu sein. Amapala ist ein kleiner Ort, wo als einziger Europäer nur ein Deutscher, ein Kaufmann aus Hamburg, wohnt, welcher nicht einmal unter den Einheimischen einen passenden Umgang finden kann und in dieser Beziehung allein auf die hier anlaufenden englischen Passagierdampfer angewiesen ist, mit welchen er als englischer Viceconsul auch geschäftliche Beziehungen hat. Sogar die nähere Umgebung Amapalas bildet noch eine solche Wildniß, daß auch Spaziergänge außerhalb der Stadt, wie dieser kleine Häusercomplex sich nennt, ausgeschlossen sind. Verhältnißmäßig großartig ist die am Ufer erbaute hölzerne Halle, wo die von andern Küstenpunkten kommenden Boote anlegen und ihre Früchte u. s. w. zum Verkauf stellen. Der Beobachtung werth ist hierbei die Grandezza, mit welcher sich die braunen Insassen der Boote bewegen und wie sie in ihrem Wesen das bischen „spanisches Blut“, welches vielleicht in ihren Adern rollt, zur Geltung bringen wollen. So war namentlich das Landen mit besonderer Würde verbunden, denn da die Boote wegen des zu flachen Wassers am Ufer nicht direct am Quai anlegen können, ließen sich die weiblichen Insassen von den Männern ans Land tragen. Diese bildeten dazu aus ihren Armen in der Weise einen Sessel, daß der rechte wagerecht gehaltene Unterarm als Sitz und der linke Arm als Rückenlehne diente. Mit einer Verbeugung trat der im Wasser stehende Mann zu der im Boot stehenden Dame, welche mit Würde ihr Kleid ordnete, sich vorsichtig und zimperlich auf den einen Arm setzte, sich gegen den andern lehnte und sich so, ohne den Träger zu umfassen, wie eine Glaspuppe vorsichtig ans Land tragen und dort absetzen ließ.


Kreuzerfregatte „Leipzig“

Am 31. nachmittags waren wir wieder in Corinto, und am 4. April erklärte endlich Nicaragua, auch die Forderungen 3 und 4 erfüllen zu wollen. Am 6. vormittags fand dann, nachdem vorher die erfolgte Erledigung der Forderung 4 angezeigt worden war, im Beisein einer nicaraguensischen Truppenmacht und unsers Landungscorps auf einem großen Platz am Lande angesichts unserer Schiffe die feierliche Hissung der deutschen Flagge statt. Nicaragua feuerte den Salut von 21 Schüssen, die Flagge wurde wieder niedergeholt, von unserer Seite wurde die Flagge von Nicaragua salutirt, der Salut vom Lande erwidert, und nach einem Vorbeimarsch unserer Truppen kehrten wir auf unsere Schiffe zurück, um am 7. morgens Corinto wieder zu verlassen.

Erwähnt sei noch, daß der beleidigte Consul die Annahme des Sühnegeldes abgelehnt und dasselbe einer Wohlthätigkeitsanstalt geschenkt hat.

Ein deutsches Kriegsschiff in der Südsee: Die Reise der Kreuzerkorvette Ariadne in den Jahren 1877-1881 (Bartholomäus von Werner) (Literarische Gedanken Edition)

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