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Der Wunsch

Den ganzen Nachmittag saß Marlene schon in ihrem Sessel und feilte am WUNSCH.

Übermorgen war Weihnachtsfeier in ihrem Wohnbereich und es war Tradition, dass jeder Heimbewohner und auch das Pflegepersonal einen Wunsch an den Weihnachtsbaum hängte.

Der Wunsch sollte bevorzugt nichtmateriell sein und von positiver Kraft. Wünsche wie „Besseres Essen“ oder „Mehr Pfleger mit besserer Laune“ waren weniger erwünscht als Wünsche wie „Eine Welt ohne Hunger“ oder „Dass sich alle lieb haben“.

Marlene war vor kurzem hundert geworden, sie würde auf dieser Weihnachtsfeier ausreichend Beachtung finden und sicherlich würde man ihr auch Gelegenheit geben, ihren Wunsch vorzulesen. Und nun wollte ihr partout nichts Gescheites einfallen, zu dumm.

Noch einmal 16 sein? Ach ja. Damals...sie seufzte. Kein schlechter Wunsch, er würde bestimmt zur allgemeinen Heiterkeit beitragen.

Dass der nette Pfleger Jan, der einzige, der immer verstand, was sie wollte, nur für sie da wäre? Guter Wunsch, aber unrealistisch.

Dass ihre Familie sich mehr Zeit für sie nähme? Guter Wunsch, aber nicht besonders originell. Hing sicher schon zwanzig Mal am Baum .

Heinz vergessen? Guter Wunsch, aber er ging eigentlich die anderen nichts an. Zu lange her, wann hatten sie sich das letzte Mal gesehen? Vor fünfzig Jahren? Warum hatte sie es nie geschafft, sich noch einmal bei ihm zu melden?

Dass der Tod gut zu ihr sein würde? Sie hielt diesen Wunsch für wichtig, aber sie war sich nicht sicher, ob er für diese Weihnachtsfeier geeignet war.

Mal wieder ins Kino und einen anständigen Stummfilm sehen? Ha, der war nicht schlecht. Was ihr ja manchmal so auf den Geist ging, war der vorgeblich interessierte, in Wahrheit aber doch zu auffällig bemühte Blick des Pflegepersonals, wenn sie anfing, von ihren zwar kleinen, aber aufregenden Rollen in diversen Stummfilmen zu berichten.

Der einzige, bei dem sie das Gefühl hatte, dass er am liebsten sofort mit ihr in die Vergangenheit reisen würde, war eben Pfleger Jan, aber der hatte ja leider immer so wenig Zeit.

Es hatten hier alle immer so wenig Zeit.

Was für Zeiten!

Marlene seufzte.

So wurde das nichts mit dem Wunsch.

Sie musste aber unbedingt sich etwas einfallen lassen, denn leider war sie ja nicht die einzige Hundertjährige im Wohnbereich.

Die Neue, Frau Schönfließ, genauer gesagt Frau Gerdi („ich bin die Gertrud, aber ihr könnt mich alle Gerdi nennen“), war ja auch seit einer Woche Mitglied im Club. Und so wie die auf Anerkennung aus war, würde sie bestimmt den besten Wunsch aus dem Wohnbereich aus dem Hut zaubern und somit Marlene alt aussehen lassen. Frau Gerdi lebte noch nicht lange im Seniorenheim „Zur rosigen Aussicht“ und Marlene wäre es lieber gewesen, sie wäre dort nie eingezogen. Diese Mischung aus Hochnäsigkeit und betont unschuldiger Hilflosigkeit konnte Marlene zum Rasen bringen, wenn sie Frau Gerdi nur ansah.

Frau Gerdi war immer sooo gut gelaunt und war bei allem, was im Heim angeboten wurde, hoch motiviert, strebsam und immer auf ein dickes Lob des Personals bedacht und genau das fand Marlene unerträglich.

Wer wollte unbedingt zum Kegeln in den Gemeinschaftsraum? Frau Gerdi.

Wer tanzte in der Modenschau mit den heimeigenen Models in der ersten Reihe? Frau Gerdi.

Wer saß immer bis zur Unkenntlichkeit geschminkt im Foyer, sodass ein jeder sie auch ja sah? Frau Gerdi.

Wer aß immer brav die gesamte Pampe mittags auf? Frau Gerdi.

Wer verwickelte stundenlang den Pfleger Jan in unsinnige Gespräche und umklammerte dabei fest seine Hand? Frau Gerdi.

Wer rutschte dramatisch vor Pfleger Jans Augen aus dem Rollstuhl und stellte sich dann extra unbeholfen an, wenn er ihr wieder hoch half? Natürlich Frau Gerdi.

Je mehr Marlene über Frau Gerdi nachdachte, desto mehr schien es ihr, dass früher alles besser war.

Früher, als Frau Gerdi noch nicht da war.

Und, plötzlich, hatte Marlene eine Eingebung.

Sie nahm ihr Wunschkärtchen und schrieb: „Frau Gerdi soll gehen.“

„Aber, aber, liebe Marlene“ sagte Jan freundlich mahnend. „Versuchen Sie doch mal, einen Wunsch mit etwas mehr positiver Kraft zu finden. Wir haben doch Weihnachten!“

Marlene schluckte etwas betroffen, denn sie fühlte sich getadelt, ausgerechnet von ihrem Lieblingspfleger. Und doch schickte sie sich an, ihrem Herzenswunsch noch etwas hinzuzufügen. „Frau Gerdi soll IN FRIEDEN gehen.“

Der stille Vorwurf in Jans Augen sagte ihr, dass er über ihren Wunsch noch nicht so recht glücklich war.

Das Leben ist eben kein Wunschkonzert, dachte sie, innerlich seufzend.

Aber Jan zu enttäuschen, würde sie nicht übers Herz bringen. Für sein Lächeln würde sie Opfer bringen müssen.

Und so nahm sie ihren Stift und strich die Worte „Frau Gerdi“, „soll“, „in“ und „gehen“.

***

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