Читать книгу Ab in die Rakete - Beate Dolling - Страница 12
KAPITEL 5, in dem Luis technische Probleme löst
und es nachts poltern hört
ОглавлениеLuis befindet sich im Nasenkonus der Rakete. Es ruckelt und schuckelt. Unter ihm spuckt das erste Triebwerk einen Feuerstrahl aus und erzeugt einen gewaltigen Schub nach oben. Er wird in die Lehne gepresst. Dann ruckelt es noch einmal und sein Spaceship bleibt stehen. Nanu? Luis drückt auf die Fernbedienung. Sie reagiert nicht mehr. Mist! Die Batterien sind leer, der Space-Sessel lässt sich nicht mehr bewegen. Erst jetzt bemerkt Luis, dass es beinahe dunkel ist im Zimmer, nur der Schein einer Laterne draußen vor seinem Fenster erhellt einen Teil der Zimmerdecke. Aus der Ferne der Ruf eines Käuzchens. Oder ist es der Schrei eines Untoten? Mit einem Senkrechtsatz springt Luis auf und sucht nach einem Lichtschalter. Aus dem Augenwinkel sieht er bereits, wie ein Krakenwesen lange Arme nach ihm ausstreckt. Er haut auf den Schalter. Der Krake entpuppt sich bei Licht als eine Deckenlampe mit langen Holzarmen. Unter so einem Teil kann er unmöglich schlafen! Luis versucht, das wuchtige Holzbett weiter an die Wand zu schieben, aber es knarrt nur, als würde es ihn auslachen. Sein Herz rast. Es nützt ihm gerade gar nichts, klug, gewieft und mutig zu sein. Er fährt herum, hat ihm da nicht gerade jemand mit fauligen Fingern auf die Schulter getippt? Mit einem Satz ist er an der Tür und reißt sie auf.
»Julia?«, ruft er in den Flur und kneift die Augen zusammen. Auf dem gleißend hell beleuchteten Gang ist niemand, im Schwesternzimmer auch nicht, nur die Tür von dieser komischen Kammer steht halb offen, klaffend, wie ein dunkles Maul.
»Julia?«
Plötzlich hört er ein Knatschen. Gummi auf Linoleum. Crocs im Anmarsch, die Rettung! Er atmet auf. Mariola biegt um die Ecke. Was trägt sie da vor sich her? Eine Bratpfanne?
»Hey, Luis, was machst du denn hier?«
Luis kann gar nicht so schnell antworten. Er war ja gerade noch im All, ist nur knapp Kraken und Zombies entkommen und nun auf dieser Kommandostation gelandet, wo es blaue Kittelwesen mit quietschenden Schuhen gibt.
»Meine Batterien sind leer«, sagt er.
»Was denn für Batterien?«, fragt Mariola und geht mit der Pfanne in die Kammer und macht Licht an. Luis kommt ein beißender Geruch entgegen. Er bleibt in der Tür stehen.
»Von der Fernbedienung für den Sessel«, sagt er und guckt mit einem Sicherheitsabstand zu, wie Mariola eine Klappe in einem Metallschrank aufzieht, die Pfanne reinschiebt und die Klappe wieder zumacht. Dann drückt sie einen Knopf und es rumort in der Maschine wie in einem Geschirrspüler. Ist aber keiner, das ist bei dem Geruch schon klar. Und das war auch keine Bratpfanne, sondern eine Bettpfanne, die einem unter den Hintern geschoben wird, wenn man nicht selber aufs Klo gehen kann. So eine hatte Luca auch, als er sich beim Fußballspielen das Schienbein gebrochen hatte und im Krankenhaus war. Da durfte er tagelang nur auf dem Rücken liegen mit hochgelagertem Bein, aus dem ein Metallgestell ragte, das direkt in seine Knochen geschraubt war. Luis durfte sich auch die Röntgenbilder angucken, auf denen er genau sehen konnte, wo der Bruch war und wie tief die Schrauben im Knochen steckten. Wobei Bruch auf Orthopädisch »Fraktur« heißt. Luca hatte eine Tibiafraktur. Zum Pinkeln bekam er eine Ente, so nannten die Schwestern im Krankenhaus eine abgeschrägte Flasche, in die man im Liegen pinkeln konnte.
»Macht Spaß. Willst du auch mal?«, hatte Luca ihm die Flasche angeboten, aber Luis musste gerade nicht.
»Im All pinkelt man in ein ähnliches Teil«, hatte er Luca erklärt. »In eine Art Trichter mit Schlauch, an dem eine Tüte befestigt ist, damit nichts daneben geht und durch die Rakete schwebt. Im All fällt ja nichts runter, wegen der Schwerelosigkeit.«
Luca kicherte. »Stell dir mal vor, man trifft nicht richtig und dann wabern gelbe Pfützen durch den Raum. Oder Kackwürste.«
»Das passiert aber nicht«, hatte Luis gesagt. »Das wird einem mit Unterdruck gleich vom Hintern abgesaugt und eingetütet. Und dann werden die Kacktüten von der gesamten Crew an Bord gelagert und irgendwann mit den alten Unterhosen, Stinkesocken und dem anderen Müll aus dem Raumschiff befördert, wo sie dann in der Erdatmosphäre verglühen.«
»Krass!«
»Aber der Urin wird recycelt, der wird zu Trinkwasser aufbereitet.«
»Echt jetzt?«
Luis nickte. »Schweiß auch.«
Luca verzog das Gesicht. »Mann, Alter, bist du dir wirklich sicher, dass du Astronaut werden willst? Werd doch lieber Profifußballer, so wie ich. Ich kann ab nächster Woche wieder normal auf Toilette gehen und muss auch keinen gefilterten Urin trinken!«
In der Besenkammer rumpelt und zischt es. Mariola steht neben der Fäkalienmaschine, zieht die Gummihandschuhe aus und desinfiziert sich die Hände. An der Wand stehen in einem Regal lauter saubere Bettpfannen, wie Kochtöpfe in einer Restaurantküche. Luis folgt Mariola ins Schwesternzimmer. Dort findet sie in einer Schublade Nachschub für die Fernbedienung.
Als Luis in sein Zimmer zurückkommt, wechselt er die Batterien und will sich gerade noch mal ins All katapultieren, da hört er es über sich rumpeln und poltern. Als hätte jemand etwas abgestellt. Dann knarrt der Boden. Schritte. Nanu? Über ihm ist doch gar keine Etage mehr, oder? Aber da läuft jemand entlang, eindeutig! Sein Herz fängt schon wieder an zu rasen.
Diesmal trifft er Julia im Schwesternzimmer. Sie hält ein Fläschchen vor ihrem Gesicht und zählt die Tropfen, die sie in einen kleinen, blauen Becher füllt.
»… 29, 30.« Sie setzt das Fläschchen ab. »Hey, Luis, noch wach?«
»Da sind Schritte über mir.«
»Über dir? Kann nicht sein. Auf dem Dachboden ist um diese Zeit sicher niemand mehr.«
»Aber ich habe es ganz deutlich gehört.«
»Das war bestimmt ein Marder. Die nisten sich gern auf Dachböden ein.« Sie schaut ihn an. »Ist dir unheimlich, da ganz allein in dem Zimmer?«
»Hm.« Er zuckt die Schultern.
»Du kannst deine Tür auflassen.«
»Nee. Ist schon okay.« Er ist ja kein kleines Kind mehr.
»Soll ich gleich noch ein bisschen mit rüberkommen?«, fragt Julia. »Ich hab meinen Pieper dabei.«
Über den Pieper hört sie, wer aus welchem Zimmer klingelt.
»Von mir aus«, sagt Luis und vermisst plötzlich Mama, die ihm abends Gute Nacht sagt. Oft quatschen sie dann noch eine Weile oder lesen sich gegenseitig was vor. Er hat ihr schon sein ganzes »Handbuch für Astronauten« vorgelesen. Da hat er auch die Information über den recycelten Urin her.
Wo Mama wohl jetzt gerade ist? Auf dem offenen Meer?
Vorhin hat er eine SMS bekommen, als sie auf dem Schiff angekommen ist. »Habe ein gutes Team, ein gutes Schiff. Gleich stechen wir in See. Pass auf, dass du keine Falten im Altenheim bekommst.« Darunter eine ganze Reihe fetter Smileys, die ihm rote Herzen zupusten. – Mütter eben …
Hoffentlich geht alles gut auf dem Schiff und Mama kann die Flüchtenden retten! Bislang hat sie es immer geschafft, die Menschen aus den überfüllten Schlauchbooten zu sich an Bord zu holen und sicher an Land zu bringen.
»Habs mir anders überlegt. Du brauchst nicht mehr mit rüberkommen, Julia«, sagt Luis. »Es ist nicht wirklich unheimlich hier. Nur ein bisschen – ungewohnt.«
Er ringt sich ein Lächeln ab, damit Julia beruhigt ist, und ärgert sich, dass er vorhin wieder auf die blöden Space-Zombies reingefallen ist, an die er eigentlich nicht mehr denken wollte, weil er ja weiß, dass es die gar nicht gibt. Aber manchmal tauchen sie trotzdem auf und hauchen ihm ihren verfaulten Atem in den Nacken. Allein von dem Gedanken bekommt er schon wieder Herzrasen.
»Bist du sicher?«, fragt Julia. Er nickt. »Aber Gute Nacht sagen darf ich noch?«
»Okay. Aber nur kurz.«
Am Morgen wird Luis von Stimmen, Topfgeklapper und quietschenden Crocs geweckt. Sonnenstrahlen fallen durch das Bullauge. Im ersten Moment weiß er gar nicht, wo er ist. Dann fällt es ihm ein. Er steht auf und geht aufs Klo. Waschen lässt er ausfallen. Als Astronaut im All muss man auch jeden Tropfen Wasser einsparen.