Читать книгу Ab in die Rakete - Beate Dolling - Страница 9

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Herr Dollmann sieht nicht mal hoch. Ist der etwa taub? Aber auch die anderen zwei Omas, die auf der Bank vor dem Rosenbeet sitzen, reagieren nicht. Niemand kommt der alten Frau zu Hilfe. Das gibts doch nicht!

Luis düst aus dem Zimmer, den Flur entlang, der Fahrstuhl ist nicht da, also rennt er die Treppe runter, an der Küche vorbei, in den Garten, guckt sich dabei mehrmals um, ob er irgendwo eine flüchtende Person entdeckt, den Dieb, den er auf frischer Tat ertappen könnte, aber da sind nur extrem alte Leute und der Einzige, der rennt, ist er selbst.

Die Frau, die gerufen hat, steht noch immer da, sie zittert am ganzen Körper. Jetzt kommt Julia auf sie zu und beruhigt sie. Endlich!

»Man hat mich bestohlen!«, jammert die alte Dame. Sie hat hellgraues Haar und trägt ein wadenlanges, grünes Kleid. Ihre dünnen Beine stecken in braunen, knöchelhohen Schnürschuhen. Ein Schuh ist dicker als der andere.

»Es ist alles in Ordnung, Frau Weißbrot«, sagt Julia und streichelt ihr über den Arm.

»Polizei, Polizei«, wimmert die Frau mit dünner Stimme.

»Wollten Sie nicht in den Pavillon?«, fragt Julia. Frau Weißbrot steht mit hängenden Schultern da und sieht sehr hilflos aus.

»Sind Sie von der Polizei?«, fragt sie Luis.

»Nein, nein«, antwortet Julia für ihn. »Das ist der Luis. Der bleibt ein paar Tage bei uns.«

Die Frau mustert ihn eingehend. Luis weiß nicht, was er sagen soll. Hat sie ihn wirklich für einen Polizisten gehalten? Komisch, dass Julia gar nicht nachfragt, was eigentlich passiert ist. Stattdessen hakt sie die alte Dame unter, schlurft mit ihr über den gepflasterten Weg, zeigt auf die Rosenhecke und betont, wie wunderbar die Rosen heute duften. Die Masche kennt Luis, das ist das reinste Ablenkungsmanöver. Eindeutig, Julia will die Frau von dem Diebstahl ablenken. Warum?

Mariola kommt über den Rasen getrabt. Sie sieht aus wie eine Profifußballerin mit ihrem Pferdeschwanz und den muskulösen Waden. Mariola übernimmt Frau Weißbrot, redet fröhlich auf sie ein, schiebt sie am Goldfischteich vorbei Richtung Pavillon. Weiter hinten wickelt der Bademeister seelenruhig eine weitere Bahn blaue Wäscheleine von einem Holzstückchen ab und rückt die Schnur mit der Fußspitze im Gras zurecht. Gleich hat er sein Schwimmbecken beisammen.

»Frau Weißbrot bildet sich nur ein, man habe ihr den Schmuck gestohlen«, erklärt ihm Julia. »Sie ist dement.«

»Dement?«, fragt Luis.

»Ja. So nennt man das, wenn alte Menschen Sachen durcheinanderbringen oder in ihren Erinnerungen leben.«

»Wie der Bademeister?«

Julia nickt.

Krass! Nun kennt Luis schon drei Leute, die irgendwo in ihrem Leben stecken geblieben sind, wie in einem defekten Fahrstuhl: Frau Weißbrot, die denkt, sie würde beklaut, Herr Dollmann, der meint, er sei im Schwimmbad, und Frau Sperling, die einen Franz hat, den keiner kennt.

»Wie gesagt«, seufzt Julia. »So lange es ihnen gut geht, lassen wir sie in ihrer Welt.«

»Aber wenn man meint, dass man bestohlen wird, geht es einem doch nicht gut.«

»Frau Weißbrot meint das ja nicht immer, sie hat nur Schübe. Sie ruft andauernd nach irgendwas, manchmal sogar nach der Feuerwehr. Und dann hört man tagelang gar nichts von ihr.«

»Und wenn sie wirklich bestohlen worden ist?«

»Ach was«, sagt Julia. »Doch nicht im Haus Erlengrund. Das ist ein sehr angesehenes Seniorenheim.«

Im Teich schnappt ein Goldfisch nach Luft. In der Ferne sind Stimmen zu hören und das Klackern von Würfeln.

»Geh doch in den Pavillon, da gibt es einen Spieleschrank«, schlägt Julia ihm vor. »Gleich wenn du reinkommst, rechts. Vielleicht entdeckst du was Interessantes. Die Bewohner freuen sich total, wenn jemand mit ihnen spielt.«

»Wieso?«, fragt Luis. »Können die sich nicht selbst beschäftigen?«

Julia streicht ihm lächelnd über den Kopf. So was kann er überhaupt nicht leiden. Er zieht den Kopf weg. Dann schnuppert sie in seine Richtung. »Sag mal, bist du das, der hier so gut riecht?«

Luis spürt, wie er rot wird.

»Haargel?«

»Nee. Deo.«

»Cool«, sagt Julia, aber er sieht, dass sie die Nase rümpft. Zum Glück fragt sie nicht, welche Marke. Sie schaut auf ihre Armbanduhr. »Ich muss jetzt wieder rein. In einer halben Stunde teilen wir das Essen aus. Die Bettlägerigen auf der zweiten Station bekommen es aufs Zimmer, die anderen treffen sich unten im Speisesaal.« Dann rauscht Julia ab.

Ab in die Rakete

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