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Alles war schneeweiß. Nicht nur draußen vor der sich weit aufspannenden Glasfront ihrer Suite, sondern auch im Innern des Zimmers, das für die kommenden Tage ihr Zuhause sein würde.

Die kommenden Tage?

Kaum hatte Hannah daran gedacht, breitete sich erneut eine nervöse Unruhe in ihr aus. Ihr Schicksal lag nun nicht mehr in ihren eigenen Händen. Sondern in denen fremder Menschen. Was würde sie machen, wenn es noch Wochen dauerte, bis sie ihre Papiere wieder hatte? Wo würde sie dann leben? Ganz bestimmt nicht hier, soviel stand fest. Niemand auf der Welt konnte sich so etwas leisten, abgesehen von Leuten wie Alberto Fernández vielleicht. Und der war Präsident von Argentinien.

Das Interieur des Zimmers lenkte sie für einen Augenblick ab. Es war ultramodern eingerichtet und gab den Blick frei über die Dächer der Stadt und auf den schneebedeckten Stephansdom – das berühmte gotische Wahrzeichen der Stadt Wien, wie sie vor ihrer Abreise im Internet gelesen hatte. Wo sie mit einem einzigen Klick auch den Wetterbericht hätte abrufen können. Nun ja, sei’s drum, dachte sie, nun war es nicht mehr zu ändern.

Schnell zog sie sich aus und schlüpfte in einen der flauschigen weißen Bademäntel, um sich wie von Ludwig Leonhard vorgeschlagen eine Wanne einlaufen zu lassen. Mit bombenartigem Hochdruck katapultierte die Mischbatterie das heiße Wasser in die kubisch geformte Wanne, während Hannah an den edlen Körperpflegeprodukten von Hermès schnupperte, die das Hotel für seine Gäste bereithielt. Sie hatte noch nie zuvor solchen Luxus gesehen, geschweige denn ihn am eigenen Leib erfahren. Diese Herberge war kein Vergleich zum Carlos V., wo sie seit Menschengedenken als Zimmermädchen tätig war, so wie vor ihr bereits ihre Mutter.

Während sie darauf wartete, dass sich die Wanne füllte – was bei diesem Tempo nicht länger als ein paar Minuten dauern würde – begab sie sich zurück in das Schlafzimmer, um ihre Sandalen vor das Fenster zu stellen, damit sie im einfallenden Nachmittagslicht trocknen konnten. Erst jetzt entdeckte sie, dass unter der von einer Mischung aus Schnee-, Sand- und Salzresten überzogenen Sohle einer der Schuhe ein kleines Stück Papier klebte.

Offensichtlich war es bei ihrem Marsch durch den Schnee unter ihren Füßen hängengeblieben. Vorsichtig löste sie es. Es war ein winziges weißes Zettelchen im Längsformat, so wie man es in den Glückskeksen findet, die in chinesischen Restaurants zusammen mit dem Nachtisch serviert werden. Jemand musste es auf der Straße verloren haben.

„Die Vergangenheit wird dir eine Tür in die Zukunft öffnen“, las Hannah die auf den Zettel gedruckte Botschaft. „Trete mutig durch diese Tür.“

Nachdenklich blickte sie aus dem Fenster. Sie hatte schon immer ein Faible für derartige Botschaften gehabt, selbst wenn sie industriell produziert wurden, und glaubte eher an Bestimmung als an Zufälle. Daran, dass wir alle Teil eines höheren Plans waren, den wir aufgrund unserer beschränkten Fähigkeiten nicht zu durchschauen in der Lage waren.

Ein flüchtiger Blick ins Bad verriet ihr, dass die Wanne bereit war für ihren bis ins Mark durchgefrorenen Körper.

In freudiger Erwartung der ihr bevorstehenden Wohltat schnappte sie sich das moosgrüne Fläschchen des kostbaren Badeöls, goss es in die Wanne und glitt wenig später aus dem Bademantel in das perfekt temperierte und von einer Schicht aus duftendem Schaum gekrönte Badewasser.

Als sie ihr feuchtes Refugium eine gute Stunde später wieder verließ, bis ins Innerste aufgewärmt und wie neugeboren, klopfte es leise an der Tür. Hinter dem Stephansdom ging langsam die Sonne unter, der Himmel war nun vollständig klar. Wie es aussah, würde es eine sternenklare Nacht werden.

„Zimmerservice“, vernahm sie eine freundlich klingende Frauenstimme hinter der Tür.

Wenig später begann die Modenschau vor dem großen Spiegel. Das Zimmermädchen – das sie ganz selbstverständlich und offenbar ohne den geringsten Verdacht wie einen Gast behandelt hatte und nicht wie eine Kollegin – hatte ihr einen Haufen Einkaufstaschen vorbeigebracht, mit einem Gruß von Frau Wendler, der Sekretärin.

Das einzige Label, von dem sie selbst etwas besaß, war Zara. Auf der nächsten Tasche jedoch stand Burberry, auf einer dritten Chanel.

Was für ein Mix.

Er verband ihre eigene Welt mit der Welt da oben, die sie gerade kennenlernte.

Wenig später stand sie da, ausgerüstet wie ein Model, das eine Nordpol-Expedition plante: In dunkelbraunen Lederstiefeln, schwarzen Strumpfhosen, einem warmen Kleid aus Tweed und einem Wollmantel, ergänzt um Schal und Mütze. Alles perfekt aufeinander abgestimmt. Frau Wendler war eine Frau mit Geschmack, daran bestand nicht der leiseste Zweifel.

Einen Augenblick verweilte sie einfach so vor dem Spiegel und starrte sich an. Noch nie zuvor in ihrem Leben hatte sie sich so gesehen.

So … schön …

Ehrlich gesagt hatte sie sich bisher überhaupt nie als schön betrachtet, aber was sie hier vor dem Spiegel erblickte, ließ ihr Herz ein wenig höher schlagen.

„So hässlich bist du ja gar nicht …“, lobte sie die Frau im Spiegel. „Ist aber kein Grund, gleich überzuschnappen, ja?“

Sie hob drohend den Zeigefinger, als würde sie sich selbst warnen, ja nicht leichtsinnig zu werden.

Zum Abschluss zeigte sie sich den Mittelfinger.

Nur so zum Spaß.

War ja sonst niemand da.

Auch Ludwig Leonhard staunte, als er sie an diesem Abend unten in der Lobby empfing. Auf den ersten Blick hatte er sie gar nicht erkannt. Nun ja, vielleicht hatte er auch nur so getan, der Spaßvogel.

Hannah konnte es kaum erwarten, hinaus an die frische Luft zu treten. Langsam fing sie an zu schwitzen – nicht ganz sicher, ob es ihrem warmen neuen Outfit zuzuschreiben war oder ihrer wachsenden Nervosität.

„Schön, Sie in Kleidern zu sehen, die den hiesigen Temperaturen angemessen sind“, begrüßte der Anwalt sie. „Hier!“

Er reichte ihr ein Paar feiner Lederhandschuhe.

„Die hat Frau Wendler mir noch für Sie mitgegeben. Hatte sie in der Aufregung vergessen.“

Handschuhe?

Damit war nun auch der kleinste Fleck ihres Körpers verhüllt, abgesehen von ihrem Gesicht. Hannah fragte sich, ob die Fürsorge nicht ein wenig übertrieben war.

„Die werden Sie brauchen“, erklärte er lächelnd. „Wie wär’s mit einem kleinen Spaziergang?“

Sünde

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