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Figuren und Handlung sind frei erfunden. Mögliche Ähnlichkeiten zu lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig. Das Geheimdienstgefängnis „Area Zero“ sowie das unterirdische Verhörzentrum „Boulderfield“ sind rein fiktiv.

Die nervöse Zerstreutheit, mit der Dr. David Dembski an das Rednerpult des großen Auditoriums im CIA-Hauptquartier in Langley trat, hatte nichts mit der Schwere des Vortragsthemas oder etwa der Verantwortung zu tun, die als Vorsitzender der ethischen Kommission auf seinen Schultern lastete. Diese Kommission war nämlich aus Dembskis Sicht in Wahrheit nichts als eine moralische Fassade, ja ein Schauspiel, das man sich durch die Auszahlung üppiger Gehälter an einige angestellte „Darsteller“, die man auch „Psychologen“ nannte, notgedrungen etwas kosten ließ.

Wenn er früher im Auditorium vor den meistens rund 200 Zuhörern gestanden hatte, hatte er bei dieser Gelegenheit gerne etwas eitel seine Redefähigkeit und sein Auftreten als geachtete Persönlichkeit zur Schau gestellt, doch an diesem Abend war alles anders, da es seine letzte Rede war. Einschneidende Ereignisse standen bevor, da in den nächsten Monaten einige Enthüllungen zu erwarten waren, die ihn und seinen Partner zu zwei der bedeutendsten Whistleblowern der Geschichte machen könnten.

Als ihn einer seiner Kollegen den Zuhörern ankündigte, konnten die meisten von ihnen in dem sehnigen, kleinen Mann mit dem fein gestutzten Bart und den grauen, schütteren Haaren mehr als nur einen einfachen Seelendoktor erkennen, dessen Aufgabe es war, seinen Mitarbeitern von Berufs wegen ein gutes Gewissen zu machen und neuen Mut zuzusprechen. Dembski stand nämlich große Fähigkeit in sein 64-jähriges Gesicht geschrieben und es trug bereits die Züge würdigen Alters, die dem reifen Gelehrtengesicht eines Professors nicht unähnlich waren. Durch die moralischen Grundsätze, die er als Vorsitzender der ethischen Kommission in Form von Richtlinien formuliert hatte, war er für Viele sogar zum Vorbild geworden, obwohl ihn einige hinter vorgehaltener Hand manchmal auch einen Heuchler nannten. Das Vertrauenserweckende in seinem Wesen hing mit seinen Kenntnissen und Erfahrungen über die menschliche Psyche zusammen, und dies war auch einer der Gründe dafür, warum es zu einer außergewöhnlichen Verbindung zwischen ihm und einem jungen Genie namens Frederic Cohen gekommen war, das in der Abteilung der technischen Beratung bei den Kryptographen arbeitete.

Als Dr. Dembski sein Redemanuskript aufschlug und dabei ein letztes Mal seine linke Hand in seine Jackettasche fuhr, um dort prüfend den kleinen Datenträger – einen so genannten „Delta-Core“ - zu berühren, musste er an den jungen Frederic denken. Er war es gewesen, der ihm während der letzten zwei Jahre insgesamt vier solcher Schlüssel geliefert hatte, die bald der ganzen Welt die so sicher verschlossen geglaubte Pforte zu einigen großen Geheimnissen aufschließen sollten. Er hatte Angst um seinen jungen Freund, da dieser sich noch sehr viel länger als er vor den schlimmsten Konsequenzen fürchten müsste. Cohen würde früher oder später aus Langley heraus müssen, weil er für sein Alter und seinen ungewöhnlichen Charakter viel zu gut in seinem Job war, um für seine Vorgesetzten auf Dauer als wirklich zuverlässig zu gelten. Jeder konnte sich ausrechnen, dass der geniale, autistisch veranlagte Junge, der von frühester Kindheit an mit Computern groß geworden war, mit seinen Fähigkeiten und Kenntnissen irgendwann in der Lage sein könnte, an Informationen zu gelangen, die intern dem so genannten „Level A“ entsprachen – und von diesen durfte unter keinen Umständen etwas an die Öffentlichkeit gelangen, wenn es nicht zu einem revolutionären Aufruhr kommen sollte. Natürlich war Cohen noch lange nicht bis in die tiefsten Geheimnisse des mächtigsten Staates der Erde und seiner Machtpyramide eingedrungen, aber vieles, was auf dem „Level C“ einem Kreis von 10 bis 20000 höheren Geheimdienstmitarbeitern bekannt sein musste, war inzwischen auf die kleinen Datenträger gewandert, die Dr. Dembski in der Tasche seines Sakkos Stück für Stück nach draußen befördert hatte.

Dies war nur durch die besondere Position möglich gewesen, die er innehatte, da der Eingang zum Hauptquartier durch eine Reihe hochmoderner Scanner so gut abgeschottet war, dass praktisch keine Stecknadel unbemerkt nach außen drang. Die sporadisch stattfindenden Vortragsabende boten für ihn manchmal die Möglichkeit durch ein bestimmtes Zugangstor hinaus zu gehen, das nur bei der Verabschiedung hochrangiger Gäste geöffnet wurde und aus Gründen diplomatischer Höflichkeit nicht besonders streng kontrolliert wurde. An diesem Abend war es wieder so weit und es war nur diese Tatsache, die Dembski den Schweiß auf die Stirn treten und ihn auf seinem Vortragspult ein wenig angespannt und zerstreut wirken ließ. Sein Vorgesetzter war wie so oft verhindert, weshalb es ihm aufgetragen worden war, Ian Dubois, einen hochrangigen Vertreter des kanadischen Geheimdienstes CSEC, der sich nach einem Besuch in Langley noch pro forma zwei Vorträge anhörte, zusammen mit Vertretern der internen Sicherheitsabteilung nach draußen bis zu seiner Limousine zu begleiten und ihn dort gebührend zu verabschieden. Wegen seiner tadellosen Umgangsformen und seiner Fähigkeit außergewöhnlich gut mit Menschen umzugehen wurde Dembski des Öfteren für repräsentative Aufgaben herangezogen - nicht nur deshalb wurde er auch das „menschliche Gesicht von Langley“ genannt.

Aus der Sicht echter Profis des geheimen Außendienstes, für den die CIA traditionell die bedeutendste Organisation war, müsste es schlecht durchdacht wirken, dass sich Dembskis Ehefrau Eliza an diesem Abend wie zufällig genau dort auf dem Parkplatz unweit der Stelle befinden würde, wo der hochrangige kanadische Besucher verabschiedet werden sollte. Allerdings hatte sich dieses scheinbar unprofessionelle Vorgehen bereits dreimal sehr bewährt und alles sprach dafür, dass die Übergabe des kleinen „Delta Cores“ an seine Frau auch ein viertes und letztes Mal gut gehen würde.

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Kurz bevor Dr. Dembski zu seinem Vortrag anhob, blickte er noch einmal durch die Reihen des Auditoriums und erkannte viele vertraute Gesichter. Einige der Anwesenden waren ihm über die Jahre zu guten Bekannten geworden, weil er sie regelmäßig psychologisch beraten hatte. Im Grunde handelte es sich um seine Abschiedsrede, auch wenn sein Ausscheiden aus dem Dienst noch nicht offiziell mitgeteilt worden war. Er hätte bei dieser Gelegenheit gerne aus der berühmten Rede zitiert, die John F. Kennedy am 27. April 1961 vor der Vereinigung der amerikanischen Zeitungsverleger im Waldorf Astoria Hotel in New York gehalten hatte und in der er so deutlich wie nie zuvor vor den Gefahren exzessiver Geheimhaltung gewarnt hatte. Aber natürlich durfte er sich in seiner besonderen Lage zu einer solchen Versuchung nicht hinreißen lassen, um nicht etwa noch in seinen letzten Tagen in Langley unnötig aufzufallen.

Während er über das Thema eigenmächtiger Geheimdienstoperationen in rechtsfreien Räumen sprach - womit er nicht zum ersten Mal im Sinne seiner Vorgesetzten unter den Zuhörern den Eindruck erweckte, eine Vereinigung wie die CIA müsste dieses Problem durch verantwortungsvolle Spezialisten voll unter Kontrolle haben - verabschiedete er sich insgeheim nicht nur von den bekannten Gesichtern im Auditorium, sondern auch von Cohen. Dieser war vor wenigen Tagen zum letzten Mal in seinem Büro erschienen, hatte wie üblich kaum etwas gesagt und ihm bloß mit bedeutungsvoller Miene den vierten Delta-Core überreicht. Ihre letzte Begegnung außerhalb von Langley hatte sich zwei Wochen zuvor in Ocean City ergeben, wo sie bei einem Strandspaziergang Abschied voneinander genommen hatten. Der junge Superhacker hatte ihn dort zum Schluss mit der Einschätzung allein gelassen, dass sie womöglich einen der letzten großen erfolgreichen Daten-Raubzüge im alten Stil begangen hatten, da die Zukunft dem kaum noch manipulierbaren Quantum-Computing gehören würde.

Der verschlossene, logisch denkende Cohen schien nach außen kalt und emotionslos zu sein, weshalb es trotz ihrer zweijährigen Zusammenarbeit und der Aussicht, sich aus Sicherheitsgründen vielleicht nie mehr wieder zu sehen, am Ende nur zu einem Händedruck gekommen war. Das autistische Genie konnte nicht einmal eine kurze Umarmung zulassen, wohingegen sich Dembski trotz seiner Vernunft manchmal ziemlich ungewöhnlichen Gefühlsregungen hingab. Aus diesem Grund war es auch nicht sehr erstaunlich, dass er seinem Freund in einem Café an der Strandpromenade als letztes ein paar ziemlich pathetisch klingende Worte mit auf den Weg gegeben hatte:

„Geh’ mit Gott, Frederic! Du und ich sind ein Teil des ewigen Davids, der in dieser Welt gegen die übermächtigen Kräfte Goliaths kämpft und dabei am Ende trotzdem als Sieger dastehen wird. Ich hoffe inständig, wir sehen uns im Himmel und nicht an einem Ort wie Guantanamo wieder!“

Dabei war zu berücksichtigen, wie tief in Dembski noch immer die Gene eines polnischstämmigen Juden steckten, der in seinem Herzen das Andenken an seine Vorfahren hochhielt, auch wenn er alle religiösen Bräuche inzwischen vollständig abgelegt hatte. Manchmal sah er in seinen Träumen das ausgeblichene Foto mit dem Gesicht eines alten, ausgemergelten Mannes im Warschauer Ghetto vor sich, der später in Auschwitz zugrunde gegangen war und seinen Kindern und Enkeln nichts als ein tiefes, immerwährendes, inneres Beben und den letzten überlieferten Satz hinterlassen hatte, die Nachfahren des Elias Dembski sollten zu seinem Andenken Zeit ihres Lebens für die Freiheit eintreten.

Bisher konnte David Dembski nicht gerade behaupten, sein Zweig an ihrem alten Familienbaum hätte hinsichtlich dieses letzten Wunsches seines Großvaters einen würdigen Spross getrieben; genauso wenig hatte sein Vater besondere Anstrengungen für den großen Kampf um die Freiheit unternommen. Die Versicherungspolicen, die Simon Dembski lange Zeit in Baltimore verkauft hatte, hatten ihn zwar relativ wohlhabend, die Welt aber nicht unbedingt besser oder freier gemacht. Manchmal wollte Dembski tatsächlich glauben, Cohen wäre ihm von Gott gesendet worden, nur um die Erfüllung eines alten Familiengelübdes zu ermöglichen, um das sich bisher noch kein Nachfahre seines Großvaters besonders gekümmert hatte.

Als er nun in seinem Vortrag über „geheime Operationen in rechtsfreien Räumen“ sprach – Operationen, die man entsprechend der Redeanweisung seines Vorgesetzen offiziell natürlich so weit wie möglich minimierte und selbstverständlich nur für höhere Zwecke im unermüdlichen Kampf gegen den großen Feind und das Böse ausführte - wurden diese in seiner eigenen Überzeugung zu einer guten Begründung, sich selber das Recht auf einen solchen „rechtsfreien Raum“ zuzugestehen und das eigene Handeln allein den Regeln einer höheren Ethik zu unterstellen. Wer in einem solchen Raum operierte, durfte eben nicht auffallen, egal auf welcher Seite er stand, und so musste man sowohl im Namen des Bösen wie auch des Guten besonders vorsichtig und professionell agieren, sobald man sich außerhalb des Bodens des Gesetzes befand…

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Dembskis letzte Rede hatte an jenem Abend ungewöhnlich schnell geendet. Er schaute noch einmal durch die Reihen des halbkreisförmigen, leicht ansteigenden Auditoriums, das im Kern des Hauptgebäudes lag und nur durch einige große Oberlichter und ein paar Scheinwerfer beleuchtet wurde. Draußen war es noch hell und es herrschte der schönste Junisommer, was man in dem streng gesicherten Geheimdienstgebäude leicht vergessen konnte. Er konnte für seinen Vortrag nicht ernsthaft einen besonderen Beifall erwarten, aber wenigstens hatte er in einigen offenen und etwas vieldeutigen Formulierungen bewusst ein paar mögliche Ausgänge aus dem streng zensierten Redeskript geschaffen, die die Klügeren unter seinen Zuhörern dazu nutzen konnten, hinter die äußere Fassade seiner Worte zu blicken und sich um eine freiere Interpretation zu bemühen.

Nach dem verhaltenen Applaus hoffte er nur noch darauf, dass der nächste Redner solange sprach, bis die Dämmerung hereinbrach. Erfahrungsgemäß wurden die ihn und den besonderen Gast Ian Dubois später nach draußen begleitenden Sicherheitsleute abends ein wenig nachsichtiger und würden nicht so schnell etwas Verdächtiges daran finden, wenn seine Frau Eliza um diese Zeit nach Dienstschluss auf dem Parkplatz auf ihn wartete. Er würde sie jedoch nur kurz begrüßen und ihr den Datenträger zustecken können, da er nach Dubois’ Verabschiedung zunächst wieder das Gebäude betreten musste.

Während er dem nachfolgenden Redner zuhörte, beobachtete er immer wieder voller Spannung den Verlauf der Minuten auf seiner Armbanduhr. Wenn alles gut ging, saß er in einer Stunde neben Eliza im Wagen und würde langsam den George Washington Memorial Parkway herunterfahren, am Theodore Roosevelt Island den Potomac River überqueren, mit einem gewissen Triumphgefühl das Weiße Haus passieren, um dann später in Downtown Washington bei ihrem Lieblingsitaliener ein großes Glas Rotwein zu leeren und dabei erleichtert den Beginn eines neuen Lebens in sich zu spüren. Es war absolut nicht übertrieben von einem „neuen Leben“ zu sprechen, da der kleine Delta Core, dessen Vorhandensein er immer wieder nervös mit der Hand in seiner Sakkotasche prüfte, genügend explosiven Stoff barg, um erheblich mehr als nur eine vorübergehende Welle der Empörung im Bewusstsein der Weltöffentlichkeit heraufzubeschwören. Die Preisgabe von Geheimlevel C, der die wichtigsten und mächtigsten Institutionen des gesamten Staates wie ein unsichtbares, rotes Band durchzog, würde aller Voraussicht nach zu irreparablen innen- und außenpolitischen Spannungen führen.

In dem Moment, als einer der Sicherheitsleute unerwartet neben Dembskis Stuhl auf dem Podium des Auditoriums trat und ihn kurz an seinem Oberarm berührte, war er für eine Sekunde zutiefst erschrocken, aber beruhigte sich sofort wieder.

„Dr. Dembski, Mr. Dubois möchte durch Ausgang IV zu seinem Wagen gehen. Mr. Dalberg hat uns gestern informiert, dass Sie heute zu seiner Verabschiedung mit uns gehen“, informierte ihn Coleman, ein Schrank von Mann in einem schwarzen Anzug, dem ein Kabel aus seiner Ohrmuschel durch den Hemdskragen in seine Jacke ging.

„Oh, ja, natürlich... Die Kanadier wollen bestimmt so schnell wie möglich aus dem verrückten Affenstall heraus, um noch irgendwo in Georgetown ein paar Gläschen heben zu gehen“, spielte er daraufhin wie so oft den etwas Zerstreuten, dem gerne ein kleines Späßchen über die Lippen ging. Coleman lachte sogar ein wenig und verließ dann mit ihm den Saal, wobei Dembski ein letztes Mal um sich blickte und insgeheim Abschied von seinen Kollegen nahm. In seiner Lage gab es keinen Grund für Sentimentalitäten; er verließ seine langjährige Arbeitsstelle ganz ohne Wehmut und würde nur noch einmal hierher zurückkehren, um ein paar persönliche Dinge abzuholen. Sein offizieller Dienstaustritt sollte dann nächste Woche erfolgen.

Im Foyer des Auditoriums traf er mit Coleman auf eine Gruppe von vier Männern, die aus dem Kanadier Dubois, dessen beiden Begleitern und einem weiteren von ihren eigenen Leuten bestand. Erfahrungsgemäß war es die beste Methode seine Aufregung durch lockere Plauderei zu überspielen, weshalb er mit Dubois auf ihrem Weg durch die verschiedenen Korridore über dessen Pläne für den Abend redete und dabei harmlose Scherze riss. Als Coleman schließlich mehrere Codes für die Öffnung einer gepanzerten Tür an der Rückseite des Gebäudes eingab, traten sie nach draußen und näherten sich einer schwarzen Limousine mit diplomatischem Kennzeichen, die am Ende einer schmalen Zufahrt stand.

Nachdem Dembski den Kanadier und seine Begleiter mit der angemessenen, dienstlichen Freundlichkeit verabschiedet hatte, sah er nach der Abfahrt der Limousine seine Frau Eliza in kaum 100 Yards Entfernung neben ihrem alten Volvo Kombi stehen. Als er ihr zuwinkte und sich langsam in ihre Richtung bewegte, hämmerte sein Herzschlag bis in seine Schläfen hinein und er hörte, wie ihn Colemans jüngerer, penibel auf die Dienstvorschrift achtender Kollege streng ermahnte:

„Das ist gegen die Vorschrift, das wissen Sie, ich muss das in unser Protokoll aufnehmen!“

Er war seinem Ziel schon viel zu nahe gekommen, um wegen dieser unerwarteten Zurechtweisung noch erschrocken zu sein. Eliza war ihm eilig entgegengegangen und stand inzwischen direkt vor ihm. Er legte beide Hände an ihre schlanke Taille, ließ dabei den kleinen Datenträger in die Tasche ihres weißen Blazers gleiten und küsste sie danach mit echter Zärtlichkeit und wahrer Überzeugung. Dann flüsterte er ihr noch etwas Nettes zu, worauf sie nur sagte: „Ich warte auf dich…“

Er begab sich wieder zu den beiden Sicherheitsleuten zurück und bemühte sich, den heiklen Moment durch einen scherzhaften Smalltalk zu zerstreuen. Nachdem es ihm gelungen war, die Wogen zu glätten und sich der Gesellschaft der Beiden zu entledigen, ging er noch einmal kurz in den zweiten Stock zu seinem Büro hinauf, um ein paar Dinge mit nach Hause zu nehmen. Während er verschiedene Gegenstände und Papiere in seiner Aktentasche verstaute, ließ er das Geschehen noch einmal Revue passieren und glaubte, dass trotz des kleinen Zwischenfalls alles gut abgelaufen war. Als ihm zufällig sein Fernglas in einer Schreibtischschublade in die Hände fiel, gab er spaßeshalber noch einmal kurz dem allgemeinen Beobachtungs- und Überwachungstrieb nach, wie er früher oder später von fast allen Angestellten in Langley Besitz ergriff. Aus dem großflächigen Fenster seines komfortablen Büros konnte er bis zu der Stelle auf dem Parkplatz hinüber sehen, wo der dunkelblaue Volvo stand. Zufrieden beobachtete er, wie seine Frau wartend im Wagen saß und sagte sich, was für eine herrliche Komplizin sie doch war. Ein solches geheimes, gemeinsames Unternehmen mussten man in einer Ehe unbedingt einmal erlebt haben, damit man einander wirklich nah und vertraut wurde.

Er zog wegen der Juniwärme sein Sakko aus, legte es sorgfältig über seinen Unterarm und schloss langsam und nachdenklich die Tür seiner wenig geliebten Arbeitsstelle hinter sich. Immerhin hatte ihn so wohlhabend gemacht, dass er neben seinem Wohnhaus – einem hübschen Bungalow in einer grünen und beschaulichen Straße am Rande des Wheaton Regional Parks im Norden Washingtons – auch ein kleines Strandhäuschen auf dem 130 Meilen entfernten Fenwick Island besaß.

Seine Tochter Anna, die immer Vorbehalte gegen seine Tätigkeit gehabt hatte, könnte vielleicht irgendwann stolz auf ihn sein, denn es war gar nicht einmal so unwahrscheinlich, posthum als ein bedeutender Kämpfer für die Freiheit in die Geschichte der USA einzugehen. Er würde von nun an ein freier Mann sein und in Zukunft nicht mehr für 130 000 Dollar Gehalt im Jahr indirekt an der Seite derjenigen Kräfte stehen, die die USA schleichend zu einem digitalen Überwachungsstaat verwandeln wollten und dabei auch unrechtmäßig in die Angelegenheiten anderer Nation eingriffen.

Das feine Piepsgeräusch und das grüne Lämpchen, das ihn unten in der Halle nach dem Scannen seines Körpers und dem Auslesen seines Dienstausweises endgültig aus dem Gebäude entließ, war nach über drei Jahrzehnten ein bescheidener, aber ihm sehr lieber Abschiedsgruß.

Er begegnete zu seiner Erleichterung niemandem mehr, den er persönlich kannte, und so konnte er sich bald mit einem tiefen, erlösenden Seufzen in das weiche Polster des Wagens sinken lassen, den seine Frau nur wenige Minuten später ruhig und wortlos über eine der namenlosen Straßen Langleys in Richtung des George Washington Memorial Parkways fuhr.

Der letzte Weg des Dr. Dembski

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