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Drei Tage später saß David im Fond eines wuchtigen, weißen GM-Trucks neben einem sehr dicken Mann, dem ein erloschener Zigarrenstummel im Mundwinkel hing und eine speckige, weiße Bauchfalte aus seinem Hemd hervorquoll. Der Andere, der den Wagen lenkte, sah im Vergleich zu Walter Silverman geradezu vornehm aus. Es handelte sich um einen schlanken, kräftigen Chinesen mit feinen Gesichtszügen, der einen schwarzen Anzug trug und nichts von der typischen Nüchternheit eines Sicherheitsangestellten an sich hatte. Akuma He vertrat seine ganz eigene Klasse, da er sich wie viele bei Independent Internet einen besonderen Individualismus leistete, der mit der allgemeinen Firmenphilosophie zusammenhing. Von der hohen Zahl chinesischstämmiger Angestellter bei I.I. wusste David noch nichts und er sollte an diesem Morgen durch He von Leo Abrahams’ großer Vorliebe für die chinesische Kultur erfahren.

Erst als der schwere Wagen dröhnend in die riesige Tiefgarage des I.I.-Towers am Central Park einfuhr, konnte David endgültig aufatmen und überzeugt davon sein, nicht erneut Opfer einer Täuschung geworden zu sein. Nachdem sie in einem besonderen, durch ein automatisches Tor gesicherten Bereich der Garage gehalten und einen Fahrstuhl betreten hatten, wurde er von seinen beiden Begleitern auf dem engen Raum so bedrohlich eingerahmt, dass er das Gefühl bekam, ein Gefangener zu sein. He bemerkte etwas von seinen Empfindungen und versuchte ihn durch ein paar harmlose Worte zu beruhigen.

„Waren Sie schon einmal im I.I.-Tower, Mr. Burke? Es ist über mehrere Blocks der höchste Wolkenkratzer auf dieser Seite des Central Parks. Obwohl ich schon ein paar Jahre hier arbeite, hat es immer noch etwas Erhebendes an sich, wenn man von dem Dach des Gebäudes über halb Manhattan blickt. Mr. Abrahams hat vor, dort oben eine kleine chinesische Pagode aufzubauen, ein echtes, hölzernes Teehäuschen, aus dem er Tee trinkend direkt in den Himmel schauen kann. Verrückt, nicht wahr? Wussten Sie von seiner besonderen Vorliebe für mein Land?“

„Nein, wusste ich nicht. Leider verfüge ich über keine eigene Informationsabteilung und muss mir all mein Wissen selber besorgen. Wahrscheinlich ist mir noch sehr viel mehr über Mr. Abrahams entgangen“, erwiderte David etwas zerstreut, da er mit ganz anderen Gedanken beschäftigt war. Der große Tower schüchterte ihn ein und während sie minutenlang bis zum 80. Stockwerk hochfuhren, um dort in ein anderes Aufzugssystem umzusteigen, spürte er mit jeder Etage, die es höher ging, was für eine unvorstellbare Macht und Finanzkraft hinter einem Unternehmen steckte, die ein solches Gebäude zum Stammsitz hatte.

Bald schaltete sich auch der dicke Walter Silverman nicht sehr freundlich in die Unterhaltung ein:

„In unseren Zeiten ist eine fähige Informationsabteilung wertvoller als viele hundert Barren Gold, Mr. Burke. Ein einziger richtiger oder falscher Hinweis kann einem Konzern wie I.I. große Gewinne oder Verluste bescheren. Ich hoffe nur, Sie bringen uns nicht zu viele Informationen mit und werden nicht durch das, was Sie bei sich haben, eine tiefe Krise in den ganzen USA auslösen.

Sie sollten wissen, dass Sie nicht der Erste sind, der sich mit einem Anliegen wie Ihrem an uns wendet. Seit der Internetrevolution ist für uns Sicherheitsleute die Welt so unübersichtlich wie ein tiefer, nächtlicher Urwald geworden, aus dem jederzeit ein unentdeckter Angreifer auftauchen und alles gehörig auf den Kopf stellen kann! Ich möchte mich gar nicht an den letzten Fall erinnern, der uns zwei unserer besten Mitarbeiter gekostet hat, die eines Tages von ein paar dunkel gekleideten Herren in schwarzen Limousinen abgeholt worden sind.“

Silvermans Sarkasmus ließ offen, ob diese „dunkel gekleideten Herren“ wirklich erschienen waren oder ob sich dies bloß metaphorisch auf Mitarbeiter des FBI, CIA oder anderer Behörden bezog. Als sie kurz darauf im 80. Stock in den anderen Aufzug umstiegen, fühlte sich He verpflichtet beschwichtigend einzugreifen:

„Hören Sie nicht auf ihn. Walter will Ihnen nur ein bisschen Angst einjagen. Seit er die 250-Pfund-Marke überschritten hat, schnellt sein Blutdruck bei jedem kleinen Problem und jeder zusätzlichen Arbeit gleich in die Höhe. Sie sind uns sehr willkommen, Mr. Burke, und Sie sollten sich von dem alten, schnaufenden Walross nicht vergraulen lassen!“

Silverman war solche Bemerkungen offenbar gewohnt, da er überhaupt nicht erbost reagierte und sogar einen erheblich freundlicheren Tonfall anschlug.

„Sie sollten mich nicht falsch verstehen. Ich respektiere, was Sie tun, Mr. Burke, solange Ihre Beweggründe nicht anti-amerikanisch sind. In diesem Fall würde ich keinen Finger für Sie rühren und Sie sogar persönlich in den Felsblock überführen...“

Seine Worte klangen wie ein nicht ernst gemeintes, gutmütiges Drohen, wobei er mit dem „Felsblock“ auf das unterirdische Verhörzentrum „Boulderfield“ bei Washington anspielte, dessen drei Abteilungen von verschiedenen Geheimdiensten genutzt wurden.

„Vielleicht liebe ich mein Land mehr als Sie, Mr. Silverman, sonst würde ich heute hier nicht stehen. Falls allerdings ein überzeugter Demokrat, der die Freiheit liebt, inzwischen als anti-amerikanisch gilt, müsste man sich wohl fragen, wie es um die Demokratie in diesem Land bestellt ist!“

David klang leicht gereizt und gerade als Silverman darauf etwas erwidern wollte, erreichten sie den 98. Stock, wodurch das Gespräch ein Ende fand. Sie betraten ein Foyer und mussten die zwei schweren Glastüren einer Sicherheitsschleuse passieren, um in die beiden Chefetagen zu gelangen, die nur den höchsten Angestellten, den Mitgliedern des Vorstands und der Abrahams-Familie vorbehalten waren. In einem breiten, Licht durchfluteten Korridor, auf dem wegen der Mittagspause nur wenige Menschen zu sehen waren, bestiegen sie einen von mehreren kleinen Aufzügen, der sie direkt in den Warteraum des groß angelegten Helikopterairport des Gebäudes brachte. Der Raum befand sich in der letzten und hundertsten Etage und bot durch die bodenlangen Fensterscheiben eine so grandiose Aussicht, dass den Wartenden schon vor dem Abflug schwindelig werden musste. Während David mit zwiespältigen Gefühlen in die Tiefe hinunterstarrte, wies Silverman seinen Kollegen an, den Gast aus Washington der Leibesvisitation zu unterziehen, wie sie für Firmenfremde vor dem Abflug routinemäßig üblich war.

„Nicht dass Sie uns am Ende noch in die Luft sprengen, wo Sie doch solch explosives Material mit nach New York gebracht haben“, kommentierte der dicke, schwitzende Mann scherzend die Durchsuchung, bei der der Chinese sehr gründlich vorging. Als er schließlich Davids Portemonnaie aus dem Jackett zog und ungerührt dessen Inhalt überprüfte, war „Mr. Burkes“ wahre Identität auf denkbar einfachste Weise ans Licht gekommen. He kontrollierte die Namen auf seinem Ausweis, zwei Kreditkarten sowie diversen Papieren und meinte dann mit verhaltenem Spott:

„Wenn wir das FBI wären, wären Sie nun aufgeflogen, Dr. Dembski. Ich möchte Ihnen den Rat geben, bei solchen Missionen in Zukunft nicht immer das komplette Sortiment Ihrer Papiere bei sich zu tragen. Das wirkt extrem anfängerhaft, muss ich sagen.“

Als in diesem Moment Lydia Abramovitch erschien, begann sie sofort, David mit großer Neugier über ihre Doppelgängerin auszufragen. Er bekam kaum eine Minute Zeit ihr die wichtigsten Einzelheiten zu schildern, da ein Techniker hereinkam und Abramovitch vertraulich beiseite nahm, um sie über den baldigen Abflug zu informieren. Danach wandte sie sich wieder an David und erklärte:

„Übrigens wundert es mich sehr, dass Mr. Abrahams persönlich mit Ihnen sprechen will. Das ist wirklich eine große Ausnahme und Sie sollten es als eine besondere Ehre verstehen! In wenigen Minuten wird der Helikopter aus Long Island eintreffen und dann werden wir in den Harriman Countryclub weiterfliegen. Mr. Abrahams hätte natürlich gern mit Ihnen in seinem Büro gesprochen, hat aber in den nächsten Tagen anstrengende Verhandlungen vor sich und glaubt, dass Sie zur Ihrer eigenen Sicherheit New York so bald wie möglich wieder verlassen sollten. Aus diesem Grund ist Eile geboten.

Ich muss Sie dringend bitten, bei dem Gespräch möglichst höflich zu bleiben und Mr. Abrahams keine unnötigen Schwierigkeiten zu machen. Er hat zurzeit einen sehr vollen Tagesplan und kann keine zusätzliche Aufregung gebrauchen!“

Bevor David irgendetwas entgegnen konnte, bat der Techniker sie alle zu der Treppe, die auf das Dach zu dem Landeplatz führte. Der Helikopter befand sich bereits im Landeanflug und sollte nur wenige Minuten den Boden berühren, um danach sofort weiterzufliegen. Bereits auf der Treppe hörten die vier Passagiere das fulminante Dröhnen des schweren Bell-Hubschraubers, der genau in dem Moment aufsetzte, als sie die schallgedämmte Tür zum Dach öffneten. Sie warteten in ausreichender Entfernung am Rand der markierten Landefläche, bis das Drehen der Rotorblätter langsam genug wurde und sie aufgefordert wurden, durch eine große Hecktür in den schneeweißen Hubschrauber einzusteigen. Als sie in den komfortablen Ledersitzen der 14 Passagiere fassenden Maschine Platz nahmen, wurde David durch He informiert, dass der Mann vorn am Ruder, der genau wie sein Co-Pilot den obligatorischen Kopfhörer, eine verspiegelte Fliegerbrille sowie eine Schirmmütze trug, Leo Abrahams höchstpersönlich war, der alle Flüge zu seinem Vergnügen selbst übernahm. Kurz bevor sich die Umdrehungszahl des Rotors zum Starten wieder erhöhte, öffnete sich auf der gegenüberliegenden Seite des Dachs eine andere Tür, hinter der nun Tosh O’Brian zusammen mit Wesley Snyder, dem Chef-Unterhändler der Unternehmensberatung „Longfield-Whitehouse“, erschien, um exakt getimt im allerletzten Moment die Maschine zu besteigen.

Danach konnte jeder in dem Helikopter genau spüren, was für eine Freude es für den Piloten war, den beiden, fast jeweils 1000 PS starken Turbinen den nötigen Schub zum Start zu verleihen. Dabei hatte Abrahams kaum Notiz von seinen Passagieren genommen und ließ bei der Entfesselung der großen Maschinenkräfte bloß ein überlegenes Zucken in seinen Mundwinkeln sehen. Die Aussicht auf den Start von einem Schwindel erregend hohen Wolkenkratzer führte bei David zu Beklemmungsgefühlen, weshalb er O’Brians Händedruck nur schwach erwiderte und sich von diesem eher widerwillig darüber informieren ließ, dass die Flugzeit zum Harriman State Park inklusive Start- und Landemanövern nicht mehr als 15 bis 20 Minuten betrug.

Nach dem Start neigte sich der Helikopter für sein Empfinden viel zu weit nach vorne und nahm dann nach links abdrehend die ihm per Funk zugewiesene Flugroute ein. Eine kurze Unterhaltung mit dem neben ihm sitzenden O’Brian wurde ihm zu einer willkommenen Ablenkung, auch wenn sie nicht sehr positiv verlief.

„Beeindruckend, nicht wahr Mr. Burke? Aus der Vogelperspektive wird der Big Apple auf eine annehmbare Größe zusammengeschrumpft, was uns kleinen Menschen für einige Minuten zu einem Triumph über die große Stadt verhilft! Ich habe selber erst durch Mr. Abrahams meine Leidenschaft für das Fliegen entdeckt. Es verleiht einem ein subtiles Gefühl von Überlegenheit, das auch am Boden bestehen bleibt!“

O’Brian schien im Gegenteil zu ihm völlig entspannt zu sein und hatte einen harmlos-unterhaltsamen Plauderton aufgelegt, wobei sich seine Stimme kaum anstrengen musste gegen die Fluggeräusche der gut gedämmten Maschine anzusprechen.

„Ich habe etwas von diesen Gefühlen durch einige Ausflüge mit einer alten Piper Seminole erfahren, die ein Freund von mir besitzt. Ihre Stimme kommt mir übrigens ziemlich bekannt vor, Mr. O’Brian. Sie sprechen dieses vornehme und gestochen scharfe Ostküsten-Amerikanisch, wie man es von reichen und gebildeten Menschen kennt, selbst wenn man mit ihnen nur am Telefon spricht“, deutete David an, ihn sofort als den Anrufer „Mr. Emerson“ erkannt zu haben.

„Dann haben wir jetzt wohl endgültig den Punkt erreicht, an dem wir das alberne Spiel mit falschen Namen nicht mehr nötig haben. Wir alle wissen längst, dass Sie Dr. Dembski sind. Sie sollen übrigens gleich wissen, dass ich Mr. Abrahams heute Morgen vor einer Begegnung mit Ihnen und vor einer Berührung mit diesen Dateien aus Sicherheitsgründen abgeraten habe.“

„Sie klangen ganz anders, als Sie sich noch Emerson nannten. Was hat Sie plötzlich so pessimistisch gemacht?“

O’Brians letzter Satz hatte sofort sehr schlechte Gefühle bei David ausgelöst und er hatte große Mühe seine Enttäuschung zu verbergen.

„Jeder muss sich doch fragen, wie lange es noch dauern wird, bis unsere eigenen Geheimdienste auf Sie kommen, wenn sogar die Russen Sie schon verfolgen. Der Vorfall mit der falschen Lydia Abramovitch und der nächtliche Besuch im Maison Rouge hat meines Erachtens alles verändert. Ich habe noch einmal über alles nachgedacht und halte es inzwischen für viel zu riskant, an Ihrem Vorhaben weiter festzuhalten. Ich würde wirklich gern herausfinden, ob Ihr Handeln eher von Mut oder eher von Naivität bestimmt wird.“

„Dann bleibt mir nur übrig zu fragen, was Mr. Abrahams dazu bewogen hat, trotzdem mit mir zu sprechen.“

„Möglicherweise ist sein eigener Stolz der Grund dafür. Vielleicht sympathisiert er auch mit Ihrem Kampf für die Freiheit und der damit verbundenen Zivilcourage. Die Sache mit dem Regin-Spionagesystem, die Sie ja selbst am Telefon erwähnten, hat sicher auch damit zu tun.“

„Haben Sie inzwischen eine Erklärung dafür, woher die Russen über alles Bescheid wussten? Ich meine, falls sie wirklich damit zu tun hatten…“

O’Brian zögerte merklich, etwas dazu zu sagen und entgegnete schließlich mit einigem Widerwillen:

„Was weiß ich… vielleicht haben die Russen ein paar Maulwürfe bei der CIA oder NSA eingeschleust, die ihnen bereits etwas über ein großes Datenleck verraten haben. Oder es war einfach ein Zufallstreffer und man hat die Emails mitgelesen, die Sie an uns geschickt haben. Es wäre sogar nicht auszuschließen, dass bei Independent Internet ein Verräter sitzt und die Information über Ihren Besuch in New York direkt an die Russen weiterverkauft hat. Mit Sicherheit wissen wird man dies möglicherweise nie.“

O’Brian hatte einen lapidaren Ton aufgelegt, durch den er das Thema wie eine Nebensächlichkeit zu behandeln schien. Er hatte ganz offensichtlich keine Lust mehr die Unterhaltunng fortzuführen und schwieg sich behaarlich aus, bis er irgendwann mit einer Handbewegung auf das in der Ferne sichtbar werdende Ende des unendlichen Gebäudemeeres hinwies. Im dunstigen Himmel sah die direkt dahinter beginnende, grüne Insel des Harriman State Parks wie eine Fata Morgana am Rande einer gigantischen Steinwüste aus. Als sie nach nur wenigen Minuten das Naturparkgebiet erreichten, blickten alle mit großem Interesse auf die Waldungen und Seen hinunter, die einem im Kontrast zu New York auf den ersten Blick geradezu paradiesisch vorkamen.

Abrahams flog eine Weile Richtung Norden an der Interstate 87 entlang, wobei die Route von seinem alten Freund und Co-Piloten Donald King dirigiert wurde, der wie er weit über siebzig Jahre alt war. Das eingefahrene Gespann navigierte den schweren Helikopter mit routinemäßiger Sicherheit zum nördlichen Teil des State Parks, wo sich das mehrere Hektar große Gelände des noblen Harriman Countryclubs befand. Als David während des Landeanfluges das erste Mal das im neoklassizistischen Stil erbaute, riesige Hauptgebäude der Anlage sah, fühlte er sich an einen Bericht über eines der legendären „Bilderberger“-Treffen erinnert, bei dem sich führende Persönlichkeiten der westlichen Welt vor nicht langer Zeit in einem ähnlichen Gebäude irgendwo in den USA getroffen hatten, um streng geheime Beratungen über bedeutende politische und ökonomische Entscheidungen abzuhalten. Er beobachtete gebannt die ausgedehnten Wald- und Rasenflächen sowie das weitläufige Netz bekiester Wege, das Verbindungen zwischen dem palastartigen Herrenhaus, den verschiedensten Nebengebäuden und einem großen, mit einer beachtlichen Zahl von Luxuslimousinen gefüllten Parkplatz schuf.

Das Dröhnen und Vibrieren nahm während der Landung wieder stark zu und er musste innerlich darüber lächeln, wie der grauhaarige und stämmige Wesley Snyder von der Unternehmensberatung „Longfield-Whitehouse“ ängstlich seinen schwarzen Aktenkoffer auf seine Knie presste, sich verkrampft nach vorne beugte und in seinem teuren Maßanzug so aussah, als wäre er sonst nur den Flug in einem leise summenden Learjet gewohnt. Der Landeplatz befand sich nur etwa 130 Yards vom Herrenhaus entfernt, sodass das mächtige Kreischen der schweren, prestigeträchtigen Maschine aus New York einiges Aufsehen erregte.

Als der Rotor nach erfolgreicher Landung langsam auszulaufen begann, liefen Angestellte des Clubs über den fein gestutzten englischen Rasen zur Landefläche, um die Türen des Helikopters zu öffnen und die Gäste gebührend in Empfang zu nehmen. Derweil versammelte sich auf einer der Terrassen eine kleine Gesellschaft, um von dort die Ankunft der achtköpfigen Gruppe zu beobachten. Abrahams wurde nach dem Verlassen der Maschine sofort von Walter Silverman und Akuma He eingerahmt, die ab jetzt für die persönliche Sicherheit des Chefs verantwortlich waren. David konnte mit ihm nur ein paar wenige, erste Worte wechseln, da Abrahams ihn kaum ausreden ließ und ihm sofort die nötigen Erklärungen gab. Dabei sprach er ihn ungeniert mit seinem richtigen Namen an und hielt eine Weile seine ausgestreckte Hand in der seinen fest.

„Seien Sie so gut, lieber Dr. Dembski, und haben Sie etwas Geduld mit mir. Wie Sie wissen, bin ich für wichtige geschäftliche Besprechungen hier und werde mir zwischendurch etwas Zeit für Sie nehmen. Schauen Sie sich in Ruhe um und lassen Sie sich von Miss Abramovitch in das Restaurant begleiten. Mein Vater war Gründungsmitglied in diesem Club und ich habe in dem Haus eigene Räumlichkeiten, in denen wir uns nachher treffen werden.“

Daraufhin bewegte sich Abrahams mit schnellen Schritten direkt auf das Herrenhaus zu, wohin ihm He, Silverman, O’Brian und Snyder auf dem Fuß folgten. Als David schließlich allein mit Abramovitch langsam auf die Terrasse zuschlenderte, wurde er von ihr informiert:

„Falls es Sie interessiert, Dr. Dembski. Der Harriman Countryclub ist natürlich nur rein äußerlich ein Ort für Freizeit und Unterhaltung, da er vor allem eine wichtige Bühne für hochkarätige Geschäftsbesprechungen darstellt, wenn diese auf neutralem Boden stattfinden sollen. Mr. Abrahams hat mich gebeten, mit Ihnen etwas abseits zu bleiben, damit er nicht mit Ihnen zusammen gesehen wird. Zwar werden hier im Allgemeinen nicht die Geheimdienste vermutet, aber natürlich man weiß nie genau, wer sich hier alles herumtreibt.“

Es klang wie eine Entschuldigung für die Tatsache, dass sie nun von dem breiten, zur Terrasse führenden Hauptweg abbogen und sich zu einem Nebeneingang des Gebäudes begaben, der für all diejenigen gedacht war, die keine Erlaubnis hatten, die innersten Räumlichkeiten des Elite-Clubs zu betreten.

-

Abrahams’ Wunsch, „Mr. Burke“ aus dem Zentrum des Geschehens herauszuhalten, war zwar sehr richtig, aber eigentlich war es schon zu spät dazu. Bei der Ankunft des Helikopters hatte nämlich Clifford Dearing, ein hochrangiger Sicherheitsoffizier des LOGO-Konzerns, die Vorhänge hinter einem der großen, bogenförmigen Sprossenfenster im ersten Stock des Herrenhauses zur Seite geschoben und die ankommenden Besucher mit einem elekronischen Präzisionsfernglas genau beobachtet. Ein ganzer Tross von LOGO-Angestellten wartete in den ihnen zugewiesenen Räumen auf den Beginn der Vorverhandlungen, bei denen es um die Übernahme der Hauptinternetsparte von Independent Internet ging. Bei diesem Deal sollte nichts dem Zufall überlassen werden, weswegen der Sicherheitsoffizier Dearing von einem Mitglied des höheren Managements, Oliver Hill, über die eben gelandeten Personen exakt befragt wurde.

„Fliegt der Alte immer noch selber, Dearing? Können Sie etwas erkennen?“

„Es sieht so aus. Er hat wieder den gleichen Co-Piloten, diesen Donald King, dabei.“

„Wenn der olle Abrahams immer noch fliegt, kann er noch nicht völlig senil geworden sein“, schloss Hill und erntete dafür das beifällige und spöttische Lachen einiger Mitarbeiter, die in den großzügigen Räumlichkeiten verteilt vor ihren Laptops saßen.

„Da wäre auch wieder sein nicht zu unterschätzender Freund Tosh O’Brian, den wir ja schon intensiv durchleuchtet haben, und zwei bis drei Sicherheitsleute, die ich noch nicht alle genau erkennen kann. Auf jeden Fall ist unübersehbar der fette Silverman dabei, der uns bestimmt wieder nützliche Informationen liefern wird.“

Dearing stellte das elektronische Fernglas schärfer ein und berichtete weiter:

„Da ist ein Chinese, den ich noch nie gesehen habe. Vordergründig Sicherheitsmann, in Wahrheit vielleicht mehr… agiler Typ, wahrscheinlich Kampfsport erfahren… sieht aus wie der kleine Bruder von Jackie Chan.“

„Machen Sie ein paar Aufnahmen von dem Mann und lassen Sie sie durch die Suchmaschine laufen. Vielleicht gibt es ein Matching mit irgendeiner Abbildung im Internet oder in unseren internen Archiven“, befahl Hill.

Dearing betätigte den Auslöser des Fernglases, das zugleich eine Kamera war und eine Internetverbindung hatte, und fuhr dann fort:

„Die lesbische Super-Abramovitch ist auch wieder dabei. Wenn Sie erlauben, möchte ich mir weitere Kommentare dazu ersparen…“

„Ob diese Frau sich der Männerwelt grundsätzlich verschließt, sollte vielleicht einmal unser Enrico genauer überprüfen“, meinte Hill mit ironischem Lachen, in das fast alle wieder einfielen. Nur Enrico Gonzalez, der dunkelhäutige Schönling der Truppe, grinste nur still über seinem Laptop vor sich hin, auf dem er als Junior-Controller gerade verschiedene Kennzahlen der Internetsparte von I.I. durchging.

„Neben ihr steht ein etwas untersetzter, grauhaariger Mann, der in der Gruppe wie ein Fremdling aussieht. Wüsste absolut nichts über ihn zu sagen, außer dass er bestimmt nicht zum Helikopter oder zur Sicherheit gehört“, äußerte sich der Sicherheitsoffizier nun ziemlich ratlos über Dembski, der zum Zeitpunkt seiner Beobachtung genau neben Lydia auf dem Rasen vor dem Helikopter stand. Da er im nächsten Moment vor Abrahams trat, um ihm die Hand zu schütteln, ergänzte Dearing:

„Er muss irgendjemand sein, der mit der Firma nichts zu tun hat. Jetzt gerade steht er vor Abrahams und reicht ihm die Hand, als ob er ihn noch nie zuvor gesehen hätte.“

„Sieht er seriös genug aus, um von der Konkurrenz zu sein, oder ist er vielleicht nur ein Co-Co-Pilot?“, wollte Hill ungeduldig wissen.

„Hat auf jeden Fall Format, sieht respektabel aus. Wenn wir Pech haben, wird es ein Vertreter von AM-NET sein, der für Abrahams den Preis hochtreiben soll“, mutmaßte Dearing.

„Solche Schlüsse überlassen Sie bitte mir. Ich will nur wissen, was Sie sehen. Die Preise sind im Grunde längst festgelegt“, wies Hill seinen Untergebenen barsch zurecht.

„Bei genauerer Betrachtung sieht er ein wenig alt und müde aus und könnte ein neues Sakko gebrauchen. So leicht ist er auf Anhieb nicht einzuordnen“, kommentierte Dearing gelassen und zeigte sich von der Zurechtweisung ungerührt.

„Machen Sie so viele Aufnahmen wie möglich. Auch später noch, wenn Sie ihn irgendwo sehen. Danach soll ihn die Suchmaschine fressen“, erteilte Hill denselben Befehl wie für He.

„Für den Schluss habe ich mir ein altbekanntes Gesicht aufbewahrt, für das ich Ihnen sofort den Namen sagen kann: Wesley Snyder, der alte Fuchs von Longfield-Whitehouse, der einer Milchkuh Kaufoptionen für Melkmaschinen andrehen könnte, damit sie sich selbstständig machen kann“, scherzte Dearing und löste damit ein allgemeines Gelächter im Raum aus.

„Ach ja, der verfuchste Snyder. Er soll wirklich gut sein. Es heißt übrigens, er wolle für uns nicht arbeiten. Scheint wohl irgendwelche Prinzipien zu haben. Aber hier zieht er uns nicht über den Tisch, weil es überhaupt keine Möglichkeit mehr dazu gibt.“

Nachdem Dearing wieder vom Fenster weggetreten war, weil sich die Gruppe um Abrahams auflöste und zum Hauptgebäude hinüberkam, drehte sich Hill zu seinen Kollegen um und rief in den hochherrschaftlich wirkenden Raum hinein:

„Ich möchte eine kleine Wette ausgeben: Wenn Enrico es schafft, ein Date mit Super-Abramovitch zu arrangieren und sie auch nur ein einziges Mal herumzudrehen, ist seine Abteilung einen Monat lang überstundenfrei!“

Darauf war das Gebrüll und Lachen einiger jüngerer Mitarbeiter zu hören, die Enrico allerlei unflätiges Zeug zuriefen und zu der von ihm geforderten Heldentat anspornten. Als wieder Stille eingekehrt war, wählte Hill jemanden aus, der zu den Räumen von Independent Internet hinübergehen und versteckt beobachten sollte, was dort für Leute ein und aus gingen. Die Maßnahmen, die der Manager ergriff, wären vielen übertrieben vorgekommen, aber ihm schienen sie die Mindesten zu sein, da es um den Beginn eines Multi-Milliarden-Deals ging – der sollte von Anfang an richtig eingefädelt sein und durfte keine unvorhergesehene Wendung nehmen, nur weil man irgendeine Kleinigkeit übersehen hatte.

Als der ausgewählte Kollege sich weigerte auf den Beobachtungsposten zu gehen, da er noch dringend wichtige Zahlen zu bearbeiten hatte, meldete sich Enrico Gonzalez freiwillig, um weiteren zynischen Kommentaren zu entgehen und sich vorsorglich zu profilieren, falls die Wette mit Abramovitch danebenging. Der Sohn mexikanischer Einwanderer, der mit seinem schlanken, muskulösen Körper und seinen adrett frisierten schwarzen Haaren tatsächlich auffällig gut aussah, ging schnurstracks auf den breiten, mit aufwendigem Holzparkett und dicken Läufern ausgelegten Korridor hinaus und bewegte sich unauffällig zu der eindrucksvollen, im Mittelpunkt des Gebäudes befindlichen Freitreppe, um sich auf dem Treppenabsatz hinter einem Vorhang am Rand eines großen Fensters zu verbergen. Als wenig später Leo Abrahams mit seinen beiden Leibwächtern sowie Snyder und O’Brian im Schlepptau die Treppe hochkam und dann nach rechts den langen Korridor zu den Räumen von Independent Internet hinüberging, beobachtete Enrico befriedigt, dass sich der Gruppe bisher kein weiterer, unvorhergesehener Gast dazugesellt hatte, wodurch sich der LOGO-Tross weiterhin klar im Vorteil wähnen durfte. Jeder weitere Spezialist einer renommierten Wirtschaftskanzlei oder Unternehmensberatung – und sei er nur halb so clever wie Wesley Snyder – könnte den Konzern unter Umständen hunderte Millionen oder sogar Milliarden Dollar kosten, wenn der Deal plötzlich völlig neu aufgerollt werden musste.

Zehn Minuten später wandte sich Abrahams in den privaten Räumen von I.I. an Wesley Snyder, mit dem er in einer gemütlichen Sitzgruppe bei Kaffee und Gebäck zusammensaß, damit dieser ihm noch einmal seine Strategie für die Vorverhandlungen darlegte.

„Also, was denken Sie, Wesley? Gibt es noch irgendetwas, was uns überraschen könnte? Welchen Preis haben Sie endgültig anvisiert?“

Er stellte seine Frage mit einer solch betonten Leichtigkeit, als handelte es sich um nicht mehr als den Verkauf eines 100000 Dollar Aktienpakets, wodurch er sich selbst beruhigen wollte. Der rüstige Snyder, der schon oft genug bei langwierigen Verhandlungen seine große Standfestigkeit bewiesen und viele große Geschäftsleute mit der Ausdruckslosigkeit seines Pokerfaces beeindruckt hatte, hegte tiefe Sympathie für Leo, auch wenn er ihm nicht völlig vertraute, was ein sehr wichtiges Grundprinzip in seiner Branche war.

„Glücklicherweise durfte ich bei der Preisfindung die Information berücksichtigen, dass Sie eine geheime Abmachung mit Marc Rutherford getroffen haben. Hätten Sie mir dies nicht verraten, hätte es uns eine enorme Summe gekostet. Ein einzelner Satz kann manchmal eine Milliarde wert sein!

Ich kenne Rutherford, diesen elenden Hund: Er spielt aggressiv und beißt zur Not auch zu, aber die ihm diktierte Preisspanne hält er wie ein kleiner Bankangestellter ein, damit er seinen Hintermännern und Verbündeten einen erfolgreichen Abschluss präsentieren kann.“

„Bevor Sie weiterreden, Mr. Snyder, lassen Sie bitte eben noch unseren Mr. He die Räume zu Ende untersuchen. Auch gewissenhaft ausgeführte Sicherheitsmaßnahmen können unter Umständen sehr viel Geld wert sein!“, wurde Snyder an diesem Punkt von Tosh O’Brian unterbrochen.

Tatsächlich war Akuma He bereits seit einiger Zeit damit beschäftigt, mit einem Detektor die Loge auf potentielle Abhöranlagen zu durchsuchen. Auch Walter Silverman hatte sich die Räume genau angeschaut und dabei mehr auf den Instinkt seiner Schnüffelnase als etwa auf technische Geräte vertraut. Nachdem die beiden wenig später grünes Licht für den Fortgang des Gespräches gegeben hatten, griff Snyder sofort wieder das Thema auf:

„Nach meiner Erfahrung ist der Verhandlungsspielraum bei allen Deals, mit denen Rutherford zu tun hat, sehr groß, da immer enormes Kapital im Spiel ist und es auf ein paar hundert Millionen nicht ankommt. Ich habe alle bekannten Abschlüsse der letzten Jahre genau untersuchen lassen, bei denen der Rutherford-Kreis auch nur im Entferntesten beteiligt war. Die meisten davon lagen auffällig hoch, was mir beweist, dass man es oft mit einem illegal aufgebauten Verkaufsdruck zu tun hatte und die Opfer durch Höchstpreise entschädigt wurden. Wir wären schön dumm, wenn wir das Blatt nicht voll ausreizen würden und mit weniger als dem Maximum vom Spieltisch gehen!“

Leo klatschte daraufhin ein paar Mal lautlos in die Hände, als ob er seinem Verhandlungsführer Beifall spendete, und meinte:

„Bravo, Snyder-Man“ – wie er ihn manchmal nannte – „wenn ich höre, nicht mit weniger als dem Maximum vom Spieltisch gehen, möchte ich Sie gleich für alle meine zukünftigen Verhandlungen engagieren. Aber jetzt möchte ich endlich einmal konkrete Zahlen hören!“

„Sie kennen die offiziellen Zahlen, sie pendeln sich etwa auf einem Niveau von 5,5 Milliarden ein, was an sich schon ein extrem guter Preis für die Internetsparte ist, die ohne LOGO ohnehin nicht mehr lange überlebensfähig ist. Nach meinen Vergleichen mit ähnlichen Geschäften würde ich immer einen durchschnittlichen Aufschlag von rund 25 Prozent empfehlen, wobei ich in diesem Fall mit runden 7 Milliarden voll zufrieden wäre. Weniger darf es meines Erachtens nicht sein, ansonsten sollten wir in eine neue Verhandlungsrunde gehen!“

Obwohl Leo natürlich längst selbst gerechnet hatte, war er deshalb so begeistert, weil Snyder unmittelbar vor dem Beginn der Verhandlungen bei seiner Kalkulation geblieben war und nicht plötzlich neue, noch unberücksichtigte Aspekte auf den Tisch legte. Er ließ ein lautes, triumphales Lachen hören, in das Snyder und O’Brian kurz einfielen.

Allerdings waren weder Snyder noch O’Brian in Leos langfristige Geschäftspläne eingeweiht. Wenn Snyder ein „alter Fuchs“ war, dann war Leo der „Vater aller alten Füchse“ und wusste daher genau, auf Dauer durch den Zwangsverkauf des Internetgeschäfts und die Re-Investition des Kapitals in die East-West-Water-Holding nicht wirklich zufrieden sein zu können, da die nächsten Einmischungen in den Konzern sicher nicht lange auf sich warten lassen würden. Sein Plan war simpel und bei allem Risiko trotzdem Erfolg versprechend: Er verkaufte die Internetsparte zum überhöhten Preis, ließ das Kapital zunächst pro forma in die East-West-Water fließen, wie es von dem mächtigen Rutherford-Kreis diktiert worden war, und veräußerte dann die Holding so schnell wie möglich zu einem nochmals höheren Preis an die Chinesen, noch bevor dies durch weitere Interventionen am Markt unmöglich wurde. Sollte er scheitern, bliebe er an dem Wasserprojekt hängen, was in seiner Lage nicht das Schlimmste wäre, doch arbeitete bereits eine der besten Kanzleien der Welt in Hongkong an einem Vertrag, der eine Weiterübertragung der Firma unmittelbar nach ihrem Erwerb möglich machen würde.

Tosh O’Brian glaubte immer noch an die große Zukunft des Wassergeschäfts, wie sie ihm Leo mit großer Begeisterung erst vor wenigen Tagen vorgespielt hatte, um selbst seine größten Vertrauten bis zum letzten Moment in die Irre zu führen. Daraus erklärte sich auch die Frage, die er nun Wesley Snyder stellte:

„Können Sie mir irgendetwas über die East-West-Water Holding sagen, Mr. Snyder? Halten Sie die langfristigen Aussichten für viel versprechend oder würden Sie raten zusätzlich woanders zu investieren?“

„Die Aussichten sind an sich rosig, da der Westen langsam austrocknet. Aber bei einem solchen Geschäft muss man besonders den Einfluss verschiedener Interessengruppen einkalkulieren, der die Margen durch die Fixierung der Wasserpreise stark drücken kann. Man muss darauf vertrauen, dass die Preise aus öffentlichem Interesse nicht zu niedrig gehalten werden, damit der Betrieb mit Gewinn arbeiten kann und es nicht zu einem Investitionsstau in der Infrastruktur kommt.

Aber vielleicht sollten wir uns jetzt besser die Grundverträge für die Vorverhandlungen ansehen, da die ersten Konsultationen bald beginnen. Wann kommen eigentlich Ihre Juristen, Leo? Wollten die nicht schon längst hier sein?“

Da Abrahams solche Fragen nicht selbst beantwortete, sprang sofort seine rechte Hand Tosh für ihn ein und erklärte:

„Sie werden wahrscheinlich im Stau stecken geblieben sein. Der junge Dr. Gillian ist ziemlich ehrgeizig und ist mit Parker extra noch einmal nach Danbury hochgefahren, wo Prof. Hanson, der bekannte, pensionierte Wirtschaftsjurist, eine kleine Kanzlei betreibt. Hanson war früher Gillians Doktorvater und nun wollen sie sich gemeinsam die Änderungen in den Verträgen ansehen, die uns das Sekretariat von White am Wochenende zugefaxt hat. Ich werde Gillian gleich einmal anrufen.“

Während sich Tosh erhob, um in seinem an der Garderobe abgehängten Jackett nach seinem Mobiltelefon zu suchen, kommentierte Snyder:

„Na, dann hoffe ich mal, man kann auf die Verschwiegenheit dieses Prof. Hansons vertrauen. Auch wenn sich durch den Umweg über Danbury eine kleine Verzögerung ergibt, könnte er eine gute Investition gewesen sein. Den Rechtsverdrehern von White & Blumberg ist meiner Erfahrung nach nämlich nicht über den Weg zu trauen.“

Leo Abrahams ließ darauf nur ein kleine Lächeln sehen, denn ihm fiel gerade etwas ein, weswegen er Silverman in seine Nähe rief.

„Hören Sie, Silverman, ich möchte, dass unser Dr. Dembski später in Begleitung von Miss Abramovitch in Gillians und Parkers Wagen zurück nach New York fährt. Mr. He sagte eben zu mir, es wären unerwartet viele Leute von LOGO hier und ich möchte deswegen nachher nicht mehr zusammen mit Dembski gesehen werden. Vielleicht befinden sich ja auch noch ein paar ungebetene Gestalten hier.

Würden Sie bitte Miss Abramovitch darüber informieren? Sie wird sich wie immer unten im Restaurant oder in der Bar aufhalten.“

„Natürlich, Sir!“, erwiderte Silverman untertänig und verließ gleich den Raum. Natürlich war ihm klar, dass mit „ungebetenen Gestalten“ nur die Agenten irgendeines Geheimdienstes gemeint sein konnten.

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Als Silverman den menschenleeren Korridor betrat, beobachtete Enrico Gonzalez, der noch immer in der Fensternische hinter dem Vorhang stand, wie der dicke Mann etwas auf einen Zettel schrieb, sein Telefon hervorholte und jemanden anrief. Danach schien er eine Weile zu warten und sich dann auf seinem Weg nach unten absichtlich viel Zeit zu lassen, da er die breite, mit einer schweren Marmorbrüstung ausgestattete Freitreppe betont langsam herunter schritt. Unten angelangt kam ihm eine junge Frau aus dem linken Korridor des ersten Stocks entgegen, die Enrico als Wanda Adams, die etwas überdrehte, aber flinke rechte Hand seines Chefs Hill erkannte, und nahm von Silverman wortlos den Zettel entgegen, worauf sie wieder in den Räumen von LOGO verschwand.

Der schöne Enrico wunderte sich über den Vorfall nicht, da es in seiner Abteilung allgemein bekannt war, dass Hill ein weit verzweigtes Netzwerk von gut geschmierten Informanten unterhielt, um sich bei allen bedeutenden Geschäftsabschlüssen enorme Vorteile zu verschaffen. Er nahm sich noch die Zeit, Silverman bis unten in das Erdgeschoss zu folgen, wo dieser den Weg durch eine getönte Glastür zum Restaurant einschlug, der in umgekehrter Richtung durch zwei Männer in schwarzen Anzügen bewacht wurde. In dem Moment, als er kurz nach Silverman das um diese Zeit kaum besuchte Restaurant betrat, war auf einmal ein feines Vibrieren und Klirren in den prächtigen Kristallweingläsern auf den fertig gedeckten Tischen zu vernehmen, das mehr und mehr von einem lauten Maschinengeräusch übertönt wurde. Enrico sah durch die Fenster des Restaurants über die Terrasse hinweg in den Himmel des parkähnlichen Gartens und beobachtete, wie ein tiefschwarz lackierter Helikopter im Anflug war und kurz darauf Leo Abrahams’ nicht lang zurückliegende Landung durch ein noch lauteres Brausen merklich übertrumpfte.

Auch Leo schaute im zweiten Stock neugierig aus dem Fenster hinaus und sah wenig später, wie sich Amy Livingston – Vorstandsmitglied von LOGO und enge Vertraute von CEO Eric Young – mit etwas unsicheren und affektierten Schritten auf ihren Stöckelschuhen von der Maschine entfernte, wobei sie sich von einem Begleiter an ihrem Ellenbogen stützen ließ. Genauso wie es vorhin Clifford Dearing bei Abrahams Ankunft getan hatte, beobachtete nun Akuma He mit einem Fernglas Livingstons Tross. Er bestand im Kern aus fünf Personen, von denen er drei mit großer Sicherheit als Angehörige der Kanzlei White & Blumberg und zwei als die beiden jungen Assistentinnen der hochgestellten Managerin identifizieren konnte.

David, der mit Lydia Abramovitch unten in der neben dem Restaurant befindlichen Bar saß und dabei Chauffeure, Piloten, Assistenten, Sicherheitsleute und Journalisten – kurzum das Gefolge all der anwesenden, höheren Herrschaften – zur Gesellschaft hatte, wusste von den großen Geschäften hinter den Fassaden des aristokratischen Gebäudes bisher noch nicht viel, wurde aber gerade von Lydia bis zu einem gewissen Grad über sie aufgeklärt. Der landende Helikopter, der von der Bar aus gut zu sehen war, veranlasste ihn dazu, zu seiner Begleiterin zu sagen:

„Die Leute von LOGO scheinen ja wirklich überall zu sein. Ich frage mich, wann die endlich einmal an eine natürliche Grenze stoßen und von irgendeiner höheren Macht in ihre Schranken verwiesen werden.“

„Diese Grenze wird erreicht sein, wenn die aufgeblähte Internetblase eines Tages einmal richtig platzen wird, weil die Menschen plötzlich unendlich gelangweilt sind und eine neue Sehnsucht nach dem guten, alten, echten Leben verspüren“, antwortete Lydia mit einem Sarkasmus, der sich aus der lockeren und leicht ironischen Unterhaltung erklärte, die sie zuvor geführt hatten.

„Ich wundere mich, das gerade von Ihnen zu hören. Sie sollten umsatteln, Miss Abramovitch, und sich in Zukunft für Natur, Spiritualität und den freien Flug der menschlichen Seele interessieren, anstatt für einen Internetkonzern zu arbeiten.“

Noch während Lydia darüber lachte, trat Walter Silverman an ihren Tisch, um sie über Leo Abrahams’ Anweisung zu informieren.

„Entschuldigen Sie die Störung, Miss Abramovitch. Mr. Abrahams möchte, dass Sie und Mr. Burke später mit zwei Leuten von der Rechtsabteilung, Dr. Gillian und Mr. Parker, im Wagen zurück nach New York fahren. Er sieht zu viele LOGO-Leute hier, und es ist auch nicht auszuschließen, dass ein paar Agenten unter ihnen sind. Er will möglichst nicht mit Mr. Burke zusammen gesehen werden.“

„Ist gut, Silverman. Was glauben Sie, wie lange die Konsultationen heute dauern werden?“, antwortete Lydia gelangweilt. Sie fürchtete stundenlang untätig in der Bar warten zu müssen, wie es ihr an diesem Ort schon einige Male geschehen war.

„Sie wissen ja, wie es ist. Sie können jederzeit abgebrochen werden, nur weil man einen klitzekleinen Fehler in den Verträgen findet und die Rechtsverdreher dann eine ganz Nacht lang darüber brüten müssen. Oder es könnte bis zum späten Abend dauern, bis dann der Alte einen 7-Milliarden-Deal mit uns feiert und zu Champagner einlädt. Ich werde später wieder vorbeikommen und Mr. Burke abholen, sobald Mr. Abrahams ihn sehen will!“

Nach dieser Ankündigung zog Silverman gleich wieder ab, worüber sie beide erleichtert waren. In dem Durchgang zwischen Bar und Restaurant begegnete Silverman dem schönen Enrico Gonzalez, den er jedoch nicht persönlich kannte und nur im Vorbeigehen unbewusst dem Lager von LOGO zuschrieb. Enrico wollte eigentlich nur kontrollieren, ob irgendein hochkarätiger Wirtschaftsberater in der Bar saß, den er vielleicht noch übersehen hatte, und entdeckte dabei zufällig „Super-Abramovitch“, die mit dem älteren Herrn am Tisch saß, den der Sicherheitsoffizier Dearing nicht hatte identifizieren können. Er zögerte eine Weile und entschloss sich dann seinen ganzen Mut zusammenzunehmen und zu ihr hinüberzugehen, woran er an die Prämie der Wette dachte, die sein etwas exzentrischer Chef Oliver Hill ausgelobt hatte. Er war nicht schüchtern, aber auch kein Draufgänger und die Aussicht auf einen überstundenfreien Monat für eine Abteilung, die mehr als 100 Leute beschäftigte, wog relativ schwer.

In demselben Moment traf Walter Silverman auf dem Treppenabsatz zwischen erstem und zweitem Stock zufällig Clifford Dearing, was ihm sehr gelegen kam, da er diesen ohnehin bald angerufen hätte. Die Worte, die sie nun wechselten, waren mehr als nur vertraulich und hätten nicht einmal von ihren engsten Mitarbeitern gehört werden dürfen.

„Na, Silverboy du alte Schlange…“, begrüßte Dearing ihn mit seinem internen Spitznamen herablassend und blickte sein Gegenüber fast verächtlich an, „…wann hast du dir endlich deinen Vorruhestand versilbert und kannst dich mit dickem Portemonnaie auf irgendeine Ranch in Texas zurückziehen?“

„Wie du siehst, habe ich starkes Übergewicht und werde mir sicher nicht weitere fünf Jahre meine zarten Füße für den alten Abrahams platt treten“, erwiderte Silvermann mit einem leicht beleidigten Ton, der etwas von einer latenten Rechtfertigung für seine verräterischen Geschäfte an sich hatte.

„Und du denkst wirklich, Snyder hat die 7 Milliarden so festgemacht, dass kein Jammern und kein Klagen hilft?“, wurde Dearing sofort geschäftlich und spielte auf die Information auf dem Zettel an, den Silverman seiner Assistentin Wanda Adams zugesteckt hatte.

„Wenn ihr euch unnötige und kostspielige Verzögerungen ersparen wollt, würde ich noch heute darauf eingehen“, empfahl „Silverboy“ und klang dabei für eine Sekunde wie ein hoch dotierter Unternehmensberater. Ein Tipp, wie er ihn heute gegeben hatte, brachte ihm bis zu 50000 Dollar ein, wenn er tatsächlich einen entscheidenden Einfluss auf die Verhandlungen nahm.

Dearing schaute ihn mit zusammengekniffenen Augen prüfend an. Silverman, der „alten Schlange“, war absolut nicht zu trauen, weswegen er es jetzt plötzlich sogar für möglich hielt, dass er seine geheimen Geschäfte scheinbar reumütig vor Abrahams offen gelegt hatte, um von diesem eine weitere Summe für das Abgeben falscher Tipps zu kassieren, die für I.I. von Vorteil waren.

„Snyder wird absolut hart bleiben, da kannst du mir vertrauen. Er hat einige Kenntnis über die inneren Strukturen von LOGO und weiß natürlich auch von dem Rutherford-Kreis und diesem ganzen Scheiß…“, unterstrich Silverman noch einmal.

„Dann sag mir noch, wer der bärtige Kerl in dem altmodischen Tweedjackett ist, der mit euch gekommen ist“, forderte Dearing barsch.

„Der hat rein gar nichts mit dem Geschäft zu tun. Ist bloß ein alter Freund von Abrahams, der gerne einmal im Helikopter mit geflogen ist und zu seinem persönlichen Vergnügen den Club besucht.“

Unter anderen Umständen hätte Silverman nicht eine Sekunde gezögert, aus allem, was er über Dembski wusste, sofort Kapital zu schlagen. Es gab einen bestimmten Grund, warum er es nicht tat, denn er wollte sich dadurch nicht selbst in einem anderen Geschäft zuvorkommen. Jeder, der Silvermans ganze Niedertracht durchschaut hätte, wäre sein Spitzname „Silverboy“ extrem verharmlosend vorgekommen und er hätte lieber den Namen „Judas“ gewählt. Dies wäre allein deswegen gerechtfertigt gewesen, weil Silverman den heißen Tipp über einen Whistleblower in New York, der sich samt seiner heißen Ware in einem Hotel namens „Maison Rouge“ einquartiert hatte, schon frühzeitig sehr teuer an die Russen verkauft hatte.

Clifford Dearing spürte, wie unverschämt Silverman über den „Kerl in dem altmodischen Tweedjackett“ log, allein schon weil dieser nach der Landung Leo Abrahams wie einem Fremden und nicht wie einem alten Freund die Hand geschüttelt hatte.

Vergnügungsausflug in den Club, das soll ich glauben!? Der Mann sieht mehr nach irgendeinem Wirtschaftsprofessor aus, der sich plötzlich noch einmischen wird und uns unnötige Schwierigkeiten macht!“

„Glaub’ es oder glaub’ es nicht, ansonsten musst du die Wahrheit selber herausfinden. Der Wirtschaftsprofessor, von dem du sprichst, sitzt jedenfalls in Danbury und wird heute sicher nicht hierher kommen. Wir erwarten nur die zwei Juristen, die du bereits kennst. Und jetzt lass’ mich durch, ich muss nach oben, um Abrahams zu den Verhandlungen zu begleiten!“

Als Silverman bereits an ihm vorbeigegangen war, drehte er sich noch einmal um und fragte den Anderen scheinbar beiläufig:

„Ach, bevor ich es vergesse: Wie sieht es denn umgekehrt aus? Abrahams hat mich gebeten die Ohren offen zu halten und lässt sich gute Informationen natürlich immer etwas kosten!“

Dearing musste über den dicken, unverschämten, geldgierigen Mann plötzlich lachen, der eine solch bedeutende Sache wie nebenbei vorbrachte und ihn nicht gleich danach gefragt hatte. Er wollte nämlich schon die ganze Zeit darauf kommen.

„Die Information, die ich habe, kostet 40000 Dollar, heute Abend bar auf die Hand. Kannst du das klar machen, Silverboy?“, fragte Dearing in einem räudigen Ton, durch den er plötzlich wie ein Straßendealer klang.

„Das läuft nur, wenn die Verhandlungen heute zum Abschluss kommen. Du kennst die Regel: Die Information muss sich als wirklich nützlich erweisen, bevor Geld ausgezahlt wird. So gilt es bei mir – also auch bei dir.“

Obwohl Silverman sehr oft hoch pokerte, hörte er sich bei dieser Feststellung wie ein kleiner Buchmacher an, der auf penible Art Gerechtigkeit einforderte.

„Durch diese Information werden die Verhandlungen überhaupt erst zu einem erfolgreichen Abschluss kommen können. Überleg es dir und schlag lieber ein, bevor ich es mir anders überlege!“, zog Dearing sofort die Daumenschrauben an.

„Schon gut, schon gut… wir werden ja sehen. 40000 kämen in dem Fall wie aus der Portokasse.“

„Dann hör’ zu:

Nachdem Hill durch dich erfahren hat, dass Snyder in jedem Fall auf 7 Milliarden beharrt, hat er sich entschlossen darauf einzugehen. Er will trotzdem knallhart verhandeln und bis zum Schluss soll es so aussehen, als müsste Snyder 6,8 Milliarden annehmen oder an diesem Tag leer nach Hause gehen. Mein Tipp ist also locker 200 Millionen wert, wenn ich empfehle: Snyder sollte nicht das Nervenflattern kriegen und bloß nicht auf die 6,8 eingehen, denn Hill und Livingston werden in allerletzter Sekunde einlenken!“

Dearings Rat klang beinahe wie eine Selbstverständlichkeit und doch konnte er die nötige Rückversicherung darstellen, wenn Hills Haltung wirklich fest stand.

„Der Tipp könnte 200 Millionen wert sein, wenn wir auch nur im Entferntesten bereit wären auf 6,8 einzugehen. Aber wenn es uns weitere Verhandlungsrunden erspart, wirst du dein Geld bekommen. Vielleicht solltest du die Information unter die Leute streuen, dass Snyder nicht nachgeben wird, weil er etwas Schlechtes über East-West-Water gehört hat, was seinen Preis zum Ausgleich nach oben treibt. Hört sich doch sehr plausibel an…“

Silverman trat noch einmal zwei Stufen die Treppe herunter, um Dearing zur Besiegelung des Handels die Hand zu schütteln. Da sie beide aus der Unternehmenskasse der Gegenseite jeweils eine ähnlich hohe „Provision“ kassieren würden, waren sie sich an diesem Tag absolut ebenbürtig.

Der letzte Weg des Dr. Dembski

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