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Exegese

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Die ekklesiologische Eigenart des Glaubens liegt in seiner (exklusiven) Ausrichtung auf Jesus Christus begründet, welche eine Identität stiftet, »die alle alltagsweltlichen Status- und Ethosdifferenzen hinter sich lässt«, und »eine Gemeinsamkeit herstellt, die die Differenz zwischen Juden und Heiden umgreift […] und die Christen von den nichtchristlichen Juden und Heiden signifikant unterscheidet«.100 Schon in seinem ersten Brief bezeichnet Paulus die Christen mithilfe eines absoluten Partizips als »die Glaubenden« (1Thess 1,7; 2,10.13). Diesen Sprachgebrauch behält er auch in den folgenden Briefen bei. »Das Wort Glaube bekommt […] besonders in seinen Partizipialformen […] eine ekklesiologische Funktion, was sprachgeschichtlich die spätere Verbreitung des Begriffs zu einem Synonym für Religion vorbereitet, aber keineswegs schon vorwegnimmt.«101

Die Frage, ob die Zulassung der Heiden(christen) zum endzeitlichen Gottesvolk von der Einhaltung der Gebote abhängig zu machen oder ob der Glaube alleiniges Kriterium sei, stellte sich der urchristlichen Mission, sobald sie sich den »Völkern« zuwandte (vgl. Röm 1,16: »zuerst den Juden, dann den Griechen«). Dabei scheint schon früh eine beschneidungsfreie Heidenmission praktiziert worden zu sein (vgl. Apg 10,1–11,18); wie den »Gottesfürchtigen« erließ man den Heiden(christen) die Pflicht, sich beschneiden zu lassen, und senkte so die Schwelle zu einer vollgültigen Teilhabe am Heilsgeschehen. Diese Praxis trug wesentlich dazu bei, dass die Zahl der Heidenchristen stetig wuchs, verursachte aber auch Auseinandersetzungen mit toraobservanten Juden und Christen und forderte zum weiteren theologischen Nachdenken heraus.102 Ein Reflex dieses Nachdenkens ist der bereits zitierte |30| »Lehrsatz« Röm 3,28, der mit großer Wahrscheinlichkeit eine bereits vor Paulus vorhandene Grundeinsicht aufgreift.103 In diesem Vers spiegelt sich zwar die soziale Dynamik der Rechtfertigungsbotschaft wider (vgl. Röm 3,29–30), doch trägt die theologische bzw. soteriologische Perspektive deutlich den Ton. Denn voraus geht Paulus’ Analyse der menschlichen Situation vor Gott, die alle unter der Macht der Sünde und Ungerechtigkeit sieht und die Werke des Gesetzes für soteriologisch irrelevant erklärt (Röm 1,18–3,20). An der im Forschungsüberblick referierten »New Perspective on Paul« wurde zu Recht kritisiert, dass sie die radikale Ausweglosigkeit des Menschen heruntergespielt und die theologische Gewichtung der paulinischen Rechtfertigungslehre (wie sie in Röm 3,28 zum Ausdruck kommt) unterschätzt habe.104

Maßgeblich ist in diesem Zusammenhang auch die typologische Bedeutung der Rechtfertigung Abrahams als der Rechtfertigung des Gottlosen (Röm 4,5): Ohne die Besonderheit der jüdischen Erwählung zu leugnen, betont Paulus die universale Vaterschaft Abrahams, die vor der Unterscheidung zwischen »beschnitten« und »unbeschnitten« grundgelegt wurde und die allen Glaubenden ohne Unterschied gilt (Röm 3,22; 10,12). Dem Glauben Abrahams kommt somit im Rahmen der identitäts- und stabilitätsstiftenden Funktion des Glaubens eine besondere Rolle zu. Er präfiguriert nicht nur den Glauben des einzelnen Menschen, sondern ist zugleich bestimmendes Merkmal für die Zugehörigkeit zum Gottesvolk. »Da nun die Schrift voraussah, dass Gott die Völker aus Glauben gerecht machen würde, hat sie dem Abraham das Evangelium im Voraus verkündigt: ›In dir werden alle Völker gesegnet werden‹ [Gen 12,3]. Also werden die aus dem Glauben Lebenden gesegnet, zusammen mit dem glaubenden Abraham« (Gal 3,8–9). »Sofern die pistis nämlich ein ekklesiologischer Begriff ist, will Paulus in diesen Stücken zum Ausdruck bringen, dass Abraham der Typus des neuen Gottesvolkes ist. Abraham ist also gewissermaßen das präexistente Glied der Ekklesia, er ist ekklesiologische Gestalt.«105

|31| Der Begriff »Glaube« fasst also die Identität und Lebensweise der paulinischen Gemeinden zusammen. Im Modus des Glaubens sind wir nach Paulus Teil des Gottesvolkes, »Hausgenossen des Glaubens« (Gal 6,10) und Mitglied in der familia Dei: »Denn ihr seid alle Söhne und Töchter Gottes durch den Glauben in Christus Jesus« (Gal 3,26).

Wenn Paulus den Glauben Abrahams aufs Engste mit der Völkerverheißung verbunden sieht, dann lässt dies kein Verständnis des Glaubens im Sinne einer reinen Innerlichkeit zu. In der Sprache der Reformation hieße das: Das Wort, das zum Glauben ruft, ergeht immer als »leibliches Wort«, also als äußerliches, mündliches und öffentliches Wort. Die seit dem 18. Jahrhundert geläufige Rede vom Glauben als einer »Privatsache« geht wohl darauf zurück, dass sich der Glaube angesichts der »mörderischen Öffentlichkeit« der Religions- und Bürgerkriege ins Private und Innerliche zu retten suchte.106 Doch ist der Öffentlichkeitscharakter für den Glauben schon immer konstitutiv gewesen, und seit den Anfängen des Christentums dokumentiert er sich in den Zusammenkünften der »Gemeinschaft der Glaubenden«. »In allen [neutestamentlichen] Texten ist vorausgesetzt, dass es sich um eine irdische Gemeinschaft handelt, die den Ruf zur Nachfolge und zum Glauben gehört hat, die sich an vielen Orten sammelt und um ihre Zusammengehörigkeit weiß.«107

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