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Forschungsgeschichte

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Wenn unter den jeweiligen Dimensionen des Glaubens zunächst einige theologie- und forschungsgeschichtliche Perspektiven anzeigt werden,29 hat dies zweierlei Gründe:

Zum einen erweist sich darin die Kontingenz jeglichen exegetischen Arbeitens, die individuelle Abhängigkeit von übergeordneten Notwendigkeiten. Ebenso wie Albert Schweitzers berühmte Untersuchung zum »Leben Jesu« zeigte, dass sich die Entwürfe der Jesus-Bilder vornehmlich aus Projektionen von Idealen des jeweiligen zeitgeschichtlichen und kulturellen Kontextes und der jeweiligen Forscherpersönlichkeit zusammensetzen, so drängt sich analog beim paulinischen Glaubensverständnis der Eindruck auf, dass auch hier die geistige Atmosphäre einer Epoche und die individuelle Frömmigkeit die Exegese der paulinischen Stellen zum Glauben prägt. Positiv gewendet könnte man sagen, dass jeder Entwurf für sich ein Spezifikum der paulinischen pistis einschärft und darin eine particula veri formuliert.

Das solchermaßen ideologiekritische Interesse der forschungsgeschichtlichen Einordnung wird ergänzt durch eine erkenntnistheoretische Absicht: In der Mehrzahl der Forschungspositionen kommt explizit oder implizit die spezifische Fragestruktur in den Blick, die der Frage nach dem Wesen des Glaubens innewohnt. Sie gehört in den Umkreis derjenigen Fragen, die den Menschen in seinem Menschsein selbst angehen. Man könnte sagen, dass sich in dieser Frage die individuelle Abhängigkeit von übergeordneten Bedürfnissen ausdrückt und dass zum Einblick in diese Frage nicht bloß Wissensdurst |16| oder historisches Interesse, sondern »ein bestimmter Einsatz von mir gefordert ist, wenn ich mich auf sie einlasse«30.

Blickt man auf die Anfänge der historischen Erforschung des paulinischen Glaubensbegriffs, sind die Arbeiten zweier Exegeten maßgeblich und wegweisend: Adolf Schlatters Monographie »Der Glaube im Neuen Testament« und Rudolf Bultmanns Artikel im »Theologischen Wörterbuch zum Neuen Testament« (1955). Im Jahr 1882 ging dem Berner Privatdozenten Adolf Schlatter die Mitteilung der Haager Gesellschaft zur Verteidigung der christlichen Religion zu, dass sie einen Preis für eine Abhandlung zum Thema »Glaube und Glauben im Neuen Testament« ausgeschrieben habe. Im Rückblick erinnert sich Schlatter, er habe diese Nachricht mit dem Gedanken gelesen, »auf die hier gestellte Frage dürfe nicht der Schein fallen, dass sie unbeantwortbar sei; eine Theologie und Christenheit, die nicht mehr wisse, was das Neue Testament Glaube nenne, wäre tot«.31 Die sodann mit dem ersten Preis ausgezeichnete Arbeit erfuhr insgesamt sechs Auflagen und prägt die exegetische Diskussion bis heute – »angesichts der Kurzlebigkeit theologischer Produktion eine erstaunliche Sache«32. Man kann der Einschätzung Peter Stuhlmachers durchaus zustimmen, dass Schlatters Untersuchung in ihrer »systematischen Geschlossenheit und historischen Präzision […] bis heute unübertroffen« ist.33

Einzig Rudolf Bultmanns Darstellung des neutestamentlichen Glaubensbegriffs kann sich mit der Schlatters »im Niveau der Argumentation und der Treffsicherheit der Formulierung« messen.34 Bultmann hat sich vornehmlich in seiner »Theologie des Neuen Testaments« (1948–1955) und im erwähnten Wörterbuchartikel (1955), aber auch in zahlreichen Aufsätzen mit dem Thema »Glauben« auseinandergesetzt. Seine knappen und in schlichter Sprache abgefassten, aber keineswegs einfach zu verstehenden Ausführungen weisen bemerkenswerte und überraschende inhaltliche Analogien zu Schlatters Erstlingswerk auf.

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