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Der Alphabet

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»Kann ich mich setzen?«

Der Mann schaute von seinem Buch auf, nickte und wies ihm mit einer Armbewegung den Platz vor ihm zu. Fred setzte sich und bestellte einen Cocktail.

»Wissen Sie, ich habe meiner Frau diese Yoga-Stunde empfohlen. Sie amüsiert sich und ich hab mal etwas Zeit für mich. Wir sind hier im Urlaub. Mir gefällt das Hotel. Hat einen ganz besonderen Flair. Erinnert ein bisschen an die 20er Jahre. Nich' wahr?«

Der Lesende nickte, blieb aber stumm.

»Wir sind aus Berlin. Sind extra wegen des Sees her. Endlich mal raus aus der muffigen Großstadt, wissen Sie. Die Natur ist schon was feines. Wo kommen Sie denn her?«

»München.«

»Na, da haben Sie es ja nicht so weit. Was lesen Sie denn da?«

Fred schaute auf den Buchtitel. Es war ein italienisches Buch, mit einem einfarbigen Einband.

»Aha. Scheint ja interessant zu sein. Fesselt Sie ja richtig.«

Der Kellner kam und stellte das Glas mit dem bunten Cocktail auf den Tisch.

»Herrlich. Trinke solche Sachen ja Zuhause nicht. Gibt sonst nur Bier. Hab das immer als Frauenzeug angesehen. Aber hier trink ich das auch. Vielleicht mach ich mir davon auch mal ein Glas, wenn ich wieder in der Stadt bin.«

Er nahm einen langen Schluck aus dem Strohhalm.

»Was trinken Sie?«

»Pinot Noir.«

»Wein. Wein ist auch was feines. Trinke ich auch gerne. Zieht einen am nächsten Morgen aber so runter. Kennen Sie sicher auch.«

Sein Gegenüber blickte nicht von seinem Buch auf.

»Sie sind nicht so der gesprächige Typ was?«

»Ich würde nur gern mein Buch lesen. Danke.«

»Ich will Sie nicht stören. Aber denken Sie nicht, dass eine richtige Unterhaltung besser ist, als dieses langweilige Lesen?«

Der Mann klappte das Buch energisch zu und lehnte sich nach vorn.

»Nein auf keinen Fall. Bücher kann ich mir aussuchen. Menschen nicht.«

»Verstehe, Sie mögen Menschen nicht so was?«

»Das kann man nicht pauschalisieren. Es stimmt allerdings, dass ich meine Zeit nicht mit sinnlosen und trivialen Konversationen vergeude.«

»Das heißt Sie sprechen mit niemandem?«

»Nur mit interessanten Persönlichkeiten.«

»Aber wie können Sie denn wissen ob eine Person interessant ist, bevor Sie mit ihr gesprochen haben?«

»Einfache Verhaltenspsychologie.«

Er lehnte sich zurück und zog die Augenbrauen hoch.

»Verhaltenspsychologie?«

»Ja. Schauen Sie sich doch einmal selbst an. Sie kamen zu meinem Tisch, weil Sie niemanden haben, mit dem Sie sich unterhalten könnten. Ihre Frau vergnügt sich bei irgendeiner Tätigkeit und Sie wissen nun nichts mit Ihrer Zeit anzufangen. Ich habe doch recht oder?«

Fred verschränkte die Arme.

»Sie sind ein unangenehmer Mensch wissen Sie das!«

»Mag sein. Sie halten mich für asozial. Das verstehe ich. Aber manche gesellschaftliche Konvention ist für mich persönlich unfruchtbar.«

»Mein Gott! Die Leute müssen Sie hassen.«

»Sicherlich.«

»Das erklärt aber noch nicht, warum dann ein langweiliges Gespräch herauskommen soll, wenn Sie denken die Leute zu verstehen.«

»Ganz einfach. Das Gespräch beginnt meist mit peinlichen Vorstellungsfloskeln wie: Woher kommen Sie, Was machen Sie. Ich kann das noch weiterführen. Aber Sie verstehen was ich meine. Was soll denn aus solchen Fragen entstehen?«

»Na Gemeinsamkeiten feststellen. Oh man, Sie wissen echt nicht mit Menschen umzugehen was?«

»Ich bitte Sie. Die Grundannahme, dass sich jeder Mensch gerne das Leben eines anderen anhört, ist doch sehr ignorant.«

»Und Bücher sind Ihnen dann wohl wichtiger? Öffnen eins und finden was Sie wollen?«

»So könnte man es ausdrücken.«

»Lesen Sie viel?«

»Eigentlich die ganze Zeit.«

»Denken Sie nicht, dass Sie dann etwas vom Leben verpassen?«

Der Mann lächelte.

»Nein auf keinen Fall. Wissen Sie, Bücher ermöglichen es mir die fernen Welten kennenzulernen. Ganze Länder, zu denen ich niemals reisen könnte, entstehen ganz einfach in meinem Kopf.«

Dabei tippte er sich mit dem Zeigefinger an die Schläfe.

»Fahren Sie doch dahin und schauen sich das einfach an. Gehen Sie mal raus. Ist schön.«

»Die Arroganz des kleinen Mannes. Machen Sie denn alles was Sie wollen?«

»Sicher.«

»Und wollten Sie wirklich hier an diesen kleinen See, der noch nicht einmal viel Sonne abbekommt oder wären Sie lieber auf einer Insel in der Südsee?«

Freds Laune wurde schlechter.

»Hören Sie auf mich zu beleidigen. Ich merke sehr wohl was Sie hier machen.«

Er nahm einen langen Schluck.

»Sie leben doch immer nur woanders. Sie leben nie wirklich. Nie im Hier. Wahrscheinlich haben Sie niemals richtig gelebt«, fügte er hinzu, um etwas entgegenzusetzen.

»Und Sie konzentrieren sich vollends auf Ihren Urlaub?«

»Absolut!«

»Dann denken Sie also im Moment, wenn Sie den Cocktail bestellen nicht daran, wie lange Sie dafür arbeiten mussten? Das es eigentlich ziemlich schmerzhaft ist, diesen zu trinken? Sie wollen mir erzählen, dass Sie stets im Moment leben und das gänzlich ein Leben lang?«

Fred schwieg und schaute auf das fast leere Glas.

»Sie leben umso weniger im Moment. Schauen Sie nur auf Ihr leeres Glas. Haben Sie bestimmt genossen, nicht wahr?«

Freds Ehefrau kam an den Tisch und umarmte ihren Mann.

»Hast du jemanden zum Reden gefunden? Das ist ja schön. Die Yoga-Stunde war toll. Ich glaube, ich werde das öfter machen.«

Fred stand auf, während der Mann wieder zum Buch griff.

»Ja wir hatten eine wirklich interessante Unterhaltung«, sagte er und warf dem Lesenden einen bösen Blick zu.

»Komm wir gehen. Ich will jetzt an den See. Draußen ist es viel zu schön, um hier drin zu bleiben.«

Er drehte sich vor dem Gehen nochmal um.

»Und Ihnen wünsch Ich 'nen schönen Tag!«

Eine Partie mit dem Selbst

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