Читать книгу Eine Partie mit dem Selbst - Benjamin Winter - Страница 8

Lumpazius

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»Heute möchte ich dir von einem ganz üblen Mann erzählen.«

»Bitte keine Mordgeschichte, Papa. Davon bekomme ich bestimmt wieder Albträume.«

»Nein. So böse war der Mann nicht. Jedenfalls hat er niemals irgendjemanden körperlich Schaden zugefügt. Er hat die Menschen an der Stelle getroffen, an der sie sehr verletzlich sind. Er hat ihnen Geld gestohlen.

Manchen hat er sogar seines kompletten Vermögens beraubt. Ob er wirklich böse war oder seine Opfer einfach nur naiv, musst letztendlich du entscheiden.«

»Du machst es spannend.«

»Die Geschehnisse spielten alle zwischen den Jahren 1850 und 1880, ungefähr zu jener Zeit, in der François Lambert, um den sich diese Geschichte rankt, ein erwachsener Mann war. Lambert wuchs in einer ärmlichen Familie auf, war jedoch mit einer außergewöhnlichen Intelligenz beschenkt worden. Dabei spreche ich nicht von Intelligenz im herkömmlichen Sinn, dass er zum Beispiel in der Mathematik oder anderen Naturwissenschaften brillierte, sondern ich spreche davon, dass er sich hervorragend an seine Umgebung anpassen konnte und geschickt mit ihr interagierte.

Er begriff Zusammenhänge blitzartig und konnte unendlich lange Kausalketten in seinem Kopf bilden, die letztendlich immer zu dem vorhergesehenen Ergebnis führten. Diese Logik rentierte sich auch in seinem Sozialleben. Am Vorabend der Ära der großen Psychologen, hatte er die Seele der Menschen durchschaut und kannte ihr Denken, Fühlen und Begehren. Ich behaupte, dass er sie wie ein Buch lesen konnte. Mit diesem Vorwissen könnte man zu dem Schluss kommen, er wäre auf schnellstem Wege kriminell geworden. Dem ist nicht so.

Seine Mutter war ungemein herzlich und erzog ihren Jungen zu einem anständigen Bürger. Überraschenderweise versuchte er sich sogar in normalen Berufen. Dennoch missfiel ihm dabei etwas. Wir können nicht mit Sicherheit sagen, ob er es nicht leiden konnte, unter der Hoheit eines anderen zu stehen oder eine gewisses Maß an Langeweile bei den Tätigkeiten empfand. Höchstwahrscheinlich sah er eine Chance, die natürliche Fehlbarkeit des Menschen auszunutzen.«

»Wie alt war er, als er kriminell wurde?«

»Ungefähr Siebzehn Jahre. Für seinen ersten Coup musste er etwas warten. Der Bart musste sprießen und ihm ein männlicheres Aussehen geben. Niemand vertraute einem Kind. Als es dann soweit war, legte er sich für ein paar Francs einen kaputten Anzug zu, den er nähte, säuberte und wieder auf Vordermann brachte. Schlussendlich sah er wie ein richtiger Kavalier aus.«

»Warum der Aufwand?«

»Der erste Streich war banal. Er wusste, dass reiche Menschen automatisch Vertrauen weckten. In seinem Aufzug ging er kurzerhand zu Fremden und fragte sie nach Geld, da ihm angeblich seine Brieftasche abhanden gekommen war. Bereitwillig streckten ihm die Leute das Geld entgegen und übertrafen selbst seine Erwartungen um ein Vielfaches.

Zwei Tage brachte er auf diese Weise zu und kaufte sich anschließend ein Zugbillett in die nächste Stadt, wo er das Schema wiederholte. Letzten Endes hatte er auf diese Weise, ein halbes Jahr nach dem Erstversuch und einer Reise durch ganz Frankreich, ein kleines Vermögen angehäuft. Und das mit nichts anderem, als der Ausbeutung jener gerühmten Nächstenliebe.«

»Was machte er dann?«

»Da die erste Tat gelang, wurde er waghalsiger, blieb aber immer besonnen. Er kaufte sich das Kostüm eines Zirkusbesitzers und stellte sich neben den Eingang eines, in Paris haltenden, Zirkus. Blindlings sprach er die in das Zelt hineinströmenden Zuschauer an, ob sie nicht einen seiner Tiger kaufen wollten. Er bot diesen billig feil, da das Raubtier keinen Platz mehr in dem Programm fand. Das Gelände war damals noch nicht so gut gesichert, wie es heute gewöhnlich ist, wodurch er sich relativ frei bewegen konnte. Das sollte gesagt werden.

Jedenfalls führte er die potenziellen Kunden zum Gehege des Tigers. Zu jener Zeit war das Fremde und Exotische bei den Reichen begehrt, deshalb konnten es die Interessenten kaum erwarten, bis sie das Tier ihr Eigentum nennen durften. Lambert sagte, dass sie auf der Stelle bezahlen müssten und das Tier nach der Show einfach mitnehmen dürften. Wieder drückten die Menschen ihm das Geld energisch in die Hand und schauten sich sorglos die Show an. Dieses Vorgehen wiederholte er dreimal. Du musst wissen, dass der Preis für den Tiger dem entsprach, was ein gutbürgerlicher Mensch damals in einem halben Jahr verdiente. Er machte also einen Haufen Geld. Und wie die Show vorbei war und sich Lambert seines Kostüms entledigt hatte, konnte er von Weitem mitansehen, wie die drei Geprellten wild gestikulierend vor dem Gehege standen und mit dem echten Zirkusbesitzer diskutierten. Es funktionierte alles nach Plan und er wendete die Idee auf andere Gebiete an. Lambert verkaufte Kutschen und Kunstgegenstände, die ihm nicht gehörten und nahm sogar die Miete für Wohnungen entgegen, deren Besitzer er nicht war. Aussehen und die richtige Ausstrahlung können Menschen zu Handlungen zwingen, gegen die sie sich eigentlich wehren sollten.«

»Kam ihm denn die Polizei nicht irgendwann auf die Spur?«

»Zunächst nicht.«

»Warum?«

»Die Betrogenen waren zu stolz, ihren Fehler öffentlich zu machen. Darauf spekulierte Lambert auch. Er wusste, dass die Menschen gierig und gleichzeitig eitel waren. Mit diesen zwei Eigenschaften konnte ein Mann seines Wesens hervorragend spielen.«

»Aber wenn er so genial war, wie scheiterte er dann?«

»Er scheiterte weil er irgendwann zu viel wollte und zehntausende Menschen gleichzeitig beraubte. Ihm ging es nie um das Geld. Es war der Reiz der Herausforderung, die den Genius in ihm lockte, zu zeigen was er konnte.«

»Wie?«

»Du kennst die Kronjuwelen der Queen?«

Sein Sohn nickte.

»Dann weißt du auch, dass Menschen seit Jahrtausenden Diamanten, Gold und alles Glänzende verehren und dafür sogar in Kriege ziehen.«

»Ja«

»Lambert wusste das auch. Er kaufte sich von der Hälfte seines Vermögens einen riesigen Diamanten. Persönlich fand er nicht das Geringste an dem schimmernden Stein, war sich aber bewusst wie gierig die Menschen danach waren. Kurzum meldete er bei der Börse in Paris ein neues Unternehmen an, eine fiktive Firma, die Diamanten im Kongo abbaute.

Mit Mut und dem riesigen Diamanten ausgerüstet, schritt er in das Gebäude der Börse und hielt eine mitreisende Rede über die Chancen eines Investments in seine Kompanie. Investoren sollten ihren Einsatz an einem bestimmten Tag vertausendfacht bekommen.«

»Das hielt bestimmt niemand für möglich.«

»Gewiss. Für diesen Fall hatte er selbstverständlich vorgesorgt. Du erkennst jetzt hoffentlich, wie scharfsinnig er alle Komplikationen im vornherein abzuschätzen wusste. Lambert vertausendfachte die Investition der ersten fünfzig Käufer, zerrte damit sein restliches Vermögen auf und brachte sich in Sichtweite des eigenen Ruins. Die Kunde verbreitete sich im ganzen Land. Volksmassen strömten in die Hallen der Börse, um die Papiere der Firma zu erwerben und machten Lambert über Nacht zu einem der reichsten Männer Frankreichs. Als der Tag der Auszahlung kam, wartete die Menge gespannt vor der eigens aufgebauten Bühne. Freilich blieb sie leer. Der Hochstapler war mit seiner Beute längst in London.«

»Im Grunde hat er gewonnen oder nicht?«

»Beileibe nicht. Lambert wollte noch mehr. Er versuchte sein Schauspiel abermals in London vorzuführen. Nach wie vor war er im Besitz des riesigen Diamanten. Bloß hatte er nicht damit gerechnet, dass die Technik mittlerweile so weit fortgeschritten war, seine Pläne zu durchkreuzen. Nachrichten konnten mit der Entwicklung des Telegrafen sekundenschnell weite Entfernungen zurücklegen. Während er also auf die Bühne in der Londoner Börse trat und seinen, mit Lügen gespickten, Vortrag hielt, warteten die Londoner Ordnungshüter schon am Fuße der Treppe. Sie waren über den Vorfall in Paris informiert und nahmen den Betrüger auf der Stelle fest. Somit endete der geniale François Lambert einsam in einem britischen Gefängnis. Auch das größte Genie verliert gegen seinen Meister.«

Eine Partie mit dem Selbst

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