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Die große Erschütterung
ОглавлениеWerft also eure Zuversicht nicht weg – sie hat großen Lohn!
Was ihr braucht, ist Ausdauer, damit ihr den Willen Gottes erfüllt und die Verheißung erlangt.
Hebräer 10,35–36
Wie ein emsiger, quirliger Ameisenhaufen schien diese Welt eben noch. Alles ist pausenlos in Bewegung. Groß und Klein, Jung und Alt gehen eifrig ihren Aufgaben nach – in Schulen und Kindergärten, Betrieben und Geschäften, bei der Hausarbeit und beim Einkaufen, Reisen, Unterhaltung und Vergnügen, Erholung und Sport …
Und dann. Auf einen Schlag ist alles ganz anders. Ein winzig kleines Virus, ein zehntausendstel Millimeter groß, versetzt die Welt in den Ausnahmezustand. Rigorose Ausgangsbeschränkungen werden verordnet. Schulen und Universitäten, Gaststätten und Beherbergungsbetriebe, Museen und Theater müssen schließen. Menschenansammlungen werden verboten, Sportveranstaltungen, Konzerte und sogar Gottesdienste abgesagt. Das System wird heruntergefahren. Abstandhalten ist nun Pflicht. Betrieben wird Homeoffice nahegelegt, andere müssen ihre Tätigkeit reduzieren oder gänzlich stoppen. Eingespielte Abläufe und Beziehungen geraten ins Stocken oder kommen zum Stillstand. Es ist fast, als ob die Gesellschaft, ja die ganze Welt mit einem Schlag in ein künstliches Koma versetzt wird.
Das darf doch nicht wahr sein! SARS oder Ebola waren weit weg und sind irgendwann aus der Wahrnehmung entschwunden. Epidemien können vielleicht in Afrika oder in Asien aufkommen, aber doch nicht bei uns in Europa! Mit unserem Standard an Wissenschaft, Forschung, Medizin und Technik wissen wir uns gegen solche Bedrohungen zu schützen. Wir haben doch alles unter Kontrolle und im Griff. Oder doch nicht so ganz? So vieles in unserer Welt erschreckt und verunsichert uns: Terroranschläge, Flüchtlingsströme, Gewalt und Kriege, Katastrophen und Unwetter, Umweltzerstörung und Epidemien, Hunger und Armut, die ungleiche Verteilung der Güter.
Unsicherheit und Angst kommen auf. Panikkäufe setzen ein. Weltuntergangsstimmung macht sich bei manchen breit. Börsenkurse gehen auf Talfahrt. Die Wirtschaft kommt ins Trudeln. Hunderttausende Menschen in Österreich, weltweit viele Millionen, stehen von heute auf morgen ohne Job da, Selbstständige ohne Einkommensmöglichkeit und solider Absicherung blicken bang in ihre Zukunft. Andere wiederum nehmen es ganz locker und feiern erst recht Partys.
Gleichzeitig werden aber auch manche positiven Seiten der Krise sichtbar. Die verordnete Entschleunigung schenkt auch Ruhe. Trotz physischer Distanz wird ein persönliches Nahesein spürbar. Manche Werte werden neu entdeckt. Wichtiges wird nebensächlich, bisher Unwichtiges birgt neue Qualitäten. Die gepeinigte Umwelt kann aufatmen. Sogar leidige Verkehrsstaus sind plötzlich Vergangenheit. Spontane Solidarität und Hilfsbereitschaft entstehen. Vergessene „Heldinnen und Helden des Alltags“ werden wahrgenommen und einmal medial gewürdigt. Hoffnung und Freude werden geteilt. Dankbarkeit lebt auf.
Werft eure Zuversicht nicht weg
Im Brief an die Hebräer erinnert Paulus diese an Leiden, Beschimpfungen und Bedrängnisse früherer Tage, die sie dadurch ertragen konnten, „da ihr wusstet, dass ihr einen besseren und bleibenden Besitz habt“ (Hebr 10,34). Und er bestärkt sie – und damit auch uns – in dieser Widerstandskraft der Hoffnung: „Werft also eure Zuversicht nicht weg“ (Hebr 10, 35). Gerade wenn ich niedergeschlagen bin, wenn ich nach einer Enttäuschung aufgeben und alles hinschmeißen möchte, dann klingt dieses Bibelwort in meinen Ohren wie ein trostvoller und Mut machender Aufruf: „Wirf deine Flinte nicht ins Korn!“ oder „Jetzt bloß nicht das Handtuch werfen!“ Denn das ist die Erfahrung vieler Menschen in einer Durststrecke: Wenn ich versuche, einfach Schritt für Schritt weiterzugehen, kommt irgendwann wieder der Punkt, an dem ich ein Licht sehe.
Was nährt unsere Hoffnung?
Für mich, so wie für viele Christinnen und Christen, ist das Wort Gottes in der Bibel eine unerschöpfliche Quelle der Hoffnung und damit eine kräftigende spirituelle Nahrung. Sie vermag Kraft und Ausdauer in allen noch so dunklen und schweren Situationen des Lebens zu schenken. Ein paar Beispiele:
Das Volk Israel, das aus der Knechtschaft und Unterdrückung im reichen Ägypten ausbricht, die Flucht durch das Rote Meer wagt und 40 Jahre durch die Wüste zieht, um das Land seiner Sehnsucht zu erreichen. Bis zum heutigen Tag ist diese Hoffnungserzählung eine Quelle, aus der nicht nur das Volk der Juden Kraft und Mut schöpft.
Josef, den seine eifersüchtigen Brüder vernichten wollen, ihn in eine Zisterne werfen und als Sklaven nach Ägypten verkaufen. Hier wird er zum Berater des Pharaos und in einer Hungersnot rettet er später seine Brüder (vgl. Gen 37.39–47).
Die drei jungen Männer im Feuerofen, deren vertrauensvoller Lobgesang auf Gott sie vor den vernichtenden Flammen des Feuers beschützt (vgl. Dan 3).
Daniel, der in seinem festen Gottvertrauen unbeschadet in der Löwengrube überlebt (vgl. Dan 6).
Hiob, der gerechte und rechtschaffene Mensch, der seine Familie, all seinen Wohlstand und seine Sicherheiten, sogar seine Gesundheit verliert, setzt dennoch unerschütterlich sein Vertrauen ganz auf Gott. So wendet sich schließlich alles wieder zum Guten, ja sein Leben wird noch reicher als zuvor.
Der Prophet Jona, der seinem Auftrag entfliehen möchte, der reichen Stadt Ninive den Untergang zu verkünden. Bei seiner Flucht über das Meer gerät das Schiff in einen Sturm, Jona wird von den Seeleuten über Bord geworfen, um das Meer zu beruhigen. Doch ein Walfisch verschlingt ihn und speit ihn nach drei Tagen wieder an Land. Nun erst erfüllt Jona seinen Auftrag.
Judit, die entschlossene Kämpferin, die das Volk Israel durch ihren Mut, ihre kluge List und ihr Vertrauen auf Gott vor der Vernichtung durch das Heer der Assyrer rettet.
Das Buch der Psalmen ist eine kostbare Trost-, Kraft- und Hoffnungsquelle. Hier darf man bitten, klagen, fluchen, schreien, loben, danken, hier kann man in jeder Lebens- und Gemütslage Vertrauen, Zuversicht und Hoffnung tanken.
Die Heilungen Jesu spannen sich wie ein rettender Bogen durch alle vier Evangelien: unheilbar Kranke, Aussätzige, Blinde, Stumme, Gelähmte, von quälenden Lasten Besessene werden wieder gesund und heil, ja selbst Tote kehren zurück ins Leben. Jesu Auferstehung und seine Zusage „Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt“ (Mt 28,20) sind Quelle und Bestätigung dieser Hoffnung.
Von großen Nöten und Verunsicherungen spricht auch das Wort Gottes in der Bibel an vielen Stellen: „Die Sonne wird sich verfinstern und der Mond wird nicht mehr scheinen; die Sterne werden vom Himmel fallen, und die Kräfte des Himmels werden erschüttert werden“ (vgl. Mk 13,24f). Manchmal tut sich uns erst auf den zweiten oder dritten Blick ein Lichtschimmer am Horizont auf. Denn genau in diese zerrissene, zerbrochene, unheile Welt kommt Gott als Licht und Heil.
Optimismus – Pessimismus – Zuversicht
In den Wochen und Monaten der einschneidenden Covid-19-Maßnahmen habe ich mit vielen Menschen über den Inhalt dieses Buches und das Thema Zuversicht gesprochen, auch mit einem Psychotherapeutenkollegen. Seine erste Frage war: Worin besteht denn der Unterschied von Optimismus, Zuversicht und Pessimismus? Ulrich Schnabel hat darauf eine treffende Antwort parat: „Eingängig lassen sich die Unterschiede zwischen Optimismus, Zuversicht und Pessimismus anhand der berühmten Parabel von den drei Fröschen illustrieren, die in einen Topf Sahne fallen. Der Pessimist denkt: ‚O je, wir sind verloren, jetzt gibt es keine Rettung mehr.‘ Sagt’s und ertrinkt. Der Optimist hingegen gibt sich unerschütterlich: ‚Keine Sorge, nichts ist verloren. Am Ende wird Gott uns retten.‘ Er wartet und wartet und ertrinkt schließlich ebenso sang- und klanglos wie der Erste. Der dritte, zuversichtliche Frosch hingegen sagt sich: ‚Schwierige Lage, da bleibt mir nichts anderes übrig, als zu strampeln.‘ Er reckt also den Kopf über die Sahneoberfläche und strampelt und strampelt – bis die Sahne zu Butter wird und er sich mit einem Sprung aus dem Topf retten kann.“1
Zuversicht ist also nicht eine leere Hoffnung, sondern meint auf der einen Seite den klaren Blick auf den Ernst der Situation, gleichzeitig aber auch, sich nicht davon lähmen zu lassen und die verbleibenden Spielräume und Möglichkeiten zu nutzen, die manchmal größer und manchmal kleiner sind. Zuversicht heißt also, mit diesem Blick von Hoffnung in die Zukunft zu schauen.
Zum Aufbau dieses Buches
Zunächst soll uns der Blick auf das, was Zuversicht bedroht und zerstört, sensibel machen für die Gefährdungen dieser lebenswichtigen Haltung. Im zweiten Abschnitt geht es darum, bewusste Schritte in Richtung Zuversicht kennenzulernen. Sie ist einerseits ja ein Gefühl, aber auch eine Haltung, die wächst und konsequent gelernt werden kann. Im dritten Teil lade ich zu einem besinnlichen Gang durch die Heilige Schrift ein, die eine unerschöpfliche Quelle von Zuversicht sein kann. Sie erzählt uns von Rettung und Zuversicht in den aussichtslosesten Lebenslagen. Der vierte Teil versteht sich als eine Art Zuversichts-„Trainingscamp“ für alle Tage des Jahres. Im christlichen Kirchenjahr sehe ich alle menschlichen Themen und Fragen angesprochen. Ein Gang durch das Kirchenjahr kann Quellen der Zuversicht freilegen.
So möchte das vorliegende Buch zu einem realistischen Blick auf unser Leben ermutigen und gleichzeitig die lebenswichtige Haltung der Selbsttranszendenz (Viktor Frankl) einüben. Diese Grundhaltung beinhaltet, dass jede und jeder von uns in ein größeres Ganzes hinein verwoben ist, das uns trägt und hilft, unseren Weg mit Zuversicht zu gehen: das große Ja Gottes zu jeder und jedem von uns.
Alles ist Teamarbeit
Auch an diesem Buch waren viele beteiligt, die mitgearbeitet, Ideen und Anregungen beigetragen, Fehler behoben und Fehlendes ergänzt haben. Ihnen allen danke ich von Herzen: Andreas Maier, Barbara Moser-Natter, Christian Marte, Gaby Hudelist, Manfred Böhler, Margit Maier, Maria Graber, Philipp Supper, Reinhard Maier, Veronika Fehle.
1Ulrich Schnabel, Zuversicht. Die Kraft der inneren Freiheit und warum sie heute wichtiger ist denn je, München 32018.