Читать книгу Jenseits von Ego und Selbst - Bernadette Roberts - Страница 10

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Kapitel Drei

Schließlich wurde es unumgänglich, einiges an meinem Lebensstil zu ändern. Jetzt wenigstens war es mir unmöglich geworden, an den ständigen Belanglosigkeiten und dem Lärm meiner gewohnten Umgebung teilzuhaben. Der Kräfte beraubt, die man braucht um zu dominieren, zu kontrollieren und bei den oft chaotischen Zuständen im Haushalt obenauf zu bleiben, war mein Durchsetzungsvermögen als Mutter von vier Teenagern schlagartig auf null gesunken. Sobald das Selbst nicht mehr Regie führt, sind die gewohnten Abwehrmechanismen nicht mehr in Aktion, und die ganze Last der Bewältigung fällt dem physischen Körper zu. Obwohl ich nie nervös oder gereizt, ängstlich oder dergleichen war, hatte ich dennoch den Eindruck, ich müßte von nun an Bleigewichte mitschleppen, falls ich so weitermachte wie bisher. Das schaffte ich einfach nicht.

Bis mir der Teppich (mein „Selbst“) unter den Füßen weggezogen wurde, hatte ich keine Ahnung, wie sehr ich mich auf den eigenen „Dampf“ verlassen hatte – auf mentalen und emotionalen Schwung, nicht auf körperliche Stärke. Scheinbar haben wir eine Unmenge subtiler Energien zur Verfügung, von denen wir nichts ahnen, bis sie weg sind. Später sollte ich allerdings ganz klar erkennen, daß gerade diese Energien die Abwehrkräfte des Selbst gegen seine eigene Vernichtung sind. Zunächst aber dauerte es ziemlich lange, bis ich lernte, wie ich ohne jegliche Energieempfindung weierleben konnte. Es ist, als würden wir mit dem Lebenlernen noch einmal ganz von vorne anfangen. Auch wenn ich es im nachhinein verstehe, war ich damals bestürzt und verloren wie jemand, der plötzlich den Gebrauch seiner Gliedmaßen einbüßt.

Scheinbar brauchte ich größere Zeitabschnitte in ungestörter Stille und Berührung mit der Natur. Nur in solcher Umgebung fühlte ich mich heimisch und eingebunden in den Lebensstrom. Also packte ich meine Campingausrüstung und fuhr in die hohen Sierras, wo ich fünf Monate kampierte, bis der Schnee kam und ich wieder hinunter mußte.

Ich fuhr ins Gebirge, um eine neue Art Existenz zu lernen, eine Existenz ohne Zeit, ohne Denken, ohne die Emotionen, Gefühle und Energien des Selbst. Ich hatte nicht die leiseste Ahnung, wie das gehen konnte. Ich wußte nur, daß ich aufbrechen und es herausfinden mußte. Entdeckungen und Abenteuer gab es viele, über die so manches zu sagen wäre, doch ich glaube, ich kann es in einem Satz zusammenfassen: Bis zu dem Aufenthalt im Gebirge hatte ich nie wirklich gelebt. Nicht einen einzigen Tag in meinem Leben vorher hatte ich jemals gelebt. Ohne jeden Zweifel befand ich mich nun im Großen Strom, und jede Vorstellung von Ekstase, Glückseligkeit, Liebe und Freude verblaßt angesichts der außerordentlichen Einfachheit, Klarheit und Ganzheit einer solchen Existenz.

Das Leben im Walde hat nichts Willkürliches, Untätiges oder Sorgloses an sich. Im Gegenteil, alles ist dort lebendig, völlig wach, dynamisch und intelligent. Es ist kein freies Leben. Der Große Strom nimmt seinen Lauf und schwemmt alles mit. Ob es will oder nicht, ist ohne Belang. Man kann sich nicht Zeit nehmen, um aus dem Fluß auszusteigen und zu verschnaufen. Anders gesagt: Es ist ein Leben ohne auch nur eine einzige Belanglosigkeit.

Eines der großen Mysterien, das ich in dieser Bergeinsamkeit zu lösen hoffte, war die Antwort auf meine Frage: was nimmt überall dieses Eine wahr? Um die Frage verständlicher zu machen, greife ich ein Stück zurück auf die Zeit, die auf das erste Sehen am Hang beim Kloster folgte.

Damals machte sich allmählich eine Verlagerung in diesem Sehen bemerkbar. War es anfangs verschwommen und allgemein, so merkte ich bald, daß, wenn ich meinen Blick auf eine Blume, ein Tier, eine andere Person oder ein bestimmtes Ding richtete, sich das Bestimmte langsam in eine verschwommene Einheit zurückzog und sich mir die Besonderheit des Dinges entzog. Rein optisch änderte sich natürlich nichts. Die Veränderung lag lediglich in der Art der Wahrnehmung. Bis dahin war mir nie bewußt, wie sehr ich die Besonderheit aller visuellen Objekte als gegeben hingenommen hatte. Doch mit der 3D-Brille war es nun nicht mehr möglich, Objekte als Einzeldinge wahrzunehmen oder im Bewußtsein zu halten, weil sie entweder verblaßten oder etwas anderem Platz machten oder ich durch sie hindurch sah – ich weiß nicht, was am ehesten zutrifft. Ich möchte hinzufügen, daß ich den Mechanismus der Wahrnehmungsveränderung nicht verstehe, sie aber als eines der wichtigsten Geschehnisse der ganzen Reise betrachte. Sie blieb nicht nur auf Dauer und unumkehrbar Bestandteil der Wahrnehmung, sondern schien auch das notwendige Vehikel zu sein, das mich schließlich zum endgültigen „Sehen“ brachte.

Wie das geschieht, ist wirklich wunderbar – eine Art Erfahrung, die ohnegleichen ist. Ich wiederhole jedoch, das Wunder liegt nicht im Verlust der Besonderheit des betrachteten Objekts, sondern vielmehr in dem, wozu das Objekt übergeht und worin es sich schließlich auflöst. Ich nannte das zunächst das „Eine“ – und natürlich auch „Gott“.

Jedesmal zögere ich, das Wort „Gott“ zu gebrauchen, weil anscheinend jeder seine eigenen schalen Bilder und Definitionen mit sich herumträgt und, darin eingenebelt, unfähig wird, aus dem eigenen engen Bezugsrahmen herauszutreten. Falls wir irgendeine Auffassung von dem haben, was Gott ist, sollte sie sich sicherlich wandeln und erweitern, so wie wir selbst uns wandeln und wachsen. Das ist ja das Wesen jeder Lebensregung: zu wachsen, sich zu öffnen und aufzublühen. Den Blumen gleich, die sich völlig umdrehen und dem Licht zuwenden, müssen auch wir uns manchmal ganz herumdrehen, um das zu erkennen, was IST. Da wir nicht wissen, in welche Richtung, müssen wir wie die Blume die Morgensonne abwarten und uns dann mühelos und ohne Widerstand vom Licht anziehen lassen. Welchen Namen wir der höchsten Wirklichkeit auch geben, wir können sie nicht definieren oder zuordnen, weil das Gehirn zur Verarbeitung solcher Daten nicht fähig ist. Worte sind immer nur Beschreibungen der Erfahrung, deren Wesensinhalt wir nicht wirklich kennen. In meinem Falle offenbarte sich durch die Öffnung all dessen, auf das ich schaute, eine Wirklichkeit, die stets dieselbe blieb, unabhängig davon, ob das Objekt belebt war oder nicht. Deshalb nannte ich sie Das Eine. Sollte jemand eine andere Bezeichnung vorziehen, soll mir das recht sein. Die „Schau“ DESSEN ist es, worauf es ankommt.

Das Mysteriöse an dieser Art des Sehens war, daß ich meinen Blick zwar auf Dinge der Umgebung richten konnte, aber außerstande war, mich selbst zu betrachten. Das war genauso unmöglich, wie ohne Spiegel die eigenen Augen zu sehen. Und so fühlte ich mich wie ein außenstehender Beobachter dieses Einen, das alles mit einschloß außer mir selbst. Es war so, als wäre ich gar nicht Teil dieses Einen, ja nicht einmal Teil des Weltalls. Vom Körper abgesehen war dieses Sehen alles, was noch geblieben war. Doch genaugenommen gehörte nicht einmal das zu mir, weil es nirgends in mir lokalisiert war, sondern sich stattdessen oben auf meinem Kopf befand, oder etwas darüber – eher vorn über der Stirn. Obwohl ich es weiterhin als meine wunderbare Brille bezeichnete – wegen der extradimensionalen Wirkung – lag dieses Sehen sicher ebenso außerhalb des gewohnten Denkens wie auch außerhalb des physischen Körpers.

Während ich versuchte, mir über die Natur dieses Sehens klar zu werden, half mir die Vorstellung vom ursprünglichen Bewußtsein des Menschen, der Art Bewußtsein, die wir alle von Anfang an besitzen. Als ehemalige Studierende der Kindesentwicklung wußte ich, daß beim Kleinkind das Bewußtsein nicht-relativ ist. Das Kleinkind unterscheidet nicht zwischen Subjekt (sich selbst) und Objekt, folglich hat es keine Vorstellung eines Selbst. Wie wir weiterhin wissen, denkt das Kleinkind nicht, da sein Bewußtsein noch keinen Inhalt hat – es hat auch noch nichts zum Erinnern. Wir sind somit alle ohne einen reflexiven selbstbewußten Geist zur Welt gekommen, und das ist für mich eine gute Definition des „Sehens“. Sehen mag also beim Erwachsenen eine Art Rückkehr zum Bewußtsein in seiner ursprünglichen Form sein, das die Verrichtungen des praktischen Alltags überraschenderweise nicht beeinträchtigt. Wenn wir also zu unserem ursprünglichen Bewußtsein zurückkehren wollen, ist es notwendig, zu lernen, wie wir ohne jegliches Selbstbewußtsein – das sich vielleicht ein Leben lang aufgebaut hat – leben können, was keine leichte Anpassung ist. Doch schon der Gedanke, daß wir es überhaupt zuwege bringen könnten, ist umso aufregender, wenn wir uns vorstellen, was geschehen würde, wenn jeder Mensch so leben könnte, wie es ihm ursprünglich bestimmt ist.

Eine Zeitlang schien die Idee vom ursprünglichen Bewußtsein des Menschen das Wesen dieses Sehens zu erklären, doch eines Tages entdeckte ich eine Lücke in dieser Schlußfolgerung. Zwar steckt in diesem Sehen vielleicht kein Selbstbewußtsein, aber das Sehen stellt an sich schon eine Art Subjekt dar, ebenso wie das gesehene Einssein ein Objekt ist. Der Unterschied zwischen dem Sehen und dem Einssein war deutlich und ließ nicht zu, beide für identisch zu halten. In dem Fall ist das Sehen (Beobachten) also nicht identisch mit dem Gesehenem (dem Beobachteten) und schon fand ich mich auf einer rein relativen Existenzebene wieder – auch ohne ein Selbst, das sieht. Daher könnte das Bewußtsein beim Kleinkind durchaus relativ sein, auch wenn es sich selbst nicht reflektiert. Wie dem auch sei, ich konnte keine Beziehung zwischen dem Sehen und dem Einssein herstellen, weil sie, wie gesagt, stets etwas völlig verschiedenes und eigenes waren.

Monate später tauchte dieselbe Frage nach der Beziehung in einem Gespräch auf, und während ich noch nach einer Antwort suchte, schienen die Vorstellungen vom ursprünglichen Bewußtsein, Sehen und Einssein aus dem Fenster zu schweben, den Hang hinunter, um schließlich irgendwo über dem Ozean aus dem Blickfeld zu entschwinden. Somit gab es zum Problem der Beziehung von Seher und Gesehenem keine Lösung. Zu der Zeit aber, von der hier die Rede ist, beschäftigten mich diese Fragen, weil ich volle neun Monate mit der wunderbaren Brille lebte, die immer nur auf das Eine gerichtet war, das überall zu sehen war, und was mich betraf, war das das Ende des Weges.

Trotzdem ist, was das Kleinkind eigentlich sieht und weiß, bevor sein Bewußtsein konditioniert ist, immer noch von Interesse. Auch könnten wir über die tierische Art des Wissens nachdenken, über die Möglichkeit, daß Tiere etwas wissen und sehen können, das der Mensch in seinem nie endenden Kampf um das Überleben des Selbst verloren hat. Und wer weiß, welch große Intelligenz in den Elementen verborgen sein mag, die den Menschen und das Weltall ausmachen – eine Intelligenz ohne jegliches Bewußtsein? Eines ist sicher: Wir werden solche Fragen niemals mit dem rationalen Verstand lösen, weil der Verstand als das beschränkte Werkzeug, das er ist, derart in den Dienst des Selbst eingespannt ist, daß er nicht darüber hinaus reichen kann.

Während ich danach suchte, wer oder was das Eine nun eigentlich sah, war da auch die noch immer ungelöste Frage, was bleibt, wenn das Selbst verschwindet. Wer oder was ist das, das da geht und redet und des Blickes auf das Eine gewahr ist? Obwohl es so offensichtlich war, konnte ich ein solches Mysterium nicht begreifen und zu keiner befriedigenden Erklärung kommen. Die Identität des Einen war erkannt, doch weder das Auge, das sah, noch das, was nach dem Wegfall des Selbst blieb, ließen sich identifizieren. Somit schien es zwischen dem Einen, dem Auge und dem Sein ohne Selbst keine echte Beziehung zu geben.

Ich erkannte schließlich, daß die einzige Antwort auf die vielen aufkommenden Fragen in der Zeit liegt. Zeit ist Wandlung, und im Prozeß der Wandlung änderten sich meine ursprünglichen Fragen oder lösten sich auf oder wurden nach und nach beantwortet. Ich hatte bereits gelernt, daß das Denken nie Wandlung herbeiführte. Folglich war bei Fragen, die unvermeidlich auftauchten, jedes Nachdenken nutzlos. Ich sah bald ein, wie wichtig es war, mich nicht voreilig auf Antworten festzulegen.

Ähnlich ging es mit meinen Erfahrungen. Ich fand heraus, daß, sobald ich ihnen irgendeinen Wert, Bedeutung oder Zweck beimaß, die „kostbare Perle“ durch meine voreiligen Schlüsse verlorenging. Nur wenn ich dem Erlebten keine Bedeutung beimaß, war ich imstande, seine Wahrheit oder Unwahrheit zu erkennen. Was falsch ist, ist niemals von Dauer und zerfällt von selbst. Das Wahre hingegen bleibt – die Wahrheit kennt kein Kommen und Gehen, sie ist immer da. Solange Erlebnisse kommen und gehen und wenn wir sie mit unseren eigenen Werten, Gedanken, Gefühlen behaften, werden wir nie herausfinden, ob etwas Wahres in ihnen ist, weil Wahrheit das ist, was bleibt, wenn keine Erlebnisse mehr übrig sind.

Das erwähne ich nur als eine der Lektionen, die ich im Gebirge lernte. Ich erfuhr, daß ohne Regung, Reaktion oder Widerhall aus dem Innern (oder vom Selbst) alles Erlebte wie Wasser von Entengefieder abperlt. Es war, als wäre ich zu einem außenstehenden Beobachter der relativen Lebensaspekte geworden, an denen ich aus anerzogener Gewohnheit teilnahm, während ich mich gleichzeitig der unerklärlichen Wirklichkeit des Lebensstromes hingab – wahrem Leben. Jenseits des Selbst entfällt anscheinend die Relativität unserer Erlebnisse, weil innen nichts ist, das reagiert und an der Erfahrung festhalten könnte, um ihr Wert, Bedeutung und ähnliches zuzuordnen. Wenn es nichts gibt, wozu sie in Relation gesetzt werden kann, verliert die Erfahrung ihren relativen Aspekt. Und deshalb scheint es, wo kein Selbst ist, auch keine Erfahrung zu geben – keine Regungen, Gefühle, keine Aufregung und keine der tausenderlei Reaktionen, deren das Selbst fähig ist. Von hier an haben alle Erfahrungen nicht-relativen Charakter, d.h. die Erfahrung ist, was sie ist und nichts außerhalb ihrer selbst.

Weil es schwer zu erklären ist, möchte ich an einem Beispiel zeigen, wie ich zu dieser Einsicht kam. Im folgenden Erlebnis erkannte ich, was es heißt, kein Selbst zu haben und nicht einmal den phantastischsten Ereignissen Beachtung zu schenken.

Mein Lagerplatz senkte sich gegen Nordosten zu einer kleinen Wiese hin. Genau gegenüber ging die Wiese in einen steilen Abhang über, der hinunter ins Tal führte. Vom oberen Rand des Abhanges brauste ein Bach, der sich unterirdisch von dem eine halbe Meile entfernten See aus einer Öffnung der Bergflanke seinen Weg bahnte. Von hier hatte man einen Ausblick auf das Tal und die mit Bäumen und Wildgräsern bewachsenen Felsenhügel. Den Osthang des Tales bildete die Felswand eines hoch aufragenden Berges, der sich im Sonnenuntergang rötlich färbte. Die Einheimischen nannten ihn den „Donnerberg“.

Ich ging oft zu diesem Ort, nicht nur um der Aussicht willen, sondern auch um die Tiere zu beobachten, die zur Tränke kamen. An diesem Tag jedoch kam ich vom Holzsammeln und hielt nur an, um mich auszuruhen. Da sich am Fluß nichts Bemerkenswertes ereignete, streifte mein Blick über das Tal. Ich schaute auf nichts Bestimmtes, als ich in der Luft irgendwo über dem Tal eine Zusammenballung von seltsamer Intensität bemerkte. Was immer es war, es ballte sich zusammen aus allen Richtungen, dehnte sich gleichzeitig aus und verschlang alles in seiner Bahn. Zugleich stieg die vibrierende, fast elektrische Intensität derart an, daß mein Körper magnetisch angezogen wurde. Auf den ersten Blick schien es das vertraute Eine zu sein, doch mit zunehmender Intensität wurde mir klar, daß es etwas anderes war, das ich ganz und gar nicht kannte. Das Eine hatte sich immer durch das Medium einer Form bemerkbar gemacht, doch das hier hatte kein Medium und war tausendmal vergrößert, von einer Größenordnung, die nicht auszuhalten war. Was immer es war, ich wußte, in sein Umfeld zu geraten, hieße, wie ein Staubkörnchen hineingesogen zu werden. Mein Stündlein sei gekommen, dachte ich, und ungeachtet des Mysteriums, was denn nun bliebe, würde gar nichts bleiben. Einen Augenblick noch, und das Licht würde für immer verlöschen – das Augenlicht, das dieses Wunder sah. Irgendwie wußte ich, daß dies nicht sein sollte, doch da war nichts zu machen. Ich konnte nicht wegsehen, es gab nichts anderes, wo ich hinsehen könnte, ich hatte keine Energie, eine Bewegung zu machen. Innen war alles still und reglos – keine Reaktion, kein Denken, kein Gefühl. Was sein wird, wird sein.

An der Schwelle zur Vernichtung geschah es dann. Ganz von selbst drehte sich der Körper weg, machte eine Kehrtwendung und war wieder dem Wald zugewandt und dem Holz, das noch einzusammeln war. Also machte ich mich auf den Weg, kam aber nicht weit. Ich mußte mich setzen. Der Körper war derart schwach und mitgenommen, daß ich dachte, er würde doch noch auseinanderfallen, sich auflösen.

Dieses Erlebnis wiederholte sich noch etliche Male, während ich im Gebirge war, und jedesmal war ich verblüfft über diesen Mechanismus des „Wegdrehens“. Ich wurde von der Intensität derart angezogen, daß ich mich aus eigenem Antrieb nicht hätte losreißen oder abwenden können. Dennoch wandte sich der Körper jedesmal im letzten Moment von selbst ab. Daß der Körper seine ureigene Kraft und Weisheit besaß, war für mich ein großes Mysterium, ein erlebtes Wunder.

Ich wußte nie, wie ich die Erfahrung einschätzen sollte, doch jedesmal dachte ich, das sei das Ende, das Licht würde für immer ausgehen. Das hätte völlige Bewußtlosigkeit bedeutet, wie ich sie früher schon erlebt hatte, in der es überhaupt nichts gibt, ein noch vollständigeres Zunichtewerden als nur der Verlust des Selbst – und was dann wäre, davon hatte ich keine Vorstellung.

In die Intensität hineinzugehen, ohne daß das Licht verlöschte, würde große Stärke benötigen, das ahnte ich – doch was war das für eine Stärke und wie war sie zu erlangen? Vielleicht die Stärke, die nötig war, um die Vision zu ertragen – um in Gott einzugehen – ich war mir jedoch nicht sicher. Ebensowenig konnte ich mir vorstellen, wie man Gott von Angesicht zu Angesicht sehen und weiterleben könne. Eine solche Forderung könnte den Menschen verzweifeln und sich abwenden lassen. Trotzdem war ich überzeugt, was immer mich bis hierher gebracht hatte, würde mir auch die Stärke geben, den Weg zu Ende zu gehen. In meinem Tagebuch nannte ich die Erfahrung einen „Türspalt“.

Jenseits von Ego und Selbst

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