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ОглавлениеGlauben
Hirn abschalten oder gewagtes Leben
„Wer glaubt, ist unrealistisch, gibt seinen Verstand an der Garderobe ab und macht sich etwas vor ...“
Tacheles
Auch wenn es sich im Deutschen umgangssprachlich so eingebürgert hat: Beim christlichen Glauben geht es nicht darum, an etwas zu glauben. Sondern glauben ist Fachwort für die Art und Weise, wie Menschen ihr Leben verantworten. An etwas zu glauben, also die Anbetung eines Gegenstandes oder bestimmter Dogmen, bezeichnen die christlichen Überlieferungen dagegen als Götzenglaube.
Das Tragische ist, dass sich das apostolische Glaubensbekenntnis in der üblichen Übersetzung genau in eben dieser bequemen gegenständlichen Form eingebürgert hat. Jeden Sonntag sprechen Millionen von Menschen weltweit diese Sätze im Gottesdienst. So wird mit jedem Sprechen des Glaubensbekenntnisses weniger das Verständnis der anspruchsvollen Inhalte befördert, als auch das Klischee vom Götzenglauben neu eingebrannt: Du musst an Gott, an die Jungfrauengeburt, an die Himmelfahrt glauben usw. Glauben gibt es in der christlichen Religion nur als „live act“, was von Gläubigkeit (Glauben an den Weihnachtsmann, Ufos oder schönes Wetter) zu unterscheiden ist.
Wie schwer ein entsprechendes Umdenken und Umgewöhnen vom „Glauben an“ zum „Glauben live“ ist, wurde deutlich in einer Szene aus dem diesjährigen österlichen „Faktencheck“, den das ZDF zur Strafsache Jesus sendete (→Mythen). Während sich Christoph Markschies als theologischer Experte korrekt zu Wort meldete und lächelnd dem Zuschauer zu denken gab, das alles könne man nicht historisch beweisen, das müsse man glauben, wiederholte das die Nachrichtensprecherin Petra Gerster leutselig und mit Grabesmiene mit den Worten, dass man daran glauben müsse. Und das macht in Ton und Formulierung den entscheidenden Unterschied: hier der Aberglaube an eine sensationelle Reanimation, dort die gewagte Lebenshaltung, dass Gott niemanden liegen lässt.
Es ist im Sinne christlicher Religion theo-logisch nicht sinnvoll, Gott als Ding unter Gegenständen zu verhandeln. Gott passt nicht zusammen mit anderen Objekten wie Weihnachtsmännern, Ufos oder Aliens. Und jeder, der schon einmal Weihnachten gefeiert hat, müsste es eigentlich wissen: Christen glauben gerade nicht an ein „überirdisches“ Wesen – das ist doch die Pointe! Gott bezeichnet nicht den Gegenstand meiner Verehrung (oder Verleugnung), auch nicht die Instanz moralischer Instruktion, sondern Gott ist die kürzeste Form für die Erzählung meines Lebensbezugspunktes. Es geht darum, wem ich meine Hoffnung, meine Ängste, mein Geschick, mein Leben, den Tag und den Moment widme.
Glauben meint nicht das Wunschkonzert unserer Bedürfnisse und Gott nicht das Klavier, auf dem es gespielt wird. Ein Blick in die biblischen Geschichten zeigt: Für Glauben und Gott gilt im Kontext der christlichen Religion nicht nur das Wortfeld: Trost, Halt, Geborgenheit, Heimat, Grund, Beruhigung, sondern mindestens ebenso: Fremdsein, Heimatlosigkeit, Suche, Verunsicherung, Aufbruch, Unruhe, Geduld, Passion.
Das hat damit zu tun, dass die christliche Religion ihre Kraft nicht dadurch entfaltet, dass sie das eine gegen das andere ausspielt. Sie sichert nicht das Leben gegen den Tod und Einheit gegen Trennung, Halt gegen Haltlosigkeit und Norm gegen Orientierungslosigkeit, Stärke gegen Schwäche oder Allmacht gegen Ohnmacht. Sondern hier wird den Prozessen des Vertrautwerdens und Fremdwerdens getraut, der Bewegung des Annäherns und Weggehens. Glauben heißt, in diesen Lebensprozessen eine Beziehungskraft wahrzunehmen, die das Leben trägt.1
Weil alle Menschen einmal „dran glauben müssen“, müssen alle Menschen glauben. Beim Glauben geht es also um die Lebenswette. Die (Glaubens-)Frage lautet für alle Menschen gleich: „Worauf setzt du im Leben und im Sterben?“ Ein Fußballklub aus dem Revier hat das verstanden, als er unter den Namen seines Vereins den Slogan setzte „Wir leben dich.“ Damit soll zum Ausdruck kommen, dass es um mehr geht als um eine Vereinsmitgliedschaft und ein Hobby. Der Club will die alles bestimmende und lebensbeherrschende Rolle spielen.
„Worauf setzt du im Leben und im Sterben?“ Die Antworten können auch lauten: „Geld“, „Nationalität“, „Anstand“, „Frömmigkeit“, „Schönheit“, „Gesundheit“, „Umweltschutz“ u.v.m. Christen setzen im Leben und Sterben auf das, was mit dem Wort →Evangelium abgekürzt wird.
Der Atheist macht mit dem Glauben an die Nicht-Existenz Gottes dasselbe wie der, der an die Existenz Gottes glaubt. Auch wer nicht glaubt, glaubt. „Man stellt die Gottesfrage nicht einfach nicht.“ (Norbert Bolz) Mit dem Glauben an die Nicht-Existenz Gottes versucht der Atheist sich Gewissheit zu verschaffen, indem er sich selbst von der Irrelevanz des Gottesproblems überzeugt. Auch Atheisten hoffen auf Erlösung und Ruhe. Wer könnte das nicht nachvollziehen: Am liebsten würden wir nicht glauben – Gott soll lieber tot sein –, in der Illusion, dass man dieses Thema dann endlich ganz unter Kontrolle hätte. Jedoch können Atheisten zwar die Antworten des Glaubens negieren, aber nicht die Fragen.
Zivilreligion ist Glauben an Anstand. Atheismus ist Glaube an den Unglauben. Christsein ist Glaubenswagnis live.
Ein Agnostiker glaubt, dass er nichts weiß, ein Atheist glaubt zu wissen, dass er nichts glaubt, und ein Christ weiß, dass wir immer schon alle dran glauben müssen und denkt gründlich darüber nach.
→ Worauf setzen Sie im Leben und im Sterben?