Читать книгу Tacheles glauben - Bernd Beuscher - Страница 6
ОглавлениеAbsolutheitsanspruch
Totschlagargumente oder tolerante Leidenschaft
„Echter, ernstgemeinter Glaube muss alles daran setzen, Andersgläubige oder „Ungläubige“ von der alleinigen Richtigkeit des eigenen Glaubens zu überzeugen. Sonst wäre ja alles egal …“
Tacheles
Christen glauben nicht an ihren Glauben, sondern →glauben: Sie setzen im Leben und Sterben auf das →Evangelium.
„Glauben an den eigenen Glauben“ ist Fundamentalismus. Fundamentalismus hat eine beneidenswerte Unerschütterlichkeit. Elias Canetti sprach da vom „Gottprotz“: „Der Gottprotz muss sich nie fragen, was richtig ist, er schlägt es nach im Buch der Bücher. Da findet er alles, was er braucht ... Was immer er unternehmen will, Gott unterschreibt es.“2
Dieser Fundamentalismus ist im Christentum allein schon deshalb Unsinn, weil die Bibel aus vielen Büchern besteht, die vielstimmig sind und oftmals die gleiche Begebenheit in Variation erzählen (→Mythen). Sogar „das Evangelium“ gibt es in vierfacher Version (benannt als Matthäus-, Markus-, Lukas- und Johannes-Evangelium). Es handelt sich bei den biblischen Geschichten nicht um die Übersetzung eines vorgefundenen Urtextes, sondern um ursprünglich mündlich überlieferte Erzählungen, um einen Kanon daraus entstandener vielfach bearbeiteter und übersetzter Texte.
Bei fundamentalistischer „Strenggläubigkeit“ liegt die Betonung mehr auf der Anstrengung als auf dem Glauben. Der Grad der Anstrengung ist oft leicht erkennbar an einer Inflation der Selbstzuschreibungen: Christ; gläubiger Christ; echter gläubiger Christ; bekehrter echter gläubiger Christ; wiedergeborener, bekehrter, echter, gläubiger Christ; bibeltreuer, wiedergeborener, bekehrter, echter, gläubiger Christ; praktizierender, bibeltreuer, wiedergeborener, bekehrter, echter, gläubiger Christ ...: Uff!
Forest Whitaker setzte bei seiner Oscar-Preisverleihung in Hollywood genau entgegengesetzt zum Gottprotz an. Er beschwor nicht stolz seine Glaubensleistungsfähigkeit, sondern sagte: „Ich danke Gott dafür, dass er immer an mich geglaubt hat.“ Das ist genial anti-fundamentalistisch.
Erst wenn →Glauben als existenzieller Akt verstanden wird, bekommen auch Zweifel und Leidenschaft eine sinnvolle Rolle und es wird bewusst, dass Absolutheitsansprüche problematisch sind, gerade wenn einem nicht alles egal ist. Damit meine Herzensbindung sich nicht totalitär auswirkt, muss ein Einspruch möglich sein.
Die Traditionen erzählen eindrücklich, dass und wie der Glaube Jesu immer wieder und bis zum Ende voller Zweifel und Anfechtung war. Vom tatkräftigen Petrus wird geschildert, wie er Jesus schließlich dreimal verleugnet. Und in keinem der Evangelien findet sich ein Hinweis darauf, dass auch nur einer seiner Jünger Jesus in seiner dunkelsten Stunde beigestanden hätte. Nur drei Frauen standen zu ihm am Fuße des Kreuzes, was für die damalige Zeit noch peinlicher war, als heroisch alleine zu sterben.
Es ist darum in der christlichen Religion der leise Zweifel des Glaubens, ohne den er nicht sinnvoll glauben kann. Denn je fanatischer sich eine Wahrheitsentscheidung gebärdet, umso fragwürdiger wird sie hinsichtlich des verdrängten Zweifels.
Die Sehnsucht nach dem Totalen und Endgültigen ist menschlich. Wir sind fasziniert: Ganzes, Heiles, Reines und Endgültiges sprechen unsere Allmachtsfantasie an. Wir wollen mit der Sterblichkeit fertig werden, also damit, nicht Gott zu sein. Deshalb kann es gar nicht darum gehen, auf einen Absolutheitsanspruch zu verzichten, sondern es muss darum gehen, diesen so zu kultivieren, dass ich Gott, den Nächsten und mich selbst mit meinen Bedürfnissen nach Halt nicht ersticke.
Die christliche Religion macht es sich nicht leichter, als das Leben erlaubt. Glaube ist bei ihr weder blinder Gehorsam noch Willkür. Die Orientierung an christlicher Tradition ist eine Lebensentscheidung. Das Subjekt nimmt sich eine Wahrheit zu Herzen, die es nicht relativieren will. Es ist nicht bereit, Wahrheit sozusagen in den Plural zu setzen. Als persönliches Risiko kann seine Wahrheit nicht außerpersönlich gesichert werden. Der Bezug auf eine übergeordnete Instanz würde Wahrheit nur autoritär sicherstellen. Stattdessen wird die christliche Wahrheit selbst Autorität für das Subjekt.
Dem entsprechen Szenen in den biblischen Texten, wo im Blick auf Jesus selbst unsicher gefragt wird: „Wer ist dieser?“ Die Beantwortung dieser Frage ist nicht durch die Verfasser der biblischen Texte vorentschieden. Offensichtlich lag ihnen mehr daran, die entsprechenden Orientierungsprozesse zu dokumentieren. Klaus Eulenberger führte dies in einer Adventsandacht zu Matthäus 11 aus: „Johannes ist im Gefängnis und lässt im Blick auf Jesus fragen: ‚Bist du es, der da kommen soll, oder sollen wir auf einen anderen warten?‘ (Vers 3) Dabei hatte Johannes, als er Jesus taufte, die Stimme vom Himmel gehört, die sprach: ‚Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe.‘ War das nicht deutlich genug? Hat es der Stimme an Überzeugungskraft gefehlt?
Johannes, der es eigentlich wissen müsste, weiß es nicht mehr. Er fragt: Bist du es, oder sollen wir auf einen anderen warten?
Es geht also um unsere Erwartungen und deren Erfüllung. Wenn einer kommt, der erwartet wurde, bringt er Unschärfe mit. Seine Erscheinung beantwortet die Frage nicht eindeutig. Es ist eben nicht so, dass der Kommende in unser Bild des Erwarteten eintritt, indem er ganz in ihm aufgeht und von ihm nicht mehr zu unterscheiden ist. Er bringt etwas mit, was man nicht einordnen kann, was überraschend anders ist und verunsichert. Wir sehen hin und sagen: ‚Ja, das ist es‘, dann wieder: ‚Nein, doch nicht.‘ Das ist die Zwanghaftigkeit des Absolutheitsanspruchs: Wir haben eine sehr bestimmte Erwartung, die Jesus – als der Menschensohn – einlösen muss, um von uns identifiziert zu werden. Das gibt ein Problem: ‚Johannes isst nicht und trinkt nicht, und ihr sagt: Er ist besessen. Ich esse und trinke, und ihr sagt: Dieser Mensch ist ein Fresser und Weinsäufer‘ (Vers 19). D.h. ich kann es machen, wie ich will; immer werdet ihr Gründe finden zu sagen: Er ist es nicht.
Die souveräne Antwort Jesu aber lautet: ‚Geht hin und sagt Johannes, was ihr hört und seht ...‘ (Vers 5). Der Gefragte sagt also weder Ja noch Nein. Er sagt nur: Nimm wahr, was geschieht. Und zieh deine eigenen Schlüsse.“3
Keiner kann einem die Lebenswette, die confessio, den gewagten, existenziellen Akt, abnehmen. Wer Bescheid wissen will, ehe er sich für oder gegen etwas entscheidet, wird in Glaubensdingen ohne Antwort bleiben.
Dazu sei noch angemerkt: In diesem Verständnis von Glauben als Lebenswette und existenziellem Wagnis wird es möglich, interreligiöse Dialoge weniger von Besitzansprüchen her als aus der Perspektive des Mangels zu führen. Es bleibt ein Rest, der nicht zu benennen ist. Insofern ist christlicher Glaube durch eine gewisse Nachlässigkeit gekennzeichnet, er bleibt offen und fähig zur Revision.
Entsprechende Bildungsprozesse zielen ausdrücklich darauf, Menschen zu befähigen, angesichts der →Fragwürde menschlichen Lebens entschieden Position zu beziehen, ohne diese zu verabsolutieren. Das erschöpft sich nicht im Sammeln oder Durchsetzen autorisierter Lehrsätze und normierter Verhaltensregeln, sondern zielt auf die Kompetenz, vertrauensvoll mit dem labilen Leben, mit dem Unwissbaren, Fremden umzugehen.
→ Faith and fury gehören zusammen. Glaube ohne Leidenschaft wäre Gedankenspiel. Leidenschaft ohne Glaubenswagnis jedoch liefe auf blindwütiges Besserwissen hinaus.