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1.3 Ziele des Naturschutzes

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Leitbilder für unsere Landschaft Renaturierung

Der Mensch hat in den vergangenen Jahrhunderten stark in die Natur eingegriffen und darin sehr viel verändert. Damit ist nicht nur der Landschaftsverbrauch für Städte und jedwede Infrastruktur gemeint. Diese Flächenanteile sind hoch, aber der wesentliche Anteil liegt beim Wandel der Naturlandschaft in eine Kulturlandschaft. Die Nutzung der Landschaft ist aber einem ständigen Wandel unterworfen, so dass auch aus der Sicht des Naturschutzes immer wieder überlegt werden muss: „Welche Ziele, welche Leitbilder haben wir für unsere Landschaft?“ Im Grunde sind Leitbilder nur notwendig, wenn es um die Renaturierung sowie die Pflege und Entwicklung von Landschaften oder von veränderten Landschaftsbereichen geht. Hierbei gibt es seit wenigen Jahrzehnten ein Umdenken. Entweder werden Flächen nicht mehr benötigt oder Umweltgesetze schreiben entsprechende Veränderungen vor, so dass die Rückführung von Kulturlandschaft in Richtung einer naturnahen Kulturlandschaft heutzutage häufig ist. Vielfach lässt sich die Natur gar nicht wieder herstellen, beispielsweise bei Flussauen, in die Städte gebaut wurden. Hier sind keine freifließenden Gewässer, die ihr Überschwemmungsgebiet bei Hochwasser voll ausnutzen, mehr möglich. Also gibt man sich in vielen Fällen mit einer naturnahen Gestaltung zufrieden.

Naturnähe

Aber was ist naturnah? Und was wäre überhaupt die wirkliche Natur? Sollen zum Beispiel brachgefallene Ackerflächen wieder in den Naturzustand zurückgeführt werden, kommt man schnell auf den Begriff der potenziell natürlichen Vegetation. Für TÜXEN (1956) ist das der Endzustand der Vegetation, die sich in einem Gebiet ohne menschliche Eingriffe entwickeln würde. Nun diskutieren die Wissenschaftler durchaus kontrovers darüber, wann in Mitteleuropa der Beginn der menschlichen Eingriffe festzulegen ist. Hatte schon der Neandertaler Einfluss oder begann ein solcher erst mit der Römerzeit oder gar erst mit der Völkerwanderung und der anschließenden Bevölkerungszunahme einige Jahrhunderte später? Waren die Einflüsse lokal und gering oder durchaus regional wirksam und veränderten sie die Vegetation? Welchen Einfluss hatten natürliche Klimaschwankungen, wie z.B. das Klimaoptimum während des Atlantikums (ca. 8000 bis 4000 Jahre v. Chr.) oder die „Kleine Eiszeit“, die ihren Höhepunkte zwischen dem 16. und dem 18. Jahrhundert hatte? Es gibt keine eindeutige Antwort auf diese Fragen. Daraus resultiert, dass man häufig auch nicht weiß, welchen Zustand man bei Renaturierungen anstreben soll.

Das Beispiel der Flüsse in Deutschland macht es deutlich. Seit rund 200 Jahren gibt es enorme Eingriffe in die Flussläufe aus Gründen des Hochwasserschutzes, der Flurbereinigung und der Energieerzeugung. Die Flüsse wurden begradigt und gestaut, Seitenarme und Altwasser wurden zugeschüttet. An den großen Flüssen wie Rhein und Donau begann diese Entwicklung schon im frühen 19. Jahrhundert, an kleineren Gewässern oft erst in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Möchte man jetzt einen Flussoder Bachabschnitt renaturieren, fällt die Rekonstruktion des Gewässerverlaufs bis vor dem 2. Weltkrieg anhand von vorhandenen Unterlagen noch relativ leicht. Vor 1800 wird das Bild des anzustrebenden Zustands aber schon deutlich diffuser, weil die Karten ungenau oder gar nicht vorhanden sind. WALTER & MERRITS (2008) behaupten zudem, dass der Bau von Wassermühlen in den USA zu einem Mäandrieren der Gewässer geführt habe, welches natürlicherweise gar nicht existiert hätte. Werden solche Gewässer später begradigt, stellt sich die Frage, welchen Gewässergrundriss man im Falle der Renaturierung wieder herstellen soll – mäandrierend, gestreckt oder gar verwildert?

Leitbilder im Naturschutz

Zur Beantwortung solcher Fragen strebt man heute die Entwicklung von Leitbildern an, wohl wissend, dass sich daraus die Frage ergibt, welches denn das richtige Leitbild ist. Dabei wird die konkrete Entscheidung über das Leitbild schlussendlich auf politischer Ebene getroffen. In der Praxis weicht man der Antwort oft aus, indem man nicht von Leitbildern, sondern von Entwicklungszielen spricht. Dieser Begriff enthält eine konkrete, teilweise auch politisch motivierte Vorgabe, die nicht so diskussionsfähig wie der Begriff des Leitbildes ist. Häufig existiert deshalb auch die Unterscheidung zwischen dem idealen und dem realistischen Leitbild (was dann einem Entwicklungsziel gleichzusetzen ist). Dabei sind nicht nur semantische Unterschiede bedeutend. Das realistische Leitbild ist jenes, welches sich politisch und ökonomisch erreichen lässt und rangiert aus Sicht des Naturschutzes in der Regel unter dem idealen Leitbild. Im Gunstfall sind beide Leitbilder gleich. Abbildung 2 zeigt im linken Bereich eine typische ausgeräumte Flusslandschaft mit einem nahezu gestreckten Gewässer und Landwirtschaft bis an dessen Ufer. Der rechte Teil zeigt die mögliche Gestaltung nach der Renaturierung, das Entwicklungsziel.


Abbildung 2: Gewässerlandschaft heute und zukünftig – ein Leitbild? Quelle: Bayerisches Landesamt für Umwelt, Augsburg.

Allerdings werden Leitbildern im Bereich des Natur- und Umweltschutzes zumeist keine abbildenden Darstellungen zugeordnet, sondern Begrifflichkeiten, die häufig Ziele und Grenzen darstellen. Diese können die Entwicklung von bestimmten Lebensräumen mit den zugehörigen Arten sein (z.B. Kalkmagerrasen mit Orchideen) oder es können Grenzwerte für chemische oder physikalische Parameter (z.B. Sauerstoffgehalt in Gewässern, Nitratbelastung von Böden) angegeben werden. Recherchen hierzu ergeben eine Vielzahl von Beispielen, die das für den Bereich der Natur- und Umweltplanung und somit auch der Renaturierung belegen (z.B. FÜRST et al. (1992), MARZELLI (1994), sowie LEHNES & HÄRTLING (1997)). Die Jahreszahlen dieser Veröffentlichungen machen deutlich, dass auch der im Naturschutz verwendete Leitbild-Begriff in Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit (Rio-Konferenz 1992) aufkam, in deren Nachgang dann auch die Nachhaltigkeit selbst zu einem Leitbild erhoben wurde (DER RAT VON SACHVERSTÄNDIGEN FÜR UMWELTFRAGEN 1994).

Dem Leitbild nachgeordnet sind Leitlinien, die das Leitbild konkretisieren und als Handlungsgrundsätze zu Zielen der Umweltqualität führen. Diese können z.B. für Boden, Wasser, Luft, Pflanzen, Tiere aber auch für das Landschaftsbild aufgestellt werden. Umweltqualitätsziele müssen quantifizierbar sein und können somit zu Umweltqualitätsstandards führen, die konkrete Bewertungsmaßstäbe zur Bestimmung von z.B. der Schutzwürdigkeit oder der Belastung führen. Die Zusammenhänge lassen sich Abbildung 3 entnehmen.


Abbildung 3: Vom Leitbild zum Umweltindikator. Während das Leitbild nur den Rahmen vorgibt, detaillieren die Umweltqualitätsstandards die Ziele entsprechend. Je genauer der Detaillierungsgrad, umso mehr nimmt der gesellschaftlich Konsens ab, da ggf. kommunale oder sogar persönliche Interessen betroffen sind. Quelle: CYFFKA (2001:138), Grafik: J. Homma.

Natur- und Umweltplanung braucht gesellschaftlichen Diskurs

Ein Leitbild soll abstrahieren, den Blick weg von Details nehmen und Grundsätze aufzeigen. Über die Leitlinien werden quasi „Leitplanken“ geschaffen, die als normative Rahmen gelten können. Leitbilder sollten realisierbar und konkurrenzfähig sein. Gerade Letzteres impliziert, dass es im gesellschaftlichen Diskurs zu einer Natur- oder Umweltplanung durchaus mehrere Leitbilder geben kann. Zumeist ist dann die Politik gefordert zu entscheiden, welches Leitbild weiter verfolgt wird. Das erklärt aber auch, warum man sich mit der Aufstellung von Leitbildern oft schwer tut, denn Leitbilder sind auch zielabhängig und somit veränderbar (vgl. Abbildung 4). Auch die Heterogenität der Gesellschaft und ihrer Interessen spielt hierbei eine bedeutende Rolle (BURGER & MAYER 2003).


Abbildung 4: „Die Leiden des Leitbild-Malers“ – Leitbilder verändern sich. Quelle: ZEPF et al. (1991:60).

Damit gerät das Leitbild leicht in den Bereich des Abstrakten. Viele Behörden scheuen vor der Aufstellung konkreter Leitbilder zurück, weil sie sich damit in den Bereich der gesellschaftspolitischen Diskussion begeben, die lange anhalten kann. Konkrete Maßnahmen anhand von Entwicklungszielen (realistischen Leitbildern) durchgeführt, sind oft schneller zu erreichen, weil sie ergebnisorientiert sind.

Dennoch werden für bestimmte Maßnahmen Leitbilder benötigt und vielfach auch konkret aufgestellt. Ein gutes Beispiel dafür ist die DBU Naturerbe GmbH, eine Tochter der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU). Sie erstellte für Naturerbeflächen der Bundesländer konkrete Leitbilder. Diese werden in Form von zweiseitigen PDF-Dateien auf der Webpräsenz (www.dbu.de) der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Dargestellt werden eine Beschreibung des Gebietes nebst Foto, die Schutz- und Entwicklungsziele sowie die betroffenen Schutzgebiete. Unter den Schutz- und Entwicklungszielen werden Maßnahmen, wie z.B. Erhalt oder Umbau von Waldflächen, erläutert.

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