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1.1.2 Gesellschaftlicher Umgang mit der Natur
ОглавлениеDie moderne christliche Ansicht in Bezug auf die Natur ist zweifelsohne inzwischen eine andere geworden („Der Mensch darf nicht alles, was er kann!“, SEKRETARIAT DER DEUTSCHEN BISCHOFSKONFERENZ 1980:3), was aber nicht unbedingt für alle politischen Systeme gilt. An dem Beispiel der früheren Sowjetunion sei ein Verhältnis von Mensch resp. politischem System zur Natur geschildert, wie es destruktiver kaum sein kann.
Politische Systeme beeinflussen das Verhältnis der Bevölkerung zur Natur
Noch bis weit ins 20. Jh. galt in der Sowjetunion die Doktrin, dass man sich die Natur untertan machen müsse – und dies ganz ohne den christlichen Hintergrund. Dabei galt die Annahme, dass Natur und Gesellschaft jeweils autonome Systeme sind, in der Natur also keine gesellschaftlichen Gesetze existieren. Ferner führte der Gedanke an die Beherrschbarkeit der Natur schon in der Sowjetunion der 30er Jahre zu der Einschätzung, dass die Gesellschaft die Naturgesetze bewusst steuern kann. Dabei wurde folgendes Modell entwickelt: Angenommen, zu einem Zeitpunkt A befinden sich Natur und Gesellschaft auf dem gleichen Entwicklungsniveau, und die Gesellschaft wirkt auf die Natur ein. Diese Einwirkung bringt die Gesellschaft voran, z.B. durch Ausbeutung der Natur zur Gewinnung von Bodenschätzen. Die Gesellschaft entwickelt sich durch den Besitz von Bodenschätzen weiter und bewirkt außerdem eine Reaktion (Entwicklung) der Natur. Da sich jedoch die Gesellschaft aktiv und somit schneller entwickelt als die Natur, kann die Reaktion der Natur, die zum Zeitpunkt A initiiert wurde, die Gesellschaft zu einem Zeitpunkt B nicht mehr erreichen, da die Gesellschaft nun ein höheres Entwicklungsniveau erreicht hat. Mit anderen Worten herrschte die Annahme, dass zum Zeitpunkt B die Gesellschaft einen solchen Entwicklungsstand aufweisen würde, dass die zum Zeitpunkt A initiierten Umweltsünden leicht korrigiert werden könnten oder aber gar nicht mehr zum Tragen kommen würden (CYFFKA 2001).
Große Bevölkerungsteile sind im heutigen Russland immer noch mit dem Denken dieser Doktrin aus den Anfängen des 20. Jh. und im Weiteren dann aus der Stalin-Zeit aufgewachsen. Die damals ausgearbeiteten Pläne zur Peredjelka Prirody, zur Umgestaltung der Natur, wurden von vielen noch erlebt und erzeugten ein Verhältnis zur Natur, welches dann auch in ein bestimmtes Verhalten mündete (ZIERDT & CYFFKA 1998), das zu einer teilweisen gedankenlosen Zerstörung der Umwelt führt. Beeindruckend geschildert wird dies von KOMAROW (1979) in seinem Buch „Das große Sterben am Baikalsee“.
Wenn Natur „umsonst und überall vorhanden“ ist, sinkt ihr Wert
Dieser Exkurs in ein sozialistisches Gesellschaftssystem soll nicht anprangern, allerdings aufzeigen, wie sich Dinge entwickeln können, auch und gerade wenn es sich dabei um die Einstellung zur Natur handelt. In manchen Regionen unserer Erde ist nicht nur Luft eine Ubiquität, sondern es sind auch andere Naturgüter mit dem Label „umsonst und überall vorhanden“ behaftet. In nördlichen Breiten ist das oftmals das Wasser, in der borealen Landschaftszone der Wald. Je mehr von einem solchen Naturgut vorhanden ist, je unüberschaubarer sein Vorkommen ist, umso mehr sinkt die Schwelle zu einem schonenden Umgang damit.
Natur und ökonomische Entwicklung
Dieser schonende Umgang mit Naturgütern hat aber nicht nur mit der Lage des Staates auf dem Globus zu tun. Auch der Entwicklungsstand spielt dabei eine entscheidende Rolle, unabhängig vom politischen System. Wir haben in den letzten Jahren das Ringen um die Einhaltung der Festlegungen des Kyoto-Protokolls (UN-Klimarahmenkonvention (UNFCCC), 3. Vertragsstaaten-Konferenz (COP3) 1997 in Kyoto; SECRETARIAT OF THE UNITED NATIONS FRAMEWORK CONVENTION ON CLIMATE CHANGE, 1997) erlebt.
Kyoto-Protokoll
Erst sieben Jahre nach der Konferenz trat das Protokoll in Kraft, nachdem die russische Duma es im November 2004 ratifiziert hatte, weil dann die Mindestzahl von 55 Staaten erreicht war. Somit wurden die völkerrechtlich verbindlichen Zielwerte für den Ausstoß von Treibhausgasen in den Industrieländern offiziell. Aber schon bald zeigten sich die ersten Auflösungserscheinungen. Die USA haben das Protokoll nie ratifiziert und Kanada hat im Dezember 2011 seinen Ausstieg bekannt gegeben. Grundsätzlich gab es für die Länder unterschiedliche Motivationen das Protokoll nicht zu unterzeichnen. Leider waren diese vielfach an ökonomische Interessen gebunden. Auf der UN-Klimakonferenz in Doha 2012 wurde deshalb die Verlängerung des Kyoto-Protokolls (Kyoto II) bis zum Jahr 2020 beschlossen. Es bleibt also abzuwarten, ob sich die Einstellung zu einem weltweiten Klima- und somit auch Umwelt- und Naturschutz so mancher Industriestaaten dann geändert hat.
Mindestens ebenso bedenklich ist aber die Einstellung vieler Entwicklungs- und Schwellenländer, allen voran China, aber auch Brasilien und Indien, die in Sachen Klimaschutz und anderer die Umwelt betreffende Maßnahmen zunächst einmal das einfordern, was die aktuellen Industrieländer meinen überwunden zu haben. Man möchte auch erst einmal ausbeuten, zerstören und verschmutzen dürfen, um wirtschaftlichen Aufschwung und damit das Potenzial eines Industrielandes zu erreichen. Offensichtlich folgen die Entwicklung eines Staates, z.B. vom Schwellenland zur Industrienation, und der Druck auf die Natur in etwa der in Abbildung 1 gezeigten Kurve. Die Bundesrepublik Deutschland ist sicherlich bereits jenseits des Punktes B auf der Zeitskala.
Abwägen von Interessen
Das oben Gesagte soll verdeutlichen, dass es wichtig ist, Naturschutz von Beginn an zu betreiben, ihn als Begleitmaßnahme einer jeden Entwicklung zu sehen und ihn nicht als „Reparaturwerkzeug“ einzusetzen, wenn schon große Schäden oder Verluste entstanden sind. Denn heutzutage geht es immer mehr um das Abwägen von Interessen, zwischen Ökonomie und Naturschutz, die Maßnahmen verschieben sich also von einem Nacheinander hin zu einem Miteinander.
Abbildung 1: Industrialisierung vs. Druck auf die Natur. P (Pressure) gibt den wachsenden Druck auf die Natur durch den jeweiligen Staat an, t (Time) ist die Zeit der Entwicklung eines Staates. A ist der Punkt, an dem der Umschwung vom Entwicklungsland zum Schwellenland erreicht wird, B der Punkt, an dem ein Industrieland sich den „Luxus“ gönnt, Umwelt- und Naturschutz zu betreiben.