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1.4 Ökonomischer Wert von Natur
ОглавлениеNatur ist unverkäuflich – hat sie dann überhaupt einen Wert?
Was ist die Natur wert? Ein Forstwirt könnte das für einen gepflanzten Buchenwald sicher recht genau sagen. Es gibt konkrete Preise für den Festmeter Holz und entsprechende Umtriebszeiten, so dass man die Erträge eines Hektars recht genau angeben kann. Damit geht aber die kommerzielle Nutzung einher. Wird die Natur nicht kommerziell genutzt, wie zum Beispiel im Falle eines Nationalparks, ist sie zunächst einmal ökonomisch wertlos (von touristischen Aspekten einmal abgesehen). Was man nicht nutzen oder veräußern möchte, hat im Grunde keinen Wert. Dieser Gedanke führte in den letzten Jahrhunderten und über alle politischen Systeme hinweg zu einem Raubbau an der Natur. Der „Ausweg“ heißt Nachhaltigkeit oder in diesem Kontext vielleicht besser „nachhaltige Nutzung“. Dieser wird in dem schon erwähnten Brundtland-Bericht geschildert und der simple Vergleich mit der Forstwirtschaft macht es deutlich: Wenn wir nachhaltig wirtschaften, lässt sich der Wert der Natur ökologisch erhalten.
Dienstleistungen der Natur
Wenn wir diesen Wert erkennen, können wir ihn auch in ökonomischen und sozialen Termen darstellen und berechnen. Damit ergeben sich – besonders aus nachhaltigem Handeln – Dienstleistungen der Natur.
Der Wert eines Blaukehlchens
1983 erregt Frederic Vester (promovierter Chemiker, Professor an verschiedenen Universitäten und später freiberuflicher Biologe) Aufsehen mit der Berechnung des Wertes eines Blaukehlchens. Der rein materielle Wert der Federn, des Kohlenstoff- und Stickstoffgehaltes usw. betrug umgerechnet keine 2 Eurocent. Allerdings ging Vester einen Schritt weiter und rechnete den (volks-)wirtschaftlichen Wert mit ein. Dieser ergibt sich aus der Leistung des Vogels, die für die Gesellschaft von Bedeutung ist. Beim Blaukehlchen (oder anderen Kleinvögeln) sind dieses z.B. die Vertilgung von Schädlingen, die Verbreitung von Samen und das Wohlgefühl beim Menschen durch Gesang und Anblick. Frederic Vester bezog all dieses mit ein und kam auf einen Gesamtwert von umgerechnet ca. 154 Euro (MIOSGA, 2011).
So erstaunlich diese Zahl auch ist, so groß war seinerzeit der Aufschrei bei engagierten Naturschützern, wie man es denn wagen könne, den Wert von Lebewesen anzugeben. Schließlich sei man ja allgemein der Ansicht, dass der Wert eines Menschen nicht zu ermitteln und ein Mensch deshalb monetär nicht zu ersetzen sei. Im Grunde ist diese Diskussion nicht abgeschlossen, aber die Kritik an Vesters Berechnung ist verstummt, hatte sie doch einen eindeutigen Vorteil: Zum ersten Mal wurden von der Natur erbrachte Leistungen überhaupt gesehen und man dachte über ihren Wert nach! Damit war selbst für einen Buchenwald nicht nur der Holzertrag anrechenbar, sondern auch die Sauerstoffproduktion oder die Kohlenstoffspeicherung. Natürlich sind viele (Dienst-)Leistungen unserer Ökosysteme ökonomisch nicht exakt zu kalkulieren. Als Beispiel sei nur das Empfinden der Stimmung eines Ortes genannt, z.B. der Sonnenuntergang über dem Meer oder der morgendliche Nebel in einem Flusstal. Daraus lässt sich touristischer Nutzen ziehen, der viel Geld einbringen kann, oder man kann die Situation zur Umweltbildung einsetzen, was ökonomisch nicht unbedingt an erster Stelle steht. Viele Dinge sind nicht so exakt zu kalkulieren wie ein Festmeter Holz, aber für unsere Gesellschaft immens wichtig!
Ökosystemdienstleistung
Die Liste der Leistungen, die Pflanzen und Tiere erbringen, wurde in den letzten Jahren immer länger, auch und besonders seitdem der Klimawandel mit in die Diskussion einbezogen wurde. Denn es sind längst nicht mehr nur direkte Leistungen (Vertilgung von Schädlingen) sondern auch kollaterale Effekte (Kohlenstoffspeicherung), die in die Berechnung mit eingehen. Und so berechnet MIOSGA (2011:151) den Wert eines Blaukehlchens (Brutpaar) inzwischen mit 53.000 Euro. Die Herstellung eines Waldes schlägt mit 90.000 Euro/ha zu Buche, eine Hecke gar mit 125.000 Euro/ha (MIOSGA 2011:151). Diese Art der Berechnungen sind nicht unumstritten, ändern sich von Art zu Art und über Zeit und Raum. Bedeutend dabei ist aber, dass nun endlich eine Verbindung zwischen Ökologie und Ökonomie hergestellt wurde, die man als Ökosystemdienstleistungen (auch Ökosystemleistungen oder ökosystemare Dienstleitung, abgekürzt mit ÖSD oder ÖSL; Englisch Ecosystem Services, ESS, vgl. Box 1) bezeichnet.
Box 1: Ökosystemfunktionen und Ökosystemleistungen – Begriffliche Abgrenzungen
Es existiert eine gewisse Verwirrung hinsichtlich der Nutzung der Begriffe Ökosystemfunktionen, Ökosystemdienstleistungen und Ökosystemleistungen. Die Unterscheidung von Ökosystemfunktionen (ÖSF) und Ökosystem(dienst)leistungen (ÖSD/ÖSL) ist noch recht klar. Ökosystemfunktionen sind „ein intrinsisches Charakteristikum eines Ökosystems, bezogen auf die Zustände und Prozesse, durch die das Ökosystem seine Integrität erhält“ (übersetzt nach HARRINGTON et al. 2010:2781).
ALCAMO & SARUKHÁN definieren Ökosystemdienstleistungen wie folgt (2003:49): „Ecosystem services are the benefits people obtain from ecosystems. [Ökosystemdienstleistungen sind Leistungen (im Sinne von Vorteilen), die Menschen von Ökosystemen erhalten.]“. Damit sind Ökosystemdienstleistungen also die Leistungen von Ökosystemfunktionen aus anthropozentrischer Sicht! HARRINGTON (2010:2781) erweitert die Definition noch zu „Benefits that humans recognise as obtained from ecosystems …[Leistungen, die Menschen als von Ökosystemen erhaltene erkennen …]“, um diese anthropozentrische Sicht hervorzuheben. Dadurch soll auch klar werden, dass es u.U. Dienstleistungen gibt, welche die Natur erbringt, der Mensch diese aber aufgrund fehlender (wissenschaftlicher) Erkenntnis noch nicht erkannt hat.
Im Englischen wird die Unterscheidung zwischen Ökosystemdienstleistungen und Ökosystemleistungen nicht explizit getroffen, sondern nur von Ecosystem Services (ESS) gesprochen. Der Naturschutz, besonders das Bundesamt für Naturschutz (Prof. Dr. Beate Jessel, Präsidentin des Bundesamtes für Naturschutz, beim Tag der Hydrologie 2015 in Bonn), stellt aber das Ökosystem in den Vordergrund und die Tatsache, dass ein Ökosystem einfach und wertfrei nur Leistungen erbringt. Deshalb wird aus dieser Fachrichtung überwiegend der Begriff Ökosystemleistung benutzt. Dienstleistungen werden es erst dann, wenn der Mensch sie in Anspruch nimmt (vgl. Definition von HARRINGTON 2010).
Naturschutz ist eine Investition in die Zukunft
Der Begriff Ökosystemdienstleistung (GRUNEWALD & BASTIAN, 2012) wurde bereits in den 1990er Jahren eingeführt und im Bereich der Umwelt- und Nachhaltigkeitsdiskussionen immer wieder angewendet. Die Attraktivität von Ökosystemdienstleistungen liegt in ihrem integrativen Charakter begründet, der inter- und transdisziplinäre Konzepte vor dem Hintergrund der Nachhaltigkeit vereinigt. Wichtig ist dabei der Bezug auf das menschliche Wohlbefinden (human well-being), welches eine besondere Rolle in dem System spielt (vgl. Abbildung 5). Zudem erbringen zum Beispiel auf Drängen des Naturschutzes renaturierte Flächen zumeist höhere Ökosystemdienstleistungen und sind damit volkswirtschaftlich interessant. Somit ist der Naturschutz, überwiegend staatlich finanziert, keine finanzielle Verschwendung, sondern eine Investition in die Zukunft, die Rendite abwirft, und damit auch ein Beitrag zum „human well-being“.
Abbildung 5: Die Einordnung der Ökosystemdienstleistungen und ihr Bezug zum menschlichen Wohlbefinden. Quelle: CYFFKA et al. (2013:86), verändert.
Die Ökosystemdienstleitungen lassen sich in vier Kategorien einteilen:
• Bereitstellende Dienstleistungen (Nahrung, Trinkwasser, Baumaterial (Holz), Fasern, medizinische Rohstoffe etc.)
• Kulturelle Dienstleistungen (Erholung, Tourismus, ästhetische und spirituelle Erfüllung, Umweltbildung etc.)
• Unterstützende Dienstleistungen (Nährstoffkreisläufe, genetische Vielfalt, Bodenbildung, Primärproduktion etc.)
• Regulierende Dienstleistungen (Lokales Klima, Kohlenstoffspeicherung, Erosionsschutz, Überschwemmungen, Verbreitung von Krankheiten, Wasserreinigung, Bestäubung etc.)
Im MILLENIUM ECOSYSTEM ASSESSMENT (2005a) werden die unterstützenden Dienstleitungen als die Basis für die anderen angesehen.
Abbildung 5 zeigt funktionale Zusammenhänge und Wirkungen in einem System, in dem die Ökosystemdienstleistungen nur einen Teil ausmachen und die Verflechtungen vielfältig sind. Als Beispiel sei die Ökosystemdienstleistung „Bestäubung von Pflanzen“ angeführt. Der Mensch bewirkt im Zuge seines Wohlergehens (human well-being), z.B. durch Landschaftsverbrauch, globale Änderungen, die durchaus zur Verringerung der Biodiversität und dem Aussterben von Arten führen können. Sind dieses zum Beispiel Bienen, wirkt sich das direkt und/oder über die Ökosystemfunktionen auf die Ökosystemdienstleistung „Bestäubung von Pflanzen“ aus. Geht diese bedeutend zurück, ist davon auch das menschliche Wohlergehen durch einen deutlichen Rückgang der Ernteerträge betroffen. Diese Ökosystemdienstleistung ist, sofern überhaupt möglich, nur sehr kostenintensiv zu ersetzen. So können kleine Insekten eine durchaus große Rolle im System spielen und die von der gesamten Gattung erbrachte Dienstleistung quasi unersetzbar sein.
Millenium Ecosystem Assessment
Neben etlichen wissenschaftlichen Publikationen waren es besonders das Millenium Ecosystem Assessment (MA) im Jahre 2005 (vgl. Box 2) und die dazugehörigen Berichte, die einen Meilenstein zum Thema Ökosystemdienstleistungen erbrachten. Seitdem werden diese in vielen wissenschaftlichen Bereichen beachtet und in die Untersuchungen miteinbezogen. Pointiert wurde das noch im Jahr 2009 durch die sogenannte TEEB-Initiative (The Economics of Ecosystems and Biodiversity, TEEB; vgl. Box 2). Die Ergebnisse beider Studien sind in umfangreichen Publikationen niedergelegt, die auf den jeweiligen Webpräsenzen kostenlos als PDF-Dateien herunterzuladen sind (www.millenniumassessment.org; www.teebweb.org). Durch beide Initiativen wurde der Wert der Natur und ihrer Ökosysteme verdeutlicht, der Bezug zur Ökonomie und damit auch zum Menschen hergestellt und somit das klassische Dreieck der Nachhaltigkeit (Ökologie – Ökonomie – Soziale Sicherheit) verwirklicht.
Box 2: Die „Millenium Ecosystem Assessment“ (MA) Studie und die Initiative „The Economics of Ecosystems and Biodiversity“ (TEEB)
Das Millennium Ecosystem Assessment (MA) ist eine Studie, die von den Vereinten Nationen in Auftrag gegeben wurde. Im Zentrum der Studie, die 24 Mio. USD kostete, standen 24 Ökosystemdienstleistungen, über deren Zustand und Entwicklung berichtet wurde. Dieses geschah in verschiedenen Berichten. Die „Global Assessemnt Reports“ wurden dabei unterteilt in „Current State & Trends“, „Szenarios“ und „Policy Responses“. Die „Synthesis Reports“ beschäftigten sich unter dem Oberthema „Ecosystems and Human Well-being“ neben einer „General Synthesis“ noch mit „Biodiversity Synthesis“, „Desertification Synthesis“, „Opportunities and Challenges for Business and Industry“, „Wetlands and Water Synthesis“ und der „Health Synthesis“. Alle Berichte sind als PDF-Datei kostenlos herunterzuladen.
Als Ergebnis wurde deutlich, dass sich die Erde im Zustand der Degradation befindet. 15 der 24 Ökosystemdienstleistungen wurden als fortgeschritten und/oder anhaltend zerstört angesprochen.
Die Berichte heben vier Ergebnisse besonders hervor (MILLENIUM ECOSYSTEM ASSESSMENT, 2005b:1, übersetzt):
1. In den letzten 50 Jahren haben Menschen die Ökosysteme schneller und umfassender verändert als in jedem anderen vergleichbaren Zeitraum der Vergangenheit, größtenteils um den rasant steigenden Bedarf an Nahrungsmitteln, Trinkwasser, Holz, Textilfasern und Treibstoff zu decken. Dies hat zu einem beträchtlichen und größtenteils irreversiblen Verlust der biologischen Vielfalt auf der Erde geführt.
2. Die Veränderungen, die den Ökosystemen zugefügt wurden, konnten das Wohlergehen der Menschen und wirtschaftliche Entwicklungen zwar steigern, dies aber zu einem hohen Preis: Reduzierung der Ökosystemdienstleistungen, erhöhtes Risiko unvorhersehbarer Veränderungen und Zunahme der Armut einiger Bevölkerungsgruppen. Werden diese Probleme nicht gelöst, so werden die Vorteile, die zukünftigen Generationen aus Ökosystemen zugutekommen könnten, wesentlich verringert werden.
3. Die Reduzierung der Ökosystemdienstleistungen könnte in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts noch deutlicher zunehmen und stellt somit ein Hindernis für die Erreichung der Millenniumsentwicklungsziele dar.
4. Die große Aufgabe, die Degradierung der Ökosysteme umzukehren, während gleichzeitig die Nachfrage nach Ökosystemdienstleistungen steigt, kann teilweise und unter bestimmten Szenarien durch das MA bewältigt werden. Dies setzt aber wesentliche politische, institutionelle und praktische Änderungen voraus, die derzeit jedoch noch nicht umgesetzt werden. Es gibt viele Möglichkeiten zur Erhaltung oder Steigerung spezifischer Ökosystemdienstleistungen, die negative Trade-offs mit anderen Ökosystemdienstleistungen reduzieren oder positive Synergien erzeugen.
Economics of Ecosystems and Biodiversity
The Economics of Ecosystems and Biodiversity (TEEB) ist eine Initiative, die aus den Forschungen um die Ökosystemdienstleitungen und im Nachgang zum MA gestartet wurde. Dies geschah 2007 aus der Gruppe der „8+5“-Staaten (Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Großbritannien und die Vereinigten Staaten, und vor der Besetzung der Halbinsel Krim auch Russland, sowie Brasilien, China, Indien, Mexiko und Südafrika). Die Europäische Kommission war Hauptinitiator und Geldgeber. Ziel der Initiative war es den ökonomischen Vorteilen des Erhalts von Ökosystemen und der Biodiversität größere Aufmerksamkeit zu schenken. Damit sollte auch auf die wachsenden Kosten der Biodiversitätsverluste und der Degradation von Ökosystemen hingewiesen werden. Ein weiteres Ziel war es, die Berechnung des Naturwertes, also der Kosten für Ökosystemdienstleistungen, zu vereinheitlichen. Hierzu waren drei Phasen vorgesehen:
Phase 1: Zwischenbericht im Rahmen der 9. Vertragsstaatenkonferenz (COP) zur Biodiversitäts-Konvention 2008.
Phase 2: Studie zum Stand der Forschung im Bereich ökonomischer Bewertung von Ökosystemdienstleistungen (The Economics of Ecosystems and Biodiversity: Ecological and Economic Foundation, TEEB 2010); inzwischen sind fünf Studien inklusive eines Synthesis Reports erscheinen (Stand 2015).
Phase 3: Umsetzung des TEEB-Prozesses auf nationaler Ebene. In Deutschland wurde dieses als TEEB DE – Naturkapital Deutschland (www.naturkapital-teeb.de) eingeführt.
Ökologische Konzepte müssen von der Ökonomie verstanden werden
Ein wichtiger Punkt des TEEB-Prozesses ist die Übersetzung ökologischer Konzepte und Herangehensweisen in eine für die Ökonomie verständliche Sprache. Damit soll über die Ökosystemdienstleitungen eine bessere Bewertung von Ökosystemen möglich und dadurch die weitere Zerstörung verhindert oder gebremst werden.