Читать книгу Einführung in die Neutestamentliche Zeitgeschichte - Bernd Kollmann - Страница 10
1.2 Die wichtigsten literarischen Quellen
ОглавлениеDaniel und Makkabäerbücher
Eine Darstellung der neutestamentlichen Zeitgeschichte kann sich auf eine breite Quellenbasis stützen. Dazu zählen zunächst Spätschriften aus alttestamentlicher Zeit wie das kanonische Danielbuch und die deuterokanonischen ersten beiden Makkabäerbücher, die in den hebräischen Bibelkanon keine Aufnahme fanden, aber Bestandteil der lateinischen und griechischen Bibel, der Septuaginta und der Vulgata, sind. Die in babylonischer Zeit einsetzende apokalyptische Geschichtsschau des Danielbuches spiegelt die Zeit Alexanders und der Diadochen wider, um auf die Schreckensherrschaft des Seleukidenkönigs Antiochos IV. zuzulaufen, während der es entstanden ist. Das auf Hebräisch verfasste, aber nur in Übersetzungen erhaltene erste Makkabäerbuch hat die Ereignisse vom Auftreten Alexanders des Großen bis zum Tod des hasmonäischen Priesterfürsten Simon (134 v. Chr.) zum Inhalt. Auch wenn die Darstellung nicht in allen Teilen als glaubwürdig anzusehen ist und die Interessen der Hasmonäerdynastie vertritt, zeichnet das Werk sich durch relativ große Objektivität und einen hohen Geschichtswert aus. Das zweite Makkabäerbuch, dessen Hauptinteresse in der Verherrlichung des Tempels und der Betonung jüdischer Gesetzesfrömmigkeit liegt, stellt keine Fortsetzung dar, sondern bietet eine den Zeitraum von 187–161 v. Chr. abdeckende Paralleldarstellung. Es handelt sich um einen mit redaktionellen Erweiterungen versehenen Auszug aus dem verloren gegangenen Geschichtswerk des Jason von Kyrene über den Aufstand der Makkabäer. Neben legendarischem Material enthält das zweite Makkabäerbuch mehrere wahrscheinlich authentische seleukidische Urkunden und liefert vor allem für die Vorgeschichte des Aufstandes historisch wertvolle Nachrichten. Bei den weiteren Makkabäerbüchern handelt es sich dagegen um religiöse Erbauungsliteratur. Das dritte Makkabäerbuch trägt einen irreführenden Titel, da es nicht in der Makkabäerzeit spielt, sondern die wunderbare Errettung der ägyptischen Juden vor der Verfolgung durch Ptolemaios IV. (221–204) schildert. Es ist ebenso von geringem Geschichtswert wie das vierte Makkabäerbuch, das den Makkabäeraufstand in einer Mischung aus philosophischem Traktat und erbaulichem Märtyrerbericht wiedergibt. Keine zusammenhängende Geschichtsdarstellung, aber wichtiges Einzelmaterial zur Erhellung der neutestamentlichen Zeitgeschichte bieten die Qumrantexte und weitere Apokryphen oder Pseudepigraphen des antiken Judentums.
Philo von Alexandria
Die bedeutendsten jüdischen Schriftstellerpersönlichkeiten des neutestamentlichen Zeitalters sind Philo von Alexandria und Flavius Josephus. Der Religionsphilosoph Philo verfügte über eine ausgezeichnete griechische Bildung und war einer der führenden Repräsentanten des hellenistischen Judentums. Philos Werk besteht in erster Linie aus exegetischen Kommentaren zum Pentateuch, die mit ihrer allegorischen Schriftauslegung von unschätzbarem Wert sind und tief auf das theologische Denken der Kirchenväter eingewirkt haben. Für die neutestamentliche Zeitgeschichte sind seine philosophischen und historischen Schriften von größerer Bedeutung. In Quod omnis probus liber sit und Hypothetica beschreibt Philo die Essener, eine der vier Religionsparteien des antiken Judentums. Die Schrift De vita contemplativa ist der ansonsten unbekannten Gemeinschaft der Therapeuten gewidmet. Um 40 n. Chr. wurde Philo mit der Gesandtschaft der alexandrinischen Juden an den römischen Kaiser Gaius Caligula betraut. In seinen zeitgeschichtlichen Werken Legatio ad Gaium und In Flaccum beschreibt er ausführlich die Ausschreitungen gegen die Juden in Alexandria, das tatenlose Zusehen des Statthalters Flaccus und die Reise nach Rom mit dem erfolglosen Versuch, Gaius Caligula zum Eingreifen zu bewegen.
Flavius Josephus
Flavius Josephus wurde um 40 n. Chr. als Abkömmling einer vornehmen Priesterfamilie geboren, die sich zu den Sadduzäern zählte und ihren Stammbaum auf das Hasmonäergeschlecht zurückführte. Seine Muttersprache war Aramäisch, doch beherrschte er wie jeder weltoffene jüdische Aristokrat seiner Zeit auch das Griechische. In seiner autobiographischen Vita beschreibt Josephus, wie er sich nach intensivem Studium der Religionsparteien und einem Wüstenaufenthalt bei dem Asketen Bannus für die Richtung des Pharisäismus entschied. Im Jüdischen Krieg (66–70 n. Chr.) hatte Josephus als Militärbefehlshaber der Aufständischen das Kommando über Galiläa. Auf der Festung Iotapata wurde er von römischen Truppen eingeschlossen, entzog sich dem kollektiven Selbstmord seiner Einheit und geriet in Kriegsgefangenschaft. Dort prophezeite er dem Feldherrn Flavius Vespasian die künftige Weltherrschaft. Als Vespasian dann überraschend tatsächlich den Kaiserthron einnehmen konnte, wurde Josephus freigelassen, erhielt das römische Bürgerrecht und übernahm aus Dankbarkeit gegenüber Vespasian dessen Familiennamen Flavius. Den weiteren Kriegsverlauf erlebte er im römischen Stab mit, wo er als Berater und Dolmetscher tätig war. Später siedelte er nach Rom über, wo er in Vespasians ehemaligem Palast lebte und vom kaiserlichen Hof ein festes Gehalt bezog.
Werke des Josephus
Seine literarische Hinterlassenschaft macht Josephus zum wichtigsten jüdischen Geschichtsschreiber der Antike. Josephus verfasste eine Abhandlung über den Jüdischen Krieg (De bello Judaico), den er über weite Strecken als Augenzeuge miterlebt hatte. Das Werk will die Leserschaft von der Berechtigung der jüdischen Niederlage und der Unüberwindbarkeit der römischen Macht überzeugen. Der Darstellung der kriegerischen Auseinandersetzungen geht ein mit der Makkabäerzeit einsetzender Abriss der jüdischen Geschichte voran. Weitaus umfangreicher sind die Antiquitates Judaicae, in denen einem gebildeten griechisch-römischen Lesepublikum die Geschichte des Judentums seit Erschaffung der Welt bis in die Zeit Neros nahe gebracht wird. Für die Epoche des Hellenismus basiert die Darstellung hochgradig auf der verloren gegangenen Universalgeschichte des Nikolaos von Damaskus, der als Historiker am Hof von Herodes dem Großen tätig war. In seiner Vita, die ursprünglich als Anhang zu den Antiquitates Judaicae verfasst wurde, wehrt sich Josephus vor allem gegen Vorwürfe, sein Volk an die Römer verraten zu haben. Eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Antijudaismus der Antike bietet die apologetische Schrift Contra Apionem. Auch wenn die Zuverlässigkeit des Josephus angesichts seiner ausgeprägten Darstellungsabsichten und der unterschiedlichen Qualität seiner Quellen nicht überschätzt werden sollte, ist er der mit Abstand bedeutsamste Zeuge für die neutestamentliche Zeitgeschichte.
Griechische und römische Historiker
Von den griechischen und römischen Historikern des neutestamentlichen Zeitalters sind zunächst die Alexanderbiographen von Belang. Während die älteren Geschichtswerke über Alexander allenfalls fragmentarisch überliefert sind, stellt die Anabasis des Arrian, eines hohen Verwaltungsbeamten unter Hadrian, die wichtigste erhaltene Alexanderbiographie dar. Hervorzuheben sind zudem die Alexanderdarstellungen von Curtius Rufus und Plutarch, wobei letzterer mit seinen Parallelbiographien eine ganze Reihe bedeutsamer Lebensbeschreibungen griechischer und römischer Herrschergestalten hinterlassen hat. Während die Epoche Alexanders des Großen wegen der überragenden Persönlichkeit des Makedonenkönigs auf breites Interesse bei den antiken Historikern stieß, sieht dies für die Geschichte der Diadochenreiche anders aus. Die weitaus ergiebigste Quelle für die Diadochenkriege um Alexanders Erbe ist Diodorus Siculus (1. Jh. v. Chr.) mit seiner zumindest teilweise erhaltenen Bibliothek, einer vierzigbändigen Universalgeschichte von der Zeit vor dem Trojanischen Krieg bis zur römischen Eroberung Galliens. Polybios von Megapolis (2. Jh. v. Chr.), der die römische Welteroberung zum zentralen Thema seiner Weltgeschichte machte, und Appian von Alexandria (2. Jh. n. Chr.) mit seiner ethnographisch angelegten Römischen Geschichte liefern wichtige Informationen über die Entwicklungen im Ptolemäer- und Seleukidenreich.
Tacitus
Unter den griechischen wie römischen Autoren für die Geschichte der Kaiserzeit kommt Tacitus, Sueton und Cassius Dio eine Ausnahmestellung zu. Der aus Gallien stammende Tacitus absolvierte unter den flavischen Herrschern eine beachtliche senatorische Laufbahn und war später Prokonsul der Provinz Asia. Seine großen Geschichtswerke, die Historien und die Annalen, sind beide nur unvollständig erhalten. Die um 110 n. Chr. abgeschlossenen Historien widmeten sich der Flavierdynastie. Davon erhalten sind nur die ersten fünf Bücher, die in detailreicher Berichterstattung von den Wirren nach dem Tod Neros und den Anfängen der Herrschaft Vespasians berichten. Die bald darauf verfassten Annalen behandeln den vorangehenden Zeitabschnitt vom Regierungsantritt des Tiberius bis zum Tod Neros. Bei der historiographischen Wertung der Personen und ihrer Handlungen rückt Tacitus moralische Maßstäbe in den Vordergrund. Als entscheidende Fehlentwicklungen im Prinzipat betrachtet er den Machtmissbrauch einzelner Kaiser und die mangelnde Ausschöpfung vorhandener Handlungsspielräume durch den Senat.
Sueton
Die durch eine Verschränkung von Biographie und Historiographie gekennzeichneten Kaiserviten von Sueton, der um 70 n. Chr. geboren wurde und unter Hadrian einflussreicher Hofbeamter war, beschreiben das Leben der zwölf römischen Herrscher von Caesar bis Domitian. Das Werk ist von der geschichtsphilosophischen Tendenz einer zweimaligen Dekadenzlinie in der frühen Kaiserzeit geprägt. Die Entwicklung des von Caesar konzipierten und von Augustus realisierten Prinzipats über Tiberius, Caligula und Claudius bis zu Nero wird als Geschichte eines zunehmenden Verfalls dargestellt, wie sie sich dann in den Augen Suetons nach den Wirren des Vierkaiserjahres unter den Flaviern Vespasian, Titus und Domitian in kleinerem Maßstab wiederholte.
Cassius Dio
Die ursprünglich achtzig Bände umfassende Römische Geschichte von Cassius Dio entstand um 230 n. Chr. und widmete sich der Entwicklung Roms von den Anfängen bis in die unmittelbare Gegenwart des aus Bithynien stammenden Verfassers, der unter Severus Alexander Statthalter mehrerer Provinzen war. Vollständig erhalten sind nur noch die Bücher 36–60. Sie decken den Zeitraum von 68 v. Chr. bis 47 n. Chr. ab und stellen für diese Epoche eine unschätzbare Quelle dar, auch wenn der Geschichtswert durch chronologische Unklarheiten und fiktive Reden geschmälert wird, in denen Cassius Dio historischen Persönlichkeiten seine eigenen Überzeugungen in den Mund legt. Weitere Teile des Werkes sind zumindest in Auszügen oder Exzerpten überliefert.
Christliche Quellen
Eine in unserem Zusammenhang eher unergiebige Geschichtsquelle stellt das Neue Testament selber dar. Es werden zwar vielfach Personen, Begebenheiten oder Eckdaten der Zeitgeschichte erwähnt und Lukas bemüht sich in seinem Doppelwerk gezielt darum, das Jesusgeschehen und die Anfänge der Kirche in die allgemeine Weltgeschichte einzubetten. Dabei handelt es sich aber lediglich um Kurznotizen, die ergänzend zum wesentlich umfänglicheren Zeugnis der außerbiblischen Quellen hinzutreten. Die spätere christliche Historiographie, allen voran die Kirchengeschichte des Euseb von Caesarea, ist in der Darstellung des neutestamentlichen Zeitalters hochgradig von Josephus abhängig und verarbeitet nur gelegentlich auch Traditionen, die Neues zur Rekonstruktion der historischen Abläufe beitragen. Von den christlichen Chroniken erlangten die des Euseb, Malalas und Georgios Synkellos eine gewisse Bedeutung für die moderne Kenntnis der antiken Geschichte.
Rabbinische Tradition
Zahlreiche geschichtliche Ereignisse des neutestamentlichen Zeitalters haben sich auch in der rabbinischen Tradition niedergeschlagen, deren schriftliche Fixierung im 2. Jh. n. Chr. einsetzte und sich über einen relativ langen Zeitraum erstreckte. Den Formen rabbinischer Tradition entsprechend werden kaum zusammenhängende Berichte geboten, sondern es dominieren verstreute Anekdoten und Legenden, die zudem von bestimmten Erzählinteressen geprägt sind. Die Frage nach dem Geschichtswert kann nicht pauschal beantwortet werden, sondern setzt eine Prüfung des Alters der jeweiligen Tradition und des Verhältnisses zu anderen antiken Geschichtsquellen voraus.