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Exkurs: Die Essener, die Qumransiedlung
und die Schriftrollen vom Toten Meer

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Die Essener

Die Essener, die Qumransiedlung am Toten Meer und die in deren Nähe gefundenen Schriftrollen sind zunächst einmal auseinanderzuhalten und getrennt zu betrachten. Erst in einem zweiten Schritt kann danach gefragt werden, inwieweit sich Berührungspunkte und Identifikationsmöglichkeiten ergeben. Die Essener stellen neben den Pharisäern, Sadduzäern und Zeloten eine der vier maßgeblichen Religionsparteien des antiken Judentums dar. Im Neuen Testament werden sie nicht erwähnt. Der Name leitet sich wahrscheinlich von dem aramäischen Wort chassaja, die Frommen, ab. Unser Wissen über die Essener stützt sich auf antike Schriftstellerberichte. Die wichtigsten Zeugen sind Philo und Josephus, die allerdings mit Rücksicht auf ihre hellenistische Leserschaft die Essener in den Farben einer griechischen Philosophenschule zeichnen. Dabei verfolgen sie die zum Teil bereits von den Quellen vorgegebene Tendenz, die Essener als eine pythagoreische Gruppierung auf jüdischem Boden zu porträtieren, die durch ihr von Tugendhaftigkeit, Gütergemeinschaft und Gelehrsamkeit gekennzeichnetes Ethos in vorbildlicher Weise das philosophische Ideal der Kaiserzeit verwirklicht. Trotz dieser gefärbten Darstellung gehen Philo und Josephus mit ihren Berichten nicht völlig an der Wirklichkeit vorbei, sondern geben wichtige Informationen über die Essener preis.

Organisationsstruktur und Gemeinschaftsleben

Die vorwiegend in ländlichen Gebieten Palästinas lebenden, aber auch in Städten anzutreffenden Essener sonderten sich zur Bewahrung der kultischen Reinheit von ihrer Umwelt ab und schlossen sich in Gemeinschaften mit festen Organisationsstrukturen zusammen. Die von einem priesterlichen Vorsteher geleiteten Essenergemeinden verfügten trotz egalitärer Lebensweise über ein vierstufiges hierarchisches Gefälle, an dessen unterem Ende die Novizen standen. Der Name der Essener deutet darauf hin, dass sie zu den gesetzestreuen Hasidäern zählten, die sich im Kampf gegen die Hellenisierung der jüdischen Religion vorübergehend der makkabäischen Bewegung angeschlossen hatten. Dem Eintritt in die Gemeinschaft war eine einjährige Probezeit vorgeschaltet. Erst nach weiteren zwei Jahren wurden die Vollmitgliedschaft und die Berechtigung zur Teilnahme an den Mahlzeiten erworben, die den Mittelpunkt des Gemeindelebens ausmachten. Dem ging ein Eid voraus, in dem die aufnahmewilligen Personen sich zur Ehrfurcht vor Gott, zur Gerechtigkeit gegenüber den Menschen, zur Wahrheitsliebe und zur Respektierung der Gemeinschaftsregeln verpflichteten. Die Essener verachteten den Reichtum und lebten in Gütergemeinschaft. Beim Eintritt in die Gemeinde ging aller Privatbesitz in Gemeinschaftseigentum über. In sämtlichen Dingen, die das Zusammenleben, die Satzungen und die Schriften der Gemeinde betrafen, waren die Mitglieder gegenüber Außenstehenden zur Geheimhaltung verpflichtet. Bei Fehlverhalten griff ein mehrstufiges Verfahren der Gemeindedisziplin. Schwere Verstöße gegen die Satzungen zogen den Ausschluss aus der Gemeinschaft nach sich.

Tagesablauf

Der Tagesablauf der Essenergemeinden war streng geregelt. Nach dem Morgengebet vor Sonnenaufgang gingen sie einer bäuerlichen oder handwerklichen Tätigkeit nach. Zur Mittagszeit traf man sich zu einer gemeinsamen Mahlzeit. Am Nachmittag setzte sich die Arbeit fort, bevor man abends erneut zum Mahl zusammenkam. Die Essener verstanden sich selbst als das wahre Israel und grenzten sich schroff nach außen ab. Sie maßen den rituellen Vorschriften der Tora besonders hohe Bedeutung bei und betonten das priesterliche Element. Oberstes Ziel war es, die kultische Reinheit der Gemeinde und ihrer Glieder zu wahren. Dazu erfolgte eine Radikalisierung und Verallgemeinerung der priesterlichen Reinheitsgesetze, indem die in der Tora nur für die Priester geltenden Vorschriften auf alle Gemeinschaftsmitglieder ausgeweitet wurden. Im Zentrum stand der Gedanke, dass die Forderungen des Gesetzes nur durch eine konsequente Heiligung des ganzen Lebens zu erfüllen seien. Auch das Sabbatgebot wurde strenger als von anderen Gruppierungen des Judentums ausgelegt. Den gemeinsamen Mahlzeiten gingen kultische Waschungen voraus. Die Mahlgebete wurden von einem Priester gesprochen. Das Mahl selber nahmen die Essener in weißen Leinengewändern ein, wie sie auch die Priester im Tempel trugen.

Die Mehrzahl der Essener lebte ehelos, um sich nicht durch den Umgang mit Frauen kultisch zu verunreinigen. Daneben gab es aber auch Gruppen von verheirateten Essenern, die im Interesse von Fortpflanzung und Nachkommenschaft eine positive Haltung gegenüber der Ehe einnahmen. Die Zukunftserwartung der Essener war durch den Glauben an ein Fortleben nach dem Tod geprägt. Wenn Josephus ihnen in diesem Zusammenhang eine pythagoreisch-platonische Seelenlehre zuschreibt, die im Widerspruch zum jüdischen Schöpfungsglauben den menschlichen Körper als Gefängnis der unsterblichen Seele betrachtet, ist Vorsicht angebracht. Eher dürften die Essener an eine ganzheitliche Auferstehung der Toten geglaubt haben.

Die Qumrantexte

Eine höchst umstrittene Frage ist, in welchem Umfang die Qumranfunde unser Verständnis von den Essenern bereichern. Im Jahr 1947 entdeckte ein Beduine, der angeblich nach einer entlaufenen Ziege suchte, aber wohl eher nach einem Versteck für Schmugglerware Ausschau hielt, am Nordwestufer des Toten Meeres in der Nähe des Ruinenplateaus Chirbet Qumran (Mondhügel) eine Höhle mit Tonkrügen und wertvollen Schriftrollen. In der Folgezeit konnten zehn weitere Höhlen in unmittelbarer Umgebung Qumrans aufgespürt werden. Die Summe der dort entdeckten fragmentarischen Dokumente beläuft sich auf rund achthundert, von denen sich ungefähr sechshundert inhaltlich bestimmen lassen. Der Erhaltungszustand der Qumrantexte ist außerordentlich schlecht. Lediglich zehn Schriftrollen bieten mehr als die Hälfte des ursprünglichen Textes, nur die Jesajarolle aus Höhle 1 ist fast vollständig erhalten. Die Funde lassen sich grob in drei Gruppen einteilen. Sie umfassen zunächst Bücher, die als Bestandteil der hebräischen Bibel bekannt sind. Daneben wurden in den Höhlen um Qumran auch jüdische Apokryphen und Pseudepigraphen entdeckt, die bei der späteren Kanonisierung der heiligen Schrift durch die Rabbinen keine Berücksichtigung fanden. Eine dritte Gruppe machen schließlich Gemeindeordnungen, schriftgelehrte Abhandlungen und Hymnensammlungen aus, die einer religiösen Gruppierung des antiken Judentums zugeordnet werden können, die sich selbst als Jachad (Einigung) bezeichnete. Dabei dürfte es sich um Essener gehandelt haben, denn die in den antiken Schriftstellerberichten gegebenen Informationen über die Essener stimmen bemerkenswert gut mit dem überein, was sich aus den Schriftrollen über die Lebensweise und religiöse Prägung der von den Qumrantexten repräsentierten Gemeinschaft entnehmen lässt.

Die Qumransiedlung

Bald nach Entdeckung der ersten Schriftrollen entschlossen sich Archäologen, auch die Ruinen von Qumran, die in unmittelbarer Nähe der Höhlen östlich der Felsenhänge auf einem Plateau liegen, einer groß angelegten Untersuchung zu unterziehen. Bei den Ausgrabungen kamen die Grundmauern und Gebäudereste einer Siedlung zutage, die für schätzungsweise sechzig Personen ausgerichtet war. Zudem waren auch die Höhlen im Umfeld der Siedlung bewohnt. Der archäologische Befund deutet darauf hin, dass das über Jahrhunderte unbewohnte Terrain von Qumran in der Mitte des 2. Jh. v. Chr. wiederbesiedelt und während der Regierungszeit der Hasmonäer Johannes Hyrkan und Alexander Jannai planmäßig ausgebaut wurde. Die Siedlung enthielt drei Hauptkomplexe, nämlich Wohnbereich, Wirtschaftsgebäude und Versammlungshalle samt Speisesaal. Die Wasserzufuhr erfolgte über ein im Gebirge angelegtes Staubecken, mit dem die Zisternen der Siedlung durch einen Aquädukt verbunden waren. Über die Trink- und Nutzwasserversorgung hinaus waren damit auch die Voraussetzungen für rituelle Tauchbäder gegeben. Im Jahr 31 v. Chr. wurde Qumran von einem schweren Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen. Anschauliches Relikt dieser Naturkatastrophe ist ein Wasserbecken, dessen Boden und Stufen in zwei Teile zerrissen wurden, wobei sich die rechte Hälfte rund einen halben Meter absenkte. Die zweite Siedlungsperiode währte vom baldigen Wiederaufbau bis zur mutmaßlichen Zerstörung Qumrans durch die Römer im Jahr 68 n. Chr., als Vespasian mit seinen Truppen das Tote Meer passierte. Anschließend diente Qumran als römischer Militärstützpunkt, bevor es im Bar-Kochba-Aufstand zu einem Rückzugsort jüdischer Widerständler wurde.

Qumran – eine Essenersiedlung?

Für die Beurteilung der Qumranfunde hängt viel davon ab, ob die in den Höhlen entdeckten Schriftrollen in einer direkten Beziehung zu den Bewohnern der Qumransiedlung stehen. Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, die Schriftrollen stammten aus Jerusalem und seien erst im Verlauf des Jüdischen Krieges (66–70) nach Qumran gebracht worden, um sie dort in den Höhlen vor den Römern in Sicherheit zu bringen. Dieser These zufolge, die aufgrund einer Neubewertung des archäologischen Befundes derzeit an Bedeutung gewinnt, weisen die Schriftrollen keine innere Beziehung zur Siedlung Qumran und ihren Bewohnern auf. Qumran wird in diesem Zusammenhang als eine Festung oder ein Handelszentrum ohne besonderen religiösen Hintergrund betrachtet. Die Kupferrolle aus Qumran deutet in der Tat darauf hin, dass zumindest Teile des Jerusalemer Tempelschatzes vor den Römern in den Höhlen am Toten Meer versteckt wurden. Sie enthält ein exaktes Verzeichnis von 64 Verstecken mit immensen Mengen von Gold und Silber. Dennoch hat die traditionelle Annahme, dass es sich bei Qumran um eine Siedlung von Essenern und bei den in den Höhlen gefundenen Dokumenten um deren Bibliothek handelte, nach wie vor die größte Wahrscheinlichkeit für sich. Eine Schlüsselstellung kommt dabei dem älteren Plinius zu, der die Essener am Westufer des Toten Meeres in der Nähe von Engedi verortet. Dies passt vorzüglich zur geographischen Lage von Qumran.

Plinius der Ältere über die Essener

Im Westen weichen die Essener von den Küsten zurück, soweit diese ungesund sind, ein einsamer und auf dem ganzen Erdkreis vor allen anderen merkwürdiger Stamm, ohne jede Frau, jeder Wollust abhold, ohne Geld und nur in Gesellschaft von Palmen. Er erneuert sich gleichmäßig Tag für Tag durch die Menge der Neuankömmlinge, da viele dorthin wandern, die das Schicksal durch seine Stürme als Lebensmüde veranlasst, ihre Sitten anzunehmen. So besteht ein Stamm, bei dem niemand geboren wird, über Jahrhunderte fort, was unglaublich erscheint. So fruchtbar ist für jene der Lebensüberdruss anderer. Unterhalb von ihnen lag die Stadt Engedi, die zweite nach Jerusalem hinsichtlich der Fruchtbarkeit und wegen der Palmenhaine, jetzt ist sie ebenfalls ein Schutthaufen. Darauf folgt die Festung Masada auf einem Felsen, selbst auch nicht weit vom Asphaltsee. Und bis hierher reicht Judäa.

(PLINIUS, Historia naturalis 5,73 [übers. v. R. KÖNIG, München 1993])

Der Lehrer der Gerechtigkeit und der Frevelpriester

Unabhängig von der Essenerhypothese bieten die Qumranfunde entscheidende Informationen über die religiöse Parteienbildung im Judentum zur Makkabäerzeit. Eine maßgebliche Rolle spielen dabei zwei geheimnisumwitterte Gestalten aus den genuinen Gemeinschaftsschriften, nämlich der Lehrer der Gerechtigkeit und der Frevelpriester. Die Damaskusschrift blickt auf die weit vor der Gründung von Qumran liegenden Anfänge der Bewegung zurück. In einem einleitenden Geschichtsabriss verankert sie die Ursprünge der Gemeinde in einem „neuen Bund im Land Damaskus“, der vom Lehrer der Gerechtigkeit begründet wurde. Der Lehrer der Gerechtigkeit hatte bereits zuvor in den Krisenzeiten unter Antiochos IV. eine Bewegung von Gesetzestreuen um sich geschart und war vermutlich eine der charismatischen Führungsgestalten innerhalb der „Sammlung der Hasidäer“ gewesen, die sich zeitweise dem Kampf der Makkabäer angeschlossen hatte. Mehrere Stellen des Habakuk- und Psalmenkommentars aus Qumran sehen den Lehrer der Gerechtigkeit in lebensbedrohlicher Auseinandersetzung mit einem Frevelpriester, der in Israel zur Herrschaft gelangt war und den Versuch unternahm, den ins Exil gegangenen Lehrer der Gerechtigkeit zu beseitigen. Später geriet der Frevelpriester selbst in die Hände von Feinden, die ihn töteten.

Bei dem über Israel herrschenden Frevelpriester kann es sich nur um den amtierenden Hohenpriester handeln. Auch für den Lehrer der Gerechtigkeit lassen die Texte erkennen, dass er eine hochrangige priesterliche Gestalt war. Mit dem namentlich ungenannten Frevelpriester ist aller Wahrscheinlichkeit nach Jonathan gemeint, der von 152–143 v. Chr. das Hohepriesteramt innehatte und dann von dem Seleukidengeneral Trypho hingerichtet wurde. Sowohl der offenkundige Anspruch des Lehrers der Gerechtigkeit auf das vom Frevelpriester okkupierte Hohepriesteramt als auch die Mordversuche des Frevelpriesters am Lehrer der Gerechtigkeit erklären sich plausibel dadurch, dass der Lehrer der Gerechtigkeit vor Jonathan das Amt innehatte und dann zwangsweise abgesetzt wurde, also ein ähnliches Schicksal wie vor ihm Onias III. erlitt. Josephus zufolge soll das Hohepriesteramt vor dem Amtsantritt Jonathans sieben Jahre unbesetzt gewesen sein, was angesichts der Notwendigkeit eines Hohenpriesters für den toragemäßen Kultbetrieb, vor allem das Ritual des Versöhnungstages, historisch undenkbar ist. Nach seinem mutmaßlichen Amtsverlust begab sich der Lehrer der Gerechtigkeit offenkundig nach Syrien ins Exil und konstituierte dort den neuen Bund im Land Damaskus, eine Sammlungsbewegung frommer Juden gegen die Entweihung des Hohenpriesteramtes und des Tempelkultes durch den von Alexander Balas eingesetzten Makkabäer Jonathan, der nicht zadokidischer Herkunft war. Später kehrte er mit seinen Anhängern nach Judäa zurück, konnte aber seine hohenpriesterlichen Ansprüche nicht durchsetzen, woraufhin er sich endgültig vom Tempelkult verabschiedete. In dieser Frage kam es zu einem Bruch innerhalb der Bewegung. Ein von den Qumranschriften als Lügenmann bezeichneter Rivale verweigerte sich dem Führungsanspruch des Lehrers der Gerechtigkeit und spaltete sich mit seinen Anhängern ab, um weiterhin am Tempelkult teilzunehmen. Der Lehrer der Gerechtigkeit dagegen erkannte zwar den Tempel grundsätzlich als das jüdische Heiligtum an, betrachtete ihn aber wegen seines nichtzadokidischen Hohenpriesters und der Befolgung eines falschen Kalenders als entweiht. Später ließ sich die Bewegung in Qumran nieder, wobei offenkundig die Forderung von Jes 40,3, die Wüste zu einem Ort der Erneuerung des Gottesverhältnisses zu machen, eine entscheidende Rolle spielte.

Übereinstimmungen mit den Essenern

Sehr viel von dem, was Philo und Josephus in ihren Essenerreferaten über das Aufnahmeverfahren, die Gütergemeinschaft, die gemeinsamen Mahlzeiten und die Regeln des Zusammenlebens berichten, begegnet in den Gemeinschaftsordnungen von Qumran wieder. Trotz vereinzelter Diskrepanzen spiegeln sich in den Qumrantexten fundamentale Glaubensvorstellungen und Handlungsweisen, wie sie von den antiken Quellen als typisch essenisch charakterisiert werden. Der Begriff Essener begegnet wohl deshalb nicht in den Schriftrollen, weil er eine Fremdbezeichnung darstellt. Von allen bekannten jüdischen Gruppen weisen die Essener die meisten Ähnlichkeiten mit der Qumrangemeinde auf. Wenn es sich demnach aufgrund der signifikanten Übereinstimungen bei Qumran um eine Essenersiedlung handelte, bereichern die Funde von Qumran in außerordentlichem Maße unser Wissen über die religiösen Denkmuster der Essener. Es handelt sich vorwiegend um Aspekte, die Schriftstellern wie Philo oder Josephus nicht bekannt waren oder ihrer gefärbten Darstellung der Essener als Philosophenschule zum Opfer fielen. Dies betrifft vor allem Kalenderfragen und die Endzeiterwartung. Allerdings ist aufgrund der Diskrepanzen zwischen den antiken Essenerberichten und den Schriftrollen vom Toten Meer auch nicht auszuschließen, dass sich hinter den Essenern und der Qumrangemeinde zwei vom Denken und der Organisationsform her eng miteinander verwandte, aber nicht völlig identische religiöse Gruppierungen verbergen. Zuweilen vermutet man, dass der Lehrer der Gerechtigkeit sich mit seinen Gefolgsleuten von einer breiteren essenischen Bewegung abgespalten haben könnte.

Die Qumrangemeinde beharrte konsequent auf einem Sonnenkalender anstelle des im Judentum üblich gewordenen Mondkalenders. Dies war ein wesentlicher Grund für die Absonderung vom Tempel, wo die jüdischen Feste nach Auffassung der Qumrangemeinde an den falschen Tagen gefeiert wurden und damit der Kultbetrieb nicht gemäß der Schöpfungsordnung und der Tora organisiert war. In Qumran wurde eine Sonnenuhr in Gestalt einer gravierten Kalksteinscheibe gefunden, die als astronomisches Messinstrument zur Berechnung des Festkalenders diente. Erst von den Hasmonäern eingeführte Feste wie Purim und Chanukka wurden abgelehnt. Das Endzeitdenken der von einem streng dualistischen Welt- und Menschenbild geprägten Gemeinde war, wie vor allem die Kriegsrolle aus Qumran zeigt, von der Erwartung eines Endkampfes zwischen den Mächten des Lichtes und der Finsternis geprägt. Zugleich wurde von der Zukunft erwartet, dass sie neben einem königlichen auch einen priesterlichen Messias bringen werde.

Festigung der Macht Jonathans

Durch seinen engen Schulterschluss mit Alexander Balas hatte Jonathan machtpolitisches Gespür bewiesen. Alexander Balas setzte sich 150 v. Chr. im Entscheidungskampf gegen Demetrios I. durch und konnte für fünf Jahre die Herrschaft über das Seleukidenreich an sich reißen. Jonathan wurde von ihm zum Strategen und Teilherrscher über Judäa ernannt. Anhaltende kriegerische Auseinandersetzungen zwischen diversen Thronprätendenten trugen zu einer weiteren Schwächung des Seleukidenreichs bei und stärkten die Position Jonathans. Demetrios II., ein Sohn von Demetrios I., nahm den Kampf um das seleukidische Thronerbe auf. Er kehrte aus dem Exil auf Kreta zurück, besiegte Alexander Balas mit Hilfe von Ptolemaios VI., der mit allen Mitteln den ptolemäischen Einfluss nach Norden auszudehnen versuchte, und wurde 145 v. Chr. neuer seleukidischer Herrscher. Für Jonathan stellte sich die Situation zunächst wenig vorteilhaft dar. Er war Parteigänger von Alexander Balas gewesen und hatte den Statthalter von Koilesyrien militärisch bekämpft, als dieser zu Demetrios II. abgefallen war. Aufgrund seines diplomatischen Geschicks vermochte er aber Demetrios II., der zur Festigung der Herrschaft auf Unterstützung angewiesen war, in Ptolemais von seiner Loyalität zu überzeugen und ihm weitere Zugeständnisse abzuringen. Jonathan behielt die Hohepriesterwürde, erwirkte Steuererleichterungen und konnte zudem seinen Einflussbereich auf drei südliche Bezirke Samarias ausdehnen. Damit wurde von seleukidischer Seite eine territoriale Erweiterung des jüdischen Herrschaftsbereiches sanktioniert. Mit seinen Streitkräften avancierte Jonathan zum gefragten Bündnispartner in neuerlichen Thronkämpfen zwischen Demetrios II. und Trypho, einem ehemaligen General des Alexander Balas, der nun als Vormund des noch minderjährigen Antiochos VI. die Herrschaft beanspruchte. Jonathan kämpfte zunächst auf Seiten des Demetrios, wechselte dann aber die Fronten. Als Gegenleistung wurde er von Antiochos VI. in seiner Position bestätigt und erreichte, dass sein Bruder Simon die Befehlsgewalt über die Küstenebene von Tyros bis zur ägyptischen Grenze erhielt.

Das von den Makkabäern kontrollierte oder im Auftrag der Seleukiden befriedete Gebiet erstreckte sich nun weit über Judäa hinaus. Gleichzeitig sicherte Jonathan seine Expansionsbestrebungen durch eine Erneuerung des Freundschaftsvertrages mit dem römischen Senat ab. Hinzu kam ein außenpolitisches Abkommen mit Sparta als wichtigstem Bundesgenossen Roms auf griechischem Boden. Die politische Festigung der Makkabäerherrschaft lag nach wie vor im Interesse römischer Ostpolitik, da sie zur Schwächung des Seleukidenreichs beitrug. Für Jonathan zielte die Bekräftigung des Freundschaftsvertrages nicht nur darauf ab, seiner Herrschaft diplomatische Anerkennung zu verschaffen. Sie war auch deshalb geboten, weil Rom nach dem dritten Punischen Krieg von seiner patronalen Außenpolitik abzurücken begann und in Nordafrika wie Griechenland zu einer direkten Beherrschung eroberter Gebiete übergegangen war. Auf Dauer wurde Jonathan mit seinen politischen Aktivitäten dem hinter Antiochos VI. stehenden syrischen General Trypho allerdings zu mächtig, der ihn in Ptolemais in einen Hinterhalt lockte und töten ließ. Neuer Hoherpriester und Führer der Makkabäer wurde Jonathans Bruder Simon. Mit ihm sind jene Entwicklungen verbunden, die zum hasmonäischen Königtum führten.

Einführung in die Neutestamentliche Zeitgeschichte

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