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Lernen von der Schweizer Direktdemokratie

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Nun könnten wir sagen, in der Schweiz wird direkt abgestimmt- prima Sache, die haben auch öffentliche Plätze, wo sie sich versammeln können, wir brauchen das nicht, wir könnten einfach im Wohnzimmer mit dem Internet abstimmen. Ob wir in unserer Stadt zum Beispiel eine Biogas- Anlage wollen- einfach mit Internet abstimmen: Ja oder Nein? Wir könnten auch mit dem Tablet bequem in der warmen Badewanne oder mit dem Smart- Phone abstimmen, ob wir zum Beispiel in unserer Stadt eine Erweiterung der Kunsthalle wollen oder nicht. Ganz einfach direkt abstimmen mit dem Internet.

Aber so einfach geht das nicht…Mehrheiten haben nicht immer die besten Sichtweisen, genauso wenig wie das die Experten haben.

Auch die Schweizer Direkte Demokratie hat ihre großen Schwächen.

Zum Beispiel stimmten die Schweizer direkt ab, dass man den Ausländeranteil der Bevölkerung begrenzen soll. Das ist sehr fragwürdig. Ein anderes Beispiel: Würde man über Gesetze von Retortenbabies öffentlich abstimmen lassen, wirft das viele medizinische, ethische und juristische Fragen auf. Zum Beispiel: Ein Retortenbaby, wenn das später kriminell werden würde, wer haftet dafür? Es gibt viele Fragestellungen zu vielen Themen, die sind so komplex und vielschichtig, dass sogar Experten damit ihre großen Schwierigkeiten haben und die meisten Bürger schlichtweg überfordert sind. Solche Fragestellungen kann man nicht einfach durch eine einfache Mitbestimmung der Bürger lösen.

Es gibt Mehrheiten der Bürger, die oft recht haben oder auch nicht. Es gibt Experten, die auch oft recht haben oder auch nicht. Zum Beispiel in der Atomkraftpolitik. In früheren Jahren bescheinigten uns Experten immer, dass die Atomkraftwerke absolut sicher seien. Die kritischen Stimmen von Bürgerbewegungen in der Anti- Atomkraft warnten uns immer wieder vor der Störanfälligkeit und der Gefahr der Atomkraftwerke. Und sie wurden nicht von den Experten erhört, sondern viele Demonstranten wurden sogar bekämpft. Erst durch die größeren Unfälle der Atomkraftwerke wurde die große Gefahr auch von Experten und Politikern wahrgenommen.

Zwischen Experten und Bürgern herrscht noch immer eine große Kluft. Und wir wissen, der Blickwinkel von Spezialisten kann auch oft verengt sein. Auch zwischen Politikern und den vielen Bürgern ist oft eine sehr große Kluft. Viele Politiker stehen auf so einem hohen Podest, ihre Arme reichen zu uns oft nicht nach unten. Aber mit dem Internet lassen sich die Bürger- und die Experten/ Entscheidungsträger-Ebene sehr gut und schnell zueinander durchlässig machen.

Wir wollen das etwas näher beschreiben. Und darauf lässt sich dann viel für eine aufrichtig funktionierende Demokratie aufbauen.

Schauen wir uns das graphische Kern- Modell der Mitbestimmung unserer Demokratie an. Mit dem Internet können Bürger Ideen, Themen und Lösungen für das Gemeinwohl zur Sichtung für die Experten einbringen. Das ist schon mal eine Form von Mitbestimmung und Mitgestaltung der Bürger. Mit großer Bürgernähe. Die Experten, zum Beispiel im Gemeinderat, Landtag oder Bundestag beraten über die Ideen, Themen und Lösungen der Bürger. Wenn sich alle Experten und Entscheidungsträger nach ausführlichen Beratungen einig sind und zu einer Sache mit Ja oder mit Nein einstimmig entschließen konnten, können wir annehmen, dass sich alle Experten zusammen nicht irren und ihre Entscheidung richtig ist. Das hat zum einen gute Gründe: Es kann unmöglich über alle Themen von den Bürgern mitgestimmt werden, das wäre zu zeitaufwendig. Die Bürger müssen dann nicht zu allen Themen befragt werden. Erst im Zweifelsfall, wenn die Entscheidungsträger einstimmig sind, kann als Hilfe das Mitbestimmungsbild der Bürger eingeholt werden. Es unterstützt die Experten und es kommt dann zu einer abschließenden Entscheidung. Die Idee oder Lösung des oder der Bürger kann dann umgesetzt werden. Das bedeutet dann auch sehr viel demokratische Bürgernähe. Diese Kommunikationsform der Mitbestimmung spart viel Zeit und viel Kommunikationsaufwand als wenn man in allen drei Fällen die Bürger befragen und mitbestimmen lassen würde. Das ist jetzt einfach, schnell und leicht mit dem Internet möglich. So eine Bürger- Mitbestimmung hat mehrere Funktionen. Zum einen für die Experten- und Politikerebene: Die Experten werden konfrontiert mit den Meinungen und Sichtweisen vieler Bürger. Wie denken und fühlen die meisten Bürger darüber? Der Blickwinkel von Experten und Entscheidungsträgern kann sich damit vergrößern. Spezialistentum und Elite- Denken wird abgebaut und Bürgerwissen genutzt. Sie dient auch der Unterstützung für die Experten, eine gute Lösung für das Gemeinwohl zu finden. Und nicht allein die Sichtweisen der Experten oder nicht allein die Sichtweisen der Bürger bildet eine Entscheidungsfindung. Sondern die Sichtweisen der Experten mit den Sichtweisen vieler Bürger ergänzen sich miteinander zusammen: zur bestmöglichen Entscheidungsfindung für eine Demokratie für Viele. Das letzte Wort haben unter Berücksichtigung und der Einsicht in das Denken und Fühlen vieler Bürger wieder die Experten. Sie beraten dann neu –und wissen wie viele Bürger denken- und dann erst oder auch nicht findet eine Durchführung des betreffenden Themas statt. Damit entsteht nicht nur eine Demokratie mit sehr viel mehr Bürgernähe, sondern blindes Spezialistentum und elitäre Strukturen werden abgebaut.

Und Demokratie lebt von ständiger Demokratisierung.

Das Kernmodell der Mitbestimmung ist so aufgebaut, dass wir am meisten Mitbestimmung mit dem am wenigsten Kommunikations- und Zeitaufwand gewinnen. Und Politiker erhalten so auch mehr einen Realitätsbezug zum wahren Leben. Oft ist es noch so, dass die meisten Politiker bei ihrem Aufstieg der Karriereleiter blind für viele Dinge des Lebens sind. Was allgemein so gepriesen wird, nämlich „Basisdemokratie“, wird erst mit der Mitbestimmung verwirklicht. Für die Bürger hat diese Mitbestimmung folgende Funktionen: Sie können damit einen wichtigen Einfluss nehmen auf die Entscheidungen der Experten/Politiker. Damit wird Politikverbitterung, Ohnmacht und Resignation der Bürger sehr abgebaut. Bürger können mitgestalten und mitbestimmen. Politik kann für Bürger statt Frust und Verbitterung wieder zum täglichen Gesprächsthema werden. Und nicht zuletzt: die Politik wird sehr viel bürgernäher und demokratisch. Menschennäher. Bürger können direkt durch Ideen mitgestalten. Ersten: indem sie über Internet einen Vorschlag einbringen und zweitens: über das Mitbestimmungsbild per Internet. Auf den Internet- Wahlscheinen für die Bürger können zudem auch die Kosten für die jeweiligen Vorhaben und Projekte transparent gemacht werden. Die Kosten gehen damit nicht wieder wie so oft auf die Kosten der Bürger, sondern die Bürger können in der Kostenfrage bei den Projekten zum Gemeinwohl mit einbezogen werden. Mit all dem sind die Entscheidungsträger viel mehr an die Bürger gebunden. Die Bürgermitbestimmungen mit Internet unterstützen also die Entscheidungsträger, bürgernahe und gute Entscheidungen zu finden. Und die Entscheidungsträger werden vielmehr ein Teil von vielen Bürgern. Die Internetdemokratie wird somit noch mehr gemeinschaftsstiftend und nicht eine Zuschauerdemokratie für Wenige, sondern eine mitbestimmende Demokratie für viele Millionen Bürger.

Nun können wir im dritten Fall einwenden, die Vertreter auf Gemeinde- Landtags- und Bundestagsebene könnten doch mit diesem Demokratischen Kommunikationsmodell die Bürgermitbestimmungen einfach ignorieren und sich genauso darüber hinwegsetzen wie es heute viele Politiker gegen uns Bürgern tun. Mit den Bürgermitbestimmungen mit Internet wird aber die Position von uns vielen Bürgern sehr gestärkt und wir können damit einen großen Druck auf die Entscheidungsträger tun: Wenn ihr Euch nicht ehrlich und aufrichtig mit unseren Bürgermitbestimmungen auseinandersetzt, können wir Euch bald abwählen! Sagen wir einfach mal, wir legen neu fest: alle zwei Jahre werden die Politiker neu gewählt. Damit sind die Politiker noch mehr an die Mitbestimmungen der Bürger gebunden und müssen sich daran orientieren und sie in ihren Überlegungen ausführlich berücksichtigen.

Für die Neuwahlen brauchen wir keine großen Wahlprogramme, keine vielen Helfer, keinen festgelegten einzigen Wahltag, keine Wahlräume, keine Wahlkabinen, keine Wahlscheine, keine langen Wahlauszählungen. Eine kleine Neuwahl?- Einfach nur zuhause mit Internet einflicken. Alles geht viel einfacher und schneller. Auch die Wahlauszählung- computerschnell! Damit wären die politischen Vertreter noch mehr an uns vielen Bürgern gebunden. Und unsere mitbestimmende Demokratie kommt direkt in unser Wohnzimmer.

Fußballspieler, wenn sie nicht gut spielen, werden sofort ausgewechselt. Die Berufswelt von vielen Berufstätigen ist inzwischen so hart und brutal geworden, dass wenn die meisten Arbeitskrieger die Hochleistungen auf den Schlachtfeldern der Arbeit nicht bringen, sie einfach gekündigt werden. So könnte es auch für die meisten Politiker gelten. Dadurch können wir weiter an Demokratie zurückgewinnen. Über Internet könnte es auch eine Art TÜV wie bei den Autos für Politiker geben. Jedes Auto, dass es richtig fahren kann und keine Gefahr für andere ist und keine Unfälle baut, muss einen TÜV durchlaufen. Und wird anhand einer Checkliste kontrolliert. Und muss gegebenenfalls gewartet werden oder aus dem Verkehr gezogen werden. Warum nicht auch bei den Politikern eine Neuwahl alle zwei Jahre? Politiker, die so eine große, schwerwiegende Multiplikatorwirkung haben?

Internetdemokratie: Mitbestimmung und ihre sozialen Utopien

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