Читать книгу Träume aus dem Regenwald - Bernd Radtke - Страница 5
Kapitel 2
ОглавлениеEs war früher Morgen, die Sonne brannte bereits erbarmungslos auf die wenigen Personen, die am Anleger auf das Erscheinen des Flussschiffes warteten. Jaíra, die bei Juçara geschlafen hatte, schlenderte zum Ufer. Etwas abseits saß Marilú auf einem Baumstamm, sie hielt ein kleines Baby im Arm.
»Bom dia – Guten Morgen.«
»Bom dia, Jaíra.« Marilú rückte etwas zur Seite, damit sich Jaíra ebenfalls auf den Baumstamm setzen konnte.
»Auf wen wartest du?«, fragte Jaíra.
»Ich warte auf meine Mutter. Ich wollte, dass sie bei der Geburt von Aline dabei ist, nur war das Kind schneller als das Schiff.«
Das kleine Baby fing an zu quengeln. Marilú öffnete ihre Bluse und gab dem Kleinen die Brust.
»Und du?«
»Hans müsste mit dem Schiff zurückkommen. Er war jetzt zwei Monate in Manaus wegen dem Hospital. Ich hoffe, dass es geklappt hat.«
Marilú nickte. Bald darauf tauchte am Horizont das Schiff auf, was Bewegung in die am Ufer stehenden Leute brachte.
Längst hatte Marilú ihre Mutter begrüßt, als endlich Hans das schmale Brett, das als Gangway diente, herunterkam. Hinter ihm gingen zwei junge Männer, die sich neben ihn stellten und neugierig zusahen, wie Hans von Jaíra begrüßt wurde.
»Das sind Adriano und Naldino. Sie sind die Neffen von Salvatore«, stellte er die beiden Männer vor. »Sie sind Maurer und werden das Hospital bauen. Das Material kommt im nächsten Monat.«
»Dann hat es geklappt, das Hospital wird gebaut?«
»Ja, stell dir vor. Und wir werden sogar einen deutschen Arzt bekommen.«
Neugierig betrachtete Jaíra die jungen Männer. Sie sahen gut aus. Sie mochten wohl Mitte zwanzig sein, schätzte sie und bemerkte, dass sie ebenfalls gemustert wurde.
»Wir gehen erst einmal zu unserem Onkel. Wenn es soweit ist, melde dich. Wir warten«, sagte Adriano, der wohl der Ältere war.
Sie nahmen ihre Taschen und gingen am Ufer entlang, um ein Kanu zu suchen, das sie zu ihren Verwandten bringen würde.
»Wo hast du die zwei kennengelernt?«, fragte Jaíra interessiert, als sie weg waren.
»Unterwegs hatten wir einen Motorschaden und mussten an einer Siedlung anlegen. Die beiden konnten den Motor reparieren, sie waren sehr tüchtig. Ich kam mit ihnen ins Gespräch und sie erzählten, dass sie eigentlich Maurer seien und zurzeit keine Arbeit hätten. Also habe ich sie eingestellt. Dass sie hier Verwandte haben, passt prima. So brauche ich mir um ihre Unterkunft keine Gedanken zu machen.«
Mittlerweile waren sie am Haus angekommen und bald saßen sie zusammen und frühstückten.
»Es hat lange gedauert, bis etwas passiert ist. Die Bürokratie ist hier sehr langsam. Durch meine Beziehungen zum deutschen Konsulat und dem Bischof gelang es endlich, eine Zusage zu bekommen. Das meiste Geld kommt von der Kirche oder kirchlichen Vereinigungen. Deutschland bezahlt etwas und Brasilien hat seinen Anteil versprochen. Über ein Missionswerk kommt ein Arzt. Ich hoffe, dass das zugesagte Baumaterial bald hier ist und wir anfangen können«, erzählte Hans.
Jaíra war froh, dass Hans wieder im Dorf war. Sie hatte zwar viele Freunde, jedoch eine so große Nähe und Vertrautheit hatte sie außer zu Juçara nur zu ihm. Er hatte ihr gefehlt. Gerne hätte sie sich an ihn gekuschelt, hätte seine Zärtlichkeit gespürt, allerdings stand eine unüberwindliche Wand zwischen ihnen. Vielleicht fehlte ihnen nur der Mut?
Hans riss sie aus ihren Gedanken.
»Wie wäre es, vielleicht kannst du im Hospital helfen. Dann hättest du eine Arbeit.«
»Toll, ich möchte gerne helfen, wenn die Babys zur Welt kommen. Ich war bei Rosa dabei und es war so schön, das zu erleben. Das würde ich gerne machen.« Sie war begeistert, so wie damals, als sie auf die Idee kam, Deutsch zu lernen.
»Rosa ist wieder schwanger. Sie freut sich riesig und Raimundo ebenfalls. Sie sind sehr glücklich.«
»Nicht alle Frauen hier sind glücklich. Einige Männer schlagen ihre Frauen oder gehen fremd«, meinte Hans.
»Gut, dass es in meiner Familie nicht so ist. Bei meinen Eltern habe ich das nicht bemerkt, auch Juçara und Manuel leben glücklich zusammen. Wenn mich mein Mann schlagen würde, ging ich sofort zu meinen Eltern zurück.«
Sie unterhielten sich bis zum späten Nachmittag. Jaíra ging schließlich zu ihrer Schwester, bei der sie sich in ihre Hängematte legte. Während sie auf den Schlaf wartete, gingen ihr noch viele Gedanken durch den Kopf, die sich schließlich auf Adriano konzentrierten. Er hatte ihr gefallen. Vielleicht ...
Auf dem Weg zu Paulos Laden kam Jaíra an Sandros Bar vorbei. Am Billardtisch sah sie Adriano, der dort mit Fabio Billard spielte. Er erkannte Jaíra und pfiff anerkennend durch die Zähne. Jaíra sah kurz zu ihm herüber und ging unbeeindruckt weiter.
»Mach dir keine Hoffnungen, die hat ihren Lehrer, da kommst du nicht ran«, hörte sie Fabio sagen. Adrianos Antwort: »Warten wir es erst mal ab«, konnte sie nicht mehr verstehen, die Worte gingen im Geräusch der rollenden Kugeln unter.
Immer, wenn Jaíra vom Hafen ins Dorf ging, musste sie an Sandros Bar vorbei und jedes Mal sah sie Adriano, der dort Billard spielte. Dauernd pfiff er hinter ihr her. Sein Getue ging ihr auf die Nerven.
»Hast du nichts zu tun?«, rief sie ihm zu, als sie wieder einmal seinen anerkennenden Pfiff hörte.
»Wir warten auf das Baumaterial, dann kann es sofort losgehen.«
Er kam auf sie zu und gab ihr die Hand. Sein Händedruck war fest und angenehm.
»Wie ist es bei deinem Onkel? Habt ihr alle dort Platz?« Jaíra erinnerte sich, dass Salvatores Haus sehr klein war.
»Naldino und ich haben uns eine kleine Hütte zusammengezimmert, das reicht für die Zeit des Baus.«
Adriano deutete zum Billardtisch.
»Möchtest du mitspielen?«
»Ich kann das nicht gut«, antwortete sie zögernd.
»Na, komm schon, ich bring es dir bei.«
Jaíra ließ sich überreden. Sie hatte wirklich nicht viel Ahnung vom Spiel und Adriano zeigte ihr, wie sie den Stock halten musste. In einer Pause setzten sie sich an einen Tisch. Adriano bestellte sich ein Bier und Jaíra ein Guarana. Während sie an ihrer Limonade nippte, betrachtete sie Adriano. Seine dunklen Augen strahlten sie an.
»Warst du schon einmal in Barcelos?«, fragte er sie.
»Nein, ich bin noch nicht von hier weggekommen. Hans will mich einmal mit nach Deutschland nehmen, aber ob das was wird?«
»Der kommt doch auch nicht mehr aus dem Dorf hier raus. Vergiss es, er wird dich nicht mitnehmen.« Adrianos Stimme klang abfällig. »In Barcelos ist es toll. Hier in eurem Kaff ist echt nichts los.«
»Warum bist du dann hier?« Sie war gekränkt. Dass Hans sie mit nach Deutschland nehmen würde, daran glaubte sie selber nicht mehr, dass Adriano jedoch so abfällig über ihn redete, passte ihr nicht.
»Ich bin hier, weil es hier Arbeit gibt.«
»Und dann?«
»Mal sehen, das wird einige Zeit dauern.«
Bald hatte Jaíra ihren Ärger vergessen. Adriano kam aus der Stadt, hier gab es nur Wasser und Wald. Als er von seinem Leben in den Städten erzählte, hörte Jaíra genauso zu, wie damals bei Hans, wenn er früher von Deutschland erzählte.
Endlich kam das Schiff mit dem Baumaterial. Es dauerte lange, bis alles abgeladen und zu dem gerodeten Platz gebracht worden war, an dem das Hospital errichtet werden sollte. Noch ein paar Männer waren mitgekommen, um beim Bau des Hauses mitzuhelfen.
Adriano und Naldino waren gute Arbeiter. Unter ihrer Leitung ging der Bau zügig voran. Abends gingen die Männer in Sandros Bar, um dort Bier zu trinken und Billard zu spielen. Bald kamen auch einige junge Frauen aus dem Dorf vorbei und Sandro freute sich über das gute Geschäft. Auch Jaíra, die oft ihre Schwester besuchte, traf sich dort mit Adriano, um mit ihm Billard zu spielen und sich zu unterhalten. Sie kamen sich immer näher. Jaíra wartete nur darauf, dass er ihre Hand beim Spiel berichtigte und sich dabei dicht neben sie über den Rand des Tisches legte.
Jaíra und Adriano hatten das Spiel gewonnen, zwar nur knapp, weil Adriano ihre Fehler ausgleichen musste, was ihm nicht schwerfiel, da er ein guter Spieler war. Vor Freude fiel ihm Jaíra um den Hals und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Adriano lächelte verschmitzt.
»Lass uns etwas ausruhen. Komm, wir setzen uns draußen auf die Bank.«
Er schnappte Jaíras Hand und führte sie von der Terrasse herunter zu einer Bank, die etwas abseits zwischen hohen Bäumen stand.
»Das war klasse! Wie wir die abgezogen haben.« Jaíra war begeistert.
Adriano lachte. Jaíra spürte, wie er seinen Arm um sie legte und sie dichter an sich heranzog. Sein Mund näherte sich dem ihren und dann küsste er sie. Sein Kuss war leidenschaftlich und fordernd, nicht zögerlich wie bei Fabio oder den anderen, die sie geküsst hatte.
Jaíra war stolz und glücklich. War Adriano ihr Traumprinz? War ihr ‚Boto’ endlich gekommen?
Sanft schaukelte die Hängematte unter dem Sonnendach und wiegte Jaíra langsam hin und her. Um mit ihren durcheinandergeratenen Gefühlen zurechtzukommen, war sie zu ihrem versteckten Paradies gepaddelt. Sie träumte mit offenen Augen und dachte an den gestrigen Tag zurück. Immer noch spürte sie Adrianos Zärtlichkeiten, seine Küsse und Berührungen, fühlte seine schweißbedeckte Haut, seine Erregung und seine Härte.
Adriano hatte sie eingeladen, ihn zu besuchen. Er wartete bereits am Ufer, als Jaíra anlegte. Sie wurde von ihm in die kleine Hütte geführt, die er mit Naldino gebaut hatte. Jaíra wunderte sich, dass die beiden Brüder richtige Betten hatten und nicht in Hängematten schliefen, wie fast alle hier. Von ihren Bekannten hatte nur Hans ein Bett.
Naldino war im Dorf und so waren sie allein. Er hatte sie auf das Bett gezogen und geküsst. Immer leidenschaftlicher wurden die Küsse, Jaíra spürte seine Hände an ihrem ganzen Körper und sie wurde immer erregter. Adriano hatte leichtes Spiel mit ihr, nur zu bereitwillig öffnete sich Jaíra und bald liebten sie sich.
Sie konnte es immer noch nicht glauben, sie hatte ihn bekommen, Adriano, der Schwarm aller jungen Frauen und Mädchen im Dorf. Jetzt gehörte er ihr, ihr ganz alleine. Sie sah sich um. Dort drüben, ja, dort würde Adriano ein Haus bauen, ihr Haus. Dort würden sie mit ihren Kindern wohnen. Glücklich und zufrieden, wie ihre Eltern, wie Juçara und Raimundo mit ihren Familien. Die Zukunft würde schön werden.
Jaíra traf auf kein Verständnis, dass sie Adriano liebte und zu ihm ziehen wollte. Jeder riet ihr ab, alle wussten von Adrianos Frauengeschichten, die er überall herumposaunt hatte, nur sie hatte davon nichts erfahren. Selbst mit ihren Eltern und Hans hatte sie sich zerstritten und ging ihnen aus dem Weg.
Mit langsamen Schritten ging Eduardo die staubige Straße entlang. Was er vorhatte, entsprach nicht seiner Natur, aber er musste einmal mit jemandem darüber reden, was ihm auf der Seele lag. Endlich erreichte er das Haus des Lehrers. Hans hatte ihn von Weitem gesehen und kam ihm entgegen.
»Hallo, Eduardo.«
»Oi, Hans.«
»Schön, dass du mich einmal besuchst.« Er bat ihn einzutreten und bot ihm einen Stuhl an.
»Komm, setz dich. Willst du ein Bier? Heute gibt es etwas zu feiern.« Ohne eine Antwort abzuwarten, holte er das Bier aus dem Kühlschrank.
»Was hast du denn zu feiern? Du machst mich neugierig.«
»Ich habe heute die Post bekommen. In einem Brief wurde mir zugesichert, dass eine Ärztin zu uns unterwegs ist und sie wahrscheinlich im nächsten Monat hier eintreffen wird.«
»Na, das ist mal eine gute Nachricht. Saúde.« Eduardo prostete Hans zu und die Gläser klirrten, als sie aneinanderstießen.
»Es passt genau, das Hospital ist fast fertig, die Ärztin kann gleich einziehen und operieren«, freute sich Hans.
Er bemerkte, dass Eduardo mit seinen Gedanken woanders war.
»Du bist nicht zu mir gekommen, weil du ein Bier trinken wolltest, du hast doch etwas auf dem Herzen.«
»Ja, das stimmt.« Eduardo seufzte. »Ich mache mir Sorgen um Jaíra. Seit sie mit Adriano zusammen ist, hat sie sich sehr verändert. Wir haben sie gewarnt und Manara hat ihr gesagt, was die Leute über ihn reden. Seit dieser Zeit war sie nicht mehr zu Hause. Selbst zu Juçara geht sie kaum noch.« Er schaute in sein Glas. »Was hältst du eigentlich von ihm?«
»Als Arbeiter kann ich mich nicht über ihn beschweren, er ist gewissenhaft und zuverlässig. Er hat ein großes Mundwerk und gibt gerne an.«
»Letícia hat mir einmal erzählt, dass er zwei Kinder in Novo Airão hätte. Nachdem er die Frauen geschwängert hatte, ist er abgehauen und hat sich nie wieder dort blicken lassen. Ich möchte nicht, dass es Jaíra so geht.« Eduardo nahm einen tiefen Zug und leerte sein Glas.
Hans holte neue Flaschen und füllte die Gläser.
»Mir ist sie auch böse, ich habe ebenfalls mit ihr geredet und ihr abgeraten. Sie liebt ihn und lässt sich nicht von ihm abbringen, sie ist furchtbar stur.«
»Das ist sie.« Eduardo nickte. »Dass sie sich ausgerechnet an so einen Weiberhelden hängt, der sie unglücklich macht!«
»Na ja, vielleicht hat er sich wirklich geändert. Jedenfalls sehe ich ihn kaum noch bei Sandro. Vielleicht tun wir ihm unrecht und alles wird gut«, beschwichtigte Hans seinen aufgebrachten Freund.
»Ich hoffe es, glauben kann ich es nicht.«
Während sie über Jaíras Kindheit redeten, tranken sie noch ein paar Flaschen eisgekühltes Bier, bis Eduardo aufstand und sich verabschiedete.
»Es ist spät geworden, ich gehe lieber, sonst macht sich Manara Sorgen, wenn ich nicht nach Hause komme, weil ich bei dir unterm Tisch liege.« Er lachte gequält.
Hans sah ihm nach, wie er leicht schwankend die Straße zum Hafen hinunterging. Während er die Flaschen wegräumte, die sie in den letzten Stunden getrunken hatten, dachte er an Jaíra und wurde zornig. Warum hatte ausgerechnet er Adriano hergebracht? Er machte sich Vorwürfe und merkte bald, dass Eifersucht in ihm aufstieg.
»Warum reden alle schlecht über ihn?«, dachte Jaíra. Sie war traurig, endlich hatte sie ihre große Liebe gefunden, aber anscheinend gönnte sie ihr niemand und Trotz stieg in ihr auf. Wenn alle schlecht dachten, sie würde es beweisen. Sie würde mit Adriano glücklich werden, und so setzte sie alles daran, ihm zu gefallen. Sie bemühte sich aufmerksam um ihn und es schien, als würde sie recht behalten. Nur noch selten ging Adriano nach der Arbeit in Sandros Bar, sondern kam gleich nach Hause.
Jaíra gefiel das Zusammenleben mit ihm. Es machte ihr Spaß, die Hütte sauber zu halten, sie kochte und wusch für ihn, so, wie sie es von ihrer Mutter her kannte. Nachts zog Adriano sie an sich, und sie liebten sich. Er war erfahren genug, um Jaíra dazu zu bringen, seine Wünsche und Forderungen zu erfüllen. Jaíra genoss seine Berührungen und tat alles, was er von ihr verlangte.
Es herrschte ein reges Treiben am Ufer, die Bewohner des Dorfes und der Umgebung warteten auf die Ankunft der Ärztin, die endlich eintreffen würde. Jaíra stand mit ihrer hochschwangeren Schwester in der Menge, in den nächsten Wochen musste es so weit sein, dass Juçaras Kind zur Welt kam.
Hans hatte die beiden entdeckt und schob sich durch die Menge, um mit ihnen zu reden. Er war froh, Jaíra zu sehen und hoffte, dass sie ihm nicht mehr böse war. Er hatte ihr ebenfalls seine Meinung über Adriano gesagt und seit dieser Zeit ging sie ihm aus dem Weg.
»Hallo, Jaíra, Juçara.« Er nickte ihnen freundlich zu. Juçara grüßte lachend zurück, Jaíra nickte nur mit dem Kopf.
»Na, bei dir ist es wohl bald so weit.« Hans deutete auf Juçaras Bauch.
»Hoffentlich, ich kann es kaum noch erwarten, alles fällt mir so schwer. Jaíra sagt, ich sehe aus wie ein dicker Frosch.«
»Das ist wirklich nicht nett.« Er grinste Jaíra an.
»Oft sagt man Dinge, die nicht schön sind und den anderen verletzen«, antwortete sie kurz.
»Jetzt streitet nicht, der Tag ist viel zu schön dazu und ich möchte meine gute Laune nicht wegen euch verlieren«, versuchte Juçara zu schlichten.
»Ich dachte, dass ich offen mit dir reden könnte, so wie damals, bei der Sache mit Fabio. Vergessen?«, bat er Jaíra gekränkt und reichte ihr seine Hand.
Jaíra litt selber darunter, dass ihre Freundschaft einen Riss bekommen hatte, sie ärgerte sich, dass sie so heftig reagierte, als Hans mit ihr über Adriano geredet hatte. Gerne ergriff sie daher die Gelegenheit und nickte.
»Ich möchte, dass du nachher mitkommst, um die Ärztin zu begrüßen.« Bittend sah er Jaíra an. »Stell dir vor, was sie für Augen machen wird, wenn hier jemand deutsch mit ihr redet, das wird bestimmt eine tolle Überraschung für sie.«
Jaíra nickte. Sie freute sich, dass Hans an sie gedacht hatte.
»Ich werde dich vorstellen und du wirst sie begrüßen.« Hans war erleichtert, dass Jaíra zusagte.
Gerne hätte Jaíra mit Hans geredet, es machte ihr immer noch zu schaffen, dass er sie dieses Mal nicht verstand, dass sie mit ihrer großen Liebe glücklich werden wollte. Es war eine Wand zwischen ihnen, von der sie sich wünschte, dass sie zusammenbrechen würde. Vielleicht war jetzt der Moment gekommen, sich wieder zu versöhnen.
Endlich tauchte am Horizont die Silhouette des Schiffes auf, die langsam größer wurde und bald konnten die Wartenden Einzelheiten erkennen. Am Bug stand neben Padre Laurindo eine Frau, die aufmerksam die Leute am Ufer betrachtete.
Es dauerte noch einige Zeit, bis das Schiff endlich anlegte. Hans nahm Jaíra an die Hand und ging auf die Angekommenen zu, die jetzt am Ufer standen.
»Guten Tag, ich bin Hans Ferber, der Lehrer. Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Reise«, stellte er sich vor. Er gab der Frau die Hand.
»Margot Westkamp«, stellte sie sich ebenfalls vor, »ja, es war interessant und ich konnte mir einen ersten Eindruck von meiner zukünftigen Heimat machen. Padre Laurindo hat mir alles haarklein erklärt.«
»Darin ist er gut. Hat er in Ihnen endlich einen Zuhörer gefunden?« Hans lachte und stieß seinem langjährigen Freund in die Rippen.
»Oi, Jaíra, du wirst jedes Mal schöner, wenn ich herkomme. Wie geht es dir?«, fragte Padre Laurindo.
Jaíra lachte erfreut über das Kompliment.
»Danke, mir geht es gut.«
Jaíra wandte sich an Margot Westkamp, sie gab ihr ebenfalls die Hand und sagte auf Deutsch: »Ich bin Jaíra. Es freut mich, dass Sie in unser Dorf gekommen sind. Hans hat so viel dafür getan, bis er die Zustimmung für das Hospital bekommen hat.«
Etwas verwirrt drückte Margot Westkamp Jaíras Hand.
»Bin ich jetzt am Rhein oder am Amazonas? Ich dachte, ich komme ins finsterste Amazonien und nun werde ich auf Deutsch begrüßt. Ich glaube ich träume.« Sie lachte und sah Jaíra freundlich in die Augen.
»Jaíra ist die beste Schülerin von Hans. Sie spricht perfekt deutsch«, klärte Padre Laurindo die Ärztin auf. Diese nickte anerkennend.
»Ich glaube, wir zeigen Ihnen jetzt erst einmal Ihr neues Domizil. Sie sind doch bestimmt neugierig.«
»Und ob«, antwortete Margot Westkamp.
Sie gingen zu dem fertiggestellten Gebäude. Vorsichtig trugen mehrere Männer das Gepäck und die mitgebrachten Geräte zum Hospital, wo sie die Koffer und Kisten erst einmal in dem großen Krankensaal abstellten. Hans zeigte Margot Westkamp das Hospital und ihre privaten Räume, die in einem Nebengebäude untergebracht waren.
Jaíra betrachtete verstohlen die Frau. Sie war braun gebrannt und in ihren Jeans und dem T-Shirt wirkte sie jünger, obwohl Jaíra wusste, dass sie die Fünfzig bereits überschritten hatte. Ihre offene Art gefiel ihr und sie glaubte, dass diese Frau hier am richtigen Platz sein würde; sie mochte sie schon jetzt.
»Wenn Sie möchten, helfe ich Ihnen gerne beim Auspacken«, bot sich Jaíra spontan an.
»Das Angebot nehme ich gerne an. Die Koffer sind schwer und ich bin nur eine schwache, alte Frau«, meinte sie lachend mit einem spöttischen Grinsen, die anderen lachten mit.
»Dann wollen wir Sie nicht länger stören. Ich habe mit Hans noch Einiges zu besprechen. Wenn Sie fertig sind, lassen Sie sich von Jaíra in die Schule führen, dort haben die Leute einen Empfang und ein Essen für Sie vorbereitet«, entschuldigte sich Padre Laurindo.
Nachdem die beiden Frauen allein waren, trugen sie die Koffer in Margots neues Zuhause, wo sie die Sachen verstauten. Erschöpft ließen sie sich danach auf das im Wohnzimmer stehende Sofa fallen.
»Möchten Sie etwas trinken? Soll ich Ihnen was holen?«, fragte Jaíra.
»Ein Glas Wasser wäre prima. Ich bin schon total dehydriert.« Margot Westkamp streckte die Zunge heraus.
Jaíra ging in die Küche und holte eine Flasche Mineralwasser aus dem Kühlschrank. Sie öffnete die Flasche und goss das mitgebrachte Glas voll.
»Und du, bist du nicht durstig?«
»Doch, ich wusste nicht, ob ich auch ...«
»Sicher.« Margot schüttelte den Kopf. »Das ist doch selbstverständlich.« Freundlich nickte sie Jaíra zu.
»Jetzt gehe ich erst einmal die Dusche ausprobieren und dann können wir gehen.« Sie stand auf, schnappte sich ein Handtuch und verschwand im Bad.
In der Zwischenzeit sah sich Jaíra die von der Ärztin mitgebrachten Bücher an, die sich auf dem Schreibtisch stapelten. Sie hatte sich ein Buch über Schwangerschaft und Geburt genommen. Fasziniert betrachtete sie die Bilder der Zeugung und Entwicklung bis zur Geburt. Deutlich konnte sie auf den Fotos alle Einzelheiten erkennen, es gab sogar Bilder der verschmolzenen Körper, in denen Jaíra das erigierte Glied im Körper der Frau sehen konnte.
Sie war so vertieft, dass sie nicht merkte, wie Margot an sie herantrat und erschrak, als sie sie ansprach.
»Das ist sehr interessant. Du kannst es gerne mal haben.«
»Ich ... ich habe mir nur die Bilder angesehen«, stotterte Jaíra ertappt. »Hans hat auch so ein Buch, aber nicht mit solchen Bildern. Ich war dabei, als die Frau meines Bruders ihr Kind bekam. Es war so schön ...«, schwärmte sie. »In den nächsten Wochen bekommt meine Schwester ihr Baby. Da möchte ich auch wieder dabei sein.«
Margot spürte Jaíras Begeisterung.
»Du sprichst wirklich sehr gut Deutsch«, lobte sie Jaíra. »Hat dir das alles Herr Ferber beigebracht?«, fragte sie immer noch ungläubig.
»Ja, er ist ein guter Lehrer. Am Anfang ist es mir schwergefallen, die Worte auszusprechen, aber dann ging es«, antwortete sie bescheiden.
»Das ist unglaublich, das hätte ich hier nicht erwartet.« Sie schüttelte den Kopf.
»Wollen wir? Die Leute warten bestimmt alle gespannt auf Sie.« Jaíra stand auf.
»Lass das blöde ‚Sie’, sag einfach ‚Du’, ich bin Margot.«
Sie hielt der verblüfften Jaíra die Hand hin, die ihr spontan zwei Küsschen auf die Wange gab. Mit rotem Kopf ging Jaíra stolz mit Margot zum Schulgebäude.
Jaíra hatte recht, jeder hatte sich auf den Weg gemacht, um die neue Ärztin zu begrüßen. In dem Schulsaal drängten sich die Menschen und noch vor dem Saal standen die Leute in Gruppen und unterhielten sich.
In einer dieser Gruppen erkannte sie Adriano, der mit den Leuten zusammenstand, die das Hospital gebaut hatten. Sie winkte ihm zu. Hans und Padre Laurindo kamen ihnen entgegen. Sie führten sie an einen Tisch vor der Tafel. Hans stellte sich vor den Tisch und begann mit einer kleinen Rede.
»Nachdem wir das Hospital fertiggestellt haben, bin ich sehr froh darüber, euch Margot Westkamp vorzustellen, die als Ärztin in unser Dorf gekommen ist, um hier zu arbeiten.«
Er beschrieb noch einmal die Schwierigkeiten und die verschlungenen Wege der Bürokratie und dankte den Männern vom Bau für die saubere Arbeit, die sie geleistet hatten. Nach dem Ende seiner Rede bat er Margot Westkamp, auch ein paar Worte an die Zuhörer zu richten, was diese gerne tat. Es kam Jaíra so vor, als wäre es an ihrem ersten Schultag. Gebannt horchte sie den Erzählungen Margots.
»Nach über fünfzehn Jahren Arbeit in einem kleinen Dorf in Mosambik wurde in der benachbarten Stadt ein großes Krankenhaus gebaut. Dadurch wurde unsere kleine Krankenstation überflüssig und ich hatte die Wahl, wieder nach Deutschland zu gehen oder einen neuen Auslandsaufenthalt in einem anderen Land anzunehmen. Da ich nicht mehr für das Leben in Europa geeignet bin und die beiden Länder die gleiche Sprache haben, entschloss ich mich für Brasilien und so bin ich nun hier.«
Margot hatte leidenschaftlich gesprochen und Jaíra fühlte wie die anderen, dass ihre Worte von Herzen kamen.
Endlich hatte Margot jedem die Hand gedrückt und ein paar Worte gewechselt. Erschöpft kam sie zum Tisch und ließ sich auf ihren Stuhl fallen.
»Ich glaube, der erste Patient in meiner Klinik bin ich selber. Meine Hand ist vom vielen Händeschütteln bestimmt gebrochen und ich muss sie eingipsen«, meinte sie lachend.
»Das hat bestimmt Zeit bis nach dem Essen, Sie müssen unbedingt die Spezialitäten unserer ausgezeichneten Küche probieren«, konterte Hans und deutete auf das vorbereitete Essen.
»Hilfst du mir herauszufinden, was das alles ist?«, bat sie Jaíra, die ihr gerne die fremden Gerichte zeigte und erklärte. Margot war nicht zimperlich und probierte alles, was ihr einmal mehr die Sympathie der Leute einbrachte.
Jaíra hörte gerade aufmerksam zu, wie Margot Westkamp über ihre Arbeit in dem kleinen Krankenhaus in Mosambik erzählte, als Adriano an den Tisch trat.
»Komm, wir gehen jetzt«, forderte er Jaíra schroff auf und zog sie hoch. Jaíra merkte, dass er getrunken hatte. Es war ihr peinlich und sie wollte nicht, dass die anderen es bemerkten. Aufgebracht ließ sie sich von ihm nach draußen führen.
Margot starrte ihnen hinterher. Einfühlsam hatte sie gemerkt, dass Jaíra widerwillig mitgegangen war. Sie war zu neu hier und traute sich nicht, die anderen über Jaíras Freund auszufragen.
»Ein blöder Kerl, dieser Adriano. Jaíra hätte wirklich etwas Besseres verdient.« Hans schüttelte den Kopf. »Wie kann sie nur so dumm sein und sich ausgerechnet den aussuchen«, kam er ihr zuvor.
»Ist sie schon lange mit ihm zusammen?«, fragte Padre Laurindo neugierig.
»Vor ungefähr zwei Monaten ist sie zu ihm gezogen. Es muss ziemlich schnell gegangen sein.«
»Was ist Jaíra eigentlich für eine Frau?«, wollte Margot wissen. »Wir haben uns ein bisschen unterhalten und ich glaube, dass sie ein bemerkenswerter Mensch ist.«
»Das ist sie«, sagte Hans. »Als ich herkam, war sie acht. Sie blieb mittags einfach bei mir und wollte immer mehr wissen. Als sie einmal einen Brief an meine Eltern sah, kam sie auf die Idee, Deutsch zu lernen. So kam das alles.«
Wütend ging Jaíra neben Adriano zum Ufer, wo ihr Kanu lag. Adriano wollte ihre Hand nehmen.
»Du hast getrunken!«, schimpfte sie und schlug seine Hand weg.
»Na und? Was soll ich denn anders machen, wenn meine Frau den ganzen Abend bei den feinen Leuten sitzt und glaubt, etwas Besseres zu sein.«
»Sie sind nichts Besseres wie wir. Außerdem sind es meine Freunde.«
»Deine Freunde, dass ich nicht lache. Dein feiner Lehrer würde doch auch am liebsten mit dir ins Bett gehen oder habt ihr es schon zusammengetrieben?« Adriano redete sich in Rage.
Fassungslos starrte ihn Jaíra an.
»Wie kannst du nur so etwas behaupten. Hans würde das nie tun.«
»Glaubst du? Ich weiß wie die Männer sind.« Adrianos Stimme überschlug sich fast.
»So wie du? Wie viele Frauen hast du denn schon sitzen lassen?«, rutschte es Jaíra heraus.
Im gleichen Moment spürte sie einen harten Schlag im Gesicht. Tränen traten ihr in die Augen, mehr aus Enttäuschung, als aus Schmerz.
»Komm endlich!«, herrschte er sie an und zerrte sie ins Kanu.
Mit kräftigen Paddelschlägen trieb er das Kanu über den ruhigen Fluss. Jaíra starrte auf seinen Rücken und beobachtete, wie sich seine Rückenmuskeln im Takt der Paddelschläge bewegten. Ihre Hand hatte sie auf die Stelle gelegt, auf die sie Adriano geschlagen hatte; sie schmeckte Blut.
Das war nicht ihr Adriano, so kannte sie ihn nicht. Hatten die Leute doch recht? Nein, das war nur ein Versehen, es war ihr Fehler gewesen, sie hatte ihn gereizt, er war anders geworden, er hatte sich verändert.
Knirschend stieß der Bug ans Ufer. Adriano stieg aus und zog das Kanu höher, damit es nicht abgetrieben werden konnte. Er blickte zu Jaíra, die mit starrem Gesicht im Kanu saß. Ihre Blicke kreuzten sich und einen Augenblick sah er in ihre Augen.
»Es tut mir leid«, entschuldigte er sich kurz.
Jaíra fühlte sich schuldig, sie hatte ihn so weit gebracht. Tatsächlich hatte sie sich den ganzen Abend nicht um ihn gekümmert, er musste böse sein. Hilflos stand sie vor ihm und zuckte mit den Schultern. Sie gingen in die Hütte. Kaum hatte er die Tür zugezogen, nahm er sie in die Arme.
»Ich wollte dich nicht schlagen. Ich werde es nicht mehr tun«, entschuldigte er sich.
Jaíra sagte nichts, sie sah ihn nur an. Adriano zog sie aufs Bett und griff nach ihrem Busen. Jaíra versuchte seine Hand wegzuschieben, erfolglos, Adriano ließ sich nicht davon abbringen und bedrängte sie weiter. Er ließ ihr keine Ruhe, bis sie schließlich aufgab und sich auszog. Seine Berührungen waren grob und hart. Nach dem kurzen Akt drehte er sich zur Seite und schlief gleich ein. Jaíra brauchte lange, bis sie endlich einschlief.
Am anderen Morgen verlor Adriano kein Wort über den Vorfall, er benahm sich wie immer, trank seinen Kaffee und paddelte mit dem Kanu zur Arbeit. Deprimiert blieb Jaíra am Ufer zurück und blickte ihm nach. Gerne wäre sie zu ihrer Schwester oder zu der Ärztin gefahren. Da ihre Wange angeschwollen war und sie nicht wollte, dass jemand sie so sah, blieb sie lieber in der Hütte und machte sauber.
Während sie die Hütte aufräumte, legte sie sich immer mehr Entschuldigungen für Adriano zurecht, immer wieder kam sie zu dem Ergebnis, dass es ihre Schuld gewesen war, dass er sie geschlagen hatte. Sie hatte schlimme Dinge zu ihm gesagt, jetzt, da er sich geändert hatte. Adriano war ihr ‚Boto’, sie liebte ihn und sie würde mit ihm glücklich werden, sie würde es schaffen.
Als die Schwellung zurückgegangen war, besuchte Jaíra ihre Schwester. Juçara kletterte behäbig aus ihrer Hängematte und Jaíra musste lachen.
»Warum lachst du?«, fragte Juçara.
»Ich musste daran denken, dass du jeden Moment platzen könntest.«
Entgeistert starrte Juçara ihre Schwester an, dann fing auch sie an zu lachen.
»Manchmal denke ich das selber. Komm, setzt dich!« Sie deutete auf einen Stuhl.
Nachdem sie sich eine Weile unterhalten hatten, fragte Juçara vorsichtig nach dem Vorfall in der Schule.
»Was war eigentlich los, warum bist du so plötzlich von dem Fest weggegangen?«
Juçara wusste mehr, als sie sagte. Viele Leute hatten das Geschehene mitbekommen und darüber geredet.
»Ach, es war meine Schuld. Ich hatte mich die ganze Zeit nicht um Adriano gekümmert und er war sauer. Es ist wieder alles in Ordnung«, versuchte Jaíra das Thema herabzuspielen.
»Warum lässt du dich so von ihm behandeln?«
»Er hatte recht, ich habe nur an mich gedacht.«
»Na und? Er hätte sich nicht so aufführen dürfen, außerdem war er betrunken.«
»Er hatte etwas getrunken, betrunken war er nicht«, verteidigte sie ihn.
»Seitdem du mit ihm zusammen bist, hast du dich ganz schön verändert, und nicht nur zu deinem Guten.« Juçara blickte Jaíra besorgt an. »Ich hoffe nicht, dass du mich jetzt auch als deine Feindin betrachtest. Früher konnten wir uns alles sagen und ich denke, dass das immer noch gilt.«
»Es tut mir selber furchtbar leid, dass es so gekommen ist, jeder redet schlecht über ihn und jeder hat versucht, mich davon zu überzeugen, dass er nicht gut für mich ist. Aber das ist er nicht! Wir lieben uns und wir sind glücklich.« Sie seufzte. »Ich fühle mich auch schlecht, dass ich mich mit den Eltern, mit Hans und vielen Freunden verkracht habe, aber ich konnte nicht anders.«
»Ich hoffe, dass du mit ihm glücklich wirst«, sagte Juçara vermittelnd und drückte Jaíras Hand.
Noch lange unterhielten sich die Schwestern über anderen Klatsch, wobei sie das Thema Adriano vermieden. Später verabschiedete sich Jaíra.
»Ich gehe noch mal zu Margot und entschuldige mich wegen Adriano.«
Mit einem flauen Gefühl im Magen machte sich Jaíra auf den Weg zu der Krankenstation. Zögernd trat sie ein. Margot war gerade dabei, die mitgebrachten Gegenstände zu verteilen und Ordnung zu machen. Eifrig steckte sie Mullbinden in die dafür vorgesehenen Kästchen in einem Regal. Erfreut sah sie auf, als sie Jaíra bemerkte.
»Hallo, Jaíra! Schön, dass du vorbeikommst.«
An ihrem erfreuten Gesichtsausdruck erkannte Jaíra, dass sie es ernst meinte und sich wirklich freute, sie zu sehen.
»Komm, wir gehen in die Küche, ich kann jetzt erst mal eine Pause gebrauchen.« Sie ging voran und deutete auf einen Stuhl.
»Setzt dich, möchtest du ein Stück Kuchen?«
Jaíra nickte und setzte sich an den Tisch. Margot schenkte Kaffee aus einer Thermoskanne ein und legte jedem ein Stück Kuchen auf den Teller.
»Noch ein paar Tage, dann habe ich alles fertig und es kann losgehen. Ein paar Kleinigkeiten habe ich schon behandelt.« Margot trank einen Schluck Kaffee.
Jaíra druckste herum. »Ich möchte mich für Adriano entschuldigen. Es war meine Schuld, ich hatte mich den ganzen Abend nicht um ihn gekümmert und deshalb war er sauer.«
Margot sah sie an. »Er hat selber mit mir geredet, also vergessen wir die ganze Angelegenheit.« Sie lächelte.
Jaíra war erleichtert, wenn er sich bei Margot entschuldigt hatte, dann tat es ihm auch leid. Sie würde recht behalten, er war ein guter Mensch.
»Die Arbeiten sind fast fertig. Adriano und Naldino werden dann arbeitslos sein. Haben sie etwas Neues in Aussicht?«
»Sandro will seine ‚Barraca’ neu machen, dort haben sie erst einmal zu tun. Später?« Jaíra zuckte mit den Schultern.
»Was hältst du denn davon, wenn du mir hilfst? Die Krankenschwester kommt erst in ein paar Wochen und ich brauche jemanden, alleine schaffe ich das nicht. Du könntest bis dahin hier arbeiten.«
»Das wäre toll, ich helfe dir gerne.« Jaíra war begeistert.
»Prima.« Margot lachte. »Jetzt etwas anderes. In Mosambik war ich in der Steppe, den Urwald kenne ich nicht. Bevor es hier richtig losgeht und ich keine Zeit mehr habe, möchte ich gerne, dass du mir ein bisschen die Gegend zeigst. Hast du Lust?«
»Klar, wann willst du los?«
»Wenn wir hier alles fertig haben, dann mache ich erst einmal Urlaub und erhole mich.« Sie grinste.
Glücklich verabschiedete sich Jaíra von Margot und suchte Adriano, um ihm die Neuigkeit zu erzählen. Sie fand ihn hinter dem Gebäude auf einer Leiter, wo er den Dachgiebel verputzte. Adriano war erstaunt, Jaíra hier zu sehen. Er stieg die Leiter herunter und sie küssten sich.
»Ich habe Arbeit!«, verkündete sie stolz. »Ich kann hier in der Krankenstation helfen, ist das nicht toll?«
Adriano verzog das Gesicht.
»Du bist hier fast fertig und dann gehe ich arbeiten. Ich weiß zwar noch nicht, wie lange, aber wir können das Geld gut gebrauchen.« Jaíra ärgerte sich über Adrianos Reaktion. »Außerdem freue ich mich riesig darauf, etwas zu tun«, sagte sie trotzig.
»Na gut«, gab Adriano nach.
Jaíra drückte ihn und ging froh zum Fluss, um nach Hause zu fahren. In ihrer Hütte angekommen, fing sie gleich an, das Essen vorzubereiten. Sie wollte es Adriano heute Abend so schön wie möglich machen, er sollte spüren, dass sie glücklich war. Ein bisschen sorgte sie sich, dass er es nicht gutheißen würde.
Rechtzeitig vor seiner Heimkehr war sie fertig. Sie ging zum Ufer, um seine Ankunft abzuwarten. Bald tauchte sein Kanu auf, das schnell näherkam, bis endlich der Bug gegen das Ufer stieß. Übermütig sprang Jaíra zu ihm und küsste ihn.
»Ich habe auf dich gewartet. Schön, dass du da bist.«
Verwundert schaute Adriano sie an.
»Ich bin so froh, dass ich in der Krankenstation arbeiten kann«, antwortete sie und schmiegte sich an ihn. »Komm jetzt erst einmal essen.«
Sie zog ihn in die Hütte an den gedeckten Tisch. Nach dem Essen stand Jaíra auf und setzte sich auf seinen Schoß.
»Keine Angst, dass ich keine Zeit für dich habe, ich bin immer für dich da. Ich liebe dich.«
Kurz darauf lagen sie im Bett, wo sie sich wild und leidenschaftlich liebten. Spät in der Nacht kuschelte sich Jaíra müde an Adriano und schlief in seinen Armen ein.
Zusammen mit Adriano und Naldino paddelte sie am anderen Morgen ins Dorf, um Margot zu helfen. Die Brüder verschwanden mit Farbeimern hinter dem Haus und Jaíra fing an, den Fußboden zu schrubben und leere Regale abzuwaschen, die Margot anschließend einräumte. Den ganzen Tag arbeiteten Jaíra und Margot im Haus, während Adriano mit seinem Bruder die Fassade strich. Margot konnte sich jetzt auf die medizinische Einrichtung konzentrieren, während Jaíra mit großer Mühe den Schmutz, der vom Bau übriggeblieben war, beseitigte.
In den nächsten Tagen war die Arbeit von Adriano und Naldino beendet und sie blieben zu Hause. In der darauffolgenden Woche wurden Jaíra und Margot fertig und so konnten sie endlich ihre Exkursion in den Urwald planen. Jaíra spürte, dass Adriano nicht mit ihrem Ausflug einverstanden war, aber er sagte nichts, als sie ablegten und mit ihrem Kanu flussauf paddelten.
Jaíra und Margot ergänzten sich prächtig und ihre Freundschaft vertiefte sich. Viel zu schnell verging die Zeit und es tat beiden leid, als sie am Dorfsteg anlegten und die Reise beendet war.
Jaíra hatte sich auf Adriano gefreut, aber er war nicht im Dorf und ihre Hütte war leer. Sie ging den kurzen Weg zu Salvatores Hütte, in der Hoffnung, dass Adriano dort sein würde. Als sie eintrat, saß Letícia am Tisch und flickte Salvatores Hose.
»Wo ist Adriano?«, war ihre erste Frage.
»Das weiß ich nicht«, antwortete Letícia ausweichend. »Ich habe ihn vorgestern das letzte Mal gesehen.«
»Ist er im Dorf?« Es wäre schlimm gewesen, wenn Adriano bei einem Freund im Dorf auf sie gewartet hätte und sie war zu Hause.
Salvatore trat ein und sah Jaíra an. »Er ist mit ein paar Freunden in die neue Bar in der Siedlung weiter unten gefahren«, verriet er ihr, wofür er einen bösen Blick von Letícia erntete.
»Er hat doch gewusst, wann ich nach Hause komme«, bemerkte sie gekränkt. Salvatore und Letícia zuckten nur mit den Schultern.
Warum war Adriano nicht hier? Mit hängendem Kopf ging sie zu ihrer Hütte zurück. Als Adriano bei Einbruch der Dunkelheit noch nicht zurück war, wurde Jaíra immer wütender. Sie setzte sich an den kleinen Tisch und nahm den Kopf in ihre Hände. Hatte sie ihm vielleicht den falschen Tag genannt, an dem sie zurückkommen würde oder hatte er sie falsch verstanden? War er böse auf sie, weil sie ihn alleine gelassen hatte? Sie hatten vorher darüber gesprochen und er war damit einverstanden gewesen.
Endlich hörte sie ein Plätschern am Ufer und das Anlegen eines Kanus. Schnell ging sie hinaus. Adriano und Naldino waren ausgestiegen und kamen ihr leicht schwankend entgegen. Schon von Weitem konnte Jaíra den Geruch von Alkohol wahrnehmen.
»Na, mein Schatz, da bist du ja endlich.«
Unrasiert und stinkend stand Adriano vor ihr und wollte sie in die Arme nehmen. Angeekelt wich Jaíra zurück.
»Komm mit in die Hütte, ich will schlafen«, sagte er mit einem Grinsen zu ihr.
Naldino blieb stehen und sah den beiden zu, wie sie in der Hütte verschwanden. Kurz darauf hörte er ihre lauten Stimmen.
Kaum war die Tür hinter ihnen zugefallen, griff Adriano nach Jaíra und wollte sie küssen. Jaíra entwand sich ihm.
»Wo bist du gewesen? Ich hatte mich so auf dich gefreut.«
»Na und? Wir haben uns ein bisschen amüsiert, so wie du. Und jetzt komm endlich her, ich will dich!«
»Du hast wieder getrunken«, stellte sie fest.
In der kleinen Hütte hatte sie keine Chance, seinem Griff zu entkommen. Adriano zog sie an sich und drückte seinen Mund auf ihre Lippen. Er drängte sie aufs Bett und legte sich auf sie. Ohne auf ihre Abwehr zu reagieren nahm er sich, was er wollte.
Benommen ging Jaíra am anderen Morgen zum Fluss, um sich zu waschen. Immer noch hatte sie den Alkoholgeruch Adrianos in der Nase. Wieder suchte sie die Schuld von Adrianos Verhalten bei sich. Sie hatte etwas Unrechtes getan, indem sie ihn alleine gelassen hatte, sie hatte ihren Spaß gehabt und er wollte sich nur das Gleiche gönnen. Was hatte sie falsch gemacht, dass Adriano so zu ihr war? Immer wieder kam sie zu dem Schluss, dass sie daran schuld war, indem sie Adriano verletzte. Ihre Mutter tat ebenfalls alles, was Eduardo sagte, aber bei ihren Eltern bekam ihre Mutter auch etwas zurück. Eduardo war ein guter Ehemann, der seine Frau liebte.
Mit hängendem Kopf schritt Jaíra zur Hütte zurück, wo Adriano noch immer schlafend im Bett lag und einen widerlichen Alkoholgeruch verströmte. Schnell setzte sie Wasser auf den Herd, um mit dem Geruch des Kaffees die schlechten Ausdünstungen zu überdecken. Langsam regte sich Adriano. Wortlos stand er auf und verließ die Hütte, um sich am Fluss zu waschen. Als er zurückkam, setzte er sich an den Tisch und goss sich Kaffee in eine Tasse.
»Wie war eure Reise?«, fragte er beiläufig.
»Es war schön«, antwortete Jaíra zögernd. Sie achtete darauf, nicht zu begeistert zu klingen, um ihn nicht wieder zu verärgern.
»Margot war überrascht, dass es hier so wenige Mücken gibt. Jeder hatte ihr wohl Schauermärchen erzählt, dass sie total zerstochen werden würde.«
Jaíra merkte, dass ihr Adriano nicht richtig zuhörte, sondern nur dasaß und sie anstarrte.
»Was hast du die ganzen Tage gemacht?«, fragte sie vorsichtig.
»Ich war bei Sandro. Er will, dass wir bald anfangen bei ihm umzubauen.
»Und wo warst du danach?«
»Danach bin ich mit ein paar Freunden runter in die neue Bar gefahren. Soll ich hier alleine rumsitzen, während du dich vergnügst?« Seine Stimme klang wieder ärgerlich.
»Ich habe Margot die Gegend gezeigt«, antwortete Jaíra gereizt. Es war ihr egal, ob sie Adriano wütend machen würde.
Wortlos stand Adriano auf und ging zum Ufer, wo das Kanu lag.
»Wo willst du hin?« Jaíra machte sich wieder Vorwürfe.
»Ich gehe ins Dorf.«
Seelenruhig setzte er sich ins Kanu und paddelte in Richtung des Dorfes. Als Jaíra zurückging, standen ihr die Tränen in den Augen.
Spät am Abend kam Adriano zurück.
»Morgen fahre ich mit Naldino nach Boa Viagem. Wir besorgen dort das Material für Sandro. Er will, dass wir so bald als möglich bei ihm anfangen.«
»Wie lange bleibst du weg?«, fragte Jaíra vorsichtig.
»Ich denke, dass es zwei oder drei Wochen dauert.« Er zuckte mit den Achseln.
Jaíra roch seine Alkoholfahne, aber sie sagte nichts. Adriano legte sich aufs Bett und schlief gleich ein. Er schlief auch noch, als Jaíra am anderen Morgen zur Arbeit ging. Zögernd gab sie ihm einen Kuss, doch er schlief so fest, dass er nicht darauf reagierte.
Jaíra desinfizierte gerade die Instrumente, als Ines das Gebäude betrat und sich suchend umsah.
»Oi, Jaíra. Bei Juçara haben die Wehen angefangen. Du sollst kommen«, sagte sie, atemlos vom schnellen Laufen. »Dona Marga ist nicht hier. Sie ist bereits bei Miranda und die wohnt weit weg. Sie wird erst morgen oder übermorgen wieder im Dorf sein. Könnte die Ärztin nicht mitkommen?«
Margot nickte Jaíra aufmunternd zu, die sie fragend ansah. Es freute sie, dass sie gerufen worden war, sie wurde akzeptiert.
»Du kannst ruhig gehen, die Instrumente mache ich nachher fertig.«
Jaíra wusch sich die Hände und ging mit Ines zu dem Haus ihrer Schwester, wo Juçara schwer atmend in einer Hängematte lag. Schnell holte sich Jaíra einen Hocker und setzte sich neben ihre Schwester, auf deren Stirn große Schweißtropfen glänzten. Manuel stand etwas hilflos daneben und hielt Juçaras Hand.
»Wie geht es dir?«, erkundigte sich Jaíra.
»Ich werde es wohl überleben.« Juçara lachte, um kurz darauf in einer Wehe laut zu stöhnen.
Kinder zu bekommen war etwas Selbstverständliches und man machte nicht viel Aufhebens darum.
Bald kam auch Margot mit ihrem Arztkoffer und untersuchte die werdende Mutter.
»Es ist alles in Ordnung, es wird bald losgehen.« Aufmunternd nickte sie der Schwangeren zu.
Kurz darauf wurde Juçaras Körper von einer starken Wehe überrascht und sie schrie laut auf. Manuel drückte fest ihre Hand und sein Gesicht wurde noch besorgter. Beschämt ging er zu Margot, die zwischen den Beinen seiner Frau stand und ihn gerufen hatte, damit er sehen konnte, wie sein Kind zur Welt kam. Wenig später hielt er lachend seine neugeborene Tochter in den Armen und zeigte sie stolz den Umstehenden. Zufrieden und erschöpft wartete Juçara darauf, dass ihr Manuel endlich das Kind zurückgab, damit sie ihm die Brust geben konnte.
Dröhnend und verzerrt klang die Musik aus den bebenden Lautsprechern der schon ins Alter gekommenen Stereoanlage, was hier niemanden störte. Naldino und Roberto spielten mit Freunden Karten, als Adriano aus dem Nebenraum kam und sich die Hose richtete. Die Männer grinsten.
»War sie gut?«, fragte Roberto. »Dann geh ich auch mal mit ihr aufs Zimmer.«
Als Antwort machte Adriano eine Faust und reckte den Daumen nach oben, als Zeichen, dass es sich lohnte. Nach einigen weiteren Flaschen Bier, als auch Roberto aus Rosanas Zimmer zurückgekommen war, gingen die drei Freunde zu Robertos Motorboot und fuhren lautstark grölend den Fluss aufwärts ins Dorf zurück.
Naldino war wütend auf seinen Bruder, während sich die beiden anderen zunickten.
»Rosana war prima und was die für tolle Titten hat.« Roberto schwelgte in Erinnerungen.
»Die ist echt super, zu der könnte ich öfter gehen«, nickte Adriano zustimmend.
»Warum tust du Jaíra das an?«, fragte Naldino wütend.
Erstaunt sah Adriano ihn an, dann musste er lachen. »Das mit Jaíra ist was anderes, das geht dich gar nichts an. Und warum kümmerst du dich darum? Sie ist meine Frau.«
»Leider«, rutschte es Naldino heraus.
Wütend starrte Adriano seinen Bruder an. Roberto erkannte die Situation und schlichtete.
»Er meint wahrscheinlich, dass Jaíra zu kurz kommt«, sagte er ablenkend.
»Die kommt schon nicht zu kurz, der werde ich es jetzt gleich auch noch so richtig besorgen.«
»Kannst du denn überhaupt noch?«, fragte Roberto lachend und spielte auf seinen Alkoholgenuss an.
»Ich kann immer«, meinte er großspurig.
Vom Ufer klangen Motorgeräusche und laute Stimmen, die Jaíra aus dem Schlaf rissen. Sie war müde und wütend. Adriano hatte sich, seit er das Material für Sandros Bar geholt hatte, sehr verändert. Oft blieb er nach der Arbeit im Dorf und schlief bei Sandro oder er fuhr mit Freunden in die Bar unterhalb des Dorfes. Längst hatte ihre Beziehung Risse bekommen. Adriano war nicht mehr der zärtliche Liebhaber und in Jaíra kamen Zweifel auf, ob er wirklich ihr ‚Boto‘ war. Das Bild vom Traumprinzen verblasste.
Vor der Tür verabschiedete Adriano seinen Bruder. »Das nächste Mal nimmst du dir eine Frau, damit du auf andere Gedanken kommst.« Adriano boxte ihm freundschaftlich gegen die Brust.
Immer noch grinsend zündete er in der Hütte eine Kerze an und blickte gierig zu Jaíra, die ihn stumm ansah und wusste, was jetzt kommen würde. Achtlos ließ er seine Kleider auf den Boden fallen und kam zu ihr ins Bett. Ergeben ließ sie sich das Nachthemd bis zum Hals hochschieben, sodass ihm ihr nackter Körper schutzlos ausgeliefert war. Fest packte er ihre Brüste und drang rücksichtslos in sie ein. Es tat weh, aber so fiel ihr wenigstens das Stöhnen leichter.
Zum Glück ging es diesmal schnell und Adriano schlief gleich ein.
Früher hatte sie sich geweigert, allerdings machte sie Adriano damit nur wütender und schließlich merkte sie, dass es besser war, sich zu fügen, es war dann schneller vorbei und danach ließ er sie in Ruhe.
Abwesend blickte Jaíra auf die ruhige Wasserfläche, in der sich die Bäume und Wolken spiegelten. Ihre Brüste schmerzten von den groben Berührungen Adrianos. Sie hatte das Kanu an den Ästen der überfluteten Bäume festgemacht und den Köder in das trübe Wasser geworfen. Sie war nicht bei der Sache, so mancher Fisch entging ihr und sie zog nur einen leer gefressenen Haken aus dem Wasser.
Irgendwie gelang es ihr trotzdem, ein paar unvorsichtige Fische ins Kanu zu holen, und sie konnte nach Hause. Als am Ufer die ersten Hütten des Dorfes auftauchten, steuerte sie kurz entschlossen darauf zu. Während sie das kleine Baby ihrer Schwester im Arm hielt und es sie anlachte, war sie glücklich.
Juçara sah sie fragend an. »Du hast doch etwas auf dem Herzen, Ärger mit Adriano?«
Jaíra nickte stumm. Nach einer kurzen Pause fing sie an zu reden.
»Er hat sich verändert. Er geht seine eigenen Wege, er hat seine Freunde, mit denen er weggeht und abends kommt er oft spät betrunken nach Hause. Er beachtet mich nicht mehr so wie früher, nur noch im Bett. Immer wenn er will, muss ich mit ihm schlafen.«
»Du kannst jederzeit zu unseren Eltern zurück oder du kannst hier bei uns wohnen, wenn du ihn verlassen willst.« Juçara blickte ihr fest ins Gesicht.
Energisch schüttelte Jaíra den Kopf.
»Das geht nicht.« Sie stockte kurz: »Ich bin schwanger.«
Über die Nachricht Vater zu werden reagierte Adriano gelassen bis gleichgültig und Jaíra hatte den Eindruck, dass es ihm im Grunde egal war. Anstatt sich mehr um sie zu kümmern, blieb Adriano öfter weg. Sex wollte er immer noch, wenn er spät abends nach Hause kam. Fast gleichgültig ließ sie ihn mit ihr tun, was er wollte. Sie schloss die Augen, stöhnte ab und zu etwas und hoffte, dass es schnell vorbei sein würde. Sobald Adriano fertig war, rollte er von ihr herunter und schlief gleich ein.
Immer öfter kam in Jaíra Ekel auf, wenn er auf ihr lag und sie nicht nur seine Alkoholausdünstungen einatmen musste, ab und zu meinte sie, dass der Hauch eines billigen Parfüms an ihm haftete. Sie wurde gereizt und aufsässig. Immer öfter kam es zum Streit und immer weniger ließ sie sich gefallen.
Lautes Poltern vor der Tür ließ Jaíra aufschrecken und sie hörte Naldinos Stimme.
»Lass sie in Ruhe!«
»Das geht dich nichts an, ich kann mit meiner Frau machen, was ich will.«
»Kannst du nicht, sie ist viel zu gut für dich.« Naldinos Stimme überschlug sich fast.
»Verschwinde!« Adriano war böse, unwillig trat er ins Haus. Vor der Tür stand Naldino mit geballten Fäusten. Er machte sich Sorgen, dass er Adriano gereizt hatte. Hoffentlich ließ er seine Wut nicht an Jaíra aus. Mit hängendem Kopf schlich er zur Hütte seines Onkels.
Grob packte Adriano seine Frau und zerrte sie hoch.
»Hast du etwas mit Naldino?«, schrie er sie an.
»Was soll das, spinnst du?«, giftete Jaíra ebenfalls wütend zurück.
Auch sie war schlechter Laune. Am Nachmittag hatte sie sich an ihren Lieblingsplatz zurückgezogen. Zärtlich hatte sie über die kleine Rundung gestrichen, in der das neue Leben in ihr heranwuchs und die Schwangerschaft sichtbar machte. Trotz intensiver Bemühungen war es ihr nicht gelungen, sich wieder das Haus vorzustellen, in dem sie mit Adriano und ihren Kindern glücklich leben würde. Sie hatte ihre Unabhängigkeit eingebüßt, sie vermisste die Ausflüge mit dem Kanu, ihre Familie, mit der sie sich verkracht hatte. Adriano hatte sie ans Haus gebunden. Auf sein Drängen hin hatte sie schließlich selbst die Arbeit in der Krankenstation aufgegeben. So sollte ihr Leben nicht enden.
»Was ist mit Naldino?«, schrie Adriano sie wieder an.
»Da ist nichts. Im Gegensatz zu dir gehe ich nicht fremd.«
»Na warte, dir werde ich es zeigen.« Er riss an ihrem Nachthemd, der Träger zerriss und entblößte ihre Brust. Verzweifelt wehrte sich Jaíra, doch brutal zerrte er ihre Unterhose herunter und zwängte sich zwischen ihre Beine.
»Lass mich in Ruhe, ich will nicht«, keuchte Jaíra, aber Adriano war zu stark.
Während er sie brutal vergewaltigte, rannen Tränen der Wut und des Schmerzes über ihr Gesicht. Dieses Mal dauerte es lange, bis sich Adriano endlich in ihr entlud.
Während er sich an ihr abreagiert hatte und sie seine heftigen Stöße schmerzten, war etwas in ihr zerbrochen. Wie sehr hatte sie sich in ihm getäuscht, sie konnte ihn nicht ändern. Die Entscheidung war gefallen, sie würde ihn verlassen. Nachdem sich Adriano von ihr herunter gewälzt hatte und sie glaubte, dass er eingeschlafen sei, stand sie leise auf und fing an, Kleidungsstücke in eine Tüte zu packen.
»Was machst du da?«, hörte sie plötzlich seine Stimme. Erschrocken drehte sie sich um.
»Ich gehe«, sagte sie kurz.
Adriano kam drohend näher. Jaíra hatte keine Angst, bald würde sie hier weg sein.
»Du gehst nicht!«, seine Augen funkelten.
»Ich lasse mich nicht so von dir behandeln. Ich habe geglaubt, dass du mich liebst und du ein guter Mensch bist. Alle haben mich vor dir gewarnt, aber ich wollte es nicht einsehen. Jetzt ist Schluss, ich gehe.«
»Nur schnell weg von hier«, dachte sie und wollte zur Tür, aber schon spürte sie Adrianos ersten Schlag in ihrem Gesicht. Ein zweiter Schlag traf sie so, dass sie taumelte und ein neuer Schlag ließ sie gegen den Herd fallen. Ein stechender Schmerz durchzuckte ihren Leib und ihr wurde schwarz vor Augen, als sie auf dem Boden aufschlug. Adriano war ausgerastet, wahllos schlug und trat er auf sie ein. Hilflos krümmte sie sich zusammen, um den Schlägen möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.
Die Schmerzen ließen sie laut schreien, die Zeit kam ihr wie eine Ewigkeit vor. Sollte er sie doch totschlagen, dann wäre alles vorbei und die Schmerzen würden endlich aufhören. Nur noch halb bei Besinnung bekam sie mit, dass plötzlich die Tür aufflog und Naldino mit Salvatore hereinstürzte und Adriano von ihr wegzerrten.
Naldino kniete sich neben sie. Jaíras Lippen waren aufgeplatzt und bluteten, das ganze Gesicht war geschwollen.
»Mein Gott, das sieht schlimm aus«, sagte er zu Salvatore und bedeckte verschämt ihren nackten Oberkörper.
Als sie Jaíra aufrichteten, sahen sie, dass ihr Nachthemd rot gefärbt war und Blut an ihren Oberschenkeln herabrann. Die beiden sahen sich ratlos an.
»Wir müssen sie zur Ärztin bringen, schnell.« Naldino packte den leblosen Körper und trug ihn zum Kanu, wo er ihn vorsichtig hineinlegte. Salvatore war gerade eingestiegen, als Adriano herantrat.
»Mach, dass du wegkommst. Ich will dich hier nie wiedersehen!«, schrie Salvatore die Worte zornig ans Ufer, während Naldino das Kanu kräftig vorwärtstrieb.
Im Dorf war alles ruhig, nur ein paar Hunde schlichen schnüffelnd durch die unbeleuchteten Straßen. Eilig hasteten die Männer zu der Krankenstation, vor deren verschlossenem Eingang eine einzelne Glühbirne brannte. Salvatores Fäuste trommelten gegen die Tür, laut hallten die Schläge durch die Stille der Nacht.
Erleichtert hörte er auf, als im Haus ein Licht anging. Verschlafen öffnete die Ärztin die Tür und war sofort hellwach, als sie Jaíra erkannte.
»Bringt sie schnell herein und legt sie dort auf den Tisch«, sagte sie und deutete in den Raum.
Das Letzte, was Jaíra noch spürte, war der zuversichtliche Händedruck Margots, dann wurde es dunkel.
»Sie wird wach«, hörte sie eine vertraute Stimme, konnte sie jedoch nicht einordnen. Nur eines wusste sie, es war nicht Adriano.
Langsam öffnete sie die Augen, alles war verschwommen und wurde erst langsam klarer. Jetzt erkannte sie ihre Mutter, die neben ihrem Bett saß.
»Mãe«, schwer und leise kam das Wort aus ihrem Mund.
Manara beugte sich über ihre Tochter und küsste sie auf den Mund. Tränen liefen über ihr Gesicht und tropften auf Jaíra.
»Jetzt wird alles gut«, versprach Manara. »Du wirst bald wieder gesund, hat die Ärztin gesagt und dann kommst du zu uns.« Sie drückte Jaíras Hand.
Kurz darauf kam Margot ins Zimmer. Die Ärztin lächelte Jaíra an.
»Du hast uns ganz schöne Sorgen gemacht. Ruhe dich erst einmal aus und dann sehen wir weiter.«
Sie strich ihr über die Wange, während Jaíra bereits wieder eingeschlafen war. Routiniert überprüfte sie den Blutdruck und die Temperatur. Besorgt sah sie auf die rote Linie des Thermometers, holte eine Flasche und gab Jaíra eine fiebersenkende Infusion.
Stöhnend öffnete Jaíra ein paar Stunden später wieder die Augen. Ihr ganzer Körper schmerzte und zwischen den Beinen spürte sie eine dicke Binde. Hatte sie ihre Tage bekommen? Es war ihr peinlich, bis ihr zu Bewusstsein kam, dass das nicht sein konnte, sie war ja schwanger.
»Wo ist Adriano?«, fragte sie ängstlich.
Die Worte kamen noch immer mühsam und beim Sprechen fühlte sie eine Lücke zwischen den Zähnen.
»Er ist verschwunden. Keiner hat ihn seither gesehen«, beruhigte Eduardo seine Tochter. »Keine Angst, wir passen auf dich auf.«
Vorsichtig betastete Jaíra ihr verschwollenes Gesicht.
»Ist es sehr schlimm?«, fragte sie Margot.
Margot seufzte und setzte sich neben sie auf die Bettkante.
»Es sieht schlimmer aus als es ist und tut weh, das wird wieder. Da ist jedoch etwas anderes, was ich dir sagen muss.« Sie nahm ihre Hand und sah ihr ins Gesicht. »Du hast das Kind verloren.«
Jaíra schloss die Augen. Viele Dinge gingen in ihrem Kopf herum. Sie hatte mit Adriano zusammengelebt und war deshalb schwanger geworden. Gewollt war das Kind nicht, da sie anfing, an der Beziehung zu Adriano zu zweifeln, es war zwangsläufig passiert. Es war halt so, wenn eine Frau schwanger wurde, wurde es einfach hingenommen. Viele Familien hatten sechs oder acht Kinder, manche mehr. Niemand machte sich darüber Gedanken, Gott hatte es so gewollt.
»Ich habe immer noch Angst, dass Adriano zurückkommt«, drückte Jaíra ihre Sorge aus, als Hans sie wieder einmal besuchte.
»Ein Kanu von Salvatore ist weg. Sie nehmen an, dass er den Fluss hinunter wieder in die Stadt ist«, tröstete er.
»Danke Hans, vor allem dafür, dass du mir keine Vorwürfe gemacht hast, dass ich mich wegen Adriano mit dir und meinen Eltern zerstritten habe. Ich war so dumm.« Sie schüttelte vorsichtig den Kopf. »Immer dachte ich, ich könnte ihn ändern. Später konnte ich nicht mehr zurück, die Blamage war für mich zu groß. Ich hatte Angst, dass ihr mich auslacht.«
»Wenn man verliebt ist, macht man Dinge, die falsch sind und die man später bereut, aber in dem Moment, in dem man es tut, kann man das nicht beurteilen. Man sieht die Welt nur noch mit Scheuklappen und man kann oder man will die Warnungen nicht wahrhaben. Ich bin dir nicht böse, ich bin froh, dass die Sache so ausgegangen ist und du lebst«, antwortete Hans.
»Margot sagt, dass ich bald zu meinen Eltern kann. Dort fühle ich mich sicher. Wenn ‚Pai’ nicht da ist, sind immer noch meine Geschwister zu Hause, sollte Adriano doch noch einmal auftauchen.« Jetzt druckste Jaíra herum. »Das Kind ist tot. Was mir Gedanken macht«, sie sah auf die Bettdecke, bevor sie weitersprach, »es ist mir fast gleichgültig, ja, ich bin sogar froh, es verloren zu haben. Bin ich deswegen ein schlechter Mensch?«, besorgt sah sie Hans an.
»Du bist kein schlechter Mensch, Jaíra.« Hans schüttelte den Kopf. »Adriano hat dich misshandelt und er hat sein Kind selbst getötet. Du hast keine Schuld daran, also mach dir nicht so viele Sorgen«, beruhigte er sie und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Dankbar lächelte sie zurück.
Ein paar Tage war Jaíra schon bei ihren Eltern. Sie hockte mit Juçara vor der Hütte auf dem Boden und schälte Mais, als sie Motorengeräusch hörten, das schnell näherkam. Bald erkannten sie das Motorboot von Roberto, in dem Salvatore und Naldino saßen. Auch Manara und Eduardo kamen aus dem Haus und zusammen gingen alle ans Ufer.
Nach der üblichen Begrüßung nahm Naldino Jaíra zur Seite.
»Wie geht es dir?«, erkundigte er sich.
»Der Rücken tut noch ein bisschen weh, sonst ist wieder alles in Ordnung. Danke noch mal, dass du rechtzeitig gekommen bist. Ich glaube, Adriano hätte mich sonst totgeschlagen.«
»Ich möchte mich für ihn entschuldigen. Ich hätte dir schon viel früher helfen müssen, aber er war mein Bruder. Ich wusste, wie er dich behandelt und was er mit dir macht. Oft habe ich vor eurer Hütte gestanden und mitbekommen, wie ihr euch gestritten habt, auch an jenem Abend, weil Adriano besonders wütend war. Deshalb bin ich dortgeblieben und habe gewartet. Ich hörte, wie er dich schlug und du hast furchtbar geschrien. Dann warst du plötzlich still und hast nur noch gewimmert. Da habe ich Salvatore geholt und wir sind hineingegangen. Gerade noch rechtzeitig genug.« Naldino senkte den Kopf »Es tut mir alles so furchtbar leid und ich schäme mich dafür, trotzdem, ich konnte nicht anders. Ich hatte Angst um dich und wollte wissen, was er mit dir macht. Immer habe ich ihm gesagt, dass er dich nicht so behandeln darf, dass du dafür zu schade bist.«
Jaíra sah Tränen in seinen Augen, es tat ihm wirklich leid.
»Es ist jetzt vorbei«, er holte tief Luft. »Julio und Marques haben ihn heute Morgen gefunden, als sie in den Wald gingen. Er hatte einen Schlangenbiss am Knöchel, eine ‚Surucúcu’ muss ihn wohl erwischt haben und bei der hat man keine Chance. Er war schon ein paar Tage tot.« Traurig sah er auf den Boden.
Jaíra fühlte seinen Schmerz, aber auch Erleichterung. Jetzt musste sie keine Angst mehr vor ihm haben. Mit hängenden Schultern stand Naldino vor ihr und unwillkürlich nahm sie ihn in die Arme. Lange standen sie so und trösteten sich gegenseitig.