Читать книгу Träume aus dem Regenwald - Bernd Radtke - Страница 8
Kapitel 5
ОглавлениеEin Jahr war es her, dass Andréia und die Kinder tot waren. Benedikt hatte es in der ehemals gemeinsamen Wohnung nicht mehr ausgehalten, an allem haftete die Erinnerung an eine glückliche Zeit. Überstürzt war er in eine kleine Zweizimmerwohnung in einem Wohnblock gezogen. Besser war es hier auch nicht geworden, die Mitbewohner waren laut und durch die dünnen Wände hörte er die Geräusche, wenn sich seine Nachbarn im Zimmer nebenan liebten.
Selten waren die Besuche von Freunden geworden, zu sehr ging ihnen Benedikts Gemütslage auf die Nerven. Nur Markus besuchte ihn ab und zu.
»Also, was ist, kommst du morgen mit nach Frankfurt?«, fragte er.
»Ach, ich weiß nicht, wohl eher nicht«, meinte Benedikt ablehnend.
»Du hast doch eh nichts vor. Tina und Claudia fahren auch mit. Du kennst Claudia, die ist echt nett und hübsch dazu.«
»Danke, lass mal, ein andermal.«
»Markus nervt. Was soll ich da? Die wollen ihren Spaß und ich bin das fünfte Rad am Wagen. Wenn Andréia dabei wäre … ach, so hat das alles keinen Sinn«, sinnierte er.
»Hörst du mir überhaupt zu?« Markus hatte seinen leeren Blick bemerkt.
»Doch, doch. Ich habe nur einfach keine Lust, lass mich einfach mit so etwas in Ruhe.«
Markus platzte der Kragen, er wurde lauter als er antwortete: »Andréia und die Kinder sind tot. So schrecklich das ist, das Leben geht weiter und vor allem an dir vorbei. Du sollst sie nicht vergessen, du musst jedoch dein Leben ändern. Andréia hätte das bestimmt nicht gewollt! Reiß dich endlich mal zusammen. Geh raus, tu etwas, komm ins Leben zurück.«
Benedikt tat ihm leid, aber der konnte sich nicht einfach so hängen lassen. Jetzt reichte es ihm, immer nur eine Abfuhr zu bekommen, wenn er Benedikt aus dem Bau, in den er sich verkrochen hatte, herauslocken wollte.
»Für heute reicht es mir mit deinem Selbstmitleid.«
Benedikt hatte seinen Freund lange nicht mehr so wütend gesehen. Verstört sah er ihm nach, wie er aus dem Raum ging und die Wohnungstür laut zuknallte. Sein Blick fiel auf das Bild auf dem Schrank. Andréia lachte ihm entgegen und er selber strahlte vor Glück.
»Vorbei, alles vorbei«, murmelte er und Tränen stiegen ihm in die Augen.
Er war aufgewühlt, Markus hatte etwas in ihm getroffen, was ihn nachdenklich machte. Er wusste selber, warum er kaum noch Besuch bekam und das machte alles nur viel schlimmer.
Er legte die CD mit Mozarts Requiem ein. Während er die Musik hörte, dachte er über Markus‘ Worte nach. Sein Freund hatte recht, eigentlich funktionierte er nur noch. Er stand morgens auf, ging zur Arbeit, kam zurück, machte sich Essen, hörte Musik oder las, schlief, wenn er nicht grübelnd wach lag, stand wieder auf. Jeden Tag das Gleiche, immer so weiter. Die ganze Zeit vegetierte er nur dahin, hielt an seiner Trauer und seinen Erinnerungen fest. Wäre es wirklich Verrat an Andréia, wenn er wieder Gefallen am Leben finden würde? Und vor allem, hätte sie es überhaupt gewollt, dass er in einem Schneckenhaus lebte?
In dieser Nacht schlief er schlecht. Er träumte von seiner Familie, sah ständig Andréias Gesicht vor sich. Sie lachte ihn an und schüttelte den Kopf.
Mit Kopfschmerzen war er aufgestanden und lustlos trank er seinen Kaffee, Appetit hatte er keinen. Plötzlich wurde es ihm in dem Zimmer zu eng, er bekam keine Luft mehr, musste raus. Panikartig schnappte er seine Jacke und lief aus der Wohnung ins Freie.
Es war einer dieser trüben, kalten Frühlingstage und es nieselte leicht. Ziellos lief er in der Stadt umher, bis er irgendwann an den Schwanenteich kam. Das parkähnliche Gelände mit den Teichen und dem kleinen Fluss, der dort entlang floss, war bei diesem Wetter fast menschenleer, nur ein paar unerschrockene Mütter schoben ihre Kinderwagen durch den Park.
Benedikt fand eine einigermaßen trockene Bank und setzte sich. Auf der gegenüberliegenden Seite des Weihers beobachtete er einen Fischreiher, der dort regungslos im flachen Wasser stand. Als die trübe Wolkendecke aufriss und weiche Sonnenstrahlen die diesige Landschaft in ein warmes Licht tauchten, ging eine Veränderung durch ihn. Gierig sog seine Seele das wärmende Licht auf.
Plötzlich kam ihm Markus in den Sinn. Sollte er wirklich? Ob er überhaupt zu Hause war? Benedikt wurde unruhig, was war mit ihm los? Erst hatte er keine Lust, auf nichts, wollte sich in seiner Wohnung verkriechen und nun hatte er Angst, dass Markus bereits unterwegs war.
Oft hatte er sich gefragt, warum er sein Handy mit sich herumschleppte, es rief ihn sowieso niemand an. Gut, dass er die Gewohnheit beibehalten hatte, es mitzunehmen. Er wählte die Nummer von Markus. Es klingelte länger und er dachte, dass es zu spät sei, als sich Markus meldete.
»Kann ich mitfahren?«, fragte er kleinlaut, beinahe ängstlich klang seine Stimme.
Markus stutzte. »Klar, wir warten noch auf Tina, sonst wären wir schon weg. Willst du wirklich mit?«, fragte Markus verwundert. Er dachte an den gestrigen Streit, doch Benedikts Stimme ließ ihn seinen Ärger vergessen. »Wir kommen bei dir vorbei.«
»Ich bin nicht zu Hause. Kannst du mich auf dem Messeplatz am Schwanenteich abholen?«
»Wie kommst du denn da hin?«, wunderte sich Markus.
»So ganz kapiere ich das selber nicht, ich musste heute Morgen einfach raus aus der Wohnung und irgendwie bin ich hier gelandet. Ich habe lange überlegt, du hast recht«, meinte Benedikt.
»Sobald Tina da ist, fahren wir los.« Markus legte auf.
Benedikt war aufgeregt, er hatte Angst vor seiner eigenen Courage, wehrte sich gegen seine Freiheit, die er wiedergewinnen wollte. Das würde er jetzt durchziehen, er würde sein Leben ändern.