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Kapitel 5

29. August 1944

Die Bevölkerung von Paris war aus dem Häuschen. Seit Stunden marschierten die Abteilungen der amerikanischen Truppen, die an der Siegesparade, teilnahmen, durch die französische Hauptstadt. Die Schlacht um Paris war geschlagen. Zum Glück war der deutsche Stadtkommandant, General Dietrich von Cholitz so einsichtig gewesen, Hitlers Befehl, Paris dem Erdboden gleich zu machen, zu verweigern. Schon am 26. August hatten die französischen Truppen eine Siegesparade abgehalten, obwohl in der Stadt noch vereinzelt gekämpft wurde. Die Begeisterung der Pariser kannte keine Grenzen. Am Vortag hatte General de Gaulle vom Balkon des Rathauses eine Ansprache an die Pariser Bevölkerung gehalten und sich bei den Kämpfern der Resistance und der Pariser Gendarmerie für ihre Unterstützung bedankt. Vielen Mitgliedern der Resistance stieß dies zwar sauer auf, hatten die Pariser Gendarmen doch erst am letzten Tag der Schlacht die Seiten gewechselt. Doch letztendlich war es egal. Endlich war das Herz Frankreichs befreit und die verhassten Boches aus der Stadt verjagt. Viele der Besatzer hatten die Wut der Pariser noch zu spüren bekommen. Es gab Misshandlungen wobei einige deutsche Soldaten auch zu Tode kamen. Die vier Jahre der Besatzungszeit hatten Spuren hinterlassen, und die aufgestaute Wut und Ohnmacht gegen das verhasste Nazi-Regime kam nun zu Tage.

Doch die Deutschen meldeten sich auch noch einmal zurück. ln der Nacht vom 26. auf den 27 August warfen 50 Flugzeuge der Luftwaffe Bomben über Paris ab. Dabei wurden 593 Gebäude zerstört oder beschädigt. 213 Menschen wurden getötet und 914 verwundet. Eine militärisch völlig sinnlose Aktion.

Frederic Macron und seine Leute hatten nicht mehr unmittelbar an den Kämpfen teilgenommen, Sie waren nach einem Ort namens Thury- Harcourt in der Nähe von Caen verlegt worden. Das Dorf war bei den Kämpfen um Caen fast völlig zerstört worden, eignete sich aber gerade deswegen ausgezeichnet dazu, Häuserkampf zu trainieren. Die Gruppe hatte Quartier in einem unzerstörten Bauernhof außerhalb des Ortes bezogen. Die Eigentümer waren während der Kämpfe ins Landesinnere geflüchtet. Armin hätte, wenn die Voraussetzungen andere gewesen wären, sogar Spaß an dieser Ausbildung gehabt. So aber regte sich des Öfteren sein Gewissen und das Damoklesschwert, dass er eines Tages auf seine früheren Kameraden schießen müsste, hing über ihn. Armin war zwar alles andere als ein überzeugter Nazi, aber es war etwas anderes eventuell gegen seine alten Kameraden schießen zu müssen, als Kritik am Regime zu üben. Armin war gerne Soldat und ein guter dazu. Eigentlich hatte er vorgehabt, nach seinem Abitur zu studieren. Doch dann kam der Krieg dazwischen und er hatte sich freiwillig zur Wehrmacht gemeldet. 1943 hatte er sein Leutnantspatent in der Tasche und wurde Zugführer. Er hatte die missglückte Offensive bei Kursk mitgemacht, die so kläglich scheitere. Schon damals waren ihm Zweifel gekommen, ob es sich wirklich lohnte, für dieses Regime, den Kopf hinzuhalten. Danach ging es im Osten nur noch zurück. Er war Zeuge gewesen, wie die Einsatzkommandos Juden jagden und ermordeten. Auch die Transporte in die Konzentrationslager waren ihm nicht verborgen geblie3ben. Er hatte sich geweigert, bei einer Säuberungsaktion mitzumachen. Einer Degradierung und einer Versetzung in ein Strafbataillon entging er nur, weil die Verlegung seiner Einheit nach Frankreich dazwischenkam. Hier waren ihm nur ein paar Wochen vermeintlicher Ruhe vergönnt. Die Invasion der Westalliierten änderte alles. Von nun an, war für ihn klar, dass dieser Krieg verloren und alles Kämpfen und Sterben sinnlos war. Was war falsch daran, mitzuhelfen, dass dieses Töten und Sterben so bald wie möglich endete? Hatten nicht Stauffenberg und seine Mitverschwörer ihr Leben eingesetzt, um Hitler zu stürzen? Und trotzdem. Er hatte einen Eid geschworen. Er versuchte sich an den Text zu erinnern.

„Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen."

Mit einem Male wurde es Armin klar, dass dieser Eid verlogen und falsch war. Hier wurden Menschen gezwungen, einen Eid auf eine Person abzulegen, die wie es schien, ein Verbrecher war. Der kein Menschenleben etwas bedeutete. Einer Person, die bereit war, ein ganzes Volk für eine gewissenlose Ideologie in den Untergang zu führen. Armin wurde es mit einem Male leicht ums Herz. Frederic kam auf ihn zu und bot ihm eine Zigarette an. „Na, mein Freund, so nachdenklich?" Armin nahm einen tiefen Zug und musste husten. So richtig hatte er sich an das scharfe Zeug noch nicht gewöhnt, das die Franzosen rauchten. Dann beantwortete er die Frage des Elsässers.

„Ja, ich habe nachgedacht. Und bin zu der Erkenntnis gekommen, dass von nun an Schluss ist mit dem Nachdenken. Es ist richtig, dass alles versucht werden muss, diesen Krieg so schnell, wie möglich, zu beenden. Ab heute gehöre ich ganz zu euch." Ein Lächeln stahl sich in Macron's Gesichtszüge.

„lch wusste, dass du eines Tages zu dieser Erkenntnis kommst. Aber genug geredet. Pack deine Sachen zusammen. Wir rücken ab. Paris ist gefallen."

Und nun stand Armin mit seinen Kameraden an der Avenue des Champs-Elysee und sah die Panzer der 28. US-Infanteriedivision vorüberrollen. Umgeben von Menschen, die ihrer Begeisterung freien Lauf ließen. Rotweinflaschen wurden herum gereicht und die Frauen warfen den Amis Kusshändchen zu. Wie würde es wohl denjenigen ergehen, die sich zu sehr mit den Besatzern eingelassen hatten? Der Gedanke, was mit ihm geschehen würde, wenn die unmittelbar um ihn herumstehenden Personen wüssten, dass er Angehöriger der deutschen Wehrmacht gewesen war, ging ihm durch den Kopf. Und es schauderte ihm dabei. Frederic hatte ihm zwar erklärt, dass er beileibe nicht der einzige Deutsche sei,der für die Resistance arbeitete. Doch das waren in der Mehrzahl Leute,die Deutschland in den dreißiger Jahren verlassen hatten und nach Frankreich emigriert waren, wo sie nach dem Einmarsch der Wehrmacht Repressalien zu befürchten hatten. Viele waren deshalb in den Untergrund abgetaucht. Heute war jedenfalls nur Freude und Begeisterung zu spüren. ln zwei Tagen würden sie Paris verlassen und den Truppen auf ihrem Vormarsch zum Westwall folgen. Was sie genau erwartete, da wusste vermutlich nicht einmal Frederic.

Thüngersheim9. September 1944

Franzi fühlte sich mit einem Male sehr einsam. Heute war der erste Transport an den Westwall abgegangen. Sechs junge Thüngersheimer waren dabei. Unter ihnen auch Werner. ln zwei Wochen würde der Rest folgen. Als der Zug außer Sichtweite war, hörte sie auf zu winken. Der Arm tat ihr weh, so heftig hatte sie ihn hin und her geschwenkt. Als könnte sie durch ihr heftiges Winken den Zugführer dazu bewegen anzuhalten. Mit hängendem Kopf trottete sie zum Weingut zurück. Nein, sie liebte Werner nicht. Aber es gab Momente, da war sie sich nicht sicher. Und jetzt, wo er die nächsten Wochen nicht mehr da war, merkte sie erst, wie sehr sie ihn vermissen würde. Rene sah die Tochter seines Patrons kommen und merkte, wie es um sie bestellt war. Gerne hätte er sie in die Arme genommen und getröstet. Aber er beließ es lieber bei einigen aufmunternden Worten.

„Er kommt ja wieder. ln sechs Wochen ist er ja wieder zurück, Mademoiselle Franzi. Es wird ihm schon nichts passieren."

Diese Worte gingen ihm nicht leicht von den Lippen Es gab Momente, da wünschte er Werner mit ganzem Herzen zum Teufel. Franz lächelte tapfer. Da wäre ja noch schöner, wenn sie Rene zeigen würde, wie schwer ihr der Abschied gefallen war. Ausgerechnet Rene. Aber sie war trotzdem dankbar für seine Worte.

ln ihrem Zimmer warf sie sich aufs Bett und ließ ihren Tränen freien Lauf. Rene hatte ja Recht. Die Jungs fuhren ja nur zum Schanzen an den Westwall. Panzergräben sollten sie ausheben. Aber schon die Anfahrt war gefährlich. Waren doch Züge, egal ob Güter oder Personenzüge ein begehrtes Ziel der alliierten Jagdbomber. Und noch etwas beunruhigte Franzi. Eine innere Stimme versuchte hartnäckig ihr einzureden, dass sie Werner heute zum letzten Mal gesehen hatte.

Sie ging hinunter in die Küche, um sich ein Glas Milch einzuschenken. Heute Abend war Gruppenabend des BDM. Das würde sie ein wenig ablenken von ihrem Kummer. Obwohl sie manchmal die Sprüche und Parolen der Gruppenführerin nicht mehr hören konnte. Diese andauernden Beschwörungen, dass nur Deutschland den Endsieg davontragen könnte und dass es der Führer schon richten würde, gingen ihr doch oft auf die Nerven.

Hans Geiger hatte den Kopf mit anderen Dingen voll. ln zwei Wochen sollte die Weinlese beginnen und die entsprechenden Vorbereitungen mussten getroffen werden. Er und seine Arbeiter hatten alle Hände voll zu tun. Es würde in diesem Jahr eine überdurchschnittliche Weinlese geben. Die Natur hatte es gut gemeint. Doch er hätte gerne auf einen Teil seiner Erträge verzichtet für die Gewissheit, dass seine Söhne noch am Leben wären. Er zwang sich dazu, nicht daran zu denken. Das Leben ging ja weiter. Alles Grübeln half nichts.

Als er in die Küche kam, sah er sofort, dass mit seiner Tochter etwas nicht stimmte. Dann fiel ihm ein, dass Werner ja heute an den Westwall abgefahren war. Er nahm Franzi in die Arme und drückte sie ganz fest.

„Wird wohl nicht so schlimm werden. Und in ein paar Wochen hast du ihn ja wieder. ln der Zwischenzeit gibt es genug zu tun, um nicht unablässig daran zu denken. Ich brauche deine Hilfe." Franzi sah ihren Vater neugierig an. „Und bei was soll ich dir helfen?" „Das erfährst du schon noch rechtzeitig und du weißt ja, in drei Wochen beginnt die Weinlese. Da kann ich ja mit dir rechnen." „Natürlich, das weißt du doch. Und Unterricht findet ja auch kaum noch statt."

Franzi freute sich auf die Weinlese. Sie mochte es, im Weinberg zu stehen und die Trauben vom Stock zu schneiden. Und sie mochte es, wenn sich der Nebel lichtete und langsam das Maintal freigab für die Herbstsonne. Halbwegs getröstet ging sie, um ihre Mutter zu suchen. Die hatte bestimmt irgendeine Arbeit für sie. Ihr Vater und Rene hatten ja Recht. ln ein paar Wochen würde Werner ja wieder zurück sein. Viel schlimmer war, dass, wenn er zurückkam, die Wehrmacht auf ihn wartete oder noch Schlimmeres.

Am 26. September 1944 erließ Adolf Hitler einen Erlass, in dem die Bildung des deutschen Volkssturms angekündigt wurde. Darin hieß es unter anderem:

Führererlass, 25. September 1944

Bildung des deutschen Volkssturms.

„Nach schwerem fünfjährigen Kampf steht in Folge des Versagens aller unser europäischen Verbündeten der Feind an einigen Fronten in der Nähe oder an den deutschen Grenzen. Er strengt seine Kräfte an, um unser Reich zu zerschlagen, das deutsche Volk und seine soziale Ordnung zu vernichten. Sein letztes Ziel ist die Ausrottung des deutschen Menschen. Wie im Herbst 1939 stehen wir nun wieder ganz allein der Front unserer Feinde gegenüber. ln wenigen Jahren war es uns damals gelungen, durch den ersten Großeinsatz unserer deutschen Volkskraft die wichtigsten militärischen Probleme zu lösen, den Bestand des Reiches und damit Europas zu sichern. Während nun der Gegner glaubt, zum letzten Schlag ausholen zu können, sind wir entschlossen, den zweiten Großeinsatz unseres Volkes zu vollziehen. Es muss und es wird gelingen, wie in den Jahren 1939 – 1941 ausschließlich auf unsere eigene Kraft bauend nicht nur den Vernichtungswillen der Feinde zu brechen, sondern ihn wieder zurückzuwerfen und so lange vom Reich abzuhalten, bis ein die Zukunft Deutschlands, seiner Verbündeten und damit Europas Friede gewährleistet ist."

Dem uns bekannten totalen Vernichtungswillen unserer jüdisch-internationalen Feinde setzen wir den totalen Einsatz aller deutschen Menschen entgegen. Zur Verstärkung der aktiven Kräfte unserer Wehrmacht und insbesondere zur Führung eines unerbittlichen Kampfes überall dort, wo der Feind den deutschen Boden betreten will, rufe ich daher alle waffenfähigen deutschen Männer zum Kampfeinsatz auf.

Ich befehle:

1. Es ist in den Gauen des Großdeutschen Reiches aus allen waffenfähigen Männern im Alter von 16 bis 60 Jahren der deutsche Volkssturm zu bilden. Er wird den Heimatboden mit allen Waffen und Mitteln verteidigen, soweit sie dafür geeignet erscheinen.

2. Die Aufstellung und Führung des deutschen Volkssturms übernehmen in ihren Gauen die Gauleiter. Sie bedienen sich dabei vor allem der fähigsten Organisatoren und Führer der bewährten Einrichtungen der Partei, SA, SS, der NSKK und der HJ.

Es folgten weitere sieben Punkte, die Gauleiter Hellmuth seinen Kreisleitern und Ortsgruppenleitern vorlesen ließ. Fridolin Schell hörte nur noch mit einem Ohr hin. Er würde den Erlass sowieso noch in schriftlicher Form ausgehändigt bekommen. Viel wichtiger war für ihn die Frage, was dieser Erlass für ihn persönlich für Konsequenzen haben könnte. Den anderen Hoheitsträgern der Partei, die hier versammelt waren erging es wahrscheinlich nicht viel anders. Organisieren würden sie das alles schon. Aber es galt abzuwägen, wie viel persönlicher Einsatz vonnöten war. Schell war keinesfalls gewillt, jetzt noch sein Leben aufs Spiel zu setzen. Nachdem der offizielle Teil abgehakt war, ließ der Gauleiter Getränke und Häppchen bringen. Hier war von Knappheit nichts zu merken. Dr. Hellmuth war schon immer der Meinung, dass er als Repräsentant der Partei einen entsprechenden Lebenswandel zu führen hatte. Er kam mit einem Sektglas in der Hand auf Schell zu.

„Na, Schell. Der Führer hat wie immer die richtige Entscheidung gefällt. Unsere Feinde werden sich wundern, wenn sich das ganze deutsche Volk erheben und zur Waffe greifen wird. Wir werden sie von unseren Grenzen verjagen. Im Zusammenwirken mit der Wehrmacht und der Waffen- SS und den neuen Waffen wird es nicht lange dauern und Deutschland wird wieder die Initiative ergreifen."

Schell pflichtete dem Gauleiter bei. Doch im Stillen fragte er sich, mit was die Volkssturmbataillone kämpfen sollten. Mit Beutewaffen wahrscheinlich. Und es würde einige Zeit in Anspruch nehmen, bis die ersten Einheiten so weit waren, um eingesetzt zu werden. Wahrscheinlich würden sie ohnehin nichts anderes als Kanonenfutter sein. Doch er ließ sich seine Zweifel nicht anmerken. Selbst einem Parteifunktionär saß in diesen Zeiten der Kopf locker auf der Schulter, wenn er Kritik äußerte. Gegen Mitternacht löste sich die Versammlung auf. Mit einem „Sieg Heil" auf den Führer ging man auseinander. Auf Fridolin Schell wartete viel Arbeit.

Die Weinlese war in vollem Gange. Das Wetter meinte es bisher gut und selbst die amerikanischen und britischen Tiefflieger schienen ein Einsehen zu haben und hatten ihre Aktivitäten eingestellt oder flogen woanders ihre Einsätze.

Franzi blühte richtig auf. Sie war mit ganzem Herzen dabei und vergaß zum ersten Mal ihren Kummer. Sie schnitt mit Rene zusammen die Trauben von den Rebstöcken. Sie bildeten ein sogenanntes Lesepaar. Was so viel bedeutete, dass Rene sich auf der anderen Seite der „Zeile" befand und Franzi ihm gegenüber. Dabei kam man sich manches Mal gewollt oder ungewollt näher und die Gesichter waren dann nur durch das Blattwerk oder den Trauben voneinander getrennt. Franzi stellte sich dann öfter vor, wie es wäre, wenn sie Rene jetzt küssen würde.

Birgit Schmadtke hatte ebenfalls ihre Hilfe angeboten, die gerne angenommen wurde. Für sie war es das erste Mal, dass sie an einer Weinlese teilnahm. Zusammen mit Hans bildete sie ein Lesepaar. Am Anfang hatte Birgit noch mitgehalten. Doch dann konnte sie das Tempo, dass die anderen vorlegten nicht mitgehen, was zur Folge hatte das Rene ihr öfter half. Birgit bedachte den Franzosen mit dankbaren Blicken, was Franziska nicht gerne sah. Die beiden Polen waren dafür zuständig die Trauben mit den sog. Butten in die Kuffe zu schütten, die auf dem Wagen stand, der am Rand des Weinberges abgestellt war. Das war eine reine Knochenarbeit. Als es Mittag war, ließ man sich auf einer großen Decke vor der Weinberghütte nieder, um die Brotzeit einzunehmen. Alle waren guter Laune. Für einen Moment vergaß man den Krieg und ließ sich das selbstgebackene Brot und die Hausmacher Wurst, sowie den angemachten Käse schmecken. Dazu wurde mit Wasser verdünnter Wein getrunken.

„Na, Frau Schmadtke, wie gefällt ihnen die Weinlese?" Hans war sich im Klaren, dass die Dortmunderin am nächsten Morgen sehr wahrscheinlich mit einem gewaltigen Muskelkater aufwachen würde. Die Arbeit in dem steilen Gelände war anstrengend. „Spaß macht es schon. Aber ich spüre jetzt schon jeden Knochen. Wie wird das erst morgen früh sein?" „Wenn sie eine Massage brauchen. Ich stehe gerne zur Verfügung." Rene musste mal wieder seinen Kommentar abgeben. „Das kann er recht gut. Er hat mir auch schon einmal den Nacken massiert." Emma hatte gemerkt, dass Rene mit seinem Angebot unbeabsichtigt für eine gewisse Spannung gesorgt hatte. Franzi lieferte dann auch sofort die Bestätigung dieser Annahme.

„So verwöhnte Stadtfratzen wie sie sollten halt die Finger von so einer Arbeit lassen. Wenn Rene ihnen nicht geholfen hätte, würden sie jetzt immer noch Trauben abschneiden, während wir wahrscheinlich schon mit der Brotzeit fertig wären."

Sie sagte das in einem, wie sie meinte spaßhaften Ton. Doch ihre Mutter spürte sofort die Gehässigkeit, die dahintersteckte. Auch Birgit war über die Heftigkeit dieser Bemerkung erstaunt. Doch dann wurde es ihr mit einem Male klar, dass die Winzertochter in Rene verliebt war. Das war allerhand. Erst verdrehte der Fratz ihrem Sohn den Kopf. Und, kaum, dass der weg war, kam der Nächste an die Reihe. Das musste verhindert werden. Schon um ihres Sohnes Willen. Sie beschloss, sich zu opfern und all ihre Verführungskünste anzuwenden, um den Elsässer von Franzi abzulenken. Das wäre ja noch schöner, wenn eine gestandene, erfahrene Frau, sich von einem Backfisch einen Mann wegschnappen ließ.

„ln Dortmund gibt es halt so gut wie keine Weinberge. Aber die Menschen arbeiten dort auch hart. ln den Kohlegruben zum Beispiel. Und die vielen und schweren Luftangriffe haben das Leben auch nicht gerade einfach gemacht. Doch das kannst du ja nicht wissen. ln deine zarten Alter."

Franzi bekam einen roten Kopf. Sie wollte etwas erwidern. Aber ihr fiel nichts Gescheites ein. Sie wusste, dass sie einen Fehler begangen hatte. Rene sah die beiden Frauen mit merkwürdigen Blicken an. Er beschloss in Zukunft noch vorsichtiger zu sein, mit dem was er sagte. Hans Geiger klatschte in die Hände. „So genug getratscht und gefaulenzt. Ist jeder satt? Dann kann es ja weitergehen." Auch ihm war die Spannung nicht entgangen, die plötzlich herrschte. Da half am besten die Arbeit. So war es dann auch. Es wurde zwar nicht mehr so viel geredet und gescherzt. Doch am späten Nachmittag war der Weinberg fertiggelesen. Mit dem Pferdefuhrwerk wurden die Trauben ins Tal gebracht, um anschließend gekeltert zu werden.

Am Abend gab es dann noch ein warmes Essen. Und dann wurde es auch feuchtfröhlich. Hans holte seine Gitarre und es wurde gesungen. Auch Rene, der ebenfalls gut Gitarre spielte, gab einige Lieder aus seiner Heimat zum Besten. Selbst die beiden Polen ließen nach einigen Gläsern Wein polnische Weisen erklingen. Fridolin Schell hätte das sicher nicht gerne gehört. Aber heute war es den Anwesenden egal, sollte den Parteifunktionär doch der Teufel holen.

Am nächsten Morgen wartete eine unangenehme Überraschung auf die Familie Geiger Barbara Gößwein, die als Postbotin ihren Dienst versah, brachte einen Brief vorbei, der schon rein äußerlich nichts Gutes verhieß. So war es dann auch. Der Brief kam von Armins Kompaniechef. Darin stand, dass Armin Geiger seit dem 31. Juli als vermisst galt. Hans, der den Brief entgegengenommen hatte, überlegte, ob er ihn nicht verheimlichen sollte. Dann nahm er sich zusammen. Es hätte ja noch schlimmer kommen können. Noch bestand ja Hoffnung, dass Armin vielleicht in Gefangenschaft geraten war. Er nahm seinen ganzen Mut zusammen und teilte Frau und Tochter die unangenehme Nachricht mit. Nicht ahnend was er bei Franzi damit auslöste.

Liebe fragt nicht

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