Читать книгу Liebe fragt nicht - Bernd Urlaub - Страница 7

Оглавление

Kapitel 2

Ortsgruppenleiter Fridolin Schell blätterte zum wiederholten Male in dem Erlass, der ihm von der Kreisleitung zugestellt worden war. Darin ging es wieder einmal um die Behandlung der Fremdarbeiter. Auch den Bürgermeistern war dieser Erlass zugesandt worden. ln einem Begleitschreiben wurden Beispiele aufgeführt, wo und wann Fremdarbeiter falsch und zu gut behandelt wurden. Auch eine Verfügung des Würzburger Landrats war beigelegt, worin ausgeführt war, dass Privatwohnungen soweit sie von ausländischen Landarbeitern belegt waren, sofort zu räumen seien. Denn die Unterbringung Evakuierter und Luft-kriegsgeschädigter, sprich Ausgebombter, ging natürlich vor.

Schell sah in Thüngersheim da einigen Handlungsbedarf. Etliche Winzer, behandelten ihre Fremdarbeiter beinahe schon, wie Familienangehörige. Nicht nur, dass die Arbeiter mit am Tisch aßen, nein einige bewohnten sogar ein Zimmer im Wohnhaus ihres Arbeitgebers. Auch hatte man sich meist einen lässigen Umgang angewöhnt. Der Ortsgruppenleiter war überzeugter Nationalsozialist, aber kein weltfremder Träumer. Er sah wohl, dass die Wehrmacht an allen Fronten auf dem Rückzug war. Aber noch war sein Vertrauen in den Führer und sein Genie hundertprozentig vorhanden. Ihm würde schon etwas einfallen, um die Fronten zu stabilisieren und den Feind zurückzuwerfen. Andererseits war Schell nicht dazu bereit, bei einer Niederlage des Deutschen Reiches bei den Verlierern zu sein. Es galt also vorsichtig zu sein und sich nach allen Seiten abzusichern. Aber jetzt musste er erst einmal dafür sorgen, dass die Anordnung der Kreisleitung und des Landratsamtes umgesetzt wurden. Aber ganz so problemlos würde das nicht vonstattengehen. Er konnte einen alten Parteigenossen, wie Hans Geiger nicht so ohne weiteres dazu bringen, seine Einstellung gegenüber seinen Arbeitern zu ändern. Zumal der immer vernünftige Argumente in der Hinterhand hatte. Außerdem wollte er es sich nicht mit ihm verderben, denn sein Weinvorrat bedurfte dringend einer Auffrischung. Sollte sich der Bürgermeister doch um die Angelegenheit kümmern. Ein bisschen Druck würde nachhelfen. Doch den würde es gar nicht brauchen.

Ludwig Schehl war sowieso Wachs in seinen Händen. Was sollte er auch tun. Der Gemeinderat konnte beschließen was er wollte, wenn der örtliche Hoheitsträger der Partei nicht zustimmte ging gar nichts.

Die Schachabende von Hans Geiger und seinem Freund Franz Lauk hatten Tradition. Beide waren Mitglieder des örtlichen Schachclubs. Obwohl Lauk fast zehn Jahre älter als Geiger war, waren sie sich im königlichen Spiel, ebenbürtig. Was der Ältere durch seine Erfahrung und seine analytischen Fähigkeiten voraushatte, glich Hans durch eine oftmals unorthodoxe Spielweise aus. Ihre Partien waren im Club legendär. Doch mit fortschreitender Kriegsdauer schwand die Zahl der aktiven Spieler immer mehr} so dass ein geordneter Vereinsbetrieb nicht mehr möglich war. Doch die beiden liebten ihren Sport und so traf man sich halt, soweit es ging, in regelmäßigen Abständen privat. Freilich stand dabei nicht immer das königliche Spiel im Vordergrund, sondern es kam die letzte Zeit des Öfteren vor, dass man sich über die allgemeine politische Lage und den Kriegsverlauf die Köpfe heiß redete. Zu diesen Unterhaltungen trug Franz Lauk Fakten bei, die er von den englischen und amerikanischen Kriegsgefangenen erfahren hatte und die nicht unbedingt für jedermanns Ohren bestimmt waren. Heute saß man im Weinkeller des Weingutes. Hier hatte Hans eine Probierecke eingerichtet, wo er seinen Kunden die Weine kosten ließ, die sie eventuell zu kaufen gedachten. Hier waren die beiden ungestört beim Spiel und konnten sicher sein, nicht belauscht zu werden. Was ist los mit dir?" Hans sah seinen Freund fragend an.

„Du bist heute ziemlich unkonzentriert. So kenne ich dich gar nicht. Wenn du nicht aufpasst, ist deine Dame futsch."

„Wegen meiner Dame musst du dir keine Gedanken machen. Die nimmt mir keiner weg."

„Bitte?" Hans verstand im ersten Moment die Doppeldeutigkeit der Worte nicht.

„Ach so, da hast du natürlich recht. Aber du bist heute wirklich nicht ganz bei der Sache."

„Mir geht ein Gespräch nicht aus dem Kopf, das ich letzte Woche mit dem anglikanischen Militärgeistlichen in Hammelburg geführt habe. Father Clark hat mir da einige Dinge gesagt, die ich erst einmal verdauen musste."

„Zum Beispiel?" Hans war gespannt.

„Nun, er hat mir unmissverständlich erklärt, dass, selbst wenn das Attentat und der Putsch gelungen wäre, das nichts an der Forderung der Alliierten geändert hätte, dass nur eine bedingungslose Kapitulation Deutschlands den Krieg beenden könne."

„Das würde ja wieder auf eine totale Demütigung des Deutschen Reiches hinauslaufen, so wie 1918. Du weißt, wie wir den Waffenstillstand und den Vertrag von Versailles verurteilt haben. Vor allen Dingen, dass Deutschland die alleinige Kriegsschuld aufgebürdet wurde, war eine schreiende Ungerechtigkeit. Dieser Versailler Vertrag hatte ja auch dafür gesorgt, dass Hitler einen so großen Zulauf hatte."

„Das stimmt, wenigstens zum Teil. Aber diesen Krieg hat nun einmal Deutschland angezettelt. Da gibt es keine Ausreden. Und was wir im Laufe dieses Krieges in den besetzten Gebieten, vor allen Dingen im Osten so alles angestellt haben, das kann man ja auch nicht in Abrede stellen. Nein, einen ehrenvollen Frieden können wir vergessen. So wie es aussieht werden noch weitere deutsche Städte in Schutt und Asche gebombt werden und Zigtausende Menschen sterben. Und es ist alles so gekommen, wie es dieser verrückter Hassardeur in seinem Buch geschrieben hat."

„Du hast "Mein Kampf" gelesen?"

„Von A-Z. Auch wenn es mir schwergefallen ist, die Hirngespinste und Monologe mir zu Gemüte zu führen."

„Aber hast du nicht auch den Nationalsozialisten deine Stimme gegeben Also ich muss gestehen, dass ich sie gewählt habe und in die Partei eingetreten bin, weil ich der Meinung war, dass nun ein frischer Wind durch Deutschland weht. Die anfänglichen Auswüchse würden sich schon mit der Zeit legen. Dachte ich. Und sei ehrlich, es ging ja auch wieder vorwärts. Die Arbeitslosenzahlen gingen zurück und die Olympischen Spiele 1936 hatten Deutschland doch wieder internationale Anerkennung gebracht."

„Da hast du recht. Doch ab 1938 zeigte das Regime immer mehr sein wahres Gesicht. Die Juden wurden immer mehr ausgegrenzt und verfolgt. Und der Überfall auf Polen war der Anfang vom Ende." Hans Geiger lächelte verstohlen. Jetzt waren sie beide wieder in eine hitzige Diskussion verstrickt. Vergessen war das Königliche Spiel. Im Grunde genommen war sie sich ja einig. Beide waren sie schon lange der Überzeugung, dass das Regime verbrecherisch und korrupt war. Dass man mit kaltem Zynismus Millionen Menschen opferte, um einer Idee des Rassen- und Größenwahns zum Sieg zu verhelfen.

„Aber ich muss auch gestehen, dass ich kurze Zeit der Meinung war, dass nach dem Sieg gegen Frankreich, Frieden einkehren könnte und dass die Engländer klein beigeben würden."

„Da kennst du die Engländer schlecht. Ich war ja lange genug in England, um ein bisschen zu verstehen, wie das Inselvolk denkt. Und das war der nächste große Fehler Hitlers, zu denken, dass er Franzosen und Engländer auseinanderdividieren kann. Und der Überfall auf die Sowjetunion war sowieso an Größenwahnsinn nicht zu überbieten. Ich sage die eines Hans, wenn die Franzosen und die Engländer 1939 nicht brav an der deutschen Grenze verharrt hätten und das Reich angegriffen hätten, wäre es vielleicht gar nicht so weit gekommen. Hitler hat am Anfang großes Glück gehabt, dass er sein Spiel so spielen konnte. Er ist bei weitem nicht der große Feldherr, als der er immer hingestellt wird. Und wie es scheint, ist sein Glück aufgebraucht. Ich sage dir noch etwas. Er ist ein Verrückter oder ein Verbrecher oder beides."

Hans schaute sich automatisch um, ob nicht doch irgendjemand in der Nähe war, der diese Worte vernahm. Denn das was sein Freund, da von sich gab, war Hochverrat.

„Du hast ja recht. Aber lass das ja niemanden hören. Sonst bis du schneller im KZ, als du denkst." „Keine Sorge ich pass schon auf. Und zum Helden tauge ich auch nicht unbedingt. Aber findest du nicht, dass hier im Keller eine verdammt trockene Luft ist?"

Hans hatte verstanden. Er holte eine frische Flasche und entkorkte sie. Nachdem er die Gläser gefüllt hatte, prosteten sich die beiden Freunde zu. Für einen Moment herrschte Schweigen zwischen den beiden.

Hans räusperte sich und dann stellte er die Frage, die ihn schon lange bewegte.

„Ehrlich Franz glaubst du noch an den Endsieg? Du bist ja durch deine Tätigkeit bedingt, näher am Militär als ich. Wie schätzen die Soldaten die Lage ein?"

„Um deine Frage zu beantworten, muss ich nicht lange nachdenken. Nein, ich glaube nicht mehr an den Endsieg. Auch die neuen „Wunderwaffen", von denen jetzt immer mehr die Rede ist, werden daran nichts ändern. Sie kommen zu spät. Was den zweiten Teil deiner Frage angeht. Niemand von den Offizieren, die ich kenne, lässt sich in die Karten sehen und äußert seine Meinung offen. Schon gar nicht gegenüber einem Feldwebel, wie ich einer bin. Diese Herren sind durch die Bank alles Ja-Sager und Opportunisten. Darauf bedacht, nicht aufzufallen und irgendwie durchzukommen. Es sei denn, es sind überzeugte Nazis. Die glauben allerdings noch an das militärische Genie des Führers und natürlich die jungen Leute, die hat man ja entsprechend erzogen.

„Und was können wir tun?" Ich fürchte, nicht viel. Vielleicht versuchen, einen letzten Funken Anstand zu bewahren. Aber selbst das ist wahrscheinlich noch zu gefährlich. Denn mit zunehmender Wahrscheinlichkeit einer Niederlage wird der Terror noch größer werden. Also kann jeder nur versuchen, sich selbst und seine Angehörigen vor dem Schlimmsten zu bewahren. Die wenigsten fühlen sich zu höheren Taten berufen." „Da sagst du was Wahres. Aber manchmal schäme ich mich dafür, dass man dasitzt, die Hände im Schoß und meint, nur weil man seine Arbeiter nicht wie den letzten Dreck behandelt, schon ein guter Mensch zu sein. Der Schehl war übrigens heute Morgen hier und hat ein neues Merkblatt vorbeigebracht. Darin steht, wie man seine Fremdarbeiter zu behandeln hat. Eigentlich hätte ich ihm den Wisch um die Ohren hauen sollen. Wo ist nur unsere Zivilcourage geblieben?"

„Die ist auf dem Misthaufen der Deutschen Geschichte gelandet. Aber Kopf hoch, mein Freund. Vielleicht brauchst du sie ja noch, deine Zivilcourage. Wenn die Zeit dafür reif ist. Was ist, spielen wir jetzt weiter?"

„Meinetwegen, wenn deine Konzentration jetzt wieder vorhanden ist und ich nicht den Eindruck haben muss, dass du mich gewinnen lässt."

Das Zimmer, das Rene Macron bewohnte, befand sich im gleichen Nebengebäude, in dem Birgit und Werner Schmadtke ihr Quartier hatten. Es blieb nicht aus, dass man sich gelegentlich über den Weg lief. Doch außer einigen belanglosen Worten hatte man sich nichts zu sagen. Bisher jedenfalls nicht. Denn Birgit hatte beschlossen, den jungen, charmanten Elsässer etwas näher kennen zu lernen. Wie nahe, darüber war sie sich noch nicht im Klaren. Aber das konnte sie auf sich zukommen lassen. Wichtig war nur, dass man im Zweifelsfall, Rene die Schuld geben konnte. Freilich, so langer Werner noch in unmittelbarer Nähe war, musste sie aufpassen. Außerdem wollte sie den Jungen nicht in Gewissenskonflikte bringen. Ihr Sohn war nun mal ein Idealist, der an den Führer glaubte. Aber er würde ja nicht ewig zu Hause bleiben. So, wie es sich abzeichnete würden er und seine Kameraden bald wieder ihre Ausbildung an der Flak aufnehmen oder gar abkommandiert werden. Was war nur aus ihr geworden? Wünschte sie sich jetzt schon, dass ihr Sohn sich in Gefahr begeben musste, nur dass seine Mutter eine Affäre beginnen konnte. Sie schalt sich eine Närrin. Werner würde so oder so abkommandiert oder eingezogen werden. Hatte sie nicht auch das Recht auf ein bisschen Zuneigung? Sie hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht, als das Objekt ihrer Begierde ihr im Flur entgegenkam. Eine leichte Röte überzog ihr Gesicht. Sie kramte die Reste ihres französischen Vokabulars aus dem Schulunterricht zusammen. Doch außer Bon Jour fiel ihr nichts ein.

„Bon Jour Monsieur Rene. Wie geht es ihnen?"

„Bon jour Madame. Gut geht es mir. Und darf ich fragen, wie es Ihnen geht.?" „Wie soll es einer einsamen Frau schon gehen, deren einzige Sorge es ist, dass ihr der Sohn erhalten bleibt nachdem sich der Vater nicht blicken lässt."

Birgit warf Rene einen Blick zu, der ihre ganze Verzweiflung zum Ausdruck bringen sollte. Rene war nicht so unerfahren, als dass er diesen Blick nicht einordnen konnte. Hier drohte Ungemach. Er versuchte sich so schnell wie möglich aus dem Staube zu machen.

„Verzeihung Madam. Es ist eine Freude mit ihnen zu plaudern. Leider wartet der Patron auf mich. Ich muss nur noch etwas aus meinem Zimmer holen und dann geht es schon wieder in die Weinberge. Vielleicht unterhalten wir uns ein andermal, wenn mehr Zeit vorhanden ist?"

Er nickte Birgit freundlich zu und verschwand in seinem Zimmer.

Dort atmete er erst einmal tief durch. Was war das jetzt? Machte ihm diese Frau etwa Avancen? Nur nicht in die Fänge einer unbefriedigten Frau geraten. Er war sich der Problematik durchaus bewusst. Nicht genug, dass es schwierig genug war, seine Gefühle für Franziska zu verbergen. Nein, in seiner Heimat wartete seine Verlobte Margot auf ihn. Verlobt im eigentlichen Sinn waren sie zwar noch nicht. Aber sie hatten einander versprochen, dass sie nach Beendigung des Krieges heiraten wollten. Anfangs hatte er ab und zu noch Briefe von Margot erhalten. Doch die letzten Monate war die Verbindung abgerissen. Vielleicht hatte sich seine Jugendfreundin längst mit einem anderen getröstet. Schließlich nahm sich in diesen Zeiten jeder das, was er kriegen konnte. Doch für ihn zählte nur das Eine: Nämlich gesund in sein geliebtes Elsass zurückzukehren. Das hatte oberste Priorität für ihn. Und so lange konnte das nicht mehr dauern. Ein halbes Jahr vielleicht; dann würden die Alliierten NaziDeutschland besiegt haben. Rene hoffte nur, dass seinem Patron und seiner Familie nichts geschehen mochte. Sie waren immer anständig zu ihm gewesen. Besonders Hans Geiger hatte ihn fast wie einen Sohn behandelt.

Liebe fragt nicht

Подняться наверх