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Kapitel 1

Führerhauptquartier, Wolfsschanze20. Juli 1944

Die Bombe detonierte mit einem gewaltigen Knall. Es herrschte Chaos in der Holzbaracke, in der die Lagebesprechung stattgefunden hatte. Verwundete riefen nach den Sanitätern. Alle in der Baracke versammelten Offiziere versuchten, ins Freie zu gelangen. Den Helfern, die sich alsbald einfanden, bot sich ein Bild der Verwüstung. Doch derjenige, dem das Attentat in erster Linie gegolten hatte, war wieder einmal mit einem sprichwörtlichen „blauen Auge” davongekommen.

Adolf Hitler, Führer des „Großdeutschen Reiches", größter Feldherr aller Zeiten, wie er von Goebbels tituliert wurde, war, abgesehen von einigen Prellungen und geplatzten Trommelfellen unverletzt. Doch für Oberst Claus Schenk von Stauffenberg war Hitler tot. Er hatte die Bombe neben dem Fuß des massiven Eichentisches in einer Aktentasche deponiert. Kurz darauf hatte er, unter dem Vorwand, ein Telefonat führen zu müssen, die Baracke verlassen. Überzeugt, dass sein Plan gelungen war, flog er mit seinem Adjutanten zurück nach Berlin, um Unternehmen „Walküre" zu starten. Doch der Putsch scheiterte. Noch in der Nacht wandte sich Hitler in einer Rundfunkansprache an die Bevölkerung.

„Deutsche Volksgenossen und Genossinnen Ich weiß nicht, zum wievielten Male nunmehr ein Attentat auf mich geplant und zur Ausführung gekommen ist. Wenn ich heute zu Ihnen spreche, dann geschieht es aus zwei Gründen:

1. Damit Sie meine Stimme hören und wissen, dass ich selbst unverletzt und gesund bin.

2. Damit sie aber auch das Nähere erfahren über ein Verbrechen, das in der deutschen Geschichte seinesgleichen sucht.

Eine ganz kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch - dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen und zugleich mit mir den Stab der Wehrmachtsführung auszurotten. Die Bombe, die von dem Obersten Graf von Stauffenberg gelegt wurde, krepierte zwei Metzr an meiner rechten Seite. Sie hat eine Reihe von mir teurer Mitarbeiter sehr schwer verletzt, einer ist gestorben. Ich selbst bin völlig unverletzt bis auf ganz kleine Hautabschürfungen, Prellungen oder Verbrennungen. Ich fasse das als eine Bestätigung des Auftrages der Vorsehung auf, mein Lebensziel weiter zu verfolgen, so wie ich es bisher getan habe. Getreu dem Auftrag, dass ich seit dem Tage, an dem ich die Wilhelmstraße eingezogen bin, nur einen Gedanken hatte, nach bestem Wissen und Gewissen, meine Pflicht zu erfüllen."

Franz Lauk schaltete den Volksempfänger aus. Er hatte genug gehört. Den Rest konnte er sich denken bzw. schenken. Die Chance, vielleicht eine ehrenvolle Kapitulation zu erreichen, war vertan. Der Krieg und der Terror würden weitergehen. Wahrscheinlich mit noch mehr Härte und Rücksichtslosigkeit als bisher. Abertausende würden ihr Leben lassen müssen.

Gestapo und SD würden mit deutscher Gründlichkeit mit den Verschwörern kurzen Prozess machen. Aber was konnte man tun? Versuchen zu überleben. Franz Lauk war alles andere als ein überzeugter Nationalsozialist. Vor dem ersten Weltkrieg war er in England, wo er als Kellner beschäftigt war. Als der Krieg begann, saß er in England fest und kam erst 1919 in die Heimat zurück. Zur Zeit war er im Kriegsgefangenenlager Hammelburg als Dolmetscher beschäftigt, da er die englische und französische Sprache recht gut beherrschte. Es blieb nicht aus, dass er mit englischen und neuerdings auch mit amerikanischen Offizieren Unterhaltungen führte, die sich außerhalb seines offiziellen Dienstauftrages bewegten. Aus diesen Gesprächen konnte er ersehen, dass die angloamerikanischen Offiziere hundertprozentig überzeugt waren, dass der Krieg für Hitlerdeutschland so gut wie verloren war und dass nur eine bedingungslose Kapitulation ihn beenden könne. Dem würde Hitler wohl nie zustimmen. Also würden das Morden und Sterben wohl bis zum bitteren Ende weiter gehen. Lauk hatte sich vorgenommen, sollte seine Heimatgemeinde in das Kampfgeschehen einbezogen werden, er alles in seiner Macht Stehende tun würde, damit Thüngersheim möglichst verschont bleiben sollte. Noch waren die Fronten relativ weit von den deutschen Grenzen entfernt. Aber bei dem schnellen Vormarschtempo der alliierten Truppen konnte sich das schnell ändern. Einig war sich Lauk mit seiner Einstellung mit seinem Freund, dem Weingutsbesitzer Hans Geiger. Der hasste die Nazis aus ganzem Herzen, obwohl er Parteimitglied war. Er war der Einzige, dem er vorbehaltlos vertraute. Ansonsten musste man sehr vorsichtig mit seinen Äußerungen sein. Denn Denunziantentum war allgegenwärtig und machten es Gestapo und SD leicht, Gegner des Regimes zu eliminieren. Nun, morgen bei ihrem wöchentlichen Schachabend, würde er sich mit Hans austauschen. Er löschte das Licht und ging zu Bett. Seine Frau hatte von alledem nichts mitbekommen und schlief bereits. Er selbst konnte lange keinen Schlaf finden. Mit seiner Einschätzung, dass das Regime hart und rücksichtslos zurückschlagen würde, sollte er recht behalten. Noch in der Nacht vom 20. zum 21.Juli wurden General Olbricht, Oberst Mertz von Quirnheim, Oberleutnant Werner von Haeften und Oberst Claus Schenk von Stauffenberg im Hof des Bendlerblocks standrechtlich erschossen. Stauffenberg starb mit dem Ruf „Es lebe das heilige Deutschland." Es sollten noch viele Prozesse und Hinrichtungen folgen.

Franziska Geiger, von ihren Freunden nur Franzi genannt sang aus voller Brust den Text des Schlagers mit, der aus dem Radio ertönte. Es klang aber auch zu verlockende was Zarah Leander mit ihrer erotischen Stimme von sich gab.

„Davon geht die Welt nicht unter, sieht man sie manchmal auch grau. Einmal wird sie wieder bunter, einmal wird sie wieder himmelblauer Geht's mal drüber, geht's mal drunter, wenn uns der Schädel auch raucht. Davon geht die Welt nicht unter, sie wird ja noch gebraucht."

Franziska vergaß für einen Moment, dass Deutschland sich im fünften Kriegsjahr befand. Sie vergaß, dass heute zum wiederholten Male der Unterricht ausgefallen war und sie vergaß beinahe das Bügeleisen, dass sie auf der Bluse ihrer Mutter abgestellt hatte. Gerade noch rechtzeitig nahm sie es herunter. Franziska besuchte das Röntgengymnasium in Würzburg und wenn alles glatt lief, dann würde sie im nächsten Jahr ihr Abitur machen. Doch wer konnte schon sagen, was noch alles kam. Im Moment sah es schlecht aus für das Deutsche Reich. Immer näher an die Reichsgrenzen rückten die Fronten. Heute hatte man die Schüler nach der ersten Stunde nach Hause geschickt. Es fehlte an Lehrern, so dass ein geordneter Schulbetrieb schon lange nicht mehr möglich war. Die Jungs wurden zu Flakhelfern ausgebildet und fehlten teilweise längere Zeit im Unterricht oder wurden in Unterkünften nah der Flakstellungen unterrichtet. Wenn alle Stricke reißen würden, schickte man sie, versehen mit dem Notabitur nach Hause, damit sie noch rechtzeitig zum Sterben an die Front kamen.

Nachdem Franzi schon am Vormittag wieder zu Hause war, hatte sie ihre Mutter gleich für die Hausarbeit vereinnahmt. Bügeln war nicht gerade ihre Lieblingsbeschäftigung. Viel lieber würde sie mit ihrem Vater und den Fremdarbeitern im Weinberg mithelfen. Vor allen Dingen schon deswegen, weil sie dann mit Rene Macron zusammen sein konnte. Der charmante und selbstbewusste Elsässer hatte es ihr angetan. Rene war 1940 bei Dünkirchen in deutsche Gefangenschaft geraten. Um dem Aufenthalt in einem Kriegsgefangenenlager zu entgehen, hatte er sich verpflichtet, in Deutschland zu arbeiten. Nun, er hatte es nicht schlecht getroffen, denn Hans Geiger behandelte seine Arbeiter so, wie er auch Landsleute behandelt hätte. Seine Leute aßen mit der Familie am Tisch, was Hans Geiger öfter Ermahnungen des Ortsgruppenleiters Schell einbrachte. Aber Geiger war selbst Parteimitglied und da Schell einen guten Tropfen nicht verschmähte, beließ er es bei den mündlichen Ermahnungen. Man nahm es auf dem Lande sowieso nicht so genau, was die Behandlung der Fremdarbeiter anging. ln den Städten sah das allerdings etwas anders aus. Die Arbeiter, die in den Fabriken beschäftigt waren, hatten ein hartes Los. Franziskas Mutter kam aus der Küche, um den Tisch zu decken. Die Männer mussten jeden Augenblick heimkommen und erwarteten, dass das Essen auf dem Tisch stand. „Bist du nicht bald fertig, Franziska? Du trödelst heute aber herum. Du träumst wohl wieder von deinem Fähnrich. Der kommt nicht mehr. Glaub mir. Entweder hat er dich längst vergessen. Oder er ist tot, verwundet oder in Gefangenschaft."

Emma wusste von der Affäre ihrer Tochter. Für sie, der streng katholisch erzogenen Frau, galt immer noch, wenn man sich einmal mit einem Mann eingelassen hatte, dass man dan so gut wie verlobt war. Aber in diesen heutigen Zeiten war das alles ganz anders. Einerseits konnte sie mit der lockeren sexuellen Einstellung der Nazis nichts anfangen. Andererseits konnte sie aber schon verstehen, dass die Männer, die Fronturlaub hatten und nicht verheiratet waren, sich nahmen was sie bekamen. Aber ihrer Tochter hätte sie gerne diese Erfahrung erspart.

„Mama, das ist lange vorbei. Ich wünsche mir nur, dass er den Krieg überlebt und heil nach Hause kommt." „Liebst du ihn denn nicht mehr?"

„Nein, ich liebe ihn nicht mehr. Vielleicht habe ich ihn nie geliebt. Er sah halt so verdammt gut aus und hatte ein so vereinnahmendes Wesen."

Ganz glaubte Franzi ihren eigenen Worten nicht. Es hatte ihr schon sehr weh getan, als Bernhard nach zwei Wochen wieder an die Front musste. Aber noch mehr weh hatte es ihr getan, dass sie nie mehr etwas von ihm hörte. Doch die Zeit heilt bekanntlich Wunden. Sie hatte allerdings auch keine Lust, das Thema zu wiederholtem Mal mit ihrer Mutter durchzukauen. Bernhard Krämer kam in ihrem Gefühlsleben nicht mehr vor. Schließlich reichte es, dass sie ihm ihre Unschuld geopfert hatte, wenngleich es nun auch wieder nicht ein so großes Opfer gewesen war.

Ihre Gedanken wurden abgelenkt, denn ihr Vater betrat mit den drei Fremdarbeitern das Haus. Franziska gab sich große Mühe zu verbergen, wie sehr sie sich freute, Rene zu sehen. Nachdem man Platz genommen und ein kurzes Tischgebet gesprochen hatte, widmete man sich dem einfachen, aber schmackhaften Mittagessen.

Birgit Schmadtke starrte missmutig auf den Teller mit den Kartoffeln und der Scheibe roten Presssack. Nicht, dass es ihr nicht geschmeckt hätte. Sie aß gerne deftig. Außerdem konnte man in diesen Zeiten nicht unbedingt wählerisch sein. Wobei man auf dem Land, den Gürtel nicht gar so eng schnallen musste. Irgendwo gab es immer noch Reserven, von denen Block- und Zellenwarte nichts wussten oder wissen wollten. Besonders dann, wenn für sie auch etwas abfiel. Noch schien es so, als würden die Deutschen noch voll hinter dem Regime stehen. Zumindest waren die Lippenbekenntnisse zur Partei allgegenwärtig. Noch größer war die Angst, in die Fänge der Gestapo zu gelangen. Denn man konnte niemandem trauen. Denunziationen waren allgegenwärtig. Aber allmählich kamen viele Menschen zu der Erkenntnis, dass es Zeit wurde, an sich selbst zu denken. Birgit war da keine Ausnahme. Sie nahm, was sie kriegen konnte, um sich selbst und ihrem Sohn Werner das Leben etwas erträglicher zu machen. Sie war froh, dass sie heil aus Dortmund herausgekommen waren. Dass es so schnell gegangen war, hatte sie ihrem Mann zu verdanken, der Ingenieur war und zurzeit in Peenemünde an einem äußerst geheimen Unternehmen mitarbeitete. Birgit wusste nur so viel, dass es sich wohl um die Entwicklung der in letzter Zeit so oft gepriesenen Wunderwaffen handelte, die trotz der Überlegenheit der Alliierten doch noch für den Endsieg sorgen sollten. Gustav hatte ihr einen Brief geschrieben, worin stand, dass er die nächsten Monate sie nicht besuchen könne. Die Arbeit an dem Projekt hätte größte Priorität. Das mochte stimmen. Aber Birgit wusste auch, dass ihr Mann kein Kind von Traurigkeit war und die Vorteile, die ihm seine exponierte Stellung bot, entsprechend nutzte. Er war ein notorischer Fremdgänger und ihre Ehe bestand ohnehin nur noch auf dem Papier. Damit hatte sie sich abgefunden. Ihr Mann hatte ihr auch geschrieben, dass sie von seiner Seite aus, alle Freiheiten habe und sie in erster Linie dafür sorgen möge, dass sie und Werner heil die Zeit bis zum Endsieg überstehen würden. Das Wort Endsieg hatte er zweimal unterstrichen, was so viel hieß, dass auch er nicht mehr daran glaubte, dass Deutschland den Krieg noch gewinnen könnte.

Sorge bereitete Birgit die Einstellung ihres Sohnes. Der war durchdrungen vom Glauben an den Führer und dessen Genie. Für ihn gab es keine Alternative und sein größter Wunsch war es, nach Erreichten des Abiturs Offizier in der Wehrmacht oder der Waffen- SS zu werden. Um dieses Ziel zu erreichen, wollte er sich so schnell wie möglich freiwillig melden. Birgit hatte ihren Mann gebeten, seinen Einfluss geltend zu machen, dass Werner eventuell uk. gestellt werden würde. Doch Gustav hatte ihr unmissverständlich mitgeteilt, dass seine Beziehungen nicht so weitreichend seien und in diesen Zeiten jeder einen Teil dazu beitragen müsse, damit Deutschland noch siegen würde. Das war zwar ebenfalls ironisch gemeint. Er konnte mitunter ein großer Zyniker sein. Aber Birgit wusste auch, dass ihr Mann, obwohl er ein Karrieremensch durch und durch war, für seinen einzigen Sohn alles getan hätte.

Birgit seufzte. Sie dachte daran, was für Pläne sie am Anfang ihrer Beziehung geschmiedet hatten. Der Krieg hatte alles durcheinander gebracht. Was war nur aus ihrem Mann geworden? Sie kam sich mit der Zeit nur noch betrogen und ausgenutzt vor. Sie sehnte sich nach Liebe und Zärtlichkeit. Aber sie war keine von den Frauen, die sich in amouröse Abenteuer stürzte. Rene Macron kam ihr in den Sinn. Bei ihm könnte sie vielleicht schwach werden. Der Franzose hatte Charme und Stil. Aber es war zu gefährlich, sich mit einem Fremdarbeiter einzulassen. Auch Ortsgruppenleiter Schell hatte ihr schon öfter Komplimente gemacht, die mehr als zweideutig waren. Aber sie mochte den aufgeblasenen Wichtigtuer nicht und ein Verhältnis mit einem Parteibonzen war undenkbar für Birgit. Sie zwang sich dazu, ihr Mittagessen hinunterzuschlingen. Da ging die Türe auf und Werner stürmte herein. Er warf den Rucksack aufs Sofa und umarmte seine Mutter stürmisch.

„Werner, was machst du denn hier? Ich denke man bringt euch das Schießen mit der schweren Flak bei."

Ihr Sohn wurde zurzeit als Flakhelfer ausgebildet. „Wir haben eine Woche Urlaub bekommen. Irgendetwas ist im Gange. Was, dass bekommen wir noch mitgeteilt. Wahrscheinlich ein Einsatz, möglicherweise in Schweinfurt."

Die Industriestadt war nun schon monatelang das Ziel der englischen und amerikanischen Bomber. Dementsprechend massiert, war um Schweinfurt herum die Flugabwehr aufgebaut. Was zur Folge hatte, dass die Verluste der Flaksoldaten und Flakhelfer sehr hoch waren.

Birgit versuchte, nicht zu sehr darüber nachzudenken, was für ein Einsatz das sein könnte. Im Moment zählte der Augenblick.

„Hast du Hunger? Ich kann dir Kartoffeln warm machen."

„Nein, danke. Ich habe in der Kaserne gegessen. Sei mir nicht böse, aber ich möchte Franzi rasch noch guten Tag sagen. Dauert nicht lange, dann bin ich wieder bei dir."

Ist gut. Birgit lächelte ihre Enttäuschung weg. Die hübsche Winzertochter hatte ihrem Sohn so den Kopf verdreht, dass er gar nicht merkte, wie die ihn gekonnt auf Distanz hielt. Aber irgendwann würde er schon merken, dass seine Gefühle nicht so erwidert wurden, wie er sich das wünschte.

Als Werner das Hauptgebäude erreichte, kamen ihm die beiden Polen entgegen, die nach Einnahme des Mittagsmahls in ihre Quartiere in der großen Scheune des Anwesens gingen. lm Esszimmer saßen nur noch Emma und Hans Geiger, sowie Franziska und Rene an dem großen Eichentisch. Der Franzose genoss eine Sonderstellung und war für Hans Geiger fast so wie ein Sohn, zumal er auch einiges vom Weinbau verstand. Werner fand es zwar merkwürdig, schließlich gab es ein offizielles Merkblatt, in dem genau definiert war,wie mit Zwangsarbeitern umzugehen war. Es wäre ihm aber nie in den Sinn gekommen, deswegen den Vater seiner Freundin Vorhaltungen zu machen oder gar ihn anzuzeigen. Er hatte außerdem gemerkt, dass man auf dem Lande manches nicht ganz so eng sah.

Er begrüßte den Hausherrn und seine Frau höflich, nickte Rene knapp zu und umarmte Franzi stürmisch. Die ließ es sich gefallen, denn sie freute sich aufrichtig, dass ihr Freund wieder zu Hause war. Sie mochte ich ja auch ganz gerne, nur Liebe empfand sie für ihn nicht.

„Werner, was machst du denn hier?"

„Eine Woche Urlaub. Frag mich aber nicht nach dem Grund. Ich wollte mich nur kurz bei dir melden und dich fragen, ob du heute am späten Nachmittag Zeit für mich hast für einen Spaziergang. Ich brauche deinen Rat."

„Natürlich hat sie Zeit!"

Emma Geiger hatte nichts gegen die Freundschaft der beiden. So lange alles im Rahmen blieb.

„Gut dann hol ich dich um fünf Uhr ab. Dann ist es auch nicht mehr so gefährlich wegen der Tiefflieger."

„Die werden sowieso bald keine große Gefahr mehr sein. Wenn Monsieur Werner sie bald mit der Flak vom Himmel holt." Rene konnte nicht widerstehen, Werner aufzuziehen.

Dieser verzichtete darauf, ihm zu antworten. Er hielt es für unter seiner Würde einem ehemaligen Soldaten einer Nation zu antworten, die 1940 innerhalb weniger Wochen von der Wehrmacht vernichtend geschlagen worden war.

„Also, dann bis um fünf!"

Er ging ins Nebengebäude zurück, wo seine Mutter sehnsüchtig auf ihn wartete. Manchmal übertrieb sie es schon mit ihrer Fürsorge. Schließlich war er kein kleiner Junge mehr. Nächsten Monat wurde er achtzehn. Und dann würde er seinen Plan umsetzen und sich freiwillig melden.

„Meinst du nicht, dass du mit deinem Sarkasmus etwas zurückhaltender sein solltest?"

Hans Geiger hatte normalerweise nichts dagegen, wenn sein Franzose, wie er ihn gerne nannte, sich mit ihm Wortgefechte lieferte. Es war vor allen Dingen angenehm, dass Rene sehr gut deutsch sprach, da er als gebürtiger Elsässer zweisprachig aufgewachsen war. Überhaupt mochte er den Franzosen sehr gerne und von seiner Seite hätte er nichts dagegen gehabt, wenn sich zwischen Franziska und Rene eine Beziehung angebahnt hätte. Aber die Zeiten waren nun einmal nicht für so etwas geschaffen. Und bei solchen Idealisten, wie Werner einer war, wusste man nie so recht wie man dran war.

„Für Werner lege ich meine Hand ins Feuer. Der würde niemanden verraten, der mir nahesteht."

Ein leichtes Rot überzog Franziskas Gesicht. War sie jetzt zu offenherzig gewesen, mit dem was sie gesagt hatte. Doch ihre Eltern schienen sich nicht an ihrer Wortwahl zu stören. Nur Rene hatte einen Moment gestutzt, hatte sich aber wieder schnell im Griff.

„Manch einer hat sich schon die Finger verbrannt. Sei also vorsichtig, mit dem was du sagst. Und vor allen Dingen, zu wem du es sagst."

Hans wusste, dass seine Tochter sehr impulsiv sein konnte. Das hatte sie von ihm.

„Das sagt der Richtige"

Um Emmas Lippen spielte ein amüsantes Lächeln. Doch manchmal war ihr gar nicht zum Lachen zu Mute, wenn ihr Mann sich über das Regime lustig machte.

„Ach Mutter, du machst dir unnötige Sorgen. Ich habe zwar manchmal ein loses Mundwerk, aber zum Helden tauge ich nicht. Ich passe schon auf, zu wem ich was sage."

Werner erschien pünktlich um fünf, um Franzi abzuholen. Sie liefen Richtung Main und überquerten den Bahnübergang unterhalb des Bahnhofes. Ab und zu warfen sie einen besorgten Blick zum Himmel, dass kein alliierter Jagdbomber überraschend auftauchte und sie unter Beschuss nahm. Der Himmel über Deutschland gehörte den Briten und Amerikanern. Von der einst so stolzen Luftwaffe war nicht mehr viel zu sehen. Es war eine Schande. Immer mehr deutsche Städte versanken in Schutt und Asche. Wie durch ein Wunder war Würzburg bisher von größeren Angriffen verschont geblieben. Lediglich am 21.Februar 1942 gab es einen Angriff nahe des Südbahnhofes. Doch die vier Bomben richteten keinen nennenswerten Schaden an. Heute allerdings hatte es die Stadt härter getroffen. Ein Verband von acht 817-Bombern war versehentlich abgedreht und hatte seine tödliche Last über das Stadtgebiet zwischen Löwenbrücke, Leisten- und Nikolausstraße abgeworfen. Möglicherweise hatte der Verband Schweinfurt im Visier gehabt und hatte sich verflogen. Jedenfalls gab es Tote und Verletzte. Werner hatte die Nachricht mitgebracht.

Die beiden jungen Leute erreichten den Fluss und gingen zu ihrer Lieblingsstelle, einer kleinen Halbinsel, die Main und Altwasser voneinander trennte. Dort nahmen sie auf zwei großen Steinen Platz und schwiegen erst einmal.

Franziska unterbrach das Schweigen. „Was wolltest du mir sagen, Werner?"

Werner druckste einen Moment herum, doch dann sprudelte es nur so aus ihm heraus.

„Ich wollte dich fragen, ob du mich sehr vermissen wirst, wenn ich weggehe?"

Franzi überlegte einen Moment, was sie sagen sollte.

Dann begriff sie, worauf die Frage von Werner hinauslief.

„Du willst dich also wirklich freiwillig melden? Sag mal, warum lässt du es nicht auf dich zukommen. Eingezogen wirst du doch sowieso und momentan bist du bei der Flak doch gut aufgehoben…

„Flakhelfer, das sind doch keine richtigen Soldaten."

Es lag eine Spur von Verachtung in den Worten, wie Werner sie aussprach.

„Aber ungefährlich ist euer Einsatz auch nicht."

„Ach was, ich will Offizier werden und Verantwortung übernehmen. Ich will einen richtigen und wichtigen Beitrag zum Endsieg leisten."

Oh je, jetzt war man bei einem Thema, das Franzi am liebsten vermieden hätte. Jedes Mal, wenn sie darüber sprachen, endete es im Streit.

„Sag mal Werner, glaubst du wirklich noch an einen Sieg Deutschlands. Die Fakten sehen doch ganz anders aus. Du musst doch nur die Karte ansehen, wie weit die Alliierten schon vorgedrungen sind. Wer soll sie aufhalten. Glaub mir, Hitler ist am Ende."

„Ist dir klar, dass das was, du da sagst, Hochverrat ist. Wenn ich dich nicht so gerne hätte, müsste ich dich melden. Mit solchen Reden untergräbst du den Glauben an den Führer und an sein Werk. Hat er nicht auf so wunderbare Art und Weise dieses Attentat überlebt. Das kann kein Zufall sein. Die Vorsehung hat ihn dazu bestimmt, Deutschland zur alten Größe zu führen."

„Da muss er sich aber beeilen, dein Führer. Sonst ist es zu spät. Sag mal bist du blind. Jetzt, wo die Amerikaner und Briten und ihre Verbündeten eine zweite Front in Frankreich errichtet haben?" „Ach was, Rommel treibt sie schon wieder ins Meer zurück. Der Führer hat schon die passende Antwort parat. Wir haben auf jeden Fall die besseren Soldaten. Die Amis können doch nur siegen, weil sie mit ihrer Luftwaffe alles zusammen bomben. Das ist doch kein fairer Kampf."

„Seit wann ist Krieg fair? Und davon abgesehen, die Amis haben wenigstens eine Luftwaffe. Unseren Adlern haben sie ja gehörig die Flügel gestutzt."

Langsam wurde Werner wütend. Er hatte sich das Zusammensein mit Franzi ganz anders vorgestellt. Im Grunde genommen wusste er auch, dass seine Freundin in manchen Dingen recht hatte. Aber er wollte sich seinen Idealismus nicht kaputt machen lassen. Schließlich hatte man ihn und seine Kameraden so erzogen, dass die arische Rasse die beste sei, allen anderen überlegen. Dass das deutsche Volk dazu ausersehen sei, die Weltherrschaft anzutreten. Wie konnte es sein, dass Amerikaner und Engländer und sogar die Untermenschen aus Russland nun plötzlich die Sieger sein sollten.

„Ich sag dir was, Franzi! Bald werden die neuen Waffen, die Wunderwaffen in großer Zahl zum Einsatz kommen. Mein Vater arbeitet an einem solchen geheimen Projekt mit. Und dann werden wir unsere Feinde dahin zurückjagen, wo sie hergekommen sind. Ins Meer und in in die unendlichen Steppen Russlands. Wir dürfen diesen Krieg nicht verlieren."

„Da hast du recht!" Franziska lächelte spöttisch „Wir dürfen diesen Krieg tatsächlich nicht verlieren. denn unsere Gegner werden uns zur Rechenschaft ziehen, für das, was wir anderen Völkern angetan haben. Sie werden uns zur Rechenschaft ziehen für die Verbrechen an den Juden und all den anderen."

Werner schwieg einen Moment. Er fühlte sich immer mehr in die Enge getrieben.

„Aber Franzi, die Juden sind die Feinde der Menschheit. Überall haben sie ihre Finger im Spiel und sind darauf aus, ehrliche Menschen um ihr Hab und Gut zu bringen. Es war höchste Zeit, dass der Führer den Kampf gegen das internationale Finanzjudentun aufgenommen hat."

„Ich will dir was sagen, Werner. Ich war zufällig Zeuge, wie man vor einem Jahr Hunderte von Juden zum Bahnhof getrieben hat, wo sie die Fahrt in ihre Vernichtung angetreten haben. Da waren hochgeachtete Bürger dabei, die sogar ihr Leben für Deutschland im ersten Weltkrieg eingesetzt haben."

„Mag ja sein, dass Einzelne von ihnen in Ordnung waren. Aber warum streiten wir uns über Dinge, die längst entschieden sind. Gib mir lieber einen Kuss, wer weiß wie oft wir uns noch sehen können. Es wird gemunkelt, dass wir übernächste Woche nach Schweinfurt abkommandiert werden. Die Luftangriffe werden immer intensiver."

Werner wollte Franzi umarmen und küssen. Doch sie schob ihn von sich weg. Ihr war die Lust vergangen, Zärtlichkeiten auszutauschen.

„Ich mag dich nicht küssen. Jetzt, wo du dein Leben ganz für deinen geliebten Führer einsetzen kannst, solltest du dich auch ganz darauf konzentrieren. Weißt du was? Mir reicht's. Sie stand auf und lief davon. Es war ihr egal, ob Werner nachkam oder nicht.

Liebe fragt nicht

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