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4.Rechtswidrigkeit

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318a) Rechtfertigungsgründe. Greift bereits ein allgemeiner Rechtfertigungsgrund ein, so erübrigt sich die Verwerflichkeitsprüfung nach Abs. 2, da ein von der Rechtsordnung erlaubtes Verhalten nicht als verwerflich qualifiziert werden kann637.

319b) Verwerflichkeitsklausel des Abs. 2. Diese begrenzt die Strafbarkeit des (zu) weit gefassten Nötigungstatbestands, um Handlungen, die nicht strafwürdig sind, von der Pönalisierung auszunehmen und den Freiheitsbereich des Handelnden nicht zu sehr zu beschränken. Dogmatisch wird dieses Korrektiv überwiegend auf Rechtswidrigkeitsebene geprüft638. Die Rechtswidrigkeit ergibt sich demnach nicht bereits aus dem Fehlen von Rechtfertigungsgründen. Sie wird nicht einmal bei Anwendung von Gewalt vom Tatbestand „indiziert“639. Vielmehr muss sie positiv durch ein Verwerflichkeitsurteil festgestellt werden. Dabei ist nicht zu verkennen, dass die Verwerflichkeitsklausel ihrerseits recht unscharf gefasst ist.

320aa) Unter Verwerflichkeit ist im Wege einer Gesamtabwägung ein erhöhter Grad sozialethischer Missbilligung zu verstehen, der ein gesteigertes Unwerturteil voraussetzt640. Über die Verwerflichkeit der Tat entscheidet dabei die sog. Mittel-Zweck-Relation, d. h. das Verhältnis zwischen eingesetztem Mittel und angestrebten Zweck641. Über den Nötigungserfolg i. e. S. („Nahziel“) hinaus verfolgte Zwecke („Fernziele“) sind dabei aber nach h. M. nicht im Rahmen der Verwerflichkeitsprüfung, sondern erst bei der Strafzumessung zu berücksichtigen, da § 240 Abs. 2 nur auf das abgenötigte Verhalten Bezug nimmt642.

321bb) Die Verwerflichkeit ist bereits zu bejahen, wenn sowohl das Mittel als auch der Zweck jeweils für sich genommen als verwerflich einzustufen sind.

Bsp.: T zwingt den O durch Bedrohung mit einer Pistole zur Begehung einer Straftat. – Hier ist sowohl das eingesetzte Nötigungsmittel (Drohung mit Waffeneinsatz) als auch der erstrebte Zweck (Begehung einer Straftat) als negativ zu qualifizieren.

322cc) Ebenso kann aber auch bereits die Verwerflichkeit des Mittels oder des Zwecks für sich genommen zur Verwerflichkeit führen. Als Grundregel gilt, dass die Verwerflichkeit der Tat desto eher anzunehmen ist, je intensiver und gravierender das Nötigungsmittel ist und je negativer der Nötigungszweck zu beurteilen ist.

Bsp.: T droht den O zu erschießen (verwerfliches Mittel), falls dieser nicht endlich seine Schulden bezahle (rechtlich gebilligter Zweck). – T macht sich nach § 240 strafbar, weil das Mittel per se verwerflich ist und die Grenzen erlaubter Selbsthilfe überschritten sind643; T hätte ggf. den Rechtsweg beschreiten müssen. Entsprechendes gilt in Fällen, in denen der Vermieter nach ordnungsgemäßer Kündigung den in der Wohnung verbleibenden Mieter mit Gewalt oder Drohung zum Auszug bewegt.

323Aufgrund der Gefährlichkeit des Nötigungsmittels ist die Verwerflichkeit bei Verhaltensweisen im Straßenverkehr zu bejahen, wenn zur Erzwingung des Überholvorgangs – abhängig von der Geschwindigkeit – auf ein anderes Fahrzeug aufgefahren wird644 oder der Hintermann scharf ausgebremst wird. Zu einer konkreten Gefährdung des anderen muss es hierbei nicht kommen645. Die Verwerflichkeit wird jedenfalls dann zu bejahen sein, wenn zugleich die Straftatbestände der §§ 315b, 315c erfüllt sind. Andererseits begründet nicht jede vorsätzliche Verkehrsordnungswidrigkeit per se die Verwerflichkeit646. Aus dem missbilligenswerten Zweck kann sich die Verwerflichkeit insbesondere dann ergeben, wenn ein anderer Verkehrsteilnehmer aus verkehrserzieherischen Gründen und insofern schikanös ausgebremst wird647.

324dd) Umgekehrt ist die Verwerflichkeit grundsätzlich zu verneinen, wenn Mittel und Zweck positiv zu bewerten sind. Allerdings kann sich die Verwerflichkeit in diesen Fällen auch aus einem Missverhältnis von Mittel und Zweck ergeben, wenn deren Verknüpfung mangels inneren Zusammenhangs als verwerflich einzustufen ist (Inkonnexität)648.

Bspe.: T kündigt an, Strafanzeige gegen O wegen einer Trunkenheitsfahrt zu stellen (rechtlich gebilligtes Mittel), wenn O ihm nicht endlich den Kaufpreis für den veräußerten DVD-Player zahle (rechtlich gebilligter Zweck). – Die Verwerflichkeit folgt hier erst aus der Verknüpfung von Mittel und Zweck, weil zwischen beiden keinerlei Zusammenhang besteht. Keine Inkonnexität wäre hingegen anzunehmen, wenn T nach einem Diebstahl eine Strafanzeige ankündigt, falls O nicht dem Herausgabeanspruch hinsichtlich der Diebesbeute nachkomme.

325ee) Speziell für die vieldiskutierten Blockadefälle sind folgende Kriterien in die Gesamtabwägung einzustellen649: Sachbezug der Blockierer zum Protestgegenstand und ihre Nahziele; Umstände der Blockade wie vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, Zahl der Demonstranten, Dringlichkeit der behinderten Tätigkeiten sowie Dauer und Intensität der Blockaden. Fernziele – wie Abrüstung, Friedenssicherung, Umweltschutz usw. – sollen nach wohl h. M. nicht berücksichtigt werden und lediglich Eingang in die Strafzumessung finden650. Dafür spricht, dass das strafrechtliche Urteil von politischen Zielen und persönlicher Einschätzung frei gehalten werden kann651. Andererseits ist nicht zu verkennen, dass sich zuverlässige Grenzen kaum ziehen lassen und die Wertungen lediglich in die Strafzumessung verschoben werden. Auch das BVerfG postuliert eine umfassende Abwägung unter Berücksichtigung des Gewichts des jeweiligen Anliegens und der Ernsthaftigkeit der Motive des Blockierers652. Lediglich der Zugang zur Wertung, ob das verfolgte Ziel wertvoll oder zu missbilligen ist (etwa Bewertung der Kernkraft als positiv oder negativ), soll demnach verschlossen sein.

Strafrecht Besonderer Teil

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