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2.0. Malerei und Bildhauerei am Übergang vom 19. ins 20. Jahrhundert

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VIII.9.0.ff.

VIII.9.2.1.f.

Die Moderne in der Kunst begann, wie im letzten Abschnitt ausführlich dargestellt, in der Mitte des 19. Jh.s. In der Malerei zeigte sich der Wechsel als Reflexion über das Arsenal an Illusionsinstrumenten der Kunst und sie brach mit den überkommenen Konventionen in Th emenstellung, Malweise und Mal-Ort; plein air statt Atelier. Der Realismus provozierte durch die neuen Bildsujets der Alltags- und Arbeitswelt, der Impressionismus thematisierte mit transzendentalphilosophischem Zungenschlag Perspektive, Farbe und Form und versuchte, statt des Illusionismus Lichtspiel und innere Stimmung in das Bild zu bannen.

moderne Bildhauerei

Schneckenburger Manfred in Walther 1998, 407/412

Die Frage nach dem Anheben der modernen Bildhauerei beantworten die meisten Kunsthistorikerinnen mit den Namen Auguste Rodin und Aristide Maillol und zeichnen damit das »doppeltorige Propylon« in die Moderne: Rodin, der extrovertiert in den Raum hineinarbeitete, und Maillol, der introvertiert den Körper auf die eigene Tektonik verschränkte. »Von hier gabelt der Weg sich auf der einen Seite zur Analyse, zum Raumkristall, auf der anderen Seite zum geschlossenen, materialdichten Block.« Wie der zweimalige documenta-Leiter Manfred Schneckenburger allerdings gleich nachschiebt, war Maillol mit seiner Verdichtung des Körpers zu festem Volumen, Schwere und Ruhe als Gegenpol Rodins doch »eher der letzte bedeutende Meister in der Tradition des Klassischen« als ein Neubeginn der Moderne.

X.2.2.

Trier Eduard in Argan 1977, 289

Rodin hat zudem – vergleichbar mit den Impressionisten – die akademische Naturnachahmung zugunsten der Emotionen der Seele abgelöst. Es ist dies geradezu ein Übergang von der Kunst als Mimesis zur Kunst als Expression. Der häufig angestellte Vergleich zwischen Rodin und den Impressionisten funktioniert nur oberflächlich, denn Rodin verwirft ebensowenig alle Instrumente der Illusion wie die Erbschaft der Romantik. Sein Anknüpfen an die Tradition der Figurendarstellung macht es Eduard Trier möglich, Rodins Torsi, die im Umschreiten ihren künstlerischen Eigenwert entfalteten, mit den unvollendeten Skulpturen Michelangelos zu vergleichen: »Während Michelangelos unvollendete Figuren tragische ›Zeugnisse seines Ringens um Sichtbarmachung von Ideen‹ (H. von Einem, 1973) sind, ist die Fragmentierung bei Rodin, der vom Teil her arbeitete und das Bildwerk aus den Teilen zusammensetzte, ein bewußter Gestaltungsakt, der auf die Behauptung, auch der unvollendeten Figur als vollständiger Plastik hinzielt.«

Ebd., 291

Zweifellos zeigt das Werk Rodins eine offensichtliche Verschiebung in der bildhauerischen Einstellung. Fungierte in der klassischen Bildhauerei noch die aristotelische Vorgabe einer Idee (Form), welche der Künstler (als causa efficiens/Wirkursache) im Material verwirklicht, richtet sich jetzt – umgekehrt – der Künstler am Material aus. Dieser Paradigmenwechsel traf nicht nur die Bildhauerei, sondern auch die Architektur, die ihre Form mit dem Material abzugleichen strebte. Henry van de Velde ordnete den Künstler dem Material unter und formulierte damit gleichsam eine Gegenthese zu Aristoteles. Auch zahlreiche Maler schufen bildhauerische Arbeiten, nicht selten aus Holz, einem Material, das das Stigma der Volkskunst und des Kunstgewerbes an sich trug. Ähnlich reizvoll wurden objets trouvés, die neben dem Material Vergangenheit, Lokalkolorit und Zufälligkeit in sich trugen. Damit ließ sich die ganze Welt in den künstlerischen Diskurs einbinden: »iberische Plastik bei Picasso, assyrische bei Epstein, frühgriechische bei Maillol, gotische bei Minne und Lehmbruck, rumänische Volkskunst bei Brancusi – ein imaginäres Museum der Weltkunst […].«

5.2.

Die offensichtlichste Neujustierung der Skulptur, die letztlich in die Gegenwart führte, begann mit dem Zerbrechen der menschlichen Figur im Kubismus. Daneben experimentierte man mit Objekt, Zeichen oder Ready-Made. Ab den Sechzigerjahren kam es zu einem weiteren Schritt in einer schnellen und dynamischen Entwicklung. Alles, ob Fettkugeln, Wolken, ein Stück Land, eine Aktion, ein Video-Clip oder – wie Joseph Beuys formulierte – auch ein Gedanke, konnte eine Plastik sein. Bald wurde die Plastik als Denken verstanden, wie, was zu einem radikal neuen und offenen Paradigma führte, das die Grenzen der Genres Malerei und Skulptur vollends durchlässig werden ließ. Die Idee des Kunstwerks lag jetzt nicht mehr im Werk, sondern in einem Willensakt.

Schneckenburger Manfred in Walther 1998, 419

Statt von Skulptur spricht man jetzt besser von Plastik oder Objekt, plastischer Kunst oder Objektkunst, denn Skulptur konnotiert eher noch eine anthropomorphe oder zumindest gegenständliche Form. »Plastik kann nun eine Konstruktion aus Eisen, Glas, Gips, Karton, Draht oder eine abstrakte Geste sein. Sie öffnet sich, zunächst in der Theorie, für neue Medien wie Licht, Bewegung, Klang, Elektrizität. Sie erweitert ihren Begriff […] derart, daß ein industriell produzierter Flaschentrockner mit einem Mal die Geschichte der Plastik neu orientiert.« Gleichzeitig mit dem Zerbrechen der Form fiel auch die Bedeutung. Von den kubistischen Objekten ausgehend – das Stillleben findet nun nicht mehr nur in der Malerei, sondern auch in der Bildhauerei statt – spurten Duchamp und die Dadaisten auch in dieser Hinsicht einen Weg in eine neue Definition der Skulptur.

Kamper 1989, 184

4.3.

von der Moderne zur Avantgarde

Die Moderne spitzte sich im Übergang in das 20. Jh. zur Avantgarde zu und faltete sich in mehrfacher Weise auf. Dietmar Kamper konstruierte daraus ein Dreieck: »Die Avantgardebewegungen der modernen Kunst vollziehen sich […] auf einem Feld [ab], das […] als Dreieck von ›Expression‹, ›Abstraktion‹ und ›Ready-made‹« beschrieben werden kann. Das ist eine Beschreibung, welche die Avantgarde um drei bedeutende Orientierungspunkte positioniert. Allerdings spricht Kamper formale Orientierungen an, die nichts über die Eigenart der Avantgarde aussagen. Ging es in der Moderne des 19. Jh.s primär um die Ablösung von der alten Ästhetik, rüstete sich die Avantgarde mit Zukunftsprojekten und Gesellschaftsutopien aus. Sie stellte sich – so könnte man das sehen – in ein Spannungsfeld von Moderne und Postmoderne.

Partsch 2002, 42

Der Weg von der anhebenden Moderne zur Avantgarde lief vom Impressionismus zum Expressionismus, an den sich Experimente des Kubismus, Surrealismus, Futurismus anschlossen. Der Berliner Kunsthändler Paul Cassirer reklamierte mit Blick auf die Bilder Edvard Munchs für sich, Namensgeber des Expressionismus zu sein, was die Kunsthistorikerinnen allerdings nicht überzeugt. Jedenfalls wurde der Begriff 1911 von Wilhelm Worringer benützt. Mit dem Expressionismus vollzog sich die deutlichste Wende gegen das Naturvorbild und der endgültige Bruch mit der Perspektive. Führten die Strömungen der Avantgarde die bildende Kunst auf verschiedenen Wegen an den Rand der Figuration, löste die Idee des Ready-Made in der Kunst und in der Kunstphilosophie eine nachhaltige Diskussion um Kunst und Werkbegriff aus.

2.1.3.

2.2.10.

Sosehr sich also das von Kamper angebotene »Dreieck« eignet, den kunstgeschichtlichen Eintritt in die Avantgarde des 20. Jh.s zu beschreiben, bleiben wichtige philosophische Themenfelder zu berücksichtigen. Die in den Kontexten angesprochene Sympathie vieler Künstler und Architekten der Moderne für Krieg und totalitäre Ideologien verlangt nach einem genauen Blick auf die philosophische Ambivalenz der Moderne. Ein Kennzeichen der Avantgardeströmungen ist zudem ihr »offenes Ende« in die Gegenwartskunst. Das wiederum hat mehrere Facetten, weil wir dabei endgültig den europäischen Rahmen von Kunst und Architektur überschreiten. War um die Jahrhundertwende die Avantgarde noch ein europäisches Phänomen, übernahm im Laufe des Jahrhunderts, vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg, die internationale Szene die Funktion des Taktgebers, zuerst die USA. Kleinere Präsentationen, etwa jene des Fotografen Alfred Stieglitz in seiner Galerie 291 in der Fifth Avenue, und einige herausragende Überblicksausstellungen am Beginn des Jahrhunderts erschlossen Amerika die europäische Kunst. 1913 lud man in New York in der Halle des 69. Regiments der Nationalgarde (69th Regiment Armory) zu einer legendär gewordenen Ausstellung (Armory Show), die in Teilen nach Chicago und Boston wanderte. Es wurden über 1200 Werke, Bilder und Skulpturen der europäischen (über 400 Kunstwerke aus nahezu allen Kunstströmungen der Zeit wurden dazu über den Atlantik verschifft) und amerikanischen Avantgarde gezeigt. Diese erste große Konfrontation mit der europäischen Kunst der Moderne war für das amerikanische Publikum durchaus gewöhnungsbedürftig. Manche Werke, wie Marcel Duchamps Akt, eine Treppe herabsteigend Nr. 2 (1912), lösten einen mittleren Skandal aus. Bei den amerikanischen Künstlern hinterließ die Schau hingegen einen tiefen Eindruck und wirkte wie ein Erweckungserlebnis. Es sollte nicht mehr lange dauern, bis nach dem Zweiten Weltkrieg Amerika und im Besonderen New York die Führungsrolle der internationalen Kunstentwicklung übernahm.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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