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2.2. Eine Geographie der »Ismen« der ersten Jahrhunderthälfte

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Am Beginn des Jahrhunderts gab es viel künstlerischen Austausch kreuz und quer durch Europa und darüber hinaus. Die meisten Kunstrichtungen waren ausdrücklich auf Internationalität angelegt, was im Umkehrschluss bedeutete, dass Nationalismus im Intellektuellenmilieu buchstäblich wenig Bodenhaftung fand. Eine wichtige Drehscheibe des Kunstgeschehens war Paris, aber es gab viele andere kreative Achsen, etwa jene zwischen Deutschland und Russland, verkörpert durch Kandinsky, Marianne von Werfekin, Jawlensky und andere.

1.2.

Der Erste Weltkrieg zerstörte dieses internationale Geflecht, durch die nachhaltige Zerstörung Europas ohnehin und durch die plötzlich aufkeimende nationalistische Xenophobie, die »ausländische« Künstler zum Verlassen der jeweiligen Länder zwang oder – schlimmer noch –, dass sie gar selbst in einem schwer nachvollziehbaren nationalistischen Überschwang in den Krieg zogen. Die knappe Zwischenkriegszeit reichte kaum für eine Konsolidierung der Verhältnisse und der Zweite Weltkrieg war jene Zäsur, die als Folge des in Trümmern liegenden Europa endgültig die Internationalisierung von Kunst und Architektur brachte. Spätestens mit dieser Zäsur hat sich das alleinige Rekurrieren von Kunst und Architektur auf Europa erledigt.

Bürger 1974, 24

Wenn nun von »Ismen« in der Kunstgeschichte des 20. Jh.s die Rede ist, darf nicht aus den Augen verloren werden, dass es sich dabei nicht um geschlossene Schulgebäude handelt, diese Bewegungen haben »die Möglichkeit eines epochalen Stils liquidiert, indem sie die Verfügbarkeit über die Kunstmittel vergangener Epochen zum Prinzip erhoben haben.« Aber immerhin geht es um häufig in Manifesten und Programmschriften festgezurrte identifizierbare Richtungen, in die man künstlerische Positionen einzuordnen versucht, was in den seltensten Fällen eindeutig gelingt. Denn die Künstler flanierten quer durch diese »Ismen«. Pablo Picasso war ein führender Kubist, aber in seinen Malereien und Objekt-Assemblagen findet man surrealistische Aspekte ebenso wie Anklänge an Dada. Bei den russischen Konstruktivisten gibt es auch Kubisten und Futuristen. Viele der Strömungen der ersten Jahrhunderthälfte erreichten eine große Publizität: Expressionismus, Kubismus, Konstruktivismus. Es gab innerhalb der größeren identifizierbaren Strömungen die Tendenz von Künstlerinnen zur Schulbildung und nicht wenige Bezeichnungen von Schulen und Vereinigungen, welche sich neben den Einrichtungen des 19. Jh.s, den Sezessionen, gründeten oder diese ablösten, stammen von den Künstlern selbst und nicht von nachfolgenden Kunsthistorikerinnen, die eher versuchen, solche Schulen in übergeordnete Strömungen einzuordnen.

Ruhrberg Karl in Walther 1998, 48

Neben den geradezu standardisierten »Ismen« ist die Zahl von Künstlervereinigungen und Gruppen kaum überschaubar, wobei viele Künstler auch verschiedenen Gruppen angehörten und zu verschiedenen Strömungen gezählt werden. Marcel Duchamp hat einen »Ismus« alle fünfzehn Jahre ausgemacht. Das scheint deutlich untertrieben und wenn man die Gruppenbildungen, aus denen kein ausdrücklicher »Ismus« erwachsen ist, mit berücksichtigt, dann ohnehin. Es wurden Programmschriften verfasst und exklusive Ausstellungen organisiert. Die verschiedenen Programmatiken eint über weite Strecken eine offensive kritische Ablehnung der hergebrachten konservativen Kunstinstitutionen der Akademien, Hochschulen und Museen. »Der Protest gegen die Akademie steht am Anfang der Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts.« Denn die Vereinigungen erhoben den Anspruch, als Avantgarde aufzutreten. An die Stelle der Professoren traten der freie Künstler oder – aufgerüstet mit dem im letzten Kapitel angesprochenen visionären Gestus – der Prophet und Kunstmönch, aber auch der Konstruktivist und Rationalist. Es stand meist die Ambition im Vordergrund, die Kluft zwischen Kunst und Leben zu überwinden. Dazu bedurfte es neuer Formen in der Kunst: Performance, Happening, Assemblage, wie sie unter dem Dach von Surrealismus, Dada, Bauhaus, Futurismus zelebriert und in der zweiten Jahrhunderthälfte intensiviert wurden.

Meist ließ sich die Programmatik solcher Schulen auf alle drei in dieser Untersuchung interessierenden Genres anwenden, die Grenzen zwischen Malerei, Bildhauerei und teilweise auch Architektur verwischten. In den folgenden Kapiteln wird versucht, über die größte Vielfalt künstlerischer Bewegungen und Stilformen, die je ein Jahrhundert hervorgebracht hat, einen zumindest groben Überblick zu geben, zunächst für die erste Hälfte und ab Kapitel 5.0. für die zweite Hälfte des Jahrhunderts.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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