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3.1. Kontexte
ОглавлениеDas Paläolithikum wird definiert durch das Auftreten erster geschlagener Steinwerkzeuge, die sich in Afrika bis zu zweieinhalb Millionen Jahre zurückverfolgen lassen. Sie dauerte bis zum Beginn des Neolithikums um 10.000. Wie erwähnt gibt es aus dem Mittelpaläolithikum zahlreiche Waffen- und Werkzeugfunde, zudem sind Bestattungen belegt, die wenigstens einen reflektierenden Umgang mit Leben und Tod nahe legen.
Kühn 1929, 216
Müller-Karpe 1966, 190
Leitner 2015, 105
Inzwischen setzt sich in der Wissenschaft, angeregt durch aktuelles archäologisches Material, eher die Auffassung eines kontinuierlichen Überganges von der Altin die Jungsteinzeit durch, während man bisher geradezu von einer jungpaläolithischen Revolution ausging. Noch 1929 konnte Herbert Kühn schreiben: »Das Altpaläolithikum […] ist ohne Kunst […] es ist nicht zu erwarten, daß man aus diesen Epochen jemals Kunstwerke finden wird.« Hermann Müller-Karpe, der einer Anerkennung von bewusst aufgelesenen oder nachbearbeiteten Formsteinen als Kunst skeptisch gegenüberstand, schloss ebenfalls aus, dass es vor dem Jungpaläolithikum »eine Kunst im Vollsinn des Wortes« gab. Nur bei einer solch strengen Auffassung von Kunst kann man sie ausschließlich dem Homo sapiens zuschreiben. Erst mit der Ankunft des Homo sapiens in Europa sei die Kunst explosionsartig aufgetreten: »It all started when he arrived. There were no preliminary signs, no primitive beginnings. Art arrived like a deus ex machina – an intellectual explosion without precedent […].«
2.0.
Kuckenburg 2001, 185
Heute sieht man das in aller Regel anders, insbesondere weil, wie oben bereits angesprochen, um diesen »Vollsinn des Wortes« diskutiert wird. Wann kann etwas als Kunst gelten? Dies hat sich erheblich verschoben, sodass heute eher angemessen zu formulieren wäre: »Die entscheidende Weichenstellung für die Entwicklung des Menschen zum ›Kulturwesen‹ erfolgte mit anderen Worten nicht erst vor 40.000 Jahren beim frühmodernen Homo sapiens, wie dies oft behauptet wird, sondern bereits vor mehr als 400.000 Jahren beim Homo erectus […].«
Abseits dieser Uneinigkeit über den Beginn der Kunst (was an der Definition dessen liegt, was als Kunst gilt) ist unbestritten, dass Technik und Kunst im Jungpaläolithikum mit einem innovativen Schub einen ersten Höhepunkt erreichten. Für das Jungpaläolithikum (welches das Mittelpaläolithikum von ca. 200.000 bis 40.000, genauer, dessen letzte Phase, das Moustérien ab ca. 120.000 ablöste) hat sich deshalb eine weitere Unterteilung eingebürgert, die Archäologen an der Kunstentwicklung festmachen: Dem Aurignacien (40.000–28.000) mit einer neuen Herstellungstechnik von Steinklingen, Pfeil und Bogen, erster Kleinkunst und ersten Felsbildern, folgt das Gravettien (28.000–22.000) mit dem Beginn von Kleinplastiken und Venusfiguren, das Solutréen (22.000–18.000) und das Magdalénien (18.000–12.000) mit der Mehrzahl der bebilderten Höhlen.
paläolithische Kunst
In dieser Periode der Menschheitsgeschichte vollzogen sich nicht nur technische und soziale Umwälzungen, sondern es ist eine bemerkenswerte Zeit künstlerischer Entwicklung, in der sich vermutlich Weltbilder und Religionen widerspiegeln, die ebenfalls zu dieser Zeit entstanden sind. Es ist legitim, von einer Kunst des Paläolithikums zu sprechen, ja diese Zeit ist – angesichts der Akzeleration menschlicher Kulturen vielleicht nicht überraschend – die längste Kunstperiode der Menschheitsgeschichte. Die paläolithische Kunst im engeren Sinn (die Zeit des Jungpaläolithikums umfassend) dauerte etwa 30.000 Jahre und umfasste das gesamte Europa. Auffallend ist dabei die Vergleichbarkeit von Sujets, sowohl die mobile als auch die Parietalkunst (Felsmalerei) betreffend. Vielleicht kann man von einer über einige Jahrtausende intakten kulturellen Erinnerung sprechen, die in der Kunst ihr materielles Medium der Speicherung fand. »Spätestens im Jungpaläolithikum […] können wir an den Lagerplätzen der Eiszeitjäger und in ihren Höhlenheiligtümern die Existenz differenzierter, im Ergebnis mnemotechnischer (Bild-)Systeme erkennen.«
8 Steinabschläge, Silex und Quarz; MPC
Schmidt Klaus 2006, 205
Die unübersehbare Veränderung der Kultur ging Hand in Hand mit Veränderungen der äußeren Verhältnisse an der Schwelle um 30.000. Nach dem Ende der großen Vereisung im Würm, der letzten Eiszeit im Alpenraum (115.000–10.000), begann der bis heute andauernde Klimazyklus. Es zogen Jäger und Sammler, die weder gezähmte Tiere noch Metalle kannten, durch das eisfreie Europa und schufen die frühesten Tiermalereien und plastische Skulpturen vom Venustyp.
Die Steinzeit dauerte (bei lokalen Unterschieden) etwa bis gegen 10.000 oder etwas später. Dieses Ende ist in Europa durch einen weiteren Wärmeschub und den Rückzug des Rentiers nach Norden gekennzeichnet. Diese äußeren Umstände markierten die Zeitenwende vom Paläolithikum zum Neolithikum und von der Kultur der Jäger und Sammler zur Kultur der Ackerbauern und Viehzüchter. Mit dieser Zeitenwende ging ein Verfall des künstlerischen Niveaus einher. Es scheint, dass der frühe Ackerbauer und Viehzüchter weniger Zeit für die Kunst erübrigen konnte als der Jäger.
Nunn 2012, 50
»Drei Arbeitsstunden täglich reichen einem Jäger und Sammler, um seine Familie zu ernähren. Der Bauer hingegen muss ununterbrochen arbeiten und kämpft gegen zahlreiche Unwägbarkeiten.«
Auffallend an der großen Zeit der eiszeitlichen Kunst ist die Konzentration der Funde sowohl von mobiler Kunst als auch der ausgeschmückten Höhlen (Parietalkunst) auf Europa. Diese Aufsehen erregenden Entdeckungen begannen in der zweiten Hälfte des 19. Jh.s. Im Vordergrund des Interesses stand damals die ältere mobile Kunst. Als die ersten prächtig bemalten Höhlen entdeckt wurden, war die Überraschung so groß, dass man anfangs ihre Echtheit bezweifelte. 1879 wurde das Juwel der franko-kantabrischen Höhlenkunst, die Höhle von Altamira, entdeckt, aber erst nach der Jahrhundertwende in ihrer Bedeutung gewürdigt.
Jeder Überblick einschlägiger Funde eiszeitlicher Kunst steht vor dem Problem, dass wir bei den archäologischen Befunden auf jene Artefakte angewiesen sind, die aus dauerhaftem Material wie Knochen, Elfenbein und Stein bestehen und sich deshalb bis heute erhalten haben. Es ist aber davon auszugehen, dass der Großteil der Kunst aus Holz, Tierhäuten, Federn, Stoffen für Kleidung (die ab dem Gravettien passgenau war) bestand, wiewohl davon nur wenige Spuren auf uns gekommen sind. Noch schwieriger zu gewinnen sind Hinweise auf Musik, Körperbemalung, rituelle Gebärden, Spiele, Tänze, wie sie in rezenten »primitiven« Kulturen beobachtet werden können. Die Fundlage ist in ständiger Bewegung. Hinweise auf die Kunstobjekte des Paläolithikums sind daher immer vorläufig und exemplarisch.
Müller-Karpe 1966, 139
Aus der Zeit des europäischen Homo sapiens ist uns eine große Zahl von Steinwerkzeugen überliefert. Wir wissen, dass er Hütten und Zelte baute, Lederhäute vernähte und Schmuck aus Tierzähnen, Knochen und Muscheln anfertigte. Er dürfte ein geschickter Handwerker gewesen sein. Häuser, »bei denen Dach und Wand selbständige tektonische Elemente sind«, dürfte es erst ab dem Jungpaläolithikum gegeben haben.
mobile Kunst
Die mobile bildende Kunst ist – wie oben bereits gesagt – grundsätzlich älter als die Parietalkunst. Sie reicht (bei vereinzelten noch älteren Fundstücken) in das Aurignacien zurück. Wichtigste Themen waren Tiere, dabei weniger Raubtiere als vielmehr Pferd, Bison, Mammut, Hirsch, Rentier, Steinbock, Vögel und Fische. Pflanzen und abstrakte Zeichen sind eher selten. Im frankokantabrischen Bereich tauchen erste Menschendarstellungen auf.
Die ältesten – zugleich besonders reizvollen – Artefakte stammen nach heutiger Fundlage aus der Schwäbischen Alb. Es handelt sich um Skulpturen mit etlichen Tierdarstellungen (darunter ein eindrucksvoller Mammut und ein besonders reizvoller Vogel im Flug!) aus der Vogelherdhöhle, der sogenannte Löwenmensch aus der Hohlenstein-Stadel-Höhle, beides im Lonetal in der östlichen Schwäbischen Alb, und die aus Mammut-Elfenbein geschnitzte, etwa 40.000 Jahre alte Venus vom Hohlefels. Zudem wurden an diesen Fundorten alte Flöten (aus Geierknochen und Elfenbein) entdeckt, die auf eine pentatonische Tonfolge gestimmt sind. Man kann also auf eine frühe Musik- und (schamanistische?) Tanzpraxis schließen. Am reichhaltigen archäologischen Fundplatz Gönnersdorf in Rheinland-Pfalz ließen sich Venusdarstellungen auf einer Schieferplatte auch als Tänzerinnen identifizieren. Flöten, Ratschen und Schwirrhölzer mit einem ähnlichen Alter tauchten auch in Frankreich auf. Bildende Kunst, Musik, Bestattungsriten – angesichts eines solchen Befundes kann man auf die Existenz von entwickelten Kult-Erzählungen schließen.
Kühn 1929, 216
Neben realistische Tierdarstellungen traten abstrakte Zeichen, häufig in Form von Ornamentik. Am Beginn des 20. Jh.s glaubten viele Forscher mit ihrem durch die ägyptische und griechische Kunst geschulten Blick, dass die früheste Kunst geometrisch sein müsse. Das musste bald korrigiert werden: »Die älteste Kunst, die wir auf der Erde kennen, ist keineswegs geometrisch, sondern naturalistisch.«
Die Vollplastik entwickelte sich wohl – wie erwähnt – aus den Figursteinen oder den Contours découpés, Knochenstücken, die bereits Silhouetten von Tieren und Tierköpfen haben und durch Schleifen und Ritzen weiter bearbeitet wurden. Die Plastiken wurden aus Ton, Lehm, Kalk- und Speckstein, Elfenbein, Knochen und aus Geweihstücken gefertigt.
Venusfiguren
Hauptsächlich aus dem Gravettien kennt man die über ganz Europa verbreiteten Venusfigurinen, über deren Bedeutung es eine ausgedehnte Diskussion gibt. Der Ausdruck wurde 1864 vom Marquis Paul de Vibraye beim ersten Fund einer solchen paläolithischen Figur geprägt (vénus impudique/unzüchtige Venus), deren Nacktheit er poetisch (oder erschreckt?) umschreiben wollte. Heute bevorzugt man in der Wissenschaft den Ausdruck Frauenstatuette, der sich jedoch im üblichen Sprachgebrauch nicht durchgesetzt hat.
9 Venus vom Hohlefels
Hansen 2000/2001, 93
Marshack 1972, 81ff
Varagnac André in Grimal 1963, I, 29
Vielleicht ist angesichts des uferlosen Schwalls von Erklärungsversuchen die alte und vordergründigste Th ese von einer dargestellten magisch-religiösen Macht weiblicher Sakralität nicht die unplausibelste Erklärung, auch wenn es anscheinend einen Wettbewerb unter den Archäologen und Historikern gibt, diese Th ese abzulösen und der Vorschlag im Raum steht, »sich vom Fruchtbarkeitsparadigma zu lösen, um neue Perspektiven für die Interpretation der Figuralplastik entwickeln zu können.« Schon Jahrtausende vor der Neolithischen Revolution waren Wachstums- und Mondphasen bekannt. Es ist eine naheliegende Überlegung, dass in Zeiten, wo das Überleben des Menschen noch mit einem mühsamen Kampf verbunden war, die freigiebig schenkende Fruchtbarkeit idealisiert und numinos überhöht wurde.
Der moderne Mensch durchquerte, aus Afrika kommend, das Donautal und auf seinem Weg sind unzählige Fundstücke liegen geblieben, unter ihnen zwei besonders exquisite: Am Stratzinger Galgenberg bei Krems fand man eine Tänzerinnenfigur aus grünem Serpentin. Die Fanny vom Galgenberg genannte Figur gilt zusammen mit der Venus vom Hohlefels als älteste Venusfigur weltweit. Sie ist 10.000 Jahre älter als die 1908 im nahe gelegenen Willendorf gefundene Venus. Das Alter dieser aus Oolith-Kalkstein (Mähren) geschnittenen Venus von Willendorf mit ihren Resten einer Rötelbemalung wird (inzwischen) auf 30.000 Jahre geschätzt und sie zählt wegen ihres Detailreichtums zu den besonders kostbaren Stücken aus dieser Zeit.
Die Figuren waren aus Stein (Venus von Willendorf), Elfenbein (Venus vom Hohlefels), Zahn (Venus von Lespugue) oder aus Ton (Venus von Dolní Vestonice von etwa 30.000) gefertigt. Letztere stellt eine der ältesten Keramikarbeiten dar. Die Keramik erlebte zwar erst im Neolithikum ihre große Zeit als gebrannte Gebrauchskeramik, ihre Anfänge reichen jedoch in die Altsteinzeit.
10 Venus von Willendorf (ca. 20.000a); NHM
Die zwischen wenigen und 22,5 Zentimeter (Venus von Savignano, die bislang größte Figur) messenden überwiegend weiblichen Figuren zeichnen sich durch ähnliche Kennzeichen aus: übertrieben betonte Geschlechtsmerkmale, breite Hüft en, dicke Oberschenkel und meist nur angedeutete oder überhaupt fehlende Beine, Arme und Gesicht. Es handelt sich um eine stereotypische Kunst. Angesichts der generellen und bekannten Einförmigkeit darf der Hinweis nicht fehlen, dass es auch dünne und bekleidete Frauenfiguren gibt.
Höckmann 2000/2001, v.a. 84
Mellink/Filip 1974, 80
Wie gesagt, gehen die Deutungen weit auseinander. Neben der üblichen Leseart, hier sei Fruchtbarkeit, Naturzyklus und Weiblichkeit stereotypisch dargestellt, gibt es Vorschläge, die Skulpturen als Ahnen- oder Ritualfiguren zu deuten. Dabei stützt man sich auf Funde von zerbrochenen Figuren, die auf ein mögliches rituelles Geschehen hindeuten, beispielsweise die Verwendung als Substitute für Menschenopfer. Ob sie auch »Bestandteile des Mutterkults, des Urkults des europäischen Menschen«, waren, ist umstritten. Der Innsbrucker Altorientalist Karl Oberhuber machte den Vorschlag, die (meist weiblichen) Figurinen als Manifestationen unpersönlicher Mächte zu sehen: »Diese Figurinen sind vielmehr als Manifestationen der unpersönlich vorgestellten ›Macht‹ zu verstehen, als ›magicamenta‹, um ›Macht‹ zu binden. Der Prozeß der Individuation der Gesellschaft, der zum Begriff Person und Person-Eigenem (Eigentum) führt, findet seinen Reflex in der Aufspaltung der unpersönlich vorgestellten numinosen Macht, […] in orts- und wirksamkeitsgebundene Numina und in der Ausprägung dieser Lokalnumina zu personhaft vorgestellten anthropomorphen Gottheiten mit für sie charakteristischem Wirkunsgbereich (Ressort).«
Oberhuber 1972, 120f
Hoernes 1925, 168f
Abwegig dürften Deutungen sein wie jene des Wiener Prähistorikers Moritz Hoernes, die in diesen Statuetten rein erotische Darstellungen sehen wollte. Eine solche These ist schon deshalb wenig überzeugend, weil Vorstellungen des Erotischen keine historische Konstante darstellen. Einigermaßen abenteuerlich sind auch die kosmologischen Deutungen, welche die Frauen als Ansammlung von Sphäroiden, also komischen Symbolen, sehen wollen. Die ausgeprägten Vulven wurden dabei als Symbole des Universums und des gebärenden Schoßes interpretiert.
Bailey 2005
Ähnliche Projektionen betreiben Theorien, die (inspiriert von Michel Foucault) Parallelen zur neueren Geschichte der Kunst (bis hin zum Dadaismus) ziehen und auf analoge Verfremdungen von Körpern in den Darstellungen hinweisen.
Parietalkunst
Jacobs/Roberts 2013
Leroi-Gourhan 1965, 47f; Leitner 2016
Besonders faszinierend ist die Parietalkunst des Paläolithikums. Tausende von Fundstellen sind inzwischen erforscht. Gravuren oder Malereien erfolgten auf Felsen im Freiland, auf Abris (Felsüberhänge) und in Höhlen. Geometrische Ritzmuster sowie Ocker-Malreste in der Blombos-Höhle an der Südspitze Afrikas gelten als älteste Kunstwerke der Parietalkunst. Sie reichen 100.000 Jahre zurück. Die Farbe Rot ist häufig und es legt sich (im Vergleich mit dem Rot des Blutes) eine kultische Bedeutung nahe, zumal sie vor allem bei Grabfunden dominiert und Tote regelrecht in einem »Ockerbett« beigesetzt wurden.
Die Höhlenkunst, inzwischen an mehreren hundert Höhlen dokumentiert, ist zweifellos der Höhepunkt der paläolithischen Kunst. Als älteste gilt die 1903 entdeckte, 40.000 Jahre alte, mit Malereien reich versehene Cueva de El Castillo im spanischen Kantabrien am Golf von Biscaya. Sie gründet die nordspanische und südfranzösische franko-kantabrische (früher auch als hispano-aquitanisch bezeichnete) Höhlenkunst mit über einhundert Fundstellen in Spanien und Portugal und etwa einhundertfünfzig in Frankreich. Als die Höhlen mit den schönsten Kunstwerken gelten Altamira, Chauvet, Font-de-Gaume, Lascaux, Les Combarelles, Niaux und Trois Frères. Die Elogen auf das, was in diesem Zentrum der eiszeitlichen Höhlenmalerei ans Tageslicht trat, sind entsprechend. André Glory nannte die (erst 1940 entdeckte) etwa 18.000 Jahre alte Höhle von Lascaux das »Versailles der Prähistorie« und Henri Breuil bezeichnete die große Halle von Altamira (etwa 14.000 Jahre), den sogenannten »Bildersaal«, als »Sixtinische Kapelle der Urgeschichte«. An dieser Stelle darf der berühmte, Picasso zugeschriebene Satz nicht fehlen: »Nach Altamira ist alles Dekadenz!«
Die künstlerische Eroberung der Höhle begann vom oberen Graviettien bis ins Solutréen, zuerst im Tagbereich. Später, mit dem Höhepunkt der Höhlenkunst im Magdalénien, erfolgte das Eindringen in den mühsam mit Fettlicht und Holzspan beleuchteten dunklen Teil. Im fortgeschrittenen Zustand eroberten die Künstler sogar die dritte Dimension durch Ausnützung der natürlichen Topologie des Felsens. Vielleicht wurden die Felsen und Höhlen sogar nach den beabsichtigten Malereien ausgewählt. Sie wären dann sozusagen als Malgrund zu verstehen. Der große Pionier der Forschung an den prähistorischen Höhlen, Henri Breuil, unterschied zwei Stile in der paläolithischen Höhlenkunst. Sie dokumentieren seiner Meinung nach – grob gesprochen – eine Entwicklung von einfacheren, statischen und eher monochromen Entwürfen hin zu dynamischen und polychrom-malerischen Darstellungen. Dieses Schema erwies sich allerdings nicht als generell anwendbar. André Leroi-Gourhan machte demgegenüber die Unterschiede in den Stilen an einer geographischen Differenzierung fest, welche die zeitliche überlagert.
11 Wisentdarstellung in der Höhle von Altamira
Bosinski 2009, 38ff
Motive der Höhlenkunst waren die teilweise bereits aus der mobilen Kunst bekannten Tierfiguren. Meist sind die Tiere in Seitenansicht dargestellt, Details mit großer Meisterschaft herausgearbeitet oder aber nur schematisch angedeutet. Manchmal drängt sich der Eindruck auf, es hätte einen Mustervorrat gegeben, der immer wieder zur Anwendung kam.
Die Größe der Malereien reicht von einigen Zentimetern bis zu Monumentalgemälden wie die Urrinder in der Höhle von Lascaux, die mehr als fünf Meter messen. Da die Höhlen gewöhnlich über einen langen Zeitraum benützt wurden, veränderte sich die Gestaltung immer wieder, sodass sich verschiedene Stile unterscheiden lassen. In Lascaux wurden an manchen Stellen mehr als ein Dutzend Übermalungsschichten festgestellt.
Technisch war die Gestaltung der Höhlen ein aufwendiges Unterfangen. Als Farben wurden Metalloxide, Ruß, Gesteinspulver verwandt, zum Auftrag dienten Pinsel, Zweige, Stempel, scharfe Klingen für Gravuren, sowie röhrenförmige Hilfsmittel zum Versprühen von Farbe. Zum Einsatz kamen auch Schablonen. Weitere technische Hilfsmittel waren zur Beleuchtung sowie für den Gerüstbau notwendig. Viele der Malereien sind erstaunlich gut erhalten. Das hat damit zu tun, dass die Pigmentfarben ohne jedes Bindemittel auf Kalkschichten aufgetragen wurden und durch das Kohlendioxid der Umgebungsluft karbonisierten, also eine schützende Sinterschicht bildeten.
Mellink/Filip 1974, 89
Künstlerisch sticht der Fortschritt in der Fertigkeit von der reinen Kontur zur durchmodellierten Körperlichkeit und Plastizität vom Gravettien zum Magdalénien hervor. Forscher der Eötvös-Universität in Budapest bestätigten in Studien die erstaunliche Genauigkeit der Maler von Lascaux. Die Bewegungsabläufe wurden demnach exakter dargestellt als bei Künstlern in der ersten Hälfte des 19. Jh.s. »Im Teyjat-Stil, so benannt nach einer 1903 entdeckten Bilderhöhle in der Dordogne, erreicht die jungpaläolithische Felsbildkunst ihren Höhepunkt. Auf den Tropfsteingebilden dieser Höhle finden sich gravierte Tierbilder, meisterhaft in der Zeichnung und lebendig in der Form. Sie zeigen das Wild in natürlicher Bewegung, verraten eine erstaunliche Beobachtungsgabe, tiefes Einfühlungsvermögen und großes handwerkliches Geschick.«
Zwischen den Abbildungen in der erst 1994 entdeckten Chauvet-Höhle an der Rhone, die mit knapp 500 Tier- und Symboldarstellungen die nach der El-Castillo-Höhle zweitältesten Malereien beherbergt, und den Fundstücken aus der Schwäbischen Alb, den Meisterwerken paläolithischer Kunst aus derselben Zeit, gibt es eine überraschend große Übereinstimmung in den Motiven. Forscher, welche die Höhle betreten konnten, wie der Prähistoriker Harald Floss, berichten begeistert von der eindrucksvollen Komposition, Detailtreue und Harmonie der Malereien und der Vielfalt der Motive. Es sind nicht die üblichen Jagdtiere dargestellt, sondern eher Tiere, die für den Menschen eine Gefahr darstellen. Daneben Mischwesen und abstrakte Zeichen, sexuelle Symbole und Handnegative. Solche Handsilhouetten finden sich nahezu überall, Breuil zählte allein in El Castillo 44 davon. Zur Erzeugung wurden Hände mit roter Farbe umblasen.
12 Handsilhouetten in der Höhle Pech Merle
X.2.2.2.
3.3.
Bandi 1964, 81f
Trotzdem ist die Malerei generell nicht unbedingt als mimetisch-naturalistisch zu bezeichnen. Eher sollte man von Repräsentation sprechen. Auch hier hat sich, wie in der mobilen Kunst, trotz zahlreicher Genredarstellungen, die es auch gibt, die Theorie von einfachen Bilderzählungen nie durchsetzen können. Dagegen spricht etwa, dass Malereien an bestimmten (künstlerisch komplizierten) Orten, meist Nischen und Überhängen, konzentriert auftreten, obwohl in der leichter erreichbaren Umgebung reichlich Platz für Bemalungen gewesen wäre. Das, wie auch die Tatsache von »Restaurierungen« durch eiszeitliche Künstler selbst, stärkt eher Theorien, die bei den Höhlen von Kultplätzen und magischen Orten ausgehen: »Dies alles legt die Vermutung nahe, daß wir es nicht einfach mit Bildberichten über zeitgenössische Geschehnisse zu tun haben. Man bekommt vielmehr den Eindruck, daß sich mindestens hinter einzelnen Szenen mythische Ereignisse oder Vorstellungen aus dem Bereich des totemistischen Denkens verbergen.«
Neben dem franko-kantabrischen Bereich kennen wir offene Felsbildanlagen zwischen den Pyrenäen und der Sierra Nevada (ostspanische Levante) und an vielen anderen Orten in Europa von Italien über den Ural bis Skandinavien. In Skandinavien zog sich die Felsbildkunst entlang der gesamten Atlantikküste. Dabei handelt es sich überwiegend um offene Malereien an schwer zugänglichen Stellen. Die Altersbestimmung dieser Felskunst macht den Forschern einige Mühe. Mit guten Gründen geht man eher von einer mesolithischen oder gar neolithischen Entstehungszeit aus. Schon aus klimatischen Gründen dürfte die Bemalung kaum vor dem 8. oder 7. Jt. möglich gewesen sein. Allerdings handelte es sich bei den Gestaltern jedenfalls noch um Jägerkulturen. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass vereinzelt domestizierte Tiere dargestellt wurden.
In Jordanien gibt es ein Zentrum in der Kilwa-Senke, vor allem am Horsfieldberg, ein Sandsteinkegel, an dem 1932 eine Fülle von Malereien vermutlich aus dem Mesolithikum entdeckt wurde. In Afrika sind die Felsmalereien und -gravierungen häufig und über den gesamten Sahararaum, aber auch im Süden des Kontinents verteilt. Sie stammen aus mesolithischer und neolithischer Periode.