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3.5. Ein kunstphilosophisches Resümee und das Ende der paläolithischen Kunstepoche

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Stand anfänglich die Frage im Raum, ob die Kunst der Eiszeit überhaupt in einer kunstphilosophischen Untersuchung einen berechtigten Platz hat, scheint nun eine Fülle von Antworten die kunstphilosophische Kommentierung zu überfordern. Die verbindende Motivation solcher Unternehmen ist die Parallelisierung der archäologisch greifbaren frühen Kunst mit der Entwicklung des menschlichen Intellekts. »Prehistoric art, and in particular rock art, appears to be a paramount source for reconstructing the intellectual history of Homo sapiens

Anati/Anati 2015, 230

Wenn nun zusammenfassend einige Motive herausgegriffen werden, geschieht dies mit dem klaren Interesse des Philosophen an den vorliegenden Dokumenten. Aber es ist keinesfalls die Absicht, das komplexe und in seiner Deutung sehr umstrittene Material auf nur wenige Aspekte reduzieren zu wollen. Zudem soll es tunlichst vermieden werden, allzu viele Projektionen späterer philosophischer Konzepte in diese frühe Zeit zu tragen, ohne gleichzeitig aber ein mögliches Labor der Entstehung solcher Konzepte von vorneherein auszuschließen.

Die mit Weltbild-Theorien aufgeladene Rekonstruktion der paläolithischen Kunst, wie sie auf den letzten Seiten dargestellt wurde, darf nicht übersehen, dass es auch Sujets gibt, die – vorbehaltlich einer noch möglichen Einordnung in andere Zusammenhänge – schlicht genrehaften Charakter haben und ein scheinbar bezauberndes ästhetisches und narratives Spiel zeigen. Berühmt sind der seine Flanke leckende Bison (La Magdelein), der von einem Bienenschwarm angegriffene Honigsammler (Cuevas de la Araña) oder der von einem angeschossenen Wildrind verfolgte Jäger (Cueva Remigia) sowie viele Jagdszenen. Letztere Beispiele stammen allerdings aus späterer Zeit.

Eliade 1976, I, 18

Clottes 2015, 117; im Orig. kursiv

Trotz dieser Einwände ist der religiös-kultische Aspekt paläolithischer Kunst – prinzipiell gesprochen – bei aller »semantischen Undurchsichtigkeit« prähistorischer Dokumente wenig bestritten. Es ist diese Tatsache, dass viele Autorinnen die frühe Kunst als Ausdruck eines Weltbildes sehen, die für den Kunstphilosophen bemerkenswert ist. Stellvertretend dazu kann die Bemerkung von Jean Clottes stehen: »Art will be the projection upon the world around the artist of a strong mental image which will infuse reality before transfiguring it and recreating it into a different form.«

Müller-Karpe 1966, 192

Leroi-Gourhan 1971, 172

Der auf empirische Befunde bedachte, gegenüber den ins Kraut schießenden Spekulationen durchaus kritische Hermann Müller-Karpe beschwört eine »Einmütigkeit darüber, daß es eine religiöse Erlebnis- und Vorstellungswelt ist, die in dieser Kunst ihren Ausdruck gefunden hat.« Auch, wenn damit nicht geklärt sei, »wie aus einem solchen allgemeinen Ur-Grund der konkrete Ur-Sprung erfolgte […].« Ebenso selbstverständlich geht André Leroi-Gourhan von einer religiösen Bedeutung der paläolithischen Kunst aus, bedauert allenfalls, »keine Synthese des religiösen Denkens der Altsteinzeitmenschen« zu schaffen, bleibt jedoch optimistisch, dass es einmal möglich sein wird, »die Grundlagen der Religion des oberen Paläolithikums ein wenig zu präzisieren; […].«

In der vorliegenden Untersuchung geht es zurückhaltender zur Sache und ich zögere, die Geburt von Religion an dieser Stelle festzumachen. Trotzdem geht es um Hinweise auf im Schoß der Frühzeit entstandene Motive – und es sind Motive eines ursprünglichen und authentischen Erlebens und Empfindens des Menschen –, die – so die These – sowohl die nachfolgende Rationalisierung in der frühen Religion/Philosophie, als auch die Kunstentwicklung geprägt haben.

Am Beispiel der Theorie des Jagdzaubers wurde gezeigt, wie dieser durch die grundlegendere Symbolik der geschlechtlichen Polarität überlagert sein und der Speer als Penis, die Wunde als Vulva gedeutet werden könnte. Zudem könnte man aus der ambivalenten Spannung, aus Gruppierung und Anordnung der Werke, aus dem rituellen Beschreiten der Höhle sowie aus ethnologischen Beobachtungen rezenter »Primitivkulturen« auf ein dynamisches Verständnis dieser Polarität der Wirklichkeit schließen. Von Curt Sachs wurde diese rituelle Dynamik in origineller Weise in die Geschichte des Tanzes verbaut, was der oben geäußerten Meinung, dass Kunst in dieser Zeit performativ zu lesen ist, entgegen kommt. Philosophisch wäre es verführerisch, von einer gerichteten Prozessualität zu sprechen, also von einem bewussten und steuernden Umgang mit dem Prozess.

Sachs 1937, 124

Holm Erik in Bandi 1964, 203

Die Deutung von Speer und Wunde als Symbole geschlechtlicher Vereinigung ließe sich auf die Symbolik von Leben und Tod und deren dynamischen Ablauf erweitern. »Jedenfalls handelt es sich nicht um eine Tötung des Tieres im Bild mit dem Ziel, Beute zu erlangen, sondern um eine sakrale Sicherung der eigenen Vitalität vor jenseitigen Einflüssen; und gerade dies weist darauf hin, daß in diesen Tierbildern jenseitige Mächte symbolisiert wurden.«

Clottes/Lewis-Williams 1996, 23

Ob man so weit gehen will, von diesem Material bereits auf Vorstellungen zur Seelenwanderung und auf die Formulierung von Ursprungsmythen zu schließen, lasse ich offen. Jedenfalls dürfte die verbreitete Praxis schamanischer Suche nach Visionen, die stets mit einer gestuften Kosmosvorstellung verbunden blieb (für Jean Clottes und David Lewis-Williams entspricht der gegliederte Kultraum Höhle diesem Bild), Deutungen in diese Richtung nicht völlig unzulässig erscheinen lassen. Aus rezenten ethnologischen Forschungen wollen Clottes und Lewis-Williams sogar einen Unterschied in der inhaltlichen Deutung der Trance zwischen Ackerbauern und Nomaden ausgemacht haben. Die Deutung der Trance bei den Nomaden ginge demnach in Richtung einer Seelenwanderung oder unterirdischen Reise, bei den Ackerbauern in jene eines Glaubens an einen guten oder bösen Geist, der von außen herantritt und von der Person Besitz ergreift.

Holm Erik in Bandi 1964, 192

III.2.1.2.

Erik Holm fand für solche Folgerungen in späteren Felsmalereien in Südafrika einige Hinweise, die er mit den franko-kantabrischen Felsbildern in Übereinstimmung bringt. Bei diesen viel später noch existierenden Steinzeitkulturen im südlichen Afrika gibt es Märchen vom Tod der Göttin, der einzig dazu dient, sie in neuem Glanz wieder ins Leben auferstehen zu lassen. Es scheint demnach die These zumindest nicht abwegig zu sein, dass bereits in dieser Nomaden- und Jägerkultur noch vor der Neolithischen Revolution reflektierte zyklisch-dynamische Daseinsvorstellungen, verbunden mit Fortlebensvisionen, entwickelt wurden. Das alles ist zunächst brisantes philosophisches Material. Inwieweit es Brücken gibt, die in die nachfolgenden Mysterienkulte und damit in die beginnende (griechische) Philosophie reichen, bleibt im Bereich der Spekulation. Es gilt ganz allgemein, dass die Extrapolation der europäisch-griechischen Philosophiekonzeption nach hinten die hier präferierte Deutung der paläolithischen Kunst an vielen Stellen stützen könnte. Über die methodische Kraft dieses Arguments kann man freilich geteilter Auffassung sein.

Die Entwicklung der Heiligtümer endet etwa um 10.000. Zugleich lösen sich die bisherigen Formen der Kunst auf. Es entstand eine neue künstlerische Form. Das Ende des Paläolithikums ging, wie bereits erwähnt, Hand in Hand mit einer klimatischen Erwärmung im Holozän. Während in Europa die Waldgebiete dichter wurden und sich durch die großen Mengen von Schmelzwasser Sumpflandschaften ausbreiteten, was den Lebensraum von Mensch und Tier einschränkte, die Jagd erschwerte und das Überleben insgesamt mühsamer machte, entstanden im Nahen Osten und in Nordafrika gute Bedingungen für Ackerbau und Viehzucht.

Kulturell scheint es in dieser Übergangszeit, die in Europa Mesolithikum genannt wird (sonst spricht man vom Epipaläolithikum) und etwa die Zeit zwischen 10.000 und 5000 umfasste, unbeschadet einiger bemerkenswerter Funde wie der Steinskulpturen von Lepenski Vir im östlichen Serbien, eine deutliche Unterbrechung gegeben zu haben. Insofern sind für das Mesolithikum trotz einiger Bestattungsriten die dahinter liegenden Weltbilder ganz unklar. Die Parietalkunst verschwand weitgehend, Felsmalereien in Ost- und Südspanien sind aus dieser Zeit jedoch bekannt. Werkzeuge und Jagdgeräte, deren Einsätze (Mikrolithen, kleine Projektile aus Feuerstein) die Zeit bestimmten, traten nun vermehrt auch an den Küsten auf, wohin die Menschen offenbar der Nahrungssuche wegen zogen. Sie sind künstlerisch kaum ambitioniert gestaltet. Immerhin besitzen wir aus dieser Zeit zahlreiche organische Artefakte, die durch Konservierung in Torfmooren überliefert wurden: Holzbogen und Pfeile, Angelhaken und Fischernetze, Holzgeräte und -schüsseln, Einbäume und Paddel. Töpferwaren in Spiralwulsttechnik begründen die im Neolithikum aufk ommende Keramik. Die Ursprünge der Keramik dürft en nach heutigem Wissensstand in China liegen, wo man Tonscherben mit einem Alter von 18.000 Jahren fand.


15 Kopffigur aus Lepenski Vir (Serbien um 6000a)

Im Norden Europas hielten sich die mesolithischen Kulturformen der Jägerund Sammlertätigkeit, allenfalls mit saisonal wechselnden festen Wohnsitzen, noch bis gegen 4000, während im mediterranen Bereich bereits um 5800 Bauernkulturen entstanden waren. In Südeuropa wiederum scheint durch die Einflüsse aus Vorderasien eine raschere Wandlung eingetreten zu sein. Die meisten Forscher nehmen an, dass damit auch die religiösen Vorstellungen des Paläolithikums verschwanden und durch die neuen Weltbilder des Neolithikums ersetzt wurden.

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