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Einleitung

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Der „Beschriebene Tännling“1 ist seit seinem Erscheinen oft kritisiert worden. Die erste Fassung von 1846 im „Rheinischen Taschenbuch“ charakterisiert Annette von Droste-Hülshoff mit der knappen Bemerkung: „… soso! fromm deutschthümlich, etwas à la Motte-Fouqué“.2 Das setzt sich bis in die Gegenwart fort. J. P. Stern urteilt: Ihre „bloße Nacherzählung läßt den modernen Leser vor Verlegenheit erröten“.3 I. Schiffermüller sekundiert: „Die Wiedergabe der Fabel der Erzählung, die auf traditionellen Motiven der Volkslegende beruht, wirkt [...] aufgrund ihrer Banalität geradezu peinlich.“4 Sie meint, Handlung und Naturbeschreibung klafften auseinander, der „heterogene unorganische Charakter der Textstruktur“5 lege eine dekonstruktive Lektüre der Erzählung nahe. Dagegen ist es ein Anliegen dieser Studie, dieser Interpretation entgegenzutreten. Es soll die innere Einheit der Erzählung aufgewiesen werden, es soll nachgewiesen werden, dass Handlung und Naturbeschreibung kalkuliert aufeinander bezogen sind und am Schluss im Symbol des Baumes mit dem Namen „beschriebener Tännling“ zusammengeführt werden. Eine genaue Analyse bemüht sich, die elaborierte Erzählstruktur von Stifters Novelle aufzuzeigen.

Betrachtet man neben diesen kritischen Beiträgen die weitere Literatur zum „Tännling“,6 so wird dieser Text oft in größeren Zusammenhängen nur nebenbei behandelt; eine Passage wird herausgegriffen und, ohne den „Tännling“ im Ganzen in den Blick zu nehmen, zum Teil einfühlsam und treffend interpretiert. Aber nicht selten sind diese Interpretationen auch unzureichend oder irreführend, weil die Passage isoliert, nicht im Kontext der ganzen Erzählung betrachtet wird. Die Deutungen spiegeln eher allgemeine Vorurteile oder freie Assoziationen der Autoren. Einige Arbeiten konzentrieren sich auf den „Tännling“ und legen eine Deutung vor, die betont ein Moment hervorhebt – etwa Adelskritik oder frühes ökologisches Bewusstsein. Das ist oft zutreffend, aber sie haben doch nur ein Nebenmotiv ausgewählt. Zwar weisen sie damit auf wichtige Aspekte hin, aber sie heben diese zu stark hervor. Nach dem eigentlichen Anliegen des „Tännling“ wird nicht gefragt, vermutlich deshalb, weil man das zentrale Handlungsmoment, das Drama der Beziehung von Hanna und Hanns, für banal hält und deshalb nach Aspekten der Erzählung sucht, die ihr doch noch künstlerisches Gewicht und aktuelle Bedeutung geben.

Wenn man die Handlung des „Tännling“ referiert, mag einem die Zunge stocken, weil sie positiv formuliert, so schlicht, negativ akzentuiert, so trivial ist. Doch achtet der Leser auf ihre erzählerischen Mittel, auf die vielfältigen Verweise und Akzentuierungen, die sparsamen, oft verdeckten Andeutungen, so zeigt sich ein komplexes Netz von Beziehungen, die die Figuren unter verschiedenen Gesichtspunkten beleuchten und die Handlung kommentieren. Die Art des Erzählens nimmt dem Inhalt seine Trivialität und gibt der so simplen Geschichte Bedeutsamkeit. Dann wird der Leser die Verblendung der Jagdgesellschaft durchschauen und Hanns auf seinem Weg zur „Erscheinung“7 am beschriebenen Tännling folgen. Walter Höllerer hat das „verschweigende Andeuten“ als ein Charakteristikum von Stifters Erzählen bezeichnet.8 Im „Tännling“ wird das in besonderer Weise zugespitzt. Wenn man die vielen Andeutungen des Textes aufspürt und ihnen nachgeht, wird sich zeigen, dass die enge Verbindung von Lebensführung, Ethik, Religion und Natur im Zentrum des „Tännling“ steht. Damit wird nicht behauptet, dass diese Studie eine erschöpfende Interpretation dieser Novelle leistet, kann doch jede Interpretation einen Text nur perspektivisch in den Blick nehmen. Zuerst soll nun das Geflecht der Andeutungen beachtet werden, in dem die einzelnen Figuren und Motive der Erzählung stehen, um so einen Zugang zu ihrer Intention zu finden.

Dieser Interpretationsansatz bestimmt den Aufbau der Studie: Als erster Zugang zur Intention der Erzählung werden in Teil 1 Schlüsselszenen von ihrem Ende und Anfang analysiert, die die beiden Protagonisten Hanna und Hanns charakterisieren. Auch werden die knappen Aussagen zu ihrer Herkunft und Umwelt zusammengestellt. Die Teile 2 bis 5 wenden sich Hanna und dem Jagdfest zu, also der Krise, die Hannas Untreue und ihren Aufstieg in die Welt der Herren auslöst. Um die Reaktion von Hanns geht es in Teil 6. Seine Entscheidung ist aus der Dreiecksbeziehung von menschlicher Freiheit, Volksglaube bzw. Religion und Wald bzw. Natur zu verstehen; das ist Gegenstand der Teile 7 bis 11. Der letzte Teil 12 reflektiert abschließend über den Zusammenhang von Inhalt und Form im „Tännling“.

Die vorliegende Studie konzentriert sich auf die zweite, die Buchfassung der Erzählung, die 1847/48 erarbeitet wurde und 1850 erschienen ist; die erste, die Journalfassung von 1845, wird nur ausnahmsweise herangezogen, wenn im Vergleich beider Fassungen aus Einfügungen und Änderungen spezifische Intentionen der Buchfassung zu erschließen sind.9 Auf andere Werke Stifters wird nur soweit Bezug genommen, als es für das Verständnis der Erzählung hilfreich ist.

Verblendung, Volksglaube und Ethos

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