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Kapitel IV
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Die Gesellschaft des "Libby" – Unterhaltungen – Eine Exekution beabsichtigt
Dass es in einer so bunt zusammengewürfelten Gesellschaft, wie die unserige war, anfangs zu groben Missverständnissen und Reibereien kommen musste, war vorauszusehen. Es waren Offiziere jeden Ranges vertreten, fast aus allen Staaten, gebildete, halb- und ungebildete ... eine aus allen Himmelsrichtungen und Gesellschaftsschichten zusammengewürfelte, keinesfalls auserlesene Schar, die nur Eins gemeinsam hatte, nämlich das Unglück der Gefangenschaft. Namentlich blieben die üblichen Gehässigkeiten verschiedener Amerikaner gegen die Deutschen nicht aus. Es fällt dem Amerikaner, so vorzüglich er in vieler Beziehung ist, überaus schwer, sich von seinem angeborenen Vorurteil zu befreien und insbesondere ist es der "Dutchman", den er gern zum Gegenstand seines spöttelnden Witzes macht. Es ist hier nicht am Platze, zu erörtern, wie sich diese Gehässigkeit entwickelt und inwieweit der Deutsche selbst zu dieser "Dutchmen"-Verachtung beigetragen hat; es genüge, zu bemerken, dass wir am Anfang manche sarkastische Bemerkung hören mussten, die sich oft auf die bekannten, aber unwahren Berichte über das Verhalten der deutschen Truppen in der Schlacht bei Chancellorsville bezog. [Anm. d. Hrsg.: Das XI. Corps der Army of the Potomac, das zu etwa 50 Prozent aus deutschen Truppen bestand, hatte zum Zeitpunkt der Schlacht von Chancellorsville mit diversen Schwierigkeiten zu kämpfen. Der Übergang des Corpskommandos vom deutschstämmigen General Franz Sigel auf General Oliver O. Howard hatte der Moral der deutschen Soldaten einen schweren Schlag versetzt, zudem verfügten viele der Regimenter noch über keinerlei Kampferfahrung und es bestanden erhebliche Kommunikationsprobleme zwischen den deutschen und den amerikanischen Soldaten des Corps. In der Schlacht von Chancellorsville bildete das glücklose Corps die mangelhaft positionierte rechte Flanke der Unionsarmee und wurde von General Jacksons überraschendem konföderierten Sturmangriff nach geringer Gegenwehr überrannt. Obgleich den Soldaten hierfür schwerlich ein Vorwurf zu machen war, hatten "Howard's Cowards" (Howards Feiglinge) fortan ihren schlechten Ruf weg.]
Hatte mancher Amerikaner schon von Haus aus eine unüberwindliche Antipathie gegen die Deutschen, so glaubte er sich aufgrund jener aus dem Hooker'schen Hauptquartier stammenden Berichte noch mehr berechtigt, mit Geringschätzung auf die Deutschen herabzublicken und seiner Abneigung gelegentlich in beleidigender Weise Ausdruck zu verleihen. Er dachte nicht daran, dass jene Berichte unwahr sein könnten, sondern nahm sie als gesicherte Zeugnisse entgegen, um sich damit in seinen unliebsamen Ansichten zu bestärken. Nach und nach milderten der gegenseitige Verkehr und der tägliche Austausch der Meinungen diese Härte und Ungerechtigkeit des Urteils, wozu außerdem das fast ohne Ausnahme musterhafte Betragen der deutschen Offiziere wesentlich beitrug. An den Unanständigkeiten und Rohheiten, welche sich häufig wiederholten, hatten die deutschen Offiziere keinen Teil und so konnte es nicht fehlen, dass zwischen uns und den anständigen und wohlmeinenden Amerikanern ein freundschaftliches Verhältnis hergestellt wurde, welches sich in vielen Fällen bis zum Ende der Gefangenschaft erhielt und natürlich dazu beitrug, manches Vorurteil zu vernichten und bessere Ansichten über den Charakter der Deutschen zu verbreiten. Ich erinnere mich noch heute mit großem Vergnügen an einzelne Amerikaner, welche an Klarheit des Verstandes, wie an Wohlwollen des Herzens und gesellschaftlichem Anstande gleichermaßen ausgezeichnet waren. Leider ist mancher von ihnen den Leiden der Gefangenschaft erlegen und ruht jetzt, fern der Heimat, im Boden des feindlichen Landes.
Um die Zeit zu verkürzen, begannen die amerikanischen Offiziere allerhand geistige Übungen. Die Anregung dazu kam von dem Prediger Beaudry, welcher Kaplan bei einem New Yorker Kavallerieregiment war, einem Mann von vielseitiger Bildung und etwas freierer religiöser Anschauung. So wie jede neue Bewegung unter den Amerikanern mit Blitzesschnelle um sich greift, so war es auch im vorliegenden Falle. Kaum hatte Beaudry darauf hingewiesen, dass es sowohl zur Ausbildung selbst, wie auch zur Vertreibung der Langeweile notwendig sei, einige Stunden des Tages geistigen Exerzitien zu widmen, als sich die Amerikaner mit fieberhafter Hast dieser Idee bemächtigten und alle nur möglichen Clubs organisierten. Alle wollten lernen und studieren und es tat sich ein Eifer kund, welcher denjenigen, der mit dem Volkscharakter nicht vertraut ist, hätte glauben machen können, dass das "Libby" binnen kurzem eine Universität werden würde. Zuerst wurde ein Debattierclub gebildet, in welchem zuweilen sehr kuriose Themen behandelt und höchst sonderbare und komische Ansichten zu Tage gefördert wurden. Einer der Sprecher versuchte einmal nachdrücklich zu beweisen, dass die Rebellion der Sklavenhalter ihren Grund in der Unmäßigkeit habe, während ein anderer, ein stets kampfbereiter Debattierkrieger, die Kunstfertigkeit besaß, in wenigen Minuten über Moses, Julius Cäsar, McClellan, Mohammed, General Grant, Jesus Christus, Shakespeare, Lincoln und die Königin Elisabeth zu sprechen, ohne auch nur im Geringsten das zu erörternde Thema zu berühren. Wie alle derartigen Gesellschaften, deren Mitgliedern es an genügender Bildung, an dem Geschick, geeignete Themen aufzustellen und an dem Eifer für gehörige Vorbereitung zur Diskussion fehlt, so ging auch der Debattierclub des "Libby", nachdem sich die wenigen Redner von einiger Bedeutung ermüdet hatten, zugrunde, ohne irgendwelchen Nutzen gestiftet zu haben.
Zu gleicher Zeit wurde eine französische und eine stenographische Klasse unter der Leitung des schon genannten Predigers Beaudry gebildet. Beide Klassen waren anfangs sehr gut besucht; man übte unverdrossen die den Amerikanern etwas schwer fallenden Nasallaute der französischen Sprache und alle Bleistifte wurden in Bewegung gesetzt, um die geheimnisvollen Zeichen der Stenographie zu erlernen, aber bald verminderte sich die Zahl der Schüler und die stenographische Klasse ging ein, während die französische nach Beaudrys Austausch zwar noch von dem Offizier Charlier fortgesetzt wurde, aber augenscheinlich ohne großes Interesse. Nicht viel besser erging es der spanischen Klasse, welche Lieutenant-Colonel Cavada, ein gebürtiger Kubaner, leitete. Cavada war ein Mann von hoher Bildung; er sprach die spanische, französische und englische Sprache korrekt und war ein sehr guter Zeichner, aber das Spanische kam den Amerikanern eben sehr spanisch vor und so blieben Cavada nur einige Schüler treu. Einige Offiziere begannen auch, die deutsche Sprache zu erlernen.
Nächstdem wurden von Beaudry und einigen anderen Predigern jeden Tag religiöse Versammlungen abgehalten, die aber sehr oft fast unerträglich waren. Niemandem kann das Recht bestritten werden, eine derartige Versammlung anzufangen oder derselben beizuwohnen und ich selbst kann gelegentlich einen Sermon hören, wenn derselbe klar gedacht ist, beredt gehalten wird und einen praktischen Zweck verfolgt; aber in jenen Versammlungen machten sich sehr oft die seichtesten Schwätzer breit und außerdem wurde jene augenverdrehende Frömmelei zur Schau getragen, welche für jeden vernünftigen und aufrichtigen Menschen höchst widerwärtig ist. Beaudry hielt einige Reden, welchen wir mit Interesse folgten, aber andere, Prediger wie Laienprediger, gefielen sich in jener religiösen Theaterspielerei, welcher nichts Reelles zugrunde liegt. Beaudry kleidete seine Reden in ein durchweg religiöses Gewand, aber er verdrehte weder die Augen, noch verrenkte er seine Gliedmaßen und deshalb glaube ich, dass er viel religiöser war als diejenigen, welche durch ihr geflissentlich zur Schau gestelltes angeblich frommes Gebaren gerade das entwürdigten, was ihrer eigenen Anschauung nach ihnen das Heiligste sein sollte. Was das Ansehen dieser Leute noch mehr beeinträchtigte, war, dass sie immer die ersten waren, wenn es galt, einen Unfug oder etwas Schlimmeres anzustellen.
Auch über andere Gegenstände wurde gesprochen. Einer hielt zum Beispiel eine Rede über den Mesmerismus, ein anderer deklamierte in haarsträubender Weise, nach der Manier des Schauspielers Forrest, Stücke aus Shakespeares Tragödien und in den ersten Monaten erschien wöchentlich unter dem Titel "Libby Chronicle" eine geschriebene Zeitung ernsten und humoristischen Inhalts. [Anm. d. Hrsg.: Edwin Forrest (1806-1872) war ein ob seines emotionsgeladenen Vortrags vielgerühmter US-amerikanischer Shakespeare-Darsteller.] Schließlich artete sie aus und die letzte Nummer enthielt eine höchst obszöne Dichtung.
Unsere Lektüre beschränkte sich anfangs auf die Rebellenzeitungen und einige Bücher, unter den letzteren die von einem Rebellenoffizier herausgegebene Lebensbeschreibung Stonewall Jacksons, der von den Südstaatlern wie ein Gott verehrt und von seinem Biographen als der hervorragendste Mann, der jemals gelebt hat, geschildert wird. [Anm. d. Hrsg.: Hierbei handelt es sich um John Esten Cookes "Stonewall Jackson: A Military Biography".] Es ist nicht zu leugnen, dass sich in Jackson Elemente wahrer Größe fanden und dass ein Mann, in welchem, wie in Jackson, Heldenmut mit einer gewissen religiösen Schwärmerei gepaart ist, großen Einfluss ausüben und die Gemüter gleichsam magnetisch an sich ziehen muss, aber der Personenkult, die blinde Bewunderung und Verehrung, die einseitige Hervorhebung der Lichtseiten kann den vernünftigen und leidenschaftslosen Beurteiler niemals befriedigen und hat zumeist einen ganz anderen als den gewünschten Effekt. In jener Biographie wird oft die einfältigste Kleinigkeit benutzt, um daraus einen Kranz für Jacksons Stirn zu winden. Dadurch verliert das Buch fast allen historischen Wert. Jackson war ein ernster, in sich gekehrter Charakter, ein Mann mit schroffen Manieren, ein Sonderling, der von den Zöglingen der Militärakademie von Lexington in Virginia, an welcher er Professor war, "Old Jack" genannt wurde und ihnen durch sein sonderbares Wesen nicht selten zu großer Belustigung diente. Als die Rebellion ausbrach, forderten ihn seine Studenten auf, eine Rede zu halten, worauf er Folgendes erwiderte: "Soldaten halten kurze Reden. Wenn Bürgerkrieg droht, so zieht das Schwert nur langsam, aber wenn ihr es zieht, so werft die Scheide weg." Ungemessener Jubel folgte diesen Worten. In außerakademischen Kreisen sowie bei der konföderierten Regierung galt Jackson als ein Mann, der zwar viel gelernt habe, mit dem sich aber auf dem praktischen Felde nicht viel anfangen lasse. Es kostete deshalb etwas Mühe, ehe ihm die Stelle eines Colonels verliehen wurde. Als solcher nahm er an der ersten Schlacht bei Bull Run teil, in welcher er sich den Beinamen "Stonewall" erwarb. Eine Rebellenbrigade wurde nämlich von den Unsrigen zurückgeworfen und nur Jackson hielt stand; da rief der kommandierende General Bee den zurückweichenden Rebellen zu, erneut vorzudringen und auf Jackson zu sehen, der fest wie eine "Steinmauer" stehe. Von dieser Zeit an stieg Jackson sowohl auf der Skala der militärischen Würden, wie in der Gunst der Soldaten und der südstaatlichen Bevölkerung. Ein hervorstechender Zug in seinem Charakter war eine Art von religiöser Mystik; Jackson war im Heere als ein frommer Mann bekannt. Sein untergebener General Ewell, der, ehe er bekehrt wurde, sehr freigiebig mit Fluchworten umging, soll einst bemerkt haben: "Wir beide, ich und Jackson, passen gut zusammen; ich besorge das Fluchen und Jackson besorgt das Beten." Schon früher hatte sich Jackson mit der Dichtung religiöser Lieder versucht, zu welchen er selbst die Melodien komponierte. Sein Hang zum Mystischen geht auch aus einer Äußerung hervor, welche er in einem Gespräche über Feldzüge und Schlachten machte; er sagte: "Mysterium ist das Geheimnis des Erfolges." [Anm. d. Hrsg.: Hier übersetzt Domschcke das Jackson-Zitat "Mystery is the secret of success" wohl ein wenig zu wörtlich. Jackson bezog sich hierbei auf die Unergründlichkeit der eigenen Absichten für den Feind und nicht auf eine Mystik im religiösen Sinne.] Ein solcher Charakter mochte für den Psychologen interessant und für seine Gesinnungsgenossen doppelt anziehend sein, aber in unseren Augen ließen sein politischer Verrat und die Beteiligung an einem inhumanen, auf die Vernichtung der Freiheit abzielenden Unternehmen seine Größe bedeutend schwinden.
Die Richmonder Rebellenzeitungen, welche wir in Ermangelung anderer Lektüre sehr genau und sorgfältig lasen, waren im Vergleich zu der nordstaatlichen Presse sehr mager und armselig, was Berichte, allgemeine Nachrichten und journalistische Vielseitigkeit betraf, aber in einem waren sie bewunderungswürdig geleitet, nämlich in der Verteidigung der Rebellion und der Aufhetzung des Volkes. Ein unbeschreiblicher Fanatismus beseelte diese Presse; von allen möglichen Gesichtspunkten aus, unter rücksichtslosester Anwendung von Haarspaltereien und Entstellungen und in einem Stile, der oft an die eifernde und geifernde Weise der fanatischen Mönche früherer Jahrhunderte erinnerte, stellten sie die Rebellion als eine große Welttat, als die gerechtfertigte Erhebung eines großen, herrlichen Volkes gegen die Tyrannei eines tückischen und brutalen Usurpators dar. Waren sie schon rücksichtslos genug in dieser Selbstglorifikation, so waren sie es noch mehr in der Aufstachelung der wilden Leidenschaften der Masse. Es war, als seien diese kuriosen Artikel mit Dolch und Gift geschrieben. Kein Mittel, kein demagogisches Kunststück wurde unversucht gelassen, um dem südstaatlichen Volke die Idee, dass ihm Unrecht geschehen sei, beizubringen und dasselbe bis zum äußersten Widerstande zu entflammen. Mit diesen Mitteln arbeiteten alle Zeitungen im Reiche der Rebellen und dieser Einmütigkeit hatte die Konföderation zum großen Teile die Erfolge zu verdanken, welche sie zeitweise errang. Während im Norden die Presse geteilt war, während viele nordstaatliche Zeitungen nach Kräften daran arbeiteten, unsere Regierung zu lähmen, das Volk zu entmutigen und der Rebellion Vorschub zu leisten, wirkte die gesamte südstaatliche Presse mit einigen wenigen Ausnahmen einmütig für die Rebellen. Zwar fehlte es nicht an Stimmen, welche Jefferson Davis attackierten, aber diese Opposition war eine rein persönliche; in der Sache waren sie alle einig und einer überbot den anderen in der Schmähung der "Yankees" und in der Verherrlichung der Rebellion.
Eines ihrer beliebtesten Mittel, welches die südstaatlichen Zeitungen und von denen in Richmond namentlich der "Enquirer", der im Sommer und Herbst 1863 unter der Leitung des berüchtigten Iren John Mitchel stand, anwendeten, um das südstaatliche Volk aufzureizen und sein Selbstvertrauen zu kräftigen, war die Beweisführung, dass das südstaatliche Volk gar nicht der verkommenen angelsächsischen Rasse angehöre und dieser in intellektueller, moralischer, sozialer und politischer Beziehung weit überlegen sei. Einem unterrichteten und objektiv urteilenden Menschen wird dieser Satz unzweifelhaft lächerlich und eine Argumentation für denselben fast unmöglich erscheinen, aber nichtsdestoweniger bemühte sich der "Enquirer", durch allerhand Trugschlüsse, historische Fälschungen und statistische Verzerrungen, den Südstaatlern klar und deutlich zu beweisen, dass sie das Volk Gottes seien, welches für eine neue Ordnung der Dinge sein flammendes Schwert ergreifen müsse und schließlich gegen das nordstaatliche Zwergenvolk obsiegen werde, welches in der ganzen Welt verachtet sei und sich auch selbst nicht achte.
Wie der "Enquirer", so donnerte auch der "Examiner" Tag aus, Tag ein gegen die hochmütigen Yankee-Tölpel, welche sich einbildeten, unter der Führung des Barbaren Lincoln, der aus dem Geschlechte der Orang-Utans stamme, das hochherzige Volk der Südstaatler zu bezwingen, welche sich bis auf den letzten Mann zur Wehr setzen würden. Der "Examiner" wurde von Edward A. Pollard redigiert, der etwas gelernt zu haben schien, aber die unerquickliche Manier hatte, mit den verschiedenartigsten Zitaten um sich zu werfen und historische Gleichnisse anzustellen, die in den meisten Fällen hinkten. Er hatte auch ein paar politische Broschüren geschrieben, die aber, wie seine Zeitung, den Stempel der Einseitigkeit trugen und mehr die Produkte einer wilden Polemik waren als Raisonnements eines ruhigen und klarsehenden Beobachters des Zeitgeschehens. Der "Dispatch", der "Sentinel" und der "Whig" bildeten die übrigen Stimmen in dem wütenden Quintett, jedoch war der "Whig" Jefferson Davis nicht gewogen. Er ließ keine Gelegenheit vorübergehen, ohne seinem Grolle gegen den Herren aller Rebellen Luft zu machen und geißelte Davis nicht selten in recht heiterer Weise, beispielsweise als Letzterer im Herbst 1863 einen Buß- und Bettag ausschrieb und als er eine Proklamation an die südstaatlichen Frauen erließ, die er zu tatkräftiger Mitwirkung an der Rebellion aufforderte. Zeitweise amüsierte uns die Lektüre dieser fanatischen Rebellenblätter, aber tagtäglich ein und dasselbe Gericht ist etwas, was einem schließlich den Appetit verderben muss.
Die erwähnten Klassen, Predigten und Reden, das Lesen der Zeitungen und die Zubereitung der Mahlzeiten ließen uns noch hinlänglich Zeit, welche wir teils durch Schlafen, teils durch Auf- und Abgehen in den Sälen und durch Konversationen hinzubringen versuchten. Viele trieben auch allerhand Unfug und Narrenpossen, zu welchen eigentlich nur die Schuljungen ein Privileg besitzen. Namentlich war dies abends der Fall. Um 21.00 Uhr riefen die Wachen, welche auf der Straße an allen Seiten des Gebäudes aufgestellt waren: "Lichter aus!", worauf wir uns auf unsere bestimmten Plätze legten, aber nicht um zu schlafen, denn in diesem Augenblicke begann allabendlich ein so höllischer Lärm, dass für Stunden an Schlaf nicht gedacht werden konnte. Die lockeren Burschen, deren Übermut noch nicht gebändigt war, schrien und heulten wie die Indianer, sangen lustige Lieder in schriller, unmusikalischer Weise, schlugen mit allem, dessen sie habhaft werden konnten, wie besessen auf den Fußboden, so dass es im ganzen Gebäude widerhallte, kurz, sie verübten einen so teuflischen Krawall, dass diejenigen, die sich an diesen Streichen nicht beteiligten, schier in Verzweiflung gerieten. Eines Abends war der Lärm so gewaltig, dass der Kommandeur Turner einen Lieutenant mit der Order heraufschickte, dass, wenn diese tumultartige Szene nicht schleunigst beendet werde, wir alle auf die Straße marschieren und daselbst einige Stunden stehen müssten. Dies wirkte für dieses Mal, aber am nächsten Abend begann die Teufelei von neuem. Der Amerikaner ist zu dergleichen aufgelegt und wenn er einmal beginnt, Narrenpossen zu treiben, so kann man sicher auf einen wilden Tanz rechnen. Ich glaube, es ist dies Überfülle von Kraft, ein jugendliches Sichgehenlassen, was nicht bös gemeint, aber anderen unter Umständen sehr unbequem ist. Einen merkwürdigen Kontrast zu dieser ausgelassenen Lustigkeit bilden die steife Ernsthaftigkeit und mürrische Laune, deren der Amerikaner ebenfalls fähig ist. Wir sahen manchen sich der ungezwungensten Heiterkeit hingeben und närrische Streiche verüben, der zu anderer Zeit so trocken und mürrisch dasaß, als habe er das Kreuz der Welt zu tragen.
Ein Vorfall rief in der ersten Zeit unserer Anwesenheit im "Libby" einige Aufregung hervor, nämlich die Drohung, zwei Captains zu hängen, weil General Burnside mit ein paar Rebellenspionen kurzen Prozess gemacht und dieselben aufgeknüpft hatte. Sobald die konföderierte Regierung dies erfuhr, ordnete sie an, dass aus der Mitte der Offiziere von Streight und Milroy zwei Captains durch das Los bestimmt und dann getötet werden sollten. Captain Sawyer von einem Kavallerieregiment aus New Jersey und Captain Flinn aus einem der Neuengland-Staaten traf das Los. [Anm. d. Hrsg.: Henry W. Sawyer war Captain von Kompanie K der 1st New Jersey Cavalry; John M. Flinn war Captain von Kompanie F der 51st Indiana Infantry.] Sofort wurden beide in die unterirdischen Zellen gebracht und Turner machte sich täglich das Vergnügen, ihnen anzukündigen, dass sie sich auf den Tod vorzubereiten hätten. Eine geraume Zeit schwebten beide zwischen Leben und Tod, bis ein glücklicher Zufall sie aus der schrecklichen Situation erlöste. Der Brigadier-General Lee nämlich (ein Sohn des berühmten Generals) und Captain Winder, Sohn des General Winder, welcher Oberbefehlshaber aller militärischen Gefängnisse war, fielen den Unsrigen als Gefangene in die Hände und sofort wurde der konföderierten Regierung Notiz gegeben, dass, wenn den Captains Sawyer und Flinn ein Leid geschehe, Lee und Winder gehängt werden würden. Dies wirkte. Sawyer und Flinn waren von ihrer Todesangst erlöst, aber der Letztere, ein junger Mann von etwa 30 Jahren, hatte sich während der kurzen Periode der schrecklichen Ungewissheit merklich verändert; seine Züge waren eingefallen, seine Gesichtsfarbe war bleich und sein Haar grau geworden. Er hatte in den Schlachten dem Tode mutig ins Auge gesehen, aber dass er auf so ruchlose Weise ermordet werden sollte, hatte ihn auf das Tiefste erschüttert.