Читать книгу Das letzte Sandkorn - Bernhard Giersche - Страница 9
ОглавлениеZwischenspiele
Allah hatte ihm den Weg gewiesen. Und hatte er je Zweifel daran gehabt, dass sein Tun und Denken nicht dem entsprach, was Allah wollte, so waren sie nun fortgeblasen. Allah ist groß, Allah ist mächtig. Allah hat ihm die Augen geöffnet und ihn auserwählt zu tun, was zu tun ist. All die Ungläubigen dieser Erde müssen vernichtet werden, denn es ist Allahs Wille. Nur so kann er die Welt retten, nur so das Paradies erfahren. Die Zauderer und Schwätzer sollen auch weichen dem, der das Heil bringt. Er war auserkoren, die Welt zu retten in Allahs Namen und auf Allahs Geheiß hin. Er alleine.
Er würde alle um sich scharen, die an seiner Seite Allahs Willen erfüllen würden. Die Mutter aller Schlachten stand bevor, und jene, die nicht rechten Glaubens sind, sollen die ersten sein, die durch Allahs Schwert, das durch ihn geführt werden würde, niederbrechen.
Allah w`akbar. Und schon der erste, den er in seine Armee berufen wollte, erschlug ihn mit einem Schlagstock. Es war sein Leibwächter, der begriffen hatte, dass es nur eine neue, bessere und Allah-gefälligere Gesellschaft geben kann, wenn man die alte hinwegfegt.
Der Kardinal saß an seinem riesigen Schreibtisch. Er hatte Gottes Botschaft erhalten, den Auftrag, nun Gottes Werk zu vollenden. Hinweg all die Ungewissheiten, ob Gottes Wort richtig verstanden wurde. Nur Gott selber darf seinen Willen formulieren, nur Gott selber bestimmt den Lauf der Zeit, der Welt, des Kosmos.
Oh wie unendlich vermessen und anmaßend waren doch die Menschen, die glaubten, sie würden Gott gefallen. Der Glaube des Kardinals war der richtige Weg, das hatte ihm Gott gesagt. Er hatte verstanden.
Zehn Tage noch und Gott würde richten. Wenn der Kardinal richtig lag, dann aber nur jene, die nicht Gottes Wort und Gottes Regeln anerkannten. So hatte ihn der Kardinal verstanden. Ein Kreuzzug, die Welt zu retten. Der Kardinal stand auf und suchte seinen Schreiber. »Beantragt sofort eine Audienz beim Heiligen Vater«, befahl er ihm barsch. Der irre Blick des Schreibers war ihm gar nicht aufgefallen. Und auch nicht das Heulen der Triebwerke eines Passagierflugzeuges, das sich im Anflug auf den Vatikan befand.
Im Kontrollraum des Kraftwerks war es fast drei Minuten ganz still, wenn man das Summen der Computer und das Sprotzen der Kaffeemaschine ausblendete. Keiner der 14 Techniker und Wissenschaftler sprach. Ansonsten herrschte hier immer Stimmengewirr. Zahlen und abgelesene Werte, Fragen zum Schichtplan, Erzählungen aus dem Privatleben erfüllten hier 24 Stunden am Tag den Raum.
Vielleicht gab es hier bisweilen sekundenlange Schnittmengen des Schweigens...aber fast drei Minuten? Völlig ausgeschlossen und umso beklemmender für die Anwesenden.
Die meisten saßen vor ihren Geräten und starrten mit leerem Blick auf die Apparaturen ... das ständige Blinken und die bewegungslosen Bilder, die durch die Kameras auf die Bildschirme im Kontrollzentrum übertragen wurden, nicht wahrnehmend.
Erst als ein elektronisches Pfeifsignal auf den Anstieg eines bestimmten Wertes hinwies, kehrte Leben in die Frauen und Männer im Kernkraftwerk Kaiga in Indien zurück.
Shiva hatte zu ihnen gesprochen. Die Alten hatten recht. Sie hatten alle das Dharma mit Füßen getreten.
Sie waren ihrer Rolle als Teil des Ganzen nicht nachgekommen, sie hatten alle versagt und nun entzog ihnen Shiva jedes Kharma. Wer waren sie, dass sie die Natur, deren Teil sie waren, so knechteten? Und hier, in diesem Höllenwerk verrichteten sie ihr frevelhaftes Tun.
Sie versklavten die Natur, die ihnen die Götter gegeben hatten um sie als Teil des Ganzen in ihr Dasein einzuflechten. Shiva hatte recht getan, sie nun zu strafen. Was nutzt das ganze Wissen, was nutzen die harten Jahre des Studiums, des leichten Lebens? Die Alten haben es vorhergesehen, sie hatten ihnen stets vorgeworfen, den rechten Weg verlassen zu haben, um den Verlockungen der neuen Zeit zu erliegen. Moderne Menschen wollten sie sein und am Wohlstand teilhaben.
Sie wollten sein wie die anderen und zerstörten dabei das Gleichgewicht, das ihnen doch die Rishis und Gurus als so wichtig geschildert hatten.
Hatten nicht die Vorfahren nach den Regeln des Kosmos gelebt, sich als Teil des Ganzen gesehen und verantwortlich für das Gleichgewicht der Welt gefühlt? Doch es war noch nicht zu spät. Shiva selbst hatte ihnen, jedem von ihnen, den Weg gewiesen. Würden sie die alte Ordnung wiederherstellen, dann sei die Balance zwischen den Dingen wiederhergestellt und die Welt gerettet.
Wer so gut ausgebildet ist, ein Kernkraftwerk zu steuern, und wer weiß, wie man verhindert, dass es außer Kontrolle gerät, wer jede Funktion des Werkes steuern kann und weiß, wie die technischen Zusammenhänge sind, wer weiß, wie man verhindert, dass es zur absoluten Katastrophe kommt, der weiß auch, wie man sie herbeiführt. Das Gleichgewicht musste wiederhergestellt werden, Shiva hat es gesagt. Ohne miteinander zu sprechen machten sich die Techniker und Wissenschaftler an die Arbeit ... einvernehmlich und im Einklang mit der Welt.
Bis die Wachleute kamen und dem Leben der Menschen im Kontrollraum ein Ende setzten, denn sie waren die Teufel, die Shivas Gesetze brachen. Das Kraftwerk schaltete sich, kaum, dass der Letzte innerhalb seiner Mauern tot war, selbsttätig ab.
Der Schamane hatte die Botschaft der Göttin erhalten. Die Kleinsten unter den Kleinen hatte sie auserkoren, um den letzten Rest des alten, wahren Geistes der Papua, der hier im Baliem-Tal noch bestand, zu wahren und zu verbreiten, und ihn hatte sie zum Anführer erkoren.
Er würde seinen Stamm führen, bis nach Jakarta, wenn es sein musste, um nach zehn Nächten den Willen der Göttin zu erfüllen.
Er richtete sich auf und stieß den gellenden Schrei der Weissagung aus. Dann warf er sich auf seine Knie, hob die Arme zum Dach seiner Hütte und ließ die geballten Fäuste kreisen, so wie es ihn sein Vorgänger gelehrt hatte.
Der Tanz der Offenbarung, immer schneller bewegte er seinen Körper kreisend und es schien, als hätten seine Arme keine Gelenke, sondern bestünden aus Gummi.
Immer heißer wurde es in der Strohhütte, der Schweiß lief ihm in Bächen über das Gesicht und verwischte die weiß-gelbe Farbe seiner Standesbemalung. Sein gewaltiger Kopfschmuck erzeugte groteske Schatten auf der Wand hinter ihm.
In seiner beginnenden Ekstase nahm er den weißen Rauch, der aus den Wänden der Hütte quoll, nicht wahr.
Yusak Yuthage, der Schamane vom Stamm der Korowai, bemerkte die Flammen erst, als es zu spät war.
Banjak Hsumi betrachtete die Flammen, die aus der brennenden Strohhütte schlugen und prasselnd Funken aus glühenden Strohresten in den Himmel stießen. Er wusste, dass er den ersten Schritt getan hatte, Mgami, der Göttin, ihren Zorn zu nehmen. Er drehte sich um und legte seinen Meskapa, den langen Speer des Jägers, über die Schulter. Die sieben toten Körper und die letzten Schreie des Schamanen nahm er nicht mehr war, als er das Dorf verließ. Noch lange hatte er seine Aufgabe nicht erfüllt. Zehn Tage und Nächte blieben ihm.
Drei davon überlebte er, bevor er von jemandem getötet wurde, der in ihm einen der Dämonen erkannte, der Mgamis Wut entfacht hatte.
It's the End of the World as we know it, and I feel fine
R.E.M.