Читать книгу Kampf dem Karl, - Bernhard Giersche - Страница 10
10. Juli 2017
ОглавлениеMontag. Tag zwölf nach neuer Zeitrechnung. Gestern habe ich das erste Mal weinen können. Ich meine so richtig. Eigentlich wollte ich das gar nicht, ich will dem Unheil in mir gegenüber keine Schwäche zeigen. Haaaaaalt, bevor ihr jetzt schreibt, dass weinen keine Schwäche ist, sei gesagt, dass ich das auch für keine Schwäche halte, weil es eine normale Reaktion auf ein anormales Ereignis ist. Im Übrigen tat das echt gut. Das dazu….
Heute haben Gisela und ich einiges vor. Vielleicht geht die berühmte Chemotherapie los und mit hoher Wahrscheinlichkeit werde ich zur weiteren palliativen Behandlung nach Hause entlassen. Die Lähmung nach der Chefarztszene fällt langsam ab und macht einer speziellen Form von Trotz Platz. Das war im Übrigen vergangenen Donnerstag wie eine Szene aus einem billigen amerikanischen Film. Triefend vor Klischees war diese Szene und sie wiederholt sich in unseren Köpfen ständig. So wie ein Ohrwurm, nur ist das eine sehr abstoßende Art von „Gedankenwurm“.
Ich liege im Bett, Gisela sitzt auf der Kante. Dr. Chefarzt steht im weißen Kittel mit einem Helferlein vor dem Bett und spricht die bemerkenswerten Worte: „Sie müssen schnell ihre Dinge regeln. Patientenverfügung und Vorsorgevollmacht. Sie leben noch zwischen sechs und neun Monate. Handlungsfähig sind Sie vielleicht noch sechs Wochen.“ Die Tage danach waren wir ein Stück weit paralysiert. Internetrecherche bestätigte die Prognose gnadenlos.
Dann der Kampf um das Methadon. Meine einzige winzige Hoffnung, den Scheiß zu überleben, zumindest länger als die prognostizierten sechs Monate. Letztlich war es eine einzige, couragierte Ärztin, die sich über die Anweisungen der Chefärzte hinwegsetzte. Heute Morgen hat dann der Chef-Onkologe meine Chemotherapie abgesetzt, weil ich Methadon als Schmerzmittel nehme. Ist zwar absolut krass und grotesk, dass mir nun die unter Umständen lebensrettende Therapie verweigert wird durch diesen Mann, letztlich aber auch nur eine der vielen unglaublichen Anekdoten meines Lebens.
Morgen um dreizehn Uhr sitze ich bei einem anderen Onkologen in der Praxis. Die Ärztin, die mir das Methadon verschrieb, hat ebenfalls eine Adresse recherchiert, damit ich in jedem Fall weiter behandelt werde. MIT Methadon. Es gibt eben solche und solche Ärzte. Die einen sind karrieresüchtige Weißkittel ohne Eier und die anderen sind eben echte Ärzte. Langweilig wird es also nie in meinem Leben, wie es scheint.
Heute also erst einmal nach Hause. Gott sei Dank. Ich weiß, dass es mir in unseren Daheim viel besser gehen wird als hier. Ich will mich auf jeden Fall bei den (meisten) Ärzten des evangelischen Krankenhauses und dem Pflegepersonal aus vollem Herzen bedanken. Mir wurde sehr viel Güte und Freundlichkeit sowie ein hohes Maß an Mitgefühl zuteil. Das hat mir das alles zu ertragen geholfen. Fern jeder Heuchelei erfuhr ich viel Authentizität seitens vieler Ärzte und dem Pflegepersonal. Dass ausgerechnet der Chef der Onkologie sich so verhalten hat, ist auch repräsentativ für die gesamte deutsche Ärzteschaft.
Das wird also noch ein weiter Weg für all die Menschen, die ebenfalls diese oder eine ähnliche Diagnose ertragen müssen. Das Verbot von Hoffnung, ausgesprochen durch Ärzte, die einst einen Eid geleistet haben, sich dem Wohl von kranken Menschen zu widmen, ist ein unmenschlicher Widerspruch in sich. Ein wenig mutet das an wie einst die Verleugnung der Tatsache, dass die Erde eine Kugel ist, Schweine nicht fliegen können und Frauen dem Manne nicht Untertan sind. So ist es stets gewesen zu allen Zeiten und die sogenannte hochmoderne, humanistische, christliche und was weiß ich für eine Gesellschaft ist nichts weiter als der selbe Mist, der im Mittelalter normal war. Immer nur Missgunst, Neid und Profilierungssucht als Antrieb. Altruismus und Menschlichkeit als Zeichen von Schwäche und der eigene Vorteil zum Maß des eigenen Handelns erhoben. Gott, widert mich das manchmal an.
Dann ist es gut, dass ich meinem Wahlspruch: „Geht nicht, gibts nicht“ noch nicht abgeschworen habe, denn ich habe nun, da ich diese Zeilen schreibe, alles in trockenen Tüchern. Und neben meinem Kampf um mein Leben werde ich die verbleibende Energie darauf verwenden mein „Maul aufzumachen“ und so vielleicht im Kleinen Prozesse in Gang zu setzen, die es ermöglichen, einen neuen, reiferen Weg zu gehen. Haltet mich gerne für größenwahnsinnig oder durchgeknallt. Ich habe Krebs, ich darf das !!!