Читать книгу Kampf dem Karl, - Bernhard Giersche - Страница 8
8. Juli 2017
ОглавлениеIrgendwie ist das nicht zu glauben. Ich laufe herum, habe eine gesunde Farbe im Gesicht und guten Appetit. Klar, die Schmerzen sind da, aber dank der Pülverchen, die man mir gibt, sind die gut gedeckelt. Früher habe ich mich immer gefragt, was das für Schmerzen seien, die ein Krebs so erzeugt. Bei mir ist das jetzt gut erkennbar.
Da sind zunächst einmal meine Rückenschmerzen in der Lendenwirbelsäule. Die habe ich seit anderthalb Jahren. Letztes Jahr kam daher auch die Schmerzausstrahlung ins rechte Bein. Das ist nie ganz weg gegangen. Alle dachten, das läge an den Bandscheiben, an den Facettengelenken, an Arthrose und am Verschleiß. Der hiesige Chef-Onkologe sagt, das seien die ersten Boten des Krebses gewesen. Die Metastasen und Karzinome hätten da schon begonnen, auf gewisse Nervenstränge zu drücken, was sich dann als Beinschmerz äußerte. Kein Wunder, dass weder Physiotherapie noch all die anderen Maßnahmen nicht wirklich geholfen haben.
Aktuell kamen dann die stechenden Schmerzen unter dem rechten Rippenbogen dazu, von denen die Ärzte dachten, es sei eine Gastritis. Seit einer Woche etwa habe ich sehr starke Schmerzen im linken Bein. Fühlt sich an, als würde ein Panzer darüber fahren, bremsen und sich auf der Stelle drehen. Das ist echt ein übler Kack Schmerz. Das alles macht der Krebs, der in mir tobt. Drückt Nerven zusammen und gaukelt dem Gehirn vor, an der betreffenden Stelle wäre besagter Panzer bei der Arbeit. Gegen diese Art von Schmerzen helfen nur bestimmte Opiate und Morphine. Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie geil das Gefühl ist, wenn die Pülverchen zünden und der stets präsente Schmerz kaum noch wahrnehmbar ist. Ich habe mir geschworen, lieber etwas Unbill zu ertragen, als völlig benebelt zu sein. Klingt jetzt vielleicht etwas doof, aber es ist so. Man stirbt nur ein einziges Mal. Das will ich mitbekommen, will es bewusst erleben. Wegschauen war noch nie meine Sache. Wenn es so kommen sollte, wie der Chefarzt es prognostizierte, werde ich in sechs Wochen bereits ziemlich krank aussehen und mich auch so fühlen.
Im Moment sieht man mir das nämlich so gut wie gar nicht an. Das ist das Groteske an der gegenwärtigen Situation. Und irgendwann, in acht Wochen vielleicht oder später, bin ich ans Bett gefesselt und ein Pflegefall. Und dann kommt der Moment, in dem klar wird, dass es das dann war. Ich habe zusammen mit meiner Gisela und anderen Verabredungen getroffen und Pläne für diese Zeit gemacht. Bevor ich als Gemüse dahinsieche wird der Stöpsel gezogen. Ich will mit einem Rest an Würde entfleuchen, nicht als sabbernder Lappen ohne Verstand. Es sei denn, und davon gehe ich fest aus, ich besiege mittels Methadon den Krebs und drehe all denen eine Nase, die das für unmöglich halten.
Gut, bislang hat noch niemand nach der Diagnose die ich habe, länger als zwei Jahre gelebt, aber muss mich das jucken? Nein! Bei mir lief noch nie etwas normal. Ich kriege keinen profanen Darmkrebs oder habe ein Prostatakarzinom wie so viele andere. Ich habe gesoffen und schon immer geraucht. Ich habe Raubbau an meinem Körper getrieben und mich nicht wirklich gesund ernährt. Viele Freunde und auch Familienmitglieder sagen: „Hey, ist ganz übel, wundert uns aber nicht. So wie du gelebt hast, ist das mit dem Krebs nur folgerichtig“. Tja Leute. War wohl nix. Mein Gallengangkarzinom ist fast die seltenste Form von Krebs. Außerdem bekommen fast nur über siebzigjährige diese Art von Krebs. Und die überwiegend in Asien, wo sie sich irgendwelche Parasiten einfangen. Leber und Lunge, Magen und Darm, Herz und Nieren sind bei mir alle Tip Top bis auf die Metastasen in der Leber aber die sind ja aus der Galle eingewandert.
Typisch Bernhard! Und weil das Unmögliche und Unwahrscheinliche bei mir normal ist, werde ich auch dieser Linie in der Krankheit folgen und völlig unmöglich und ganz und gar nonkonform weiterleben. So ist zumindest der Plan. Sicherheitshalber habe ich allerdings eine kleine Liste mit Dingen, die ich noch erleben will solange ich kann. Und ganz oben auf dieser Liste steht: Gisela heiraten !! Das planen wir für nächste Woche. Komm her Krebs, ich lache dir ins Gesicht. WIR lachen dir ins Gesicht, du Arsch !!!
Dieses Bild zeigt meine Leber.
Die dunklen, kreisrunden Stellen sind die Metastasen.
Damit ihr mal seht, wie so etwas aussieht.