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8 Hoffmanns Erzählungen Lutter & Wegner am Gendarmenmarkt

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E.T.A.-Hoffmann-Skulptur am Gendarmenmarkt

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Der Spätherbst in Berlin hat gewöhnlich noch einige schöne Tage. Die Sonne tritt freundlich aus dem Gewölk hervor, und schnell verdampft die Nässe in der lauen Luft, welche durch die Straßen weht. Dann sieht man eine lange Reihe, buntgemischt – Elegants, Bürger mit der Hausfrau und den lieben Kleinen in Sonntagskleidern, Geistliche, Jüdinnen, Referendare, Freudenmädchen, Professoren, Putzmacherinnen, Tänzer, Offiziere u.s.w. durch die Linden, nach dem Thiergarten ziehen.«

So beginnt E. T. A. Hoffmanns erste veröffentlichte Novelle Ritter Gluck. Eine Erinnerung aus dem Jahr 1809. Darin begegnet der Ich-Erzähler im Berliner Tiergarten einer seltsamen Gestalt, die sich schließlich als der verstorbene Komponist Christoph Willibald Gluck vorstellt – ist es sein Geist oder ein Verrückter? Der Schriftsteller, Musiker und Zeichner Hoffmann machte Berlin, wo er in drei Phasen seines Lebens selbst wohnte, zum Schauplatz vieler Erzählungen. Fast immer aber verfremden seine Geschichten die Stadt und ihre Menschen, karikieren sie, steigern sie ins Fantasievolle und Groteske. Fantasie und Grusel, Mystisches, Ironisches, Doppelbödiges und psychologisch Vertracktes, Angst, Rausch und Wahn machen die Faszination von Hoffmanns Prosa aus. Nachtgestalten wie der ekelhafte Advokat Coppelius, das rachsüchtige Äpfelweib und der mörderische Mönch Medardus bevölkern in seinen Geschichten vordergründig alltägliche Städte.

E. T. A. Hoffmanns Berlin, das war der Gendarmenmarkt. In dessen Umgebung erinnern heute noch zahlreiche Stätten an den Dichter. Nachdem der studierte Jurist in seiner Heimatstadt Königsberg das zweite Staatsexamen abgelegt hatte, bewarb er sich erfolgreich am Berliner Kammergericht. Von 1798 bis 1800 bekleidete er eine Stelle als Referendar und bestand schließlich das dritte Staatsexamen. Das Gericht tagte damals in der Lindenstraße – im heutigen Altbau des Jüdischen Museums. Hoffmann wohnte erst in der Kurstraße, dann in der Leipziger Straße.

Notgedrungen logierte sich Hoffmann 1807 für ein weiteres Jahr in Berlin ein. Er hatte seine Anstellung in Warschau, das von den Truppen Napoleons besetzt war, verloren. Während dieser Zeit voller Geldsorgen und Zukunftsängste nahm sich der Entlassene ein Zimmer im Gasthof Zum Goldenen Adler in der Leipziger Straße, im Hotel Brandenbourg in der Charlottenstraße und zuletzt in der Friedrichstraße. Hoffmann verließ Berlin 1808, um in Bamberg den Traum vom Leben als Künstler wahrzumachen. Seinen dritten Vornamen Wilhelm hatte er aus Verehrung für Wolfgang Amadeus Mozart damals schon geändert. Viereinhalb Jahre verdiente er als Kapellmeister, Bühnenmaler, Theaterkomponist, Musikleiter und kurzzeitiger Musikdirektor sein Geld – allerdings viel zu wenig. Anschließend wirkte er als Musikdirektor in Leipzig und Dresden, ehe er 1814 mit seiner Frau Mischa wieder nach Berlin zog. Der Schulfreund Theodor Gottlieb von Hippel hatte ihm dort eine feste Anstellung am Kammergericht vermittelt. 1816 stieg Hoffmann sogar zum Kammergerichtsrat auf. In dieser Zeit glückte endlich auch der Durchbruch als Autor mit den Erzählbänden Fantasiestücke in Caillot’s Manier, Nachtstücke und Serapionsbrüder. Der Schriftsteller wohnte erst in der Französischen Straße, ab 1815 schließlich in der Taubenstraße 31. Aus dem 1775 erbauten Eckhaus genoss er den Blick auf den Gendarmenmarkt. Er selbst beschrieb ihn in der Erzählung Meines Vetters Eckfenster: »Dabei liegt aber meines Vetter Logis in dem schönsten Theile der Hauptstadt, nehmlich auf dem großen Markte, der von Prachtgebäuden umschlossen ist, und in dessen Mitte das kolossal und genial gedachte Theatergebäude prangt.«

Den ab 1688 prunkvoll gestalteten Platz prägten schon damals der Französische Dom und die Neue Kirche – heute Deutscher Dom –, beide ab 1701 errichtet und ab 1780 mit Türmen verschönert. Besonders gerne blickte Hoffmann auf das 1802 erbaute Nationaltheater. Dieses führte ab 1816 seine Märchenoper Undine auf und verhalf dem Künstler auch zu Erfolg als Komponist. Aus dem Eckfenster musste er allerdings 1817 mitansehen, wie das Gebäude aus ungeklärter Ursache abbrannte. Das Feuer vernichtete außerdem die Kulissen der Undine, die nach dem Bühnenbild des Baumeisters Karl Friedrich Schinkel gestaltet worden waren. Schinkel war es ebenfalls, der den Neubau des Schauspielhauses – heute Konzerthaus – an gleicher Stelle ab 1817 verantwortete. In seinem Schatten steht nun eingewachsen von Büschen ein Denkmal, das die Berliner Künstlerin Carin Kreuzberg 1998 schuf. Es zeigt den lächelnden Hoffmann mit der Schlangenprinzessin Serpentina aus seinem Märchen Der goldne Topf.

Im selben Wohnhaus war auch Hoffmanns Freund und liebster Gesprächspartner, der Schauspieler Ludwig Devrient, eingemietet. Obwohl das Originalgebäude nicht mehr steht, weht hier ein hoffmannesker Geist. An derselben Stelle wurde 1997 das Gasthaus Lutter & Wegner eröffnet. Der Name lehnt sich an die gleichnamige Weinhandlung an, die sich einige Häuser weiter, an der Charlottenstraße befand und den Zweiten Weltkrieg nicht überlebte. Für die Nachtgestalten Hoffmann und Devrient war das Weinlokal ein zweites Zuhause. Gemeinsam mit den Autoren Adelbert von Chamisso, Julius Eduard Hitzig, Friedrich de la Motte Fouqué und weiteren begründeten sie dort die Tafelrunde der Serapionsbrüder, die Hoffmann literarisch verewigte. Diese beseelten Runden sollten 1851 die Franzosen Jules Barbier und Michel Carré zum Theaterstück Les contes d’Hoffmann – Hoffmanns Erzählungen – inspirieren. Komponist Jacques Offenbach vertonte sie als gleichnamige Phantastische Oper. 1881 in Paris uraufgeführt, verwebt sie verschiedene Hoffmann-Geschichten wie Der Sandmann, Rat Krespel und Die Geschichte vom verlornen Spiegelbilde. Die Oper beginnt und endet in der Weinhandlung Lutter & Wegner. Das heutige Lokal gleichen Namens besitzt eine Hoffmann-Stube als Nebenraum für geschlossene Gesellschaften und kleine Dinner. Die Wände sind geschmückt mit fast 100 Aquarellen des Frankfurter Künstlers Ferry Ahrlé zu Episoden aus Hoffmanns Leben und Werk.

Das Haus am Gendarmenmarkt bewohnte der Dichter die letzten sieben Jahre seines Lebens. Wegen satirischer Schriften geriet er jedoch ins Visier der Vorgesetzten: Bange sah er einem Disziplinarverfahren entgegen, als dessen Folge ihm die Rückversetzung in die preußische Provinz drohte. Besonders aber machte dem Autor seine stets fortschreitende Rückenmarkslähmung zu schaffen. Hoffmann starb am 25. Juni 1822 in seiner Wohnung. Er wurde 46 Jahre alt.


Restaurant Lutter & Wegner in E.T.A. Hoffmanns ehemaligem Wohnhaus

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