Читать книгу Der Malik - Bernhard Kreutner - Страница 10

Dienstag, 17.00 Uhr, siebter Bezirk, Neubau, Wien

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An der Ampel Ecke Siebenstern- und Kirchengasse blieb er stehen, schlug den Kragen ob des kalten Märzwindes hoch und warf einen Blick in das Café 7*Stern. An den Tischen unzählige Studenten mit unausgegorenen Gedanken. In seinen Augen dumme Herdentiere. Weltverbesserer, aber nützlich.

In ein paar Tagen sollte er dort auf Einladung des Bezirksvorstehers einen Gastauftritt als erfolgreich integrierter Österreicher mit nordafrikanischen Wurzeln haben. Ihn schauderte bei diesem Gedanken, gleichzeitig ermahnte er sich zu mehr Selbstdisziplin. Ein derartiges Bad in der Menge gehörte dazu, sosehr es ihm auch widerstrebte, sich in der Öffentlichkeit zu zeigen.

Ja, er hatte sich integriert, aber auf seine Art und Weise und nach den Regeln seines Vaters, nach den ewig gültigen Regeln des Blutes.

Vor dreiundfünfzig Jahren war er nach Österreich gekommen. Ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, aber mit dem unbändigen Willen, sich einen Platz an der Sonne zu erkämpfen. Sein Vater war während des Tindouf-Krieges 1963 ermordet worden, und bis er seine Schwestern verheiratet hatte, war er als Oberhaupt der Familie in Tindouf, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz im Südwesten des Landes, geblieben. Aber keinen Tag länger.

Sein Vater hatte ihm, dem einzigen Sohn, von Kindesbeinen an wieder und wieder erklärt: In dir schlägt das Herz eines Löwen, geh in die Welt hinaus und sei ein König. Mach deinem Namen Ehre. Gedankenverloren strich er über die Manteltasche, spürte die Brieftasche mit dem vergilbten Foto seines Vaters und drehte sich plötzlich um. Die Ampel hatte von Rot auf Grün gewechselt, und eine junge Mutter mit Kinderwagen hastete mit einem kurzen »Sorry« an ihm vorbei über den Zebrastreifen.

Nachdenklich setzte er seinen Weg über die Sigmundsgasse sowie die Kellermanngasse fort in die Piaristengasse. Ja, eine Art König war er geworden, aber würden seine Erben sich dieses Reiches, seines Reiches, dereinst auch als würdig und stark genug erweisen?

Hatte er seinen Söhnen genug beigebracht oder sie zu sehr verweichlicht? War er zu spät Vater geworden und dadurch seinen Söhnen gegenüber altersmilde gewesen? Beide waren auf ihre Art talentiert und wahre Magier in der Welt der Zahlen und Paragrafen. Beide hatten ihre Hände auch mit Blut geweiht, trotzdem kamen ihm immer wieder Zweifel, wenn es um die Härte ihres Charakters ging.

Bei seinem Haus angekommen, strich er zärtlich über die aus Bongossi-Holz gefertigte Tür und schloss auf. Diese Tür, wie auch die Handläufe im Treppenhaus, hatte er aus diesem extrem harten und schweren afrikanischen Edelholz tischlern lassen. Es erinnerte ihn an seine Herkunft und seinen Weg. Mit aller Härte und Standhaftigkeit von den Wüsten Afrikas in das wohlstandsgesättigte Europa, von ganz unten nach ganz oben.

Im Vorraum seines Büros wartete bereits sein langjähriger Berater und Anwalt, Josef Freidmann. Wortlos gab er seinen Mantel einem ebenso schweigsamen Assistenten und ging in sein Büro, gefolgt von einem weiteren Assistenten und dem Anwalt.

Am Schreibtisch rückte er den Sessel zurecht und schlug sein Notizbuch auf, während der Anwalt wie gewohnt auf der Sitzgruppe Platz nahm und der Assistent die Türe leise schloss und vor dem Schreibtisch stehen blieb.

»Rami, hast du dich um das beschmierte Garagentor gekümmert?«

»Ja, Abu. Das Tor wird morgen neu gestrichen.«

»Und die Schmierfinken?«

»Es war nur einer. Anhand seiner Signatur haben wir ihn schnell gefunden. Ein Junge aus dem neunzehnten Bezirk, Kaasgrabengasse. Er wird es mit Sicherheit nie wieder tun.«

Nachdenklich nickte der Abu mit dem Kopf: »Verwahrlostes Gesindel. Wahrscheinlich ist der Junge ohne die strenge Hand eines Vaters und mit zu viel Geld aufgewachsen.« Und an Rami gewandt: »Du hast ihn zur Rechenschaft gezogen?«

»Ja, Tarek hat ihm die rechte Hand gebrochen.«

»Gut. Belassen wir es dabei. Was machen die Affen?«

»Wir kennen inzwischen einen ihrer wichtigsten Lieferanten. Sie beziehen die Ware über den Balkan, großteils aus Pakistan. Ein Zwischenlager befindet sich bei Timisoara in Rumänien. Dort wird die Ware aufgeteilt und der Weitertransport nach Österreich und Bayern organisiert.«

Der Abu lehnte sich zurück und kniff die Augen zusammen. »Wie sicher ist diese Information?«

»Zwei Tage, einige Zähne und fünf Zehen, sehr sicher. Was wirst du tun, Abu?«

»Wie groß ist dieses Lager in Rumänien?

»Laut dem Affen: zwei bis drei Tonnen.«

»Wer kontrolliert es, die Tschetschenen?«

»Nein, die Rumänen.«

Nachdenklich ließ der Abu seine Misbaha, seine Gebetskette, durch die Finger gleiten. Zwei bis drei Tonnen, das entsprach einem Straßenwert von rund zwanzig bis dreißig Millionen. Allerdings konnte er in Rumänien nicht selbst tätig werden. So weit reichte sein Arm nicht.

»Wie genau sind die Informationen?«

Der Assistent blätterte kurz in seinen Unterlagen. »Sehr genau. Es ist ein Industriepark an der Calea Sagului. Unzählige Lkws. Eigentlich ein idealer Ort. Wir haben die Adresse und eine genaue Beschreibung, alles, was wir brauchen.«

»Gut. Ich werde darüber nachdenken. Zurück zu den Affen. Wissen wir, wo die Oberaffen wohnen?«

»Ja, Abu. Es sind nur vier entscheidend, und wir wissen, wo sie schlafen.«

Zufrieden nickend erwiderte der Malik: »Behalte sie im Auge. Wir werden ihnen zu gegebener Zeit eine Botschaft schicken.«

»Was sollen wir mit dem Singvogel machen?«

»Ist das auch so einer mit diesen kindischen Sportschuhen und weiten Hosen?«

»Ja, Abu. Das ist ihr Markenzeichen.«

»Gut, dann nimm seine Schuhe, sein Gewand und seine Finger, die brauchen wir noch. Den Rest schickst du nach Simmering. Gut gemacht, du kannst gehen.«

Der Assistent verabschiedete sich mit einer leichten Verbeugung und schloss leise die schwere Türe hinter sich.

»Nun zu uns, Herr Freidmann. Gabriel meint, Malta ist erledigt. Hat er recht?«

Der Anwalt, ein distinguierter, etwas fülliger Mann Mitte sechzig, dessen Glatze an ein ausgetrocknetes, jedoch poliertes Flussbett, gesäumt von ergrauten Uferböschungen, erinnerte, rückte seinen Krawattenknoten zurecht und zog eine der zahlreichen Mappen aus dem Aktenkoffer.

»Es scheint so, zumindest was Malta betrifft.«

»Und Österreich?«

Der Anwalt räusperte sich und blätterte kurz in den Unterlagen. »Nun, laut den Unterlagen hat sich die hiesige Polizei bei der Finanz in Malta gemeldet und erklärt, dass sie die Untersuchung den dortigen Kollegen überlässt. Bleibt die Frage offen, ob sie das auch tatsächlich tun.«

»Kann denn unsere Polizei in Malta überhaupt tätig werden?«

»In Malta nicht, nein. Aber hier.«

»In Wien gibt es nichts«, erwiderte der Malik barsch.

»Nun, wir wissen, dass am Telefon Ihr Name genannt wurde.«

»Wie kann es sein, dass dieser maltesische Schnüffler meinen Namen kennt? Haben meine Söhne geschlampt?«

»Die Firmenkonstruktionen Ihrer Söhne sind tatsächlich von einer, sagen wir, umsichtigen Eleganz. Sie tauchen dort ebenso wenig namentlich auf wie Ihre Söhne. Das habe ich alles von Anfang an überprüft und überwacht. Auf dem Papier gibt es keine Spur, die zu Ihnen führt. Trotzdem wurde am Telefon Ihr Name genannt.«

»Und was kann die Wiener Polizei mit meinem Namen anfangen?«

»Nun, das ist der positive Aspekt, nichts. Es gibt Hunderte Maliks in Österreich, Sie waren nicht in Malta und haben eine blütenweise Weste. Bei Ihnen gibt es wie gesagt nichts, weder eine Vorstrafe noch ein Finanzvergehen. Sollte die Polizei tatsächlich auf Sie stoßen, findet sie lediglich einen Unternehmer, der es zu Wohlstand gebracht hat, mehr nicht.«

Der Malik lehnte sich nachdenklich zurück und kniff dabei wie gewohnt die Augen zusammen, bevor sich seine Züge plötzlich entspannten. »Freidmann, Sie haben doch beste Kontakte zu den Behörden. Was würde passieren, wenn wir der Wiener Polizei einen Tipp bezüglich dieses Lagers in Rumänien geben?«

Seine manikürten Fingernägel betrachtend, erwiderte der Anwalt mit einem leicht sarkastischen Ton: »Nun, das kommt darauf an, wie und an wen Sie diese Information weitergeben. Theoretisch wäre das Büro für Suchtmittelkriminalität im Bundeskriminalamt die richtige Adresse, allerdings ist der dortige Leiter ausgesprochen karriereorientiert und hat sich bei der Direktorin nicht gerade beliebt gemacht. Zumal er auch einer anderen Partei angehört. Zielführender scheint es mir, den Weg der Politik zu beschreiten.«

Der Malik nickte zufrieden. »Ein Spiel über Bande, verstehe. Und an wen in der Politik haben Sie gedacht?«

»Nun, an Ihren Freund, den Bezirksvorsteher. Der junge Mann ist ehrgeizig, wähnt sich bereits in einer künftigen Regierung, ist ein Parteifreund unserer geschätzten Direktorin und wird nur zu gerne bereit sein, den Postboten zu spielen.«

»Und die rumänische Polizei?«

»Ist bekannt für eine gewisse Korrumpierbarkeit und daher stets bemüht, ihr Image zu verbessern. In diesem Fall geht es nur um Cannabis, und die Summen sind vergleichsweise überschaubar, so gesehen handelt es sich um ein billiges Bauernopfer. Zumal die verehrte Frau Direktor pflichtgemäß ihre europäischen Partner informieren wird. Damit wird unser Spiel auch international auf Direktorenebene gespielt, und ich kann mir nicht vorstellen, dass sich der rumänische Direktor in diesem Fall eine Blöße geben möchte. Ja, ich schätze, eine Razzia in Timisoara könnte von Erfolg gekrönt sein.«

Der Malik hatte wieder angefangen, seine Gebetskette gedankenverloren durch die Finger gleiten zu lassen. »Gut, arrangieren Sie das und überlegen Sie sich auch eine Geschichte, wie wir zu dieser Information gekommen sind. Es darf keine Verbindung zu mir oder meinen Söhnen geben.«

Ein imaginäres Staubkorn von seiner Hemdmanschette streichend, antwortete der Anwalt selbstzufrieden: »Nun, die Geschichte ist einfach. Ein illegaler Immigrant hat alles auf seinem Weg ins gelobte Land mitbekommen. Er wurde gezwungen, dort zu arbeiten, um seinen Weitertransport zu bezahlen. In Wien hat er sich an einen Ihrer Mitarbeiter im Sozialzentrum gewandt, ist dann aber leider aus Angst untergetaucht. Das Sozialzentrum ist in seiner Neutralität als Auffangbecken für alle Gestrauchelten geradezu ideal, und damit gibt es auch keine Verbindung zu Ihnen.«

Den Malik beschäftigte allerdings eine ganz andere Frage. »Ein Affe als schlauer Beobachter? Ist das glaubwürdig?«

»Es geht nur um die Story. Aber wenn es Ihnen lieber ist, nehmen wir einen Pakistani oder Afghanen. Die passen ebenfalls zur Schlepperroute.«

»Ja, ein Pakistani ist besser. Die sind bei den Behörden nicht so unbeliebt.«

»An wen darf ich mich im Sozialzentrum wenden?«

»Nehmen Sie Rami, auf ihn kann ich mich verlassen.«

»Gut, kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

Nachdenklich musterte der Malik seinen Anwalt, bevor er antwortete: »Dieser Kommunist im achten Bezirk, wir sollten ihn ein wenig anfüttern.«

»Die Teppichmasche?«

»Ja, nehmen Sie einen Isfahan mit einer Million Knoten pro Quadratmeter, aber bleiben Sie unter zehntausend Euro, wir wollen den Bengel nicht zu sehr verwöhnen, sonst wird er noch gierig.«

»Wird erledigt, Herr Malik. Ist das für heute alles?«

»Ja, und behalten Sie Malta und meine Söhne weiterhin im Auge.«

Der Anwalt packte seine Sachen zusammen und nickte dem Abu kurz zu. An der Tür drehte er sich nochmals um. »Verzeihen Sie, Rami gegenüber haben Sie Simmering erwähnt. Meinten Sie damit die Müllverbrennungsanlage?«

Der Malik knurrte nur ein kurzes »Ja« und blätterte weiter in seinem Notizbuch.

Der Malik

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